PERGAMON ALS ZENTRUM DER HELLENISTISCHEN KUNST BEDEUTUNG, EIGENHEITEN & AUSSTRAHLUNG INHALT Vorwort »Pergamon. Panorama der antiken Metropole« – Eine Ausstellung als Ergebnis der Pergamonforschung an der Antikensammlung Andreas Scholl Ornament und Bildkunst in Pergamon Volker Kästner 6 12 18 Königliche und bürgerliche Repräsentation in Pergamon 1. Attaliden-Bildnisse – eine Apologie 30 Bernard Andreae 2. König oder Heros? Zur bürgerlichen Herrscherverehrung im nachattalidischen Pergamon 38 Gerhild Hübner Kontexte pergamenischer Skulptur 1. Die Clipei aus dem Mittelsaal H des Gymnasions von Pergamon Ralf von den Hoff 2. »… zwei überlebensgrosse wohlerhaltene Köpfe …« aus dem Gymnasion von Pergamon – Zum Fundort des Herrscherporträts AvP VII 130 und des Herakleskopfes Sk 1675 Johanna Auinger Der Pergamonaltar 1. Les sculpteurs de l’Autel de Pergame François Queyrel 2. Réalisme et allégorie – Retour sur un enchaînement de motifs de la Gigantomachie Françoise-Hélène Massa –Pairault 55 64 70 3. Gigantenkampf en miniature – Zwei neue kleinformatige Kopien wilhelminischer Zeit vom Großen Fries des Pergamonaltars Hans-Joachim Schalles (†) 4. Das Schicksal der Friese des Pergamonaltars während ihrer Verlagerung in die Staatliche Eremitage in Leningrad/St. Petersburg Ludmila Davydova Technische Aspekte hellenistischer Kunst 1. Antikes Glas aus Pergamon – Ergebnisse archäologischer und naturwissenschaftlicher Untersuchungen Holger Schwarzer – Thilo Rehren 2. Zur Polychromie pergamenischer Plastik – Vom Attalos-Porträt zur ›Athena mit der Kreuzbandägis‹ Clarissa Blume 3. Technische Beobachtungen zu freistehenden Skulpturen der Altarterrasse von Pergamon Mathias René Hofter Pergamon und andere Kunstzentren der hellenistischen Zeit 1. Rhodes and Pergamon: Affinities in large-scale sculpture Kalliope Bairami 2. Hellenistische rhodische Skulptur – Autonome Polis versus Königreich: Der Fall von Rhodos und Pergamon Vasiliki Machaira 3. Pergamon und Magnesia again Orhan Bingöl 4. Rom und die Kunst von Pergamon – Eine Spurensuche Ralf Grüßinger 86 99 106 135 144 156 165 174 182 78 Literaturverzeichnis 195 5 »… zw ei über l ebensgr oss e w oh le r h a lt e n e K öpf e …« a us dem Gymn asi on von Per ga mon »… zwei überlebensgrosse wohlerhaltene Köpfe …« aus dem Gymnasion von Pergamon – Zum Fundort des Herrscherporträts AvP VII 130 und des Herakleskopfes Sk 1675 Johanna Auinger Neue Erkenntnisse zu den Fundorten der pergamenischen Skulpturen sind im Rahmen des Projektes Das Berliner Skulpturennetzwerk. Kontextualisierung und Übersetzung antiker Plastik gewonnen worden. Die aktuellen Forschungen tragen wesentlich dazu bei, originale bzw. sekundäre Aufstellungskontexte der Skulpturen in Pergamon rekonstruieren zu können. Ein überlebensgroßer Herrscherkopf, der als Porträt Attalos’ I.1 in die Forschung Eingang fand und nun im Besitz der Berliner Antikensammlung ist, war durch Franz Winters Publikation der Skulpturen von Pergamon 1908 bekannt gemacht worden. Die Fundumstände sind dort relativ klar beschrieben, die Angaben zum Fundort blieben hingegen bislang unverständlich und führten in der Forschung z. T. zu irreführenden Schlussfolgerungen. Ähnlich verhält es sich bei einem kolossalen Kopf des Herakles2 und dem lebensgroßen Kopf eines Heros oder Gottes3, deren Fundumstände ebenfalls bekannt waren, deren Fundorte jedoch nicht lokalisiert werden konnten. Nach den neuesten Ergebnissen der Forschungen im Archiv der Berliner Antikensammlung ist nun klar, dass zumindest der Fundort der beiden ersten Köpfe eindeutig im Gymnasion von Pergamon identifiziert werden kann und eventuell auch den primären Aufstellungskontext bildete. Die ersten drei Kampagnen der archäologischen Untersuchungen in Pergamon umfassten die Jahre von 1878 bis 1886. Sie waren anfänglich von der Bergung der Altarplatten und der Suche nach dem Standort des Altares, später von der Erforschung repräsentativer Gebäude wie dem Tempel der Athena, dem Palastareal, der Oberen Agora und dem Theater geprägt4. Bei diesen Tätigkeiten wurde eine Vielzahl an Skulpturen geborgen, die jedoch nicht alle zum Großen Altar gehörten. Vieles wurde unter Bedacht der offiziellen Fundteilung zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem Osmanischen Reich noch während der Grabungen nach Berlin überführt5. Zwischen 1900 und 1911 widmeten sich die Grabungen unter der Leitung von Wilhelm Dörpfeld den unterschiedlichsten Bereichen der Stadt und zielten letztlich »auf die Freilegung des ganzen Stadtorganismus«6. Ergraben wurden nicht nur große öffentliche Anlagen und Heiligtümer, wie das Gymnasion 