AZ 4601 Olten | Nr. 172 | 8. Jahrgang | Ausgabe 26 | Redaktion/Verlag 058 200 47 11 | Abo 058 200 55 03 | E-Mail [email protected] | Anzeigen 058 200 47 00 | Fr. 2.50 Die besten Kinderbücher Eine Junioren-Jury hat ihre Wahl getroffen. > 43 Sport bis zum Kollaps Wie Ariella Käslin wieder zu sich gefunden hat. > 49 Billig-Hunde aus der EU Jedes zweite Tier kommt aus dem Ausland. > 5 Schweiz am Sonntag 28. Juni 2015 | Ausgabe Oltner Tagblatt | www.schweizamsonntag.ch | www.oltnertagblatt.ch Aufstieg der Kosovaren AFP/GETTY IMAGES Die Kosovo-Albaner erfreuen sich in der Schweiz zunehmender Beliebtheit. Die Parteien buhlen um Secondo-Kandidaten. Und im Regionalfussball lösen Migrantenklubs Begeisterung aus: Der FC Prishtina Bern spielte in der 3. Liga vor sagenhaften 2500 Zuschauern – und stieg auf. Seiten 9 und 26/27 Knall zwischen Griechen und EU Altersheim ruiniert die Senioren Regierung Tsipras kündigt Volksabstimmung an – EU dreht Geldhahn zu – Sturm auf Bancomaten VON FABIENNE RIKLIN ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● VON FERRY BATZOGLOU AUS ATHEN UND PATRIK MÜLLER ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● N och nie war Griechenland einer Staatspleite und einem Grexit so nahe: Gestern scheiterte der Krisengipfel in Brüssel spektakulär, nachdem der griechische Premier Alexis Tsipras am TV überraschend eine Volksabstimmung über die von den EUGeldgebern geforderten Sparmassnah- Kanti Olten wird für sechseinhalb Jahre zur Bauhütte ES IST SOWEIT: Die Kantonsschule Olten im Hardwald wird baulich und energietechnisch saniert. Schon im Dezember 2012 hatte der Solothurner Kantonsrat den Kredit von 86 Mio. Franken für die Gesamtsanierung bewilligt. Jetzt hat die Schule mit einem Baufest den Start zu den Sanierungsarbeiten gefeiert. Diese werden sich in Etappen über sechseinhalb Jahre hinziehen, verkündete Baudirektor Roland Fürst gestern vor der Festgemeinde im Lichthof. Der markante Komplex wurde in den Jahren 1969 bis 1973 errichtet. Die Sanierung ist teuer – doch ein Neubau wäre noch um die Hälf> SEITE 14 te teurer geworden. INSERAT men angekündigt hatte. Darauf entschieden die Finanzminister der übrigen Euro-Staaten: Die Griechenland-Hilfe wird nicht verlängert – schon ab Dienstag Mitternacht gibts kein Geld mehr. Nach dem Eklat bildeten sich vor den Bancomaten in Griechenland Schlangen: Die Bevölkerung ist verunsichert und hebt Bargeld ab. Für morgen wird ein Bank-Run befürchtet. EU-Vertreter und die Griechen-Regierung machten sich gegenseitig schwe- re Vorwürfe. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte, Tsipras spiele «unfair», weil er unabgesprochen ein Referendum auf den 5. Juli ansetze, verbunden mit einer negativen Empfehlung ans Volk. Tsipras sagte, die Eurogruppe habe «die Absicht, ein ganzes Volk zu demütigen». Zurück aus Brüssel, bekam Tsipras im Athener Parlament gestern eine Standing Ovation. Dass die Geldgeber Griechenland nun fallenlassen, stösst auch in EU-Län- dern auf Kritik – etwa bei der deutschen Regierungspartei SPD. Gegenüber der «Schweiz am Sonntag» äussert sich Deutschlands Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Griechenland-Krise. Er sagt, die EU habe von den Griechen zu viel abverlangt; in Deutschland hätten analoge Massnahmen zu einer «Revolution» geführt. > GERHARD SCHRÖDER: SEITEN 6/7 BERICHT: SEITE 12 KOMMENTAR: