Zeitschrift für Naturschutz und Landschaftspflege Heiko Brunken, Matthias Hein und Henrich Klugkist Auswirkungen ökologischer Grabenräumung auf Fische und die Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis) in Bremer Natura-2000-Gebieten Impacts of ecological ditch maintenance on fishes and the dragonfly Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis) in Natura 2000 sites in the German state of Bremen Seiten 370-375 Die Gräben der Natura-2000-Gebiete im Bremer Feuchtgrünlandgürtel stellen bedeutende Sekundärhabitate für typische Auenarten dar. Hier leben u. a. Arten der Anhänge II und IV der FFH-RL wie Schlammpeitzger, Steinbeißer oder Grüne Mosaikjungfer. In einem DBU-geförderten Forschungs- und Kooperationsvorhaben zur Erprobung von Grabenmanagementmaßnahmen zum Erhalt der Krebsschere wurden die Auswirkungen unterschiedlicher Grabenräumvarianten auf die Fisch- und Libellenfauna untersucht. Beeinträchtigungen der Bestände der genannten Zielarten konnten nicht festgestellt werden. Für die Fisch- und Libellenfauna sind jeweils unterschiedliche Räumvarianten vorteilhaft. Grabenmanagementkonzepte sollten sich an der natürlichen Auendynamik orientieren. Über die Steuerung von Wasserständen, Räumungsintensität und -zeitpunkt können sie gewährleisten, dass verschiedene Sukzessionsstadien mosaikartig über das Gebiet verteilt und untereinander vernetzt vorliegen. The agricultural ditches of the Natura 2000 sites in the Weser river lowlands around Bremen, Germany, are known as important secondary habitats for typical floodplain species (e. g. Mud Loach Misgurnus fossilis, Spined Loach Cobitis taenia, Green Hawker Aeshna viridis) listed in Annexes II and IV of the Habitats Directive. Different methods of ditch maintenance, evaluated in a research and development project focussing on Water Soldier populations (Stratiotes aloides), revealed no impairments of the above-mentioned target species. Different maintenance schemes were found to be favourable for fish and for dragonflies respectively. Ditch maintenance approaches should be modelled on natural floodplain dynamics to provide a habitat mosaic in terms of water level, intensity and time of ditch cleaning, ensuring a connected drainage system composed of different succession levels. Verlag W. Kohlhammer 87. Jahrgang 2012 Heft 8 121094_NuL08_370_375.qxp:Layout 1 17.07.2012 10:05 Uhr Seite 370 Auswirkungen ökologischer Grabenräumung auf Fische und die Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis) in Bremer Natura-2000-Gebieten Impacts of ecological ditch maintenance on fishes and the dragonfly Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis) in Natura 2000 sites in the German state of Bremen Heiko Brunken, Matthias Hein und Henrich Klugkist Zusammenfassung Die Gräben der Natura-2000-Gebiete im Bremer Feuchtgrünlandgürtel stellen bedeutende Sekundärhabitate für typische Auenarten dar. Hier leben u. a. Arten der Anhänge II und IV der FFH-RL wie Schlammpeitzger, Steinbeißer oder Grüne Mosaikjungfer. In einem DBU-geförderten Forschungsund Kooperationsvorhaben zur Erprobung von Grabenmanagementmaßnahmen zum Erhalt der Krebsschere wurden die Auswirkungen unterschiedlicher Grabenräumvarianten auf die Fisch- und Libellenfauna untersucht. Beeinträchtigungen der Bestände der genannten Zielarten konnten nicht festgestellt werden. Für die Fisch- und Libellenfauna sind jeweils unterschiedliche Räumvarianten vorteilhaft. Grabenmanagementkonzepte sollten sich an der natürlichen Auendynamik orientieren. Über die Steuerung von Wasserständen, Räumungsintensität und -zeitpunkt können sie gewährleisten, dass verschiedene Sukzessionsstadien mosaikartig über das Gebiet verteilt und untereinander vernetzt vorliegen. Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen (Anhang-II-Arten), heute verbreitet oder sogar schwerpunktmäßig in Grabenökosystemen vor (Brunken 1984; Klugkist 2000; Scholle et al. 2003; Birnbacher u. Hein 2005; Finch et al. 2010; Kiel et al. 2012). Gräben können somit bei Wegfall oder Beeinträchtigung von Primärlebensräumen wichtige Ersatzlebensräume darstellen, beispielsweise für Arten der Auenökosysteme oder natürlichen Stillgewässer (Diederich et al. 1995). In Nordwestdeutschland trifft dies insbesondere für die Fischarten Bitterling (Rhodeus amarus), Karausche (Carassius carassius), Steinbeißer (Cobitis taenia) und Schlammpeitzger (Misgurnus fossilis) zu sowie für den Moorfrosch (Rana arvalis), den Schmalbindigen BreitflügelTauchkäfer (Graphoderus bilineatus), die Zierliche Tellerschnecke (Anisus vorticulus) sowie die Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis). Die Stadt Bremen wird von einer von der Weser und ihren Nebenflüssen geprägten, offenen Grünland- und Grabenlandschaft umgeben. Dieser durch Fluss- und Moormarschen gekennzeichnete Feuchtgrünlandgürtel wird durch ein System aus hunderten Kilometern an Gräben entwässert und geht auf Kultivierungsmaßnahmen zurück, die bereits zu Beginn des 12. Jahrhunderts stattfanden (Nagler u. Müller 2012). Hier wurden zahlreiche Untersuchungen zu Flora und Fauna der Grabensysteme durchgeführt. Anlass war die Aufstellung des Landschaftsprogramms Bremen von 1991. Diese Daten bildeten später die Grundlage für die Identifizierung von FFH-Schutzgebieten und das anschließende Monitoring (SUBVE 2011). Hierbei wurde auch die überregionale Bedeutung der Gräben für die Fischfauna (Scholle 2001; Scholle et al. 2003; Reitemeyer et al. Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFHRL) hat zum Ziel, alle für Europa typischen wild lebenden Arten und natürlichen Lebensräume in einen günstigen Erhaltungszustand zu bringen. Dieses soll unter anderem über das Natura-2000Netzwerk von zusammenhängenden Schutzgebieten für bestimmte Lebensräume und Arten (Anhänge I und II FFHRL) erreicht werden. Hinzu kommen Regelungen für andere Arten auch außerhalb der Natura-2000-Schutzgebiete („streng zu schützende Arten“ gemäß Anhang-IV FFH-RL). Gräben sind als anthropogene Lebensräume nicht im Anhang I gelistet. Jedoch kommen zahlreiche Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse, für deren Erhaltung besondere 370 Abb. 1: Der Steinbeißer (Cobitis taenia) ist eine für die FFH-Gebiete im Bremer Feuchtgrünlandgürtel wertgebende Art. Die Aufnahme zeigt Exemplare aus dem Bremer Blockland. (Foto: Armin Maywald) Fig. 1: The spined loach (Cobitis taenia) is one of the species of European interest. The picture shows individuals in the Blockland lowlands on the Weser river. — 87. Jahrgang (2012) — Heft 8 © 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart 1 Einleitung 121094_NuL08_370_375.qxp:Layout 1 20.07.2012 9:24 Uhr Seite 371 Wirkung ökologischer Grabenräumung auf Fische Fig. 2: Grabenaushubkontrollen (Fotos: Maraike Willsch/links, Karin Hobrecht/Mitte u. rechts) Faunistic examination of excavated material during ditch maintenance 2010) und die Libellenfauna (Hellberg et al. 2000; Adena u. Handke 2001) sowie für weitere Artengruppen (Witt u. Haesloop 2001) deutlich. Über die Einrichtung des „Ökologischen Grabenräumprogramms“ im Land Bremen seit den 1980er-Jahren gelang es, diese hohe Bedeutung der Gräben für Flora und Fauna zu erhalten