64 oder die Heiligtümer der Demeter und der Hera, sondern auch einfache Wohnhäuser und repräsentative Wohnbauten wie das AttalosHaus. Für die Erfassung der Struktur der Stadt waren auch die Grabungen am südlichen Stadttor und an der Unteren Agora von Bedeutung. Nur mehr wenige Skulpturenfunde gelangten vereinzelt noch während der Periode der Dörpfeldschen Grabungen nach Berlin. Der Ablauf der Grabungen ist im Großen und Ganzen klar überliefert, bei den Angaben zu den Fundorten und den Fundumständen einzelner Skulpturen traten aber immer wieder Missverständnisse in der späteren Forschung auf, weil die Archivalien nie umfassend berücksichtigt wurden. Das Berliner Skulpturennetzwerk bot nun erstmals die Gelegenheit, die Angaben zu den Fundorten der teilweise exzeptionellen Skulpturen aus Pergamon eingehend zu überprüfen. In der Literatur bereits fest verankerte Annahmen über die Fundkontexte der Skulpturen7 konnten durch diese Arbeiten ergänzt, verfeinert und teilweise revidiert werden. Das Gros der pergamenischen Skulpturen war bereits im Jahre 1908 umfassend in der Reihe der Altertümer von Pergamon von Franz Winter publiziert worden8. Winter konnte für dieses Vorhaben auch die Archivalien einsehen, wobei er sich v.a. auf die Notizbücher von Alexander Conze konzentrierte9. Jede Archivalie, die er auf der Suche nach Skulpturen durchforstet hatte, kennzeichnete er handschriftlich mit dem Vermerk »gesehen. W. [und mit der Hinzufügung des entsprechenden Datums]«. Vielleicht bedingt durch die enorme Fülle des zu publizierenden Materials und durch das zu Beginn des 20. Jahrhunderts weniger stark ausgeprägte Interesse an den Fundumständen sind Winter einige Auslassungen und Irrtümer unterlaufen10. Auch dürften damals vielleicht noch durchaus geläufige Bezeichnungen wie die »byzantinische Mauer am Südabhang des Burgberges« im Laufe der Zeit mehr oder minder in Vergessenheit geraten sein. Dem heutigen Leser blieben sie bislang unklar. Ein gutes Beispiel hierfür bieten drei Köpfe aus der Berliner Antikensammlung, die durch ähnliche Angaben zu den Fundumständen, die nicht exakt lokalisierten Fundorte und durch das Fehlen eines Fundjahres miteinander verknüpft sind. Sie werden in keiner der bekannten Archivalien der ersten drei Kampagnen der Pergamongrabung Abb. 1: Berlin, Antikensammlung SMB, Sk 1675. Kopf des Herakles aus Pergamon. Abb. 2: Berlin, Antikensammlung SMB, AvP VII 130. Porträt eines hellenistischen Herrschers aus Pergamon (sog. Attalos I.). unter den nach Berlin gelangten Funden erwähnt; daher dürften sie wohl erst am Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckt worden sein. Der kolossale Kopf des Herakles Sk 1675 (Abb. 1) wurde von Bruno Schröder 1910 in den Amtlichen Berichten aus den Königlichen Kunstsammlungen publiziert11. Aber bereits 1909 war der Kopf in einer Mappe mit Abbildungen von Denkmälern »Aus dem Berliner Museum« in Form einer Photographie als Geschenk Reinhard Kekulé von Stradonitz zu seinem 70. Geburtstag vorgelegt worden12. Der Kopf wurde nach Schröder ohne Angabe eines Fundjahres »… in die byzantinische Mauer am Südabhang des Stadtberges verbaut gefunden…«13. Als Fundjahr konnte Ralf von den Hoff mit Hilfe der fortlaufenden Photonummern der Grabung mit größter Sicherheit das Jahr 1906 rekonstruieren14. Die beiden anderen Köpfe – das Herrscherporträt AvP VII 130 (Abb. 2) und ein lebensgroßer männlicher Kopf eines Heros oder Gottes AvP VII 137 (Abb. 3) – wurden von Franz Winter schon in seiner 1908 erschienen Publikation behandelt. Für den Kopf des sog. Attalos’ I. nennt Winter folgende Fundumstände: »Gefunden in später Vermauerung am Südabhange des Stadtberges«15. Da lange Zeit nicht klar war, welche »späte Vermauerung« gemeint ist, führte diese Unsicherheit in der Forschung zu mehreren Spekulationen, mit deren Hilfe man den originalen Aufstellungskontext identifizieren wollte16. Auch der lebensgroße männliche Kopf AvP VII 137 wurde von Winter mit einer ähnlichen Fundortangabe versehen: »Verbaut gefunden am südlichen Abhange des Stadtberges«17 – hier wird jedoch weder eine »späte Vermauerung« noch eine »byzantinische Mauer« erwähnt. Abb. 3: Berlin, Antikensammlung SMB, AvP VII 137. Kopf eines jungen Mannes. 