SEITE 51 FDP-Präsident: «So schadet die SVP dem Standort» Philipp Müller kontert die Kritik von SVP-Präsident Toni Brunner zum Schulterschluss VON OTHMAR VON MATT ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Der bürgerliche Schulterschluss sei «Makulatur», sagte SVP-Präsident Toni Brunner. Die FDP denke nur an sich, die CVP sei zu links. Nun kontert FDP-Präsident Philipp Müller die Vorwürfe Brunners. «Wer fahrlässig verkündet, die Übereinkunft sei beendet, schadet dem Standort Schweiz und gefährdet schlussendlich Arbeitsplätze», sagt er. «Der bürgerliche Schulterschluss, den die SVP immer wieder beschwört, wird damit erst recht unterlaufen.» Das Problem sei, dass Brunner glaube, er allein definiere den Pfad der Tugend. «Und er glaubt, dass alles, was neben diesem SVP-Pfad liegt, tugendfrei ist.» Müller wirft Fragen auf zum Demokratie-Verständnis der SVP. «Hat eine Partei nicht die Mehrheit im Parlament und trägt eine tiefe Verletzung zur Schau, wie ich es der ‹Schweiz am Sonntag› entnommen habe, akzeptiert sie die Grundsätze der Demokratie nicht.» Müller: «Die Parteienvielfalt ist ein wichtiges Element der Demokratie.» Die FDP selbst halte am Schulterschluss fest, betont Müller. «Wir kämpfen um den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Schweiz.» Er erachtet als «wichtigste Herausforderung» der nächsten Legislatur, «wie wir unser Verhältnis zur EU ge> SEITEN 2/3 stalten». Rund 8750 Franken pro Monat kostet ein Platz in einem Schweizer Alters- und Pflegeheim im Durchschnitt. Dies zeigen neue Zahlen. Den grössten Anteil müssen die Senioren selbst bezahlen. Was auffällt, sind die grossen kantonalen Unterschiede: So hat ein Basler monatlich 6225 Franken selber zu berappen, ein Bündner 5196 Franken und ein Appenzeller 3997 Franken. Im Extremfall kann der Unterschied auf Jahresbasis bis zu 75 000 Franken ausmachen. MEHR UND MEHR SENIOREN können für die Kosten nicht mehr selbst aufkommen. Nachdem die Altersheim-Rechnungen ihr ganzes angespartes Vermögen aufgefressen haben, springt der Staat ein (die Nachkommen können nicht belangt werden). Mehr als die Hälfte aller Heimbewohner sind auf staatliche Zuschüsse angewiesen: 60 Prozent erhalten Ergänzungsleistungen (EL) aus der AHV oder IV, um den Heimaufenthalt zu bezahlen. Die EL-Quote steigt mit dem Alter. «Diese Tendenz hängt mit der steigenden Wahrscheinlichkeit eines Heimeintritts und den damit verbundenen Kosten zusammen», steht in einem neuen Bericht. Ende 2014 wohnten 70 600 Personen mit EL in einem Heim. Sie erhielten im Monat durchschnittlich 3200 Franken an > SEITE 5 Ergänzungsleistungen. OT 7 0 0 2 6 9 772296 320001 Schweiz am Sonntag, Nr. 26, 28. Juni 2015 14 REGION | Der Urknall zur Erneuerung ist ertönt Mit einem Baufest feierte die Kantonsschule Olten gestern den offiziellen Start zu den 86 Mio. schweren Sanierungsarbeiten Schluss mit ausgelatschten Bodenbelägen, schwer gängigen Fenstern und undichten Dächern. Die Kanti wird saniert. Das Baufest war Startschuss zum langjährigen Vorhaben. VON URS HUBER ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● R und 900 Schüler, 170 Personen aus Lehrkörper, Verwaltung und Schulleitung beherbergt die Kantonsschule Olten derzeit. Seit rund zweieinhalb Jahren ist bekannt, dass diese Schulgemeinschaft ein saniertes Zuhause bekommen wird: gut 86 Millionen Franken schwer. Aber