und zu optimieren (Handke et al. 1999; Hellberg et al. 2000; Nagler u. Müller 2012). Jedoch wurde im Jahr 2004 ein auffälliger Bestandsrückgang der für die Grabensysteme typischen Krebsscherenbestände (Stratiotes aloides) beobachtet, was Anlass für ein von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördertes, umfangreiches Forschungs- und Entwicklungsvorhaben war (Jordan et al. 2010; Kunze et al. 2012). In diesem Rahmen wurden auch Untersuchungen zur Fisch- und Libellenfauna durchgeführt, da die zu erprobenden Maßnahmen auch Varianten des Grabenräumprogramms beinhalteten. Grabenräumungen bedeuten kurzfristig gesehen immer einen starken Eingriff in die Habitate der aquatischen Biozönosen (Hinrichs 1998; Meyer u. Hinrichs 2000). Langfristig sind Grabenräumungen jedoch auch aus dieser Sicht unerlässlich, da es ohne diese Maßnahmen zu einer Verlandung der Gräben kommen würde. Um zu vermeiden, dass von den zu erprobenden Maßnahmen im Projekt (z. B. unterschiedliche Grabenräummethoden und -zeitpunkte) negative Auswirkungen auf die Fischfauna, speziell auf die Bestände der für die Gebiete wertgebenden „FFH-Grabenfischarten“ Schlammpeitzger und Steinbeißer (Abb. 1) ausgehen, wurden begleitende Fischbestandserfassungen durchgeführt. Im Mittelpunkt der Libellenuntersuchungen standen die Populationen der Grünen Mosaikjungfer, die ihre Eier ausschließlich in dichte Krebsscherenbestände legt und deren Larven obligatorisch auf das Vorkommen der Krebsschere angewiesen sind (Münchberg 1956; Schorr 1990). 2 Fischfauna 2.1 Fischfauna im Grabensystem NSG „Westliches Hollerland (Leherfeld)“ Die Erfassung der Fischfauna im Teilgebiet NSG „Westliches Hollerland (Leherfeld)“ erfolgte im Sommer und im Herbst 2008 mittels Elektrobefischungen (Grassl IG 200-2 ®, watend oder vom Ufer aus an 61 Probestrecken à 100 m; 22. 7.– 21. 8. und 17. 10.– 14. 11.) sowie durch Grabenaushubkontrollen (Abb. 2) an 37 Gräben (Gesamtstreckenlänge von 13,3 km; Datenaufnahme getrennt für 100-m-Abschnitte; 9.– 10. 9. und vom 27. 10. – 3. 11.). Die so nachgewiesenen Individuenzahlen waren mit durchschnittlich 3,4 Fischen pro 100 m Grabenstrecke (Gesamtbetrachtung Sommer und Herbst) sehr gering, was sich nur zum Teil aus dem starken Verlandungsgrad der Gräben erklären lässt. Charakteristisch für die Zusammensetzung der Fauna war das regelmäßige Vorkommen von Schleie (Tinca tinca) und Hecht (Esox lucius) (Abb. 3). Die FFH-Arten Schlammpeitzger und Steinbeißer zeigten zwar relativ hohe Präsenzen (Vorkommen an 19,4 % bzw. 20,4 % der 98 Beprobungen), die Individuenzahlen waren jedoch gering. So betrugen die Abundanzen beim Schlammpeitzger lediglich 7,6 Ind./ha (Sommer) bzw. 14,4 Ind./ha (Herbst). Blohm et al. (1994) geben dahingegen für Niedersachsen Besiedlungsdichten von bis zu 178 Ind./ha an (bezogen auf 75 % der Meldungen). Die Fangzahlen für die Karausche (Carassius carassius), die ebenfalls typisch für Auengewässer bzw. deren Sekundärbiotope ist (Brunken u. Meyer 2005), lagen in ähnlicher Größenordnung. Die Karausche wird inzwischen als „stark gefährdet“ eingestuft und zählt zu den in Deutschland und europaweit überproportional bedrohten Arten (Freyhof 2009; Reitemeyer et al. 2010). Ein Vergleich der beiden Untersuchungsmethoden zeigte, dass die Nachweishäufigkeiten der Schleie pro 1 km Grabenlänge bei den Grabenaushubkontrollen weitaus höher waren als bei den Elektrobefischungen (Abb. 4, S. 372). Tendenziell gilt dies auch für die Abb. 3: Fischartenverteilung im Naturschutzgebiet „Westliches Hollerland (Leherfeld)“, ermittelt durch Befischungen und Aushubkontrollen