65 Zur Polychromie per ga m enis cher Pla sti k. Vom Att al os -Por t r ä t zur › Athe na mi t der Kr euzban d äg i s‹ T EC HNISC HE ASPEK T E HE LL ENISTISCHER K UNST na mit der Kreuzbandägis‹18 (Abb. 7) und eine weitere weibliche Skulptur19, deren Identifikation schwierig ist und die, wohl ebenfalls eine Göttin darstellend, in der Regel als ›Hera‹ angesprochen wird (Abb. 10). Charakteristisch für beide Statuen ist, dass es sich nicht um Nachahmungen bestimmter hochklassischer Vorbilder handelt. Stattdessen wurden sie in klassischer Manier gearbeitet, indem eine als typisch ›klassisch‹ angesehene Körperhaltung mit Gesichtszügen, einer Frisur, gewissen Gewandformen und -ornamenten kombiniert wurde, die zum Teil wohl nach älteren Vorbildern gearbeitet sind, zum Teil aber erst in hellenistischer Zeit nach klassischer Art frei generiert wurden20. Dass es sich nicht um exakte Kopien, sondern um Nachempfindungen mit einer klassisch wirkenden Ausführung handelt, zeigt sich besonders deutlich in der polychromen Gestaltung beider Statuen. Abb. 7: › Berlin, Antikensammlung SMB, AvP VII 22. ›Athena mit der Kreuzbandägis‹. ZUR POLYCHROMIE ZWEIER KLASSIZISTISCHER STATUEN AUS PERGAMON (AVP VII 22 UND 23) In einem Saal nördlich der Nordstoa des pergamenischen AthenaTemenos konnten im Jahr 1880 zwei Statuen geborgen werden, deren plastische Ausführung als Neuschöpfung nach hochklassischen Vorbildern angesprochen werden muss. Hierbei handelt es sich um die ›Athe- 138 ›Athena mit der Kreuzbandägis‹ Die Statue gibt Athena nach klassischer Art frontal ausgerichtet und im Kontrapost wieder. Sie ist mit einem für die klassische Zeit charakteristischen Peplos und Sandalen bekleidet und hat die Ägis in außergewöhnlicher Manier in Kreuzgürtung über ihren Körper gehängt. Die kreuzförmige Drapierung hat enge Parallelen in Kreuzgürtungen und kreuzförmig über den Körper geführten Ketten, die sich in hellenistischer Zeit bei der Gestaltung von Skulpturen und Terrakotten großer Beliebtheit erfreuten21. In die Ohrlöcher der Göttin war ein aus einem anderen Material gefertigter Ohrschmuck eingehängt. Ein feines Bohrloch unter dem Haaransatz vor den Ohren könnte von einem angestücktem Haarschmuck, etwa einem diademartigen Reif über der Stirn, herrühren22. Der oberhalb des Ellbogens gebrochene rechte Arm der Göttin liegt am Körper an und ist minimal nach vorne bewegt. Der linke Arm dagegen ist leicht angewinkelt und weist einen merklichen Abstand zum Körper auf. Die Haltung des linken Armes zusammen mit der leicht nach unten abgeknickten Hand und der Art, wie die Finger etwas zu umgreifen scheinen, ohne sich jedoch völlig zu schließen, führte zu dem Vorschlag, dass die Göttin mit einem angestückten, aus einem anderen Material gefertigten Rundschild ausgestattet war, den sie, wie für Rundschilde üblich, mit Hilfe einer Schlinge und eines Griffs an ihrem linken Arm trug. Diese Interpretation wird durch die Beobachtung gestützt, dass der Mittelund Zeigefinger sowie die Spitze des Daumens der linken Hand separat gearbeitet und angesetzt waren, sodass der zu ergänzende Schild vor der Anstückung der Finger am Arm und in der Handfläche hätte befestigt werden können. Material und Verzierung dieses Attributs am linken Arm dürften das polychrome Gesamtbild der Skulptur wesentlich beeinflusst haben. Die Marmoroberfläche des Standbildes wurde sowohl in den Haut- wie auch in den Gewandpartien stark geglättet. Die Hautpartie wurde jedoch feiner poliert. Darüber hinaus sind die Ägis und die Sandalen von der Textur des Gewandes abgesetzt: Während die Ägis durch Ritzspuren eines kurzen Zahneisens charakterisiert ist, sind die Seiten der Sandalensohlen durch eine parallele Ritzung schraffiert (Abb. 9). Von der Farbfassung des Peplos sind an der Unterseite einer Gewandpartie zwischen den Füßen Spuren einer blassen rostroten Fassung erkennbar. Ob das Gewand eine rötliche Grundfarbe hatte, lässt sich aus diesen Resten jedoch nicht folgern. An der Ägis konnten unmittelbar nach der Entdeckung der Statue noch hellblaue Farbspuren entdeckt Abb. 8: VIL-Aufnahme der rechten Sandale der Athena mit Spuren von Ägyptisch Blau. Abb. 9: Detail der rechten Sandale der Athena mit Spuren der Bemalung. werden, die heute nicht mehr feststellbar sind. Da nicht dokumentiert ist, wo genau die blauen Spuren zu sehen waren, kann nur erwogen werden, dass die Ägis eine blaue Grundfarbe hatte. Erhalten haben sich dagegen ein roter Saum an der Oberkante der über Kreuz gelegten Bänder sowie eine rote Fassung an den Schlangen und an der Gürtung. Besonders auffällig ist die Gestaltung der hohen Seiten der Sandalensohlen (Abb. 8–9). Während hellenistische Sandalen in der Regel durch eine Applikation am Fußrücken und den Sohlen mit maximal drei Zierlinien in zwei verschiedenen Farbtönen verziert wurden, waren die Sohlen von Athenas Sandalen hier ornamental verziert. Der Aufbau der Sohle ist dreigeteilt: Wie man an Verwitterungsspuren erkennen kann, zierten den unteren und