dieses muss – bei Gott – erdauert werden. Die meisten aus der jetzigen «Belegschaft» werden das Bildungshaus längst verlassen haben, wenn die Baute aus den früheren Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts in neuem Glanz und zeitgemässer Infrastruktur erstrahlt. Mit rund sechseinhalb Jahren Bauzeit darf gerechnet wer- « ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Ich kann es mir noch nicht so richtig vorstellen.» SIBYLLE WYSS, REKTORIN KANTONSSCHULE OLTEN ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● den, wie der solothurnische Baudirektor Roland Fürst vor der Festgemeinde erklärte. Denn vor allem belastende Bauarbeiten müssen irgendwie auf die Schulzeiten beziehungsweise Ferienzeiten abgestimmt sein. Und was der Regierungsrat auch noch verriet: Nach der Sanierung wird der Energiebedarf des Hauses im Vergleich zur Gegenwart um satte zwei Drittel verringert sein. NA ALSO: «WENN SOLCHES kein Festgrund ist», hat man sich in der Kanti gesagt und ein «Baufest» auf die Beine gestellt. Mit allen Schikanen, neben viel Musik, Theater, Tanz auch Architekturführungen und, und und; bis hin zu Kili- Der Musicalchor der Kantonsschule sorgte vor geladenen Gästen mit afrikanischen Klängen für einen ersten «Urknall» der Erneuerung. an Ziegler oder dem Evergreen Irrwisch. Der Urknall zur Erneuerung der Bildungsanstalt oben im Hardwald, deren Standort heute wohl auch aus raumplanerischen Überlegungen nicht mehr infrage käme, hatte viele Gesichter. BILDUNG BRAUCHT RAUM, in mehrfacher Hinsicht; Freiraum und Zwischenraum inklusive. Dies postulierte Rektorin Sibylle Wyss vor der Gästeschar. Der werde nun in den kommenden Jahren geschaffen. Und sie gestand – bei aller Freude auf das Kommende– auch, sich die Bausituation noch nicht richtig vorstellen zu können. Im sogenannten Lichthof, wo der Festakt über die Bühne ging, soll einer der grössten jemals auf dem Platz Olten montierten Krane zu stehen kommen; mit einem 80-metrigen Ausleger notabene. Effektiver Baubeginn wird im Januar 2016 sein, bereits im Spätherbst aber werden die Bauvorbereitungsarbeiten in Angriff genommen. EIN HEIMSPIEL hatte der ehemalige Stadtarchivar und langjährige Lehrer der Kantonsschule Olten, Peter Heim. Sein gefälliger Rückblick auf die «als links» verschriene Kanti liess so manches einstige Revoluzzer-Herz (von dem allem Anschein nach nicht mehr allzu viel übrig geblieben ist) höher schlagen und viele vermochten sich noch an die Schülerzeitung «Fröschli» zu erinnern, welche anfänglich noch respektvoll, später provokativ und mit ultimativem politischem Aufforderungscharakter auftrat; zur Empörung des seinerzeitigen Lehr- REMO FRÖHLICHER körpers und (fast) des Rests der Gesellschaft. Kaum vorstellbar, dass sich heute der Lehrkörper dazu veranlasst sähe, sich offiziell von den Inhalten eines Schülerblattes zu distanzieren. Aber solches geschah in den Siebzigern und Nachwirren des 1968-er Klimas. Tempi passati. Ein kleines Geheimnis lüftete Heim dann auch noch, bevor sich die Festgesellschaft zum geselligen Teil einfand. Er habe auch als linker Lehrer gegolten damals, «aber ein richtiger Linker bin ich nie gewesen.» Nach satten 117 Jahren ist der letzte Atemzug getan Die Auflösung des Schweizerischen Juravereins ist beschlossene Sache; die Generalversammlung in Olten votierte fast einstimmig dafür VON URS HUBER ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Es waren nicht Heerscharen, die an die 117. Generalversammlung des Schweizerischen Juravereins in Olten pilgerten. Dabei hätte dies durchaus sein können, zählt der Verein doch noch immer rund 900 Mitglieder, viele von ihnen aber bereits im gesetzteren Alter. Dennoch: Die traktandierte Auflösung des «fast schon traditionellen Vereins», wie Präsident Dominik Wunderlin an der Hauptversammlung mit Understatement meinte, hätte ein grösseres Auditorium verdient, vielleicht auch ein kontroverseres. So befanden 31 anwesende stimmberechtigte Mitglieder über die Auflösung des Vereins, der 1898 in Olten gegründet wurde « ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● Vor rund zehn Jahren begann der Sinkflug.» DOMINIK WUNDERLIN, PRÄSIDENT JURAVEREIN ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● mit dem Ziel, den «Schweizer Jura als Ferien- und Wanderparadies zu fördern», wie die Statuten verraten. SIE TATEN ES. Nicht einstimmig, aber mit überwältigender Mehrheit; die dafür erforderliche Zweitdrittelmehrheit war nie in Gefahr. Die einzige Gegenstimme stammte aus dem süddeutschen Raum. Sie war mehr als charmante Protestnote Gut 30 treue Seelen waren an der letzten Generalversammlung des Schweizerischen Juravereins in Olten anwesend. gedacht, wider das an sich löbliche «pragmatische, unsentimentalen Handeln in der Schweiz», wie der Mann sein Votum mit einem Lächeln begründete. Damit wollte er zum Ausdruck bringen: Selbst ein in die Jahre gekommener Mitgliederstamm gepaart mit schwindendem Mitgliederbestand (allein in den letzten drei, vier Jahren verlor der Verein an die 300 Mitgliedschaften) können die Leistungen des Vereins schmälern. Er darf als Pionier des Juras angesehen werden, der sich vor allen Dingen der touristischen Erschliessung des hiesigen Kalk- steingebirges annahm: Wanderwege ausschilderte, deren Unterhalt besorgte oder die Wanderrouten samt Übernachtungsmöglichkeiten und Restaurantführer in handlichen Büchlein publizierte. ABER: DEM VEREIN ist dessen ureigenster Auftrag zwischenzeitlich abhandengekommen. «Wir habens verpasst, uns vor zehn Jahren entsprechend zu positionieren», so Ehrenpräsident Hansueli Tschumi. Und Wunderlin: «Damals begann der Sinkflug. Unsere Aufgaben werden heute von Institutionen übernommen, die besser organisiert sind und über mehr finanzielle Mittel verfügen.» Gemeint sind damit Tourismusorganisationen, die über professionelle Strukturen verfügen und von der öffentlichen Hand alimentiert werden. Die freiwillige Arbeit der Juraliebhaber blieb dabei auf der Strecke. TRÄNEN WURDEN aber – wenn überhaupt – darob nur symbolisch vergossen. Immerhin: Wunderlin trug noch den rautenförmigen, in rotgelb gehaltenen Ansteckpin am Revers, jenes Symbol, an HUB welchem sich Wandernde Jahrzehnte lang in freier Natur vergewissern konnten, auf dem richtigen Weg zu sein. Worüber die Versammlung zum Schluss noch zu befinden hatte: die Nachlassbestimmung. Rund 65 000 Franken will der Verein innert fünf Jahren in ihm jetzt noch unbekannte Projekte investieren, die dem gepflegten Gedankengut des Juravereins entsprechen. Verantwortlich dafür sein wird ein fünfköpfiges Gremium, in welchem auch alt Regierungsrat Walter Straumann als 1. Vizepräsident des Vereins Einsitz hat.
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