im Sommer und Herbst 2008 (Quelle: FREY u. SEITZ 2009) Fig. 3: Fish species composition in the Westliches Hollerland (Leherfeld) nature reserve, based on electrofishing and examination of excavated material in summer and autumn 2008 (Source: FREY and SEITZ 2009) — 87. Jahrgang (2012) — Heft 8 371 © 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart Abb. 2: 121094_NuL08_370_375.qxp:Layout 1 17.07.2012 10:05 Uhr Seite 372 Wirkung ökologischer Grabenräumung auf Fische sedimentorientierten Arten Karausche, Schlammpeitzger und Steinbeißer. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Bestände dieser Arten durch reine Elektrobefischungen mitunter stark unterschätzt werden können. 2.2 Auswirkungen unterschiedlicher Grabenräummethoden auf die Fischfauna Die Auswirkungen der Räummaßnahmen auf die Fischfauna wurden in den beiden Untersuchungskampagnen Sommer/Herbst 2008 und Sommer/ Herbst 2009 durch einen Vorher-Nachher-Vergleich in den Teilgebieten Hollerland, Niedervieland und Werderland mittels Elektrobefischungen (insgesamt 73 100-m-Probestrecken, Grassl IG 200-2 ®, watend oder vom Ufer) überprüft (ausführliche Darstellung von Methodik, Untersuchungsdesign und Untersuchungsgebiet in Jordan et al. 2010; Kunze et al. 2012). Eine erste Befischungskampagne erfolgte im Sommer 2008 an insgesamt 33 Gräben. Im Anschluss wurden 16 dieser Gräben mit vier unterschiedlichen Varianten geräumt: „Normalräumung Sommer“, „Intensivräumung Sommer“, „Normalräumung Herbst“ sowie „Intensivräumung Herbst“ (zur Methodik siehe Kunze et al. 2012 und Nagler u. Müller 2012). Die übrigen 17 Gräben (Kontrolle) wurden nicht geräumt. Im Som- Table 1: Abundanzen bei Aushubkontrollen und E-Befischungen in Gräben des NSG „Westliches Hollerland (Leherfeld)“ (Bremen). Datenbasis zur Abundanzberechnung: Untersuchungen aus dem Jahr 2008 (FREY u. SEITZ 2009); Aushubkontrollen: 804 Ind., 13 323 m Grabenstrecke; E-Befischungen: 192 Ind., 5 600 m Grabenstrecke. Fig. 4: Abundances through examination of excavated material versus electrofishing results in the ditches of the Westliches Hollerland (Leherfeld) nature reserve, Bremen. Abundance calculation based on 2008 surveys (FREY u. SEITZ 2009); examination of excavated material: 804 individuals, 13,323 m ditch length; electrofishing: 192 individuals, 5,600 m ditch length. mer 2009 wurden alle 33 Gräben mit gleicher Methodik erneut befischt. Die Fischbesiedlung in den Gräben der drei Teilgebiete unterschied sich nur geringfügig. In allen Untersuchungsgebieten wurde eine insgesamt individuenarme Fischfauna festgestellt (Tab. 1). Die gefährdete Karausche kam mit 5,4 % Anteil an der Gesamtindividuenzahl in allen Gebieten vor, ebenso wie der Stein- Fischarten und Fangzahlen in den Gräben von Hollerland, Werderland und Niedervieland in den Jahren 2008 und 2009 (JORDAN et al. 2010) Fish species composition and numbers of individuals caught in the ditches of the 3 study areas Hollerland, Werderland and Niedervieland in 2008 and 2009 (JORDAN et al. 2010) Hollerland Anzahl Individuen [N] an 34/35 Probestrecken Art HL 2008 Aal Brasse/Güster beißer mit 4,6 %. Schlammpeitzger konnten dagegen nur im Hollerland und im Niedervieland und mit nur 1,3 % an der Gesamtfangzahl nachgewiesen werden. Die Fischfauna der geräumten Gräben zeigte im Vorher-Nachher-Vergleich gemessen an den Kriterien „Gesamtindividuenzahl“ und „Artenzahl“ keine bemerkenswerten Abweichungen von der (allgemein positiven) Entwicklung in HL 2009 Werderland Anzahl Individuen [N] an 24 Probestrecken WL 2008 WL 2009 Niedervieland Anzahl Individuen [N] an 14 Probestrecken