vermutlich auch den oberen Streifen Wellenbänder auf rotem Grund (die Farbe der Wellen selbst hat sich nicht erhalten). Der mittlere Streifen bestand aus einer breiten oder zwei schmalen Linien aus Ägyptisch Blau. Auch wenn die Dreiteilung der Sandalensohlen hellenistischem Schuhwerk entspricht, orientiert sich ihre ornamentale Gestaltung an einer klassischen Stilistik. Diese Art der Ausführung gehört folglich zu den zahlreichen klassizistischen Merkmalen der Statue. Die Farbpalette der Athena kann aufgrund des geringen Erhaltungsgrades der Bemalung nur schwer als ›tendenziell klassisch‹ oder ›hellenistisch‹ eingeordnet werden. Deutlich wird der Rückgriff auf klassische Farben und Muster dagegen bei der ›Hera‹, deren Polychromie von einer hellenistischen Anpassung der klassischen Elemente zeugt und zudem besser erhalten ist. re Frontalität und Kleidung lassen die Skulptur motivisch und stilistisch als klassizistische Arbeit erscheinen. Von besonderer Bedeutung für diese Interpretation ist die polychrome Gestaltung. Die Textur der Marmorpartien wurde auch hier differenziert behandelt: Die Hautpartien sind besonders fein geglättet, wohingegen die Oberflächen an Gewand und Sandalen zwar geebnet, aber durch nicht vollständig entfernte ungleichmäßig gesetzte Werkzeugspuren charakterisiert wurden. Anders als bei der ›Athena mit der Kreuzbandägis‹ scheinen die Sandalensohlen bei der ›Hera‹ schlichter gestaltet worden zu sein. Erhalten haben sich zwei hellblaue Zierlinien, welche die Sohle oben und unten rahmen. Das Gewand hat eine helle rosarote Grundfarbe, die sich zwar blass, aber großflächig erhalten hat. Der Saum des Gewandes war mit roter und grüner Farbe verziert, ist jedoch in seiner Gestaltung nicht mehr rekonstruierbar. Darüber hinaus war der Peplos etwa 5 cm oberhalb des Saums sowie am Apoptygma mit einem breiten Ornamentband gestaltet, auf welches im Folgenden eingegangen werden soll. Das Ornament (Abb. 12–16) besteht aus gegenständigen S-förmigen Voluten, die unten nicht in Augen schließen, sondern verjüngend auslaufen. Wie über das Ornamentband verstreute Farbreste sowie Verwitterungsspuren zeigen, waren die Voluten jeweils paarweise in roter und grüner Farbe aufgemalt (Abb. 12, 15–16; vgl. die Rekonstruktionen in Abb. 11 und 13)23. Die unteren Zwickel zwischen zwei Volutenpaaren waren ebenfalls mit alternierend roten und grünen Volutenschnecken gefüllt, die möglicherweise eine liegende S-förmige Volute bildeten (Abb. 12–13). Die Zwickel zwischen zwei herzförmig aufeinanderstoßenden Voluten füllt ein gelber Keil, über welchem sich vermutlich eine Palmette erhob24. Unterhalb des Keils finden sich vier kurze rote waagrechte Striche (Rekonstruktion in Abb. 13), die mangels Vergleichsbeispielen nicht rekonstruiert werden können. Darüber hinaus sind zwischen zwei jeweils herzförmig aufeinandertreffende stehende Voluten je ein blauer Tropfen mit einer sich nach oben öffnenden blauen Sichel darüber, und, weiter unten, ein blauer Tropfen in der Verjüngung zwischen den Voluten platziert (Abb. 14–15)25. Spätarchaische und klassische Vergleichsbeispiele aus der Vasenornamentik lassen erwägen, dass die Sichel mit dem darunterliegenden ›Hera‹ Die Statue zeigt eine weibliche Figur in frontaler Ausrichtung. Der Kopf der Statue ist verloren. Sie trägt einen untergürteten Peplos, einen Schleier, der sich auf ihrem Rücken erhalten hat, und Sandalen. Es ist anzunehmen, dass die Dargestellte mit ihrer rechten, heute fehlenden Hand ihren Schleier griff. Mit ihrer linken Hand könnte sie, wie die angewinkelte Armhaltung vermuten lässt, ein Objekt gehalten haben. Sollte diese Mutmaßung richtig sein, muss man sich dieses wohl aus einem anderen Material angestückt vorstellen. Die Haltung der Figur, ih- 139 Zur Polychromie perga menischer Pl astik. Vom Atta l os -Por tr ä t zur › Athe na mi t der Kr euzba n d ä g i s‹ T EC HNISCHE ASPE K T E HE L L E NIST ISC HE R K UNST Abb. 12: Detail vom Peplos der ›Hera‹: Innenseite am linken Unterschenkel. Abb. 10: (links) Berlin, Antikensammlung SMB, AvP VII 23. Weibliche Peplophoros aus Pergamon (›Hera‹). Abb. 11: (rechts) Rekonstruktion der ›Hera‹ durch C. Blume und E. Strauch. Tropfen als Auflager für eine sich darüber erhebende Palmette diente26. Anders als bei den Parallelen wölbt sich die Sichel beim Gewanddekor jedoch nicht in der Weise um den Tropfen, dass sich die Palmette entlang der Krümmung nach oben auffächern könnte, sondern wendet sich von ihm ab. Die Palmette müsste daher entweder von der Sichel gelöst oder nach unten gerichtet gewesen sein. Unter der Sichel bietet der Raum zwischen den Voluten jedoch kaum Platz für eine Palmette, selbst wenn der Tropfen unter der Sichel als Herz der Palmetten gedient haben könnte. Obwohl das Segment der Sichel mit dem Tropfen aus klassischer Zeit bekannt ist, bleibt es also offen, wie das Ornament an dieser Stelle genau rekonstruiert werden muss. 140 Das Apoptygma des Peplos ist mit einem ähnlichen Ornamentband verziert. Hier wurden ausschließlich rote s-förmige Voluten in gegenständiger Anordnung aneinander gereiht; sie wirken insgesamt gedrungener als die Voluten des unteren Ornamentbandes und laufen unten gerade aus. Zwischen zwei Linien war auch hier jeweils ein blauer Tropfen mit einer nach oben geöffneter Sichel aufgemalt. Liegende Voluten zwischen den Paaren aus stehenden Voluten oder keilförmige Auflager für mutmaßliche Palmetten können hier nicht festgestellt werden. Das Ornament bestätigt die Einordnung der Statue als klassizistische Arbeit der hellenistischen Zeit. Auf klassische Vorbilder geht die friesartige Aneinanderreihung von Voluten, Tropfen, Sicheln, Keilen Abb. 13: Rekonstruktion des Ornamentbandes an dem in Abb. 12 gezeigten Gewandabschnitt. und Palmetten zurück, die ein verschnörkeltes und vielgliedriges Ornamentband bilden. Die Ornamente auf den Gewändern hellenistischer Statuen bestehen ansonsten in der Regel aus wenigen Einzelelementen und haben eher den Charakter eines kontinuierlich fortlaufenden Fließmusters statt den eines von stempelartig aneinandergereihten Bausteinen; üblich sind vor allem einfache Zierlinien, die einzeln oder parallel gezogen in Gruppen angeordnet sind, Wellenbänder und Bänder, die statt in Wellen in Strahlen enden27. Trotz der Nähe der einzelnen Ornamentbausteine zu spätarchaischen und klassischen Vorbildern, ist die Gesamtgestaltung des Ornamentbandes aus gegenständig stehenden Voluten und sich in den Zwickeln erhebenden Palmetten nicht von frü- heren, sondern nur von hellenistischen Beispielen, etwa einer Sima aus einer Villa in Kastro Tigani auf Samos oder dem Geison eines Monopteros aus Pergamon bekannt28. Als neues, hellenistisches Charakteristikum sind auch die Abänderung der gegenständigen S-förmigen Voluten zu sich unten öffnenden statt in Augen schließenden Linien sowie die sich gegen den Tropfen öffnenden Sicheln zu erkennen. Neben der Ornamentik orientiert sich auch die Farbpalette an der polychromen Gestaltung von Statuen der klassischen Zeit. Die Kombination von Rot und Grün ist zwar in hellenistischer Zeit nicht unbekannt, darf aber als eine für die klassische Zeit charakteristische Farbkombination angesehen werden. 141 R h odes a n d Per g a mon : Af f in i tie s in la r ge-sca l e scul pt ure PERGAMON UND ANDERE KUNSTZENTREN DER HELLENISTISCHEN ZEIT Rhodes and Pergamon: Affinities in large-scale sculpture Kalliope Bairami Rhodes and Pergamon emerged on the political stage of the southeastern Mediterranean during the turbulent period of Alexander’s Diadochoi, in the short interval between the gradual decline of the large Hellenistic empires – Ptolemaic Alexandria, Antigonid Macedonia, Seleucid Syria – and the rise of Rome. Alternately allies and opponents in their struggle to protect their independence from the large kingdoms of Macedonia and Syria, Rhodes and Pergamon both inevitably succumbed to the supremacy of Rome, the new absolute power of the Mediterranean. The two regions’ political and social differences were certainly decisive in forging their artistic conditions. Rhodes was an aristocratic democracy promoting the mercantile interests of an affluent middle class (since 408/7 B.C.)1 while Pergamon (since 281 B.C.)2 propagandised the dynastic rights of a monarchy. But their geographical proximity and their contemporaneous transformation into cosmopolitan Hellenistic metropoleis were also defining factors. A number of itinerant artists from Athens (at the time suffering from the wars of the Diadochoi) and others from the prosperous cities of Asia Minor contributed to their artistic floruit: they either worked in the large building and sculptural programmes of the Attalids or established their workshops on Rhodes, benefitting from political rights (epidamia) offered by the Rhodian state3. In modern research, the study of these two centres of Hellenistic art is focussed around two poles. The relief sculpture of the Great Altar and the statues found in its vicinity are considered masterpieces of Pergamene and Hellenistic art, although they are only briefly mentioned by the ancient sources4. On the other hand, Rhodian sculpture, so eloquently described by the ancient writers5, is quite