NV 2008 NV 2009 Anguilla anguilla 0 1 0 0 0 1 Abramis brama/Blicca bjoerkna 5 2 0 1 4 0 Dreistachliger Stichling Gasterosteus aculeatus Flussbarsch Hecht 0 0 3 104 0 2 Perca fluviatilis 24 21 0 0 1 0 Esox lucius 20 45 1 4 4 11 Carassius carassius 4 25 14 4 25 5 Cyprinus carpio 0 0 0 0 13 5 Moderlieschen Leucaspius delineatus 97 48 0 1 15 0 Zwergstichling Pungitius pungitius 0 0 61 248 172 48 Rotauge Rutilus rutilus 36 54 0 0 0 0 Rotfeder Scardinius erythrophthalmus 0 126 0 0 0 0 Karausche Karpfen Schlammpeitzger Schleie Steinbeißer Summe Individuen [N] Artenzahl [S] 372 Misgurnus fossilis 0 8 0 0 3 8 Tinca tinca 12 42 5 8 7 2 Cobitis taenia 5 51 0 4 5 0 203 423 84 374 249 82 8 11 5 8 10 8 — 87. Jahrgang (2012) — Heft 8 © 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart Tabelle 1: Abb. 4: 121094_NuL08_370_375.qxp:Layout 1 17.07.2012 10:05 Uhr Seite 373 Wirkung ökologischer Grabenräumung auf Fische den Kontrollgräben, d. h. die Fischfauna in den geräumten Gräben entwickelte sich nicht schlechter als in den in diesem Jahr nicht geräumten (Abb. 5). So war in der Gesamtbetrachtung der 16 geräumten Gräben die Anzahl der Gräben mit positiver Entwicklung gegenüber dem Ausgangszustand für beide Kriterien jeweils nahezu identisch zu der Anzahl der Kontrollgräben. Die Anzahl der Gräben mit einer Abnahme der Individuen- und Artenzahlen stimmte bei dieser Betrachtung exakt überein (je 4 bzw. 3 Gräben). Auch bezüglich der Individuenzahlen der Arten Schlammpeitzger und Steinbeißer konnten weder in den geräumten Gräben noch in den Kontrollgräben Verschlechterungen festgestellt werden, wobei diese Aussage aber auf der Basis von relativ geringen Individuenzahlen (Steinbeißer n = 65, Schlammpeitzger n = 19) beruht. In der Einzelbetrachtung der verschiedenen Räumvarianten wurde nur im Fall „Normalräumung Sommer“ eine Abnahme von Individuenzahlen an vier Gräben und der Artenzahlen an drei Gräben festgestellt. 3 Auswirkungen unterschiedlicher Grabenräummethoden auf die Libellenfauna Die Libellenfauna der Grünlandgräben im Bremer Raum ist aufgrund der engen Verzahnung unterschiedlicher Strukturen durch die Grabenräumung, des Alters dieser Grabensysteme und der relativ extensiven Nutzung der angrenzenden Grünländer sehr artenreich (Breuer u. Ritzau 1983; Breuer et al. 1991; Adena u. Handke 2001). Besondere Bedeutung haben die reichhaltigen Krebsscherengräben für die beiden Arten Keilfleck- Table 2: Auswirkungen unterschiedlicher Grabenräummethoden (Sommer/Herbst, normal/intensiv) auf die Fischfauna im Vorher-Nachher-Vergleich. N = Individuenzahl, S = Artenzahl, n = Anzahl der untersuchten Gräben, „kein Nachweis“ = Art wurde in diesen Gräben nicht nachgewiesen Fig. 5: Impacts of different ditch maintenance regimes (summer/autumn, normal/intensive) on the fish fauna, before and after. N = number of individuals, S = number of species, n = number of investigated ditches, kein Nachweis = species not found in these ditches Mosaikjungfer (Aeshna isoceles) und Grüne Mosaikjungfer (Aeshna viridis). Letztere ist im Anhang IV der FFH-Richtlinie gelistet und damit eine streng zu schützende Art europäischen Interesses. Im Hollerland wurden seit 1993 intensive Untersuchungen der Vorkommen der Grünen Mosaikjungfer durch Exuvienaufsammlungen durchgeführt und von Castro u. Pohlmann (2009) ausgewertet. Im Rahmen des Forschungsvorhabens wurden im Werderland je zwei Probegräben pro Räumungsvariante (Normalräumung Sommer und Herbst, Inten- sivräumung Sommer und Herbst) sowie zwei Kontrollgräben ohne Räumung jeweils an einem Termin Mitte Juli auf Exuvien und