absent in the recent bibliography. The story recorded by Pliny the Elder about Menekrates (Naturalis Historia 36,34)6, the alleged father of the sculptors Apollonios and Tauriskos, creators of the group of the Punishment of Dirke7, was once connected to the fragmentary and highly hypothetical signature of a sculptor with the same name on the Altar of Pergamon; but these are no longer accepted as adequate evidence of the relations of the two metropoleis. The Nike of Samothrace8, Laokoon9, ›Farnese Bull‹10 and Sperlonga sculptural groups11 were 156 originally considered Rhodian works, contributing to the attribution of Hellenistic ›baroque‹ to the island and subsequently attesting its relation to Pergamene art12. Now, however, they are either attributed to different artistic centres or regarded as creations of later date echoing Pergamene works13. In recent years Rhodian art has been characterised as eclectic and classicistic on the basis of the surviving sculpture, mainly of small scale.14 Likewise the reciprocal relation of art with nature (arte topiaria), including nymphaea as well as landscape architecture in public space, has been considered of Rhodian inspiration15. The lack of architectural sculpture and monumental sculptural groups in Rhodes (although they survive in Pergamon) resulted in the rejection of the theory that a Rhodian school existed; it was characterised metaphorically as a ›phantom‹16. Nevertheless, that Rhodian sculptors may have worked on the Pergamon Altar is still considered a valid hypothesis; and the artistic relations between the two cities, evident from the common emphasis on certain artistic features, are often the subject of debate17. Today the idea of local schools has given way to the recognition of large geographical areas in which artists travelled creating related works of sculpture18. Earlier research focussed on the few statues of gods that had been found on Rhodes during the Danish and Italian excavations and their indisputable similarity to the figures of the Pergamon Altar. The torso of Athena from Lindos19 (pres. height 1,13 m.), a Hellenistic version of the Classical type of the goddess20, is typologically and stylistically related to the figure of the goddess in the Pergamene frieze21 (middle of the 2nd c. B.C.). The Lindian Athena head22 (pres. height 0,32 m.), with its dramatic turn and upwards gaze, is close to the head once considered as that of Aphrodite in the frieze23, and consequently is dated to the same period (second quarter of the 2nd c. B.C.). Two colossal Helios heads, E4924 and one from Koskinou25, are strongly reminiscent of the Giants in the Great Frieze – although the second head definitely predates them26. The head E49 (pres. height 0,55 m./0,23 m. face) was found on Ippoton Street, built into a mediaeval wall in the ›Inn of Provence‹. The site is very close to the Grand Master’s Palace, where the ancient temple of Helios was located and the Colossus is generally believed to have stood27. Gloria S. Merker28 and recently Ellen Schraudolph29 doubted that the head once wore a diadem of rays, as well as its subsequent identification as Helios; but Eos Zervoudaki’s study revealed that eleven of the holes in the head served for the insertion of rays equally distributed on the two sides, while the top held a central, larger ray. The rest of the holes were used to attach curls made of stucco (Volker Michael Strocka)30. According to Gerhard Neumann both heads were probably meant for attachment on an architectural background slab, as the dowel hole on the back side and the vertical joint of the right side of the head E49 suggests31 (although the dowel holes on the Helios head of Koskinou are carved on the upper side of the head32). Nevertheless it is possible that the Helios heads could belong to full-length figures in high relief, worked in the round in certain parts. The Helios head E49 has been generally regarded as a milder version of Alkyoneus, the opponent of Athena on the Pergamene frieze. The leonine expression of the head from Koskinou (pres. height 0,43 m./0,30 m. face), by contrast, closer to the Lysippic portraits of Alexander, has been dated earlier. After the incorporation of the Dodecanese into the Greek state, the Greek Archaeological Service conducted numerous rescue excavations in the city and the necropolis of ancient Rhodes. This augmented the number of surviving Rhodian large-scale sculptures, which consist mainly of divine figures, funerary portrait statues, and few portraits of Hellenistic rulers. Certain works present typological and stylistic