Anfang August auf Eier legende Weibchen der Grünen Mosaikjungfer untersucht (Tab. 2) (Handke u. Lopau 2009). Im Hollerland fanden ergänzende Exuvienaufsammlungen an unterschiedlich geräumten Gräben sowie Gräben mit Krebsscherenbeimpfung statt (Jordan et al. 2010). Exuvien und Eier ablegende Weibchen wurden nur an den Gräben mit Normalräumung und den Kontrollen ohne Räumung gefunden. Dabei waren die Ergebnisse der Erfassung der Grünen Mosaikjungfer (Aeshna viridis) an 12 Probegräben im Werderland (WL) 2009 (JORDAN et al. 2010) Survey of the Green Hawker (Aeshna viridis) in 12 sampling ditches in the Werderland area (WL) in 2009 (JORDAN et al. 2010) Anzahl Exuvien 14.–17. 7. 2009 Anzahl Eier ablegender Weibchen 7. 8. 2009 Probegraben Art und Zeitpunkt der Räumung WL 1 (Hove Polder) Intensivräumung Herbst 2007 0 0 WL 2 (Polder Lesumbrok) Intensivräumung Herbst 2007 0 0 WL 3 (Hove Polder) Normalräumung Herbst 2007 10 1 WL 4 (Polder Lesumbrok) Normalräumung Herbst 2007 0 2 WL 5 (Hove Polder) Normalräumung Spätsommer 2008 3 21 WL 6 (Hove Polder) Normalräumung Spätsommer 2008 2 3 WL 7 (Hove Polder) Intensivräumung Herbst 2008 0 0 WL 8 (Hove Polder) Intensivräumung Herbst 2008 0 0 WL 9 (Flächen östl. Lesumbroker Sielgraben) Normalräumung Herbst 2008 28 2 WL 10 (Hove Polder) Normalräumung Herbst 2008 21 5 WL 11 (Flächen östl. Lesumbroker Sielgraben) Kontrollgraben (keine Räumung 2007/2008) 15 3 WL 12 (Hove Polder) Kontrollgraben (keine Räumung 2007/2008) 26 2 — 87. Jahrgang (2012) — Heft 8 373 © 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart Tabelle 2: Abb. 5: 121094_NuL08_370_375.qxp:Layout 1 17.07.2012 10:05 Uhr Seite 374 Wirkung ökologischer Grabenräumung auf Fische 4 Resümee Die Gräben im Bremer Feuchtgrünlandgürtel haben eine hohe Wertigkeit für spezialisierte Auenarten, die hier vor allem auf Grund der Größe des Gebiets und des ökologischen Grabenräumprogramms bedeutende Ersatzlebensräume finden. Eine für natürliche Auen typische Hochwasserdynamik mit ihren im Detail nicht vorhersagbaren, für die Lebensgemeinschaften so wichtigen Teilprozessen wie Erosion und Sedimentation oder Anbindung und Isolation von Seitengewässern, kann jedoch in anthropogen gesteuerten Systemen nur bedingt nachempfunden werden (Brunken u. Meyer 2005). Als Indikatoren für diese einschränkenden Effekte können bei den Fischen die insgesamt niedrigen Arten- und Individuenzahlen gesehen werden. Ein wesentliches Problem bei der Bewertung von Grabenräummaßnahmen bleiben aber bislang die methodischen Schwierigkeiten. Stark verschlammte und damit räumungsbedürftige Gewässer können schon auf Grund ihres fehlenden Wasserkörpers keine arten- und individuenreiche Fischfauna beherbergen. Eine Grabenräumung wird daher allein schon durch die Vergrößerung und bessere Befischbarkeit des Wasserkörpers stets höhere Nachweiszahlen liefern. Zur abschließenden Bewertung geeigneter Räumungsmethoden sind daher Langzeitstudien über mindestens fünf Jahre unerlässlich. Weiterhin ist in Gräben mit starker Vegetationsentwicklung die Methode der Elektrofischerei für den quantitativen Nachweis der hier vorkommenden Arten (speziell Schlammpeitzger) nur bedingt geeignet. Daher sollten hier stets auch Begleituntersuchungen des Grabenaushubs erfolgen. Auch der gezielte Einsatz von Reusen als Nachweismethode hat anderenorts gute Ergebnisse erzielt (Korte u. Hennings 2009) und sollte daher vermehrt eingesetzt werden. Ungeachtet der o. a. Einschränkungen gibt es jedoch im Rahmen eines ökologisch ausgerichteten Grabenmanagements zahlreiche Gestaltungsmöglich- 374 keiten, um auch in