features that enable a reevaluation of the artistic relations between the two centres. The male torso Γ 1006 (figs. 1–2)33, carved in marble from Asia Minor (?), is preserved from the neck to the top of the thighs (pres. height 0,98 m.). The figure stands on its left leg, as the resulting upward movement of the hip denotes, while the right leg is relaxed. The mantle covers the back side and is wrapped above the waist ending in a tight roll right under the chest. Crossing from the right side to the left armpit, it creates a triangular overfold, one edge of which falls against the left thigh. The garment falls from the left shoulder, perhaps covering the left hand as the cascade of folds near the left thigh denotes. Abb. 1–2: Rhodes, Museum, Inv. Γ 1006. Male torso. 1 2 157 R om un d d ie K uns t von Per g a mon PE R GAMO N UND AND E RE K UNST ZE NT RE N DE R HEL L ENISTISCHEN ZEIT der Versteigerung der nicht von ihm beanspruchten Kriegsbeute bemerkte, dass Attalos II. ein Gemälde von der Hand des Aristeides von Theben mit einer Darstellung von Dionysos und Ariadne für 600.000 Denare erwerben wollte, wurde er misstrauisch und forderte es »wieder zurück, argwöhnend, dass es einen ihm unbekannten Vorzug habe, obgleich sich Attalos sehr darüber beklagte«63. Abb. 4: Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inv. 6015. Verwundeter Gallier (?). Römische Kopie des frühen 2. Jhs. n. Chr. nach griechischem Original um 150 v. Chr. Abb. 5: Neapel, Museo Archeologico Nazionale, Inv. 6012. Tote Amazone. Römische Kopie des frühen 2. Jhs. n. Chr. nach griechischem Original um 150 v. Chr. Hier stellt sich grundsätzlich die Frage, ob es einem römischen Betrachter überhaupt bewusst war, dass er sich mit einem Werk der pergamenischen Kunstproduktion respektive der Kopie eines solchen konfrontiert sah. Griechische Statuen etwa wurden in der Regel ohne die beschrifteten Sockel, die im Idealfall Auskunft über deren Provenienz und die ausführenden Künstler gaben, nach Italien verschifft60. Es ist mehr als fraglich, dass diese Informationen auf andere Weise 186 mit den entsprechenden Objekten übermittelt wurden. Generell darf man die ›Kennerschaft‹ römischer Kunstinteressenten wohl nicht überbewerten61. Brunilde Sismondo Ridgway gelangt diesbezüglich in ihrer Studie zu den römischen Kopien nach griechischen Originalen zu einem geradezu vernichtenden Urteil62. Aufschlussreich ist in dieser Beziehung eine von Plinius d. Ä. überlieferte Episode aus der Zeit unmittelbar nach der Plünderung Korinths: Als Mummius bei Die Forschung hat pergamenischen Einfluss besonders auch in der römischen Dekorationskunst und Baudekoration immer wieder nachzuweisen versucht64. Beispielhaft sei hier die Diskussion um die Vorbilder des römischen Ranken- und Girlandendekors herausgegriffen. In seiner grundlegenden Studie zu den Ranken der Ara Pacis hat Theodor Kraus den stadtrömischen Rankenschmuck augusteischer Zeit direkt auf hellenistische Vorbilder aus Pergamon zurückgeführt65. Die Ähnlichkeiten zwischen pergamenischen und römischen Ranken suchte er damit zu erklären, dass eine pergamenische Künstlerfamile nach dem Ende der Attalidenherrschaft nach Rom ausgewandert sei und dort über mehrere Generationen pergamenisches Formengut tradiert habe66. Das Problem der großen zeitlichen Lücke zwischen dem Ende der Königszeit und dem Auftauchen vermeintlich pergamenischer Schmuckformen in Rom hat Christoph Börker später dadurch zu lösen versucht, dass er die allesamt nicht extern datierten pergamenischen Ranken ins 1. Jh. v. Chr. gesetzt hat67, wodurch sich eine Beeinflussung des in Rom gearbeiteten Rankendekors durch wandernde Ateliers oder die Benutzung von Musterbüchern einfacher erklären ließen. Börkers Argumentation macht jedoch die crux deutlich, dass letztlich die meisten pergamenischen Ranken undatiert sind und deshalb deren zeitliche Priorität gegenüber den stadtrömischen Ranken kaum zu erweisen ist. Datierte die ältere Forschung die meisten Fragmente mit Rankendekor aus Pergamon noch in die Königszeit, so neigt die jüngere Forschung, vertreten etwa durch Frank Rumscheid68 und Marion Mathea-Förtsch69, mehrheitlich einer Datierung in die beginnende Kaiserzeit zu. Auch Günther Schörner hat in seiner Arbeit zu den römischen Rankenfriesen die Bedeutung der mutmaßlichen pergamenischen Vorbilder stark relativiert. Er weist darauf hin, dass die »Möglichkeiten, die geographischen, aber auch kunsthistorischen Begriffe ›Griechenland‹ bzw. ›griechisch‹ weiter zu differenzieren«, beschränkt sind, da einerseits zu wenig Material erhalten ist und zum anderen viele