Grabensystemen ohne eine natürliche Hochwasserdynamik die Lebensbedingungen für Auenarten zu optimieren. Im Forschungs- und Kooperationsvorhaben zum Erhalt der Krebsschere wurde daher ein Leitfaden für eine ökologisch verträgliche Grabenunterhaltung erarbeitet (haneg 2010). Dabei muss jedoch klar werden, dass nicht alle unterschiedlichen Biotopansprüche der verschiedenen Arten in einem einzigen Gewässer(-system) gleichzeitig erfüllt werden können. So benötigen Schlammpeitzger und Karausche eher pflanzenreiche Gräben in besonders späten Sukzessionsstadien, Steinbeißer dagegen bevorzugen vegetationsarme Gräben in jüngeren Stadien (Scholle et al. 2003; LAVES 2010). Während für die Fische eine intensive Grabenräumung zu empfehlen ist, lagen die Schlupfzahlen der Grünen Mosaikjungfer deutlich höher nach normalen Grabenräumungen, was auf eine größere Anzahl von im Gewässer zurückbleibenden Krebsscheren sowie einjährigen Libellenlarven zurückgeführt werden kann. Speziell für den Schlammpeitzger gilt, dass er beim Vorhandensein von stark verschlammten, sauerstoffarmen Gräben deutliche Selektionsvorteile gegenüber anderen Arten hat und als erwachsenes Tier sogar kurzzeitig in austrocknenden Gewässern überleben kann. Die Larven und die Jungfische sind im Gegensatz dazu sensibler und benötigen einen gewissen Sauerstoffgehalt, da bei Ihnen die Darmatmung noch nicht richtig funktioniert (Käfel 1991). Allgemein brauchen Schlammpeitzger Wasserkörper mit feinblättrigen Unterwasserpflanzen zum Ablaichen und ganz offensichtlich auch die Anbindung an andere, größere Gewässersysteme, um einerseits diese extremen Lebensräume am äußersten Ende der natürlichen Verlandungsreihe immer wieder neu besiedeln und andererseits Winterquartiere aufsuchen zu können. Im Gegensatz zu einer sehr stationären Lebensweise in der Vegetationsperiode (Meyer u. Hinrichs 2000) gibt es jedoch in der Praxis immer wieder auch deutliche Hinweise auf sehr mobile Phasen im Frühjahr und im Herbst (z. B. durch erhöhte Fangzahlen in Reusen). Wesentliche Anforderungen – speziell zum Erhalt des Schlammpeitzgers als FFH-Zielart und stellvertretend für die Artengemeinschaften sehr später Verlandungsstadien – sind deshalb nach den Erkenntnissen in Gräben Bremens im Einzelnen: ● ● Kleinräumiges, vernetztes Mosaik aus kleineren und größeren Gräben unterschiedlicher (!) Sukzessionsstadien in enger Nachbarschaft; durchgängige Anbindung an größere Vorflutsysteme; ● ● ● Erhalt von submerser, weichblättriger Flachwasservegetation auch bei geräumten Gräben (evtl. durch die Anlage von sog. Grabentaschen); in Teilbereichen Erhalt von späten Verlandungsphasen, auch in größeren Grabenwasserkörpern (z. B. altarmähnliche Aufweitungen); in Teilbereichen Zulassen von sich an natürlicher Abflussdynamik orientierenden Wasserstandsschwankungen. Bei der Umsetzung der beiden letztgenannten Maßnahmen für den Schlammpeitzger und anderen Arten des Palaeopotamons (ältere Verlandungsstadien der Flussauen) ist eine Abwägung mit den zum Teil gegenläufigen Anforderungen aus Sicht der Grabenvegetation und der Libellenfauna erforderlich. 5 Summary The agricultural ditches of the Natura 2000 sites in the Weser river lowlands around Bremen, Germany, are known as important secondary habitats for typical floodplain species (e. g. Mud Loach Misgurnus fossilis, Spined Loach Cobitis taenia, Green Hawker Aeshna viridis) listed in Annexes II and IV of the Habitats Directive. Different methods of ditch maintenance, evaluated in a research and development project focussing on Water Soldier populations (Stratiotes aloides), revealed no impairments of the abovementioned target species. Different maintenance schemes were found to be favourable for fish and for dragonflies respectively. Ditch maintenance approaches should be modelled on natural floodplain dynamics to provide a habitat mosaic in terms of water level, intensity and time of ditch cleaning, ensuring a connected drainage system composed of different succession levels. 