Motive auch innerhalb der ägäischen Kunstlandschaften austauschbar sind70. Gleichwohl glaubt er der pergamenischen Rankenornamentik, deren Formen etwa im attischen Bereich übernommen worden seien, eine Vorreiterrolle zuweisen zu können. Dabei lässt allerdings auch er außer Betracht, dass das Fundmaterial aus Pergamon in der Regel weder aus datierten Fundkontexten stammt, noch durch außerstilistische Kriterien zeitlich eingeordnet werden kann. Dominik Maschek, der sich am Beispiel von Baudekoration bzw. Werken der dekorativen Kunst in jüngster Zeit intensiv mit der Hellenisierung Mittelitaliens beschäftigt hat, weist m. E. zu Recht auf die Schwächen in der bisherigen Diskussion hin71. Wie Maschek überzeugend darlegen konnte, erfolgte die Entwicklung und Adaption von Rankenschemata in Mittelitalien im späten 2. und 1. Jh. v. Chr. im Zuge eines vielschichtigen Prozesses, in den auch lokale Werkstätten sehr viel stärker eingebunden waren als bisher vermutet72. Auch wenn westkleinasiatisches Formengut in das römische Rankenornament Eingang gefunden hat, so beschränken sich die Ähnlichkeiten doch fast ausschließlich auf einzelne Blüten- und Blattformen, nicht aber auf ganze Kompositionsschemata. Diese Einzelformen können sehr wohl über Importstücke oder Musterbücher in die römischen Werkstätten gelangt sein. Der kaiserzeitliche Rankendekor aber ist eine genuin römische Schöpfung der augusteischen Zeit73. Ähnlich wie mit dem Rankendekor verhält es sich mit den Girlanden der Ara Pacis. In hellenistischer Zeit überwiegt im griechischen Osten die schlauchförmige, kontinuierlich über Trägermotive – in der Regel Stierköpfe oder -schädel – hinweggeführte Girlande74. Und diese wird zunächst auch in Mittelitalien übernommen, ohne dass sich engere Beziehungen zu einem bestimmten griechischen Kunstzentrum festmachen ließen75. Die ältesten Beispiele sind der Fries vom Rundtempel in Tivoli und ein Friesfragment aus Rom, das sich im Thermenmuseum befindet76. Ein weiteres frühes stadtrömisches Beispiel ist der wenig jüngere Fries vom Grabmal des C. Poblicius Bibulus77. In vor- und frühaugusteischer Zeit löst sich der kontinuierliche Strang in Einzelgirlanden auf, die an den Trägermotiven befestigt zu denken sind, wie dies etwa die Friese von der 36 v. Chr. von Grund auf erneuerten Regia78 oder am Grabmal der Caecilia Metella79 aus den 20er Jahren des 1. Jhs. v. Chr. zeigen80. An der Ara Pacis ist diese Form der Darstellung voll ausgebildet. Sie bleibt dann bis ins späte 3. Jh. n. Chr. verbindlich. Charakteristisch ist der zur Mitte hin anschwellende, plastisch stark hervortretende Girlandenstrang, während sich die Blätter und Blüten in der Kontur flach an den Grund anschmiegen; ebenso die gegenläufige Anordnung der Einzelelemente hin zur Mitte des Strangs und das differenziert durchgearbeitete Relief. Tatsächlich findet sich die beste Parallele hierzu in der älteren Kunst nicht im spätrepublikanischen Mittelitalien, sondern am großen Rundaltar Eumenes’ II. aus Pergamon, der durch die Inschrift als datiert gelten darf81. An diesem Monument ist überhaupt erstmals die Auflösung des kontinuierlichen Girlandenstrangs in Einzelgirlanden und deren gegenläufiger Aufbau belegt. Allerdings finden die Girlanden des Altars in der hellenistischen Skulptur keine Parallele. Auch in diesem Fall erlaubt es die lückenhafte Überlieferung nicht, eine direkte Abhängigkeit der Girlanden von der Ara Pacis von den rund 150 Jahre älteren Girlanden des pergamenischen Rundaltars zu rekonstruieren. Grundsätzlich aber ist wohl angesichts der Vielfalt und Mannigfaltigkeit des erhaltenen Bauschmucks nicht zu bezweifeln, dass Pergamon eines der Zentren gewesen ist, die die weitere Entwicklung der hellenistischen Baudekoration maßgeblich beeinflussten82. Aus keiner anderen hellenistischen Stadt ist eine solche Menge qualitativ meist sehr hochwertiger und origineller Reliefs mit architektonischer Funktion bekannt. Dies zeigt etwa schon ein Blick auf die Gattung der dekorativen Gebälkfriese. So stammt der älteste bekannte Girlandenfries vom 263 v. Chr. geweihten Demetertempel83. In Pergamon finden sich die ältesten Belege für Friese mit antithetischen Greifen und Rankeneroten, Friese mit Seewesen und Wagen fahrenden Eroten, die sich in der mittleren und hohen Kaiserzeit in der stadtrömischen Architektur einer großen Beliebtheit erfreuten84. Freilich ist auch hier die zeitliche Lücke, selbst wenn man einigen pergamenischen Stücken eine Entstehung in nachattalidischer Zeit zugesteht, vorläufig nicht überbrückbar. 187
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