6 Literatur Adena, J. u. Handke, K. (2001): Die Libellenfauna von Grünland-Grabensystemen im Bremer Raum. Bremer Beiträge für Naturkunde und Naturschutz 5: 91–103. Birnbacher, O. u. Hein, M. (2005): Fischökologische Bestandsaufnahmen zur Beurteilung der Kompensationsmaßnahme Polder Oberblockland im Bremer Grünlandgürtel. Diplomarbeit an der Fakultät für Natur und Technik der Hochschule Bremen. 159 S. + Anhang. Blohm, H.-P.; Gaumert, D. u. Kämmereit, M. (1994): Leitfaden für die Wieder- und Neuansiedlung von Fischarten. Binnenfischerei in Niedersachsen, Hildesheim. Heft 3. 90 S. Breuer, M. u. Ritzau, C. (1983): Bestandsaufnahme zur Odonatenfauna des Bremer Blocklandes und Hollerlandes (Insecta: Odonata). Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins zu Bremen 40 (1): 1–14. Breuer, M.; Ritzau, C.; Ruddek, J. u. Vogt, W. (1991): Die Libellen des Landes Bremen (Insec- — 87. Jahrgang (2012) — Heft 8 © 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart Individuenzahlen in den im Herbst geräumten Gräben deutlich höher als in den im Spätsommer geräumten. Die intensiver geräumten Gräben wiesen offenbar noch keine für die Grüne Mosaikjungfer geeigneten Krebsscherendichten auf. Gleiches gilt auch für die Strecken, die im Rahmen des Projekts mit Krebsscheren beimpft wurden und die im ersten Jahr ebenfalls noch zu kleine Krebsscherencluster zeigten. Lediglich bei dichten und ausgebreiteten Krebsscherenbeständen in benachbarten Gräben konnten auch in beimpften Beständen Eiablagen beobachtet werden. 121094_NuL08_370_375.qxp:Layout 1 17.07.2012 10:05 Uhr Seite 375 Wirkung ökologischer Grabenräumung auf Fische Frey, K. u. Seitz, N. (2009): Die Fischfauna des Naturschutzgebietes Westliches Hollerland (Leherfeld) in Bremen. Bachelorthesis an der Fakultät für Natur und Technik der Hochschule Bremen. 80 S. + Anhang. Freyhof, J. (2009): Rote Liste der im Süßwasser reproduzierenden Neunaugen und Fische (Cyclostomata u. Pisces). Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (1): 291– 316. Handke, U.; Köck, B.; Kundel, W.; Riesner-Kabus, M. u. Schreiber, K.-F. 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Von 1989 bis 1995 Umweltschutzbeauftragter der Stadt Königslutter am Elm, von 1995 bis 2000 Umsetzung von Gewässerrenaturierungsmaßnahmen und wasserwirtschaftlichen Konzepten bei F & N Umweltconsult, Hannover. Seit 2000 Professor für Ökologie und Naturschutz mit dem Schwerpunkt aquatische Ökologie an der Hochschule Bremen. Wichtigste Forschungsgebiete: Gewässerrenaturierung und Fischartenschutz, digitale Biodiversitätsatlanten (u. a. „Fischartenatlas von Deutschland und Österreich“) sowie aquatische Biodiversität von Nordostbrasilien (Pernambuco). Dipl.-Umweltbiol. (FH) Matthias Hein Hochschule Bremen Falkultät 5/ISTAB Arbeitsgruppe Fischökologie Neustadtswall 30 28199 Bremen E-Mail: [email protected] Dipl.-Biol. Henrich Klugkist Senator für Umwelt, Bau und Verkehr, Bremen Ansgaritorstraße 2 28195 Bremen E-Mail: [email protected] Anzeige Käfel, G. (1991): Autökologische Untersuchungen an Misgurnus fossilis im March-Thaya Mündungsgebiet. Dissertation. Universität Wien. 109 S. 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