Stefan_Hopmann_Bildungsreform 2015 - Fortschritt oder

Bildungsreform 2015 –
Fortschritt oder Rückschritt?
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10. Dezember 2015
Bildungsreform
Fortschritt oder Rückschritt?
Anmerkungen zum Reformkonzept der Regierung
Wien 2015-12-10
Univ.-Prof. Dr. Stefan T. Hopmann
Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
• Vorbemerkung.
• Schulautonomie.
• Modellregionen (Gesamtschule).
• «Stupid Public Policies»?
10.12.2015
Univ.-Prof. Dr. Stefan T. Hopmann
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Vorbemerkung -
•Weniger als erhofft, mehr als erwartet.
•Kaleidoskopischer Inkrementalismus.
•Parameter: Excellence & Equity
(Leistung & Chancengleichheit).
•Expandierende Forschung: Von linearen
Kausalitäten zu komplexen Konfigurationen.
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Schulautonomie-
Forschungslage
• quantitativ: Regelungsdichte / Leistungen (z.B. PISA).
qualitativ/mixed: Spielräume (z.B. Schratz, Altrichter et al.).
• Klare Abgrenzungen besser als Mischformen.
• Distributed Leadership.
• Curriculare, Budget- und Personalstrukturen.
• Kein Selbstläufer (stärkt die Starken, schwächt die Schwachen).
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Schulautonomie-
Reformvorlage
• Allenfalls Ansätze zur Entmischung (Bildungsdirektionen, Controlling).
• Schulleiterautonomie (Verrechtlichung faktischer Möglichkeiten).
• Curricular: Kunstgriffe und Lehrplanprozente.
• Budget: Spielgeld ohne Umverteilung.
• Personal: Personen, aber abgesehen von kleinen
Stellenumwandlungen keine Strukturen.
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Schulautonomie-
Reformvorlage
• Blinde Flecken: Inklusion, Heterogenität, Dienstrecht etc.
• Double Whammy: Befristung & neue Qualitätssicherung.
• Verantwortlichkeit ohne Zuständigkeit.
• Je nach konkreter Ausgestaltung:
• «Collateral Damage».
• Autonomie-Blockade.
• Auf den Standort kommt es an: Die bereits existierende Unterschiede
im Ausnutzen der Spielräume werden der Tendenz nach wachsen!
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Modellregionen -
Forschungslage
• Wissenschaftlich gibt es keinen Bedarf dafür:
• Die (recht begrenzten) Wirkungen von Oberflächenstrukturen
des Schulwesens sind gut untersucht (auch wenn ein erheblicher Teil
der quantiativen Vergleichsforschung massive schwarze Löcher hat).
• Von Modellregionen lässt sich ohnehin nicht zuverlässig auf
allfällige Wirkungen im Gesamtsystem schlussfolgern.
• Modellregionen sind eher eine politische Form der
Nicht-Entscheidung als zielführend für Reformen.
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Modellregionen -
Reformgründe
• Gegliedertes Schulsystem.
• Unstreitig: Excellence.
• Leistungsmässig sind gegliederte Systeme wenigstens gleichwertig,
in ihren «höheren» Formaten in der Regel leistungsstärker.
• Unstreitig: Equity.
• Gegliederte Systeme bilden weitgehend soziale Schichten ab.
• In gegliederten Systemen korrelieren dementsprechend
Leistung und soziale Herkunft sehr deutlich.
• Das trifft nicht zuletzt in Österreich zu (nebst Deutschland, Ungarn u.a.).
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Modellregionen -
Reformgründe
• Gesamtschule (gemeinsame Schule).
• Fraglich: Excellence.
• Es gibt Gesamtschulsysteme, die im Durchschnitt besser abschneiden, aber
mindestens eben so viele, die das nicht tun. Bei Querschnittsvergleichen im
gleichen Land (z.B. Schweiz) schneiden Gesamtschulregionen nicht besser ab.
• Nimmt man statt Ergebnissen am Ende der Pflichtschulzeit längerfristige
Übergänge (Beruf, tertiärer Sektor) als Maßstab, dann schneiden gegliederte
Systeme mindestens gleichwertig, meist sogar besser ab.
• Umstellungen in die eine (von gegliedert auf gesamt: z.B. Finnland)
oder die andere Richtung (z.B. Ungarn) zeigen allenfalls minimale,
kaum dem Schulformwechsel zurechenbare Verschiebungen. (0.04 SD)
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Modellregionen -
Reformgründe
• Fraglich: Equity.
• Es ist komplett irreführend anzunehmen, in Gesamtschulländern
würden alle die gleichen Schulen besuchen bzw. den gleichen
Unterricht bekommen. Dort haben sich durchweg mehr oder
weniger ausgeprägte alternative Formen der Segregation
herausgebildet (siehe z.B. Finnland, USA):
•
•
•
•
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Trägerschaft (öffentlich, frei, privat).
Sozialgeographie (Einzugsgebiete).
Programme (bilingual, Musik, Sport, Begabung usw.).
Internes Tracking (z.B. durch Kursdifferenzierung).
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Modellregionen -
Reformgründe
• Fraglich: Equity.
• Diese alternativen Formen sind weltweit im Vormarsch. (Kusnets2)
• Je formal einheitlicher und konkurrenzgeprägter das Schulsystem ist,
umso mehr wächst die Bedeutung dieser und der «shadow education».
• Entmischungsversuche treffen auf starken und in der Regel erfolgreichen
Widerstand der ressourcenstärksten Kreise. (z.B. Berlin, San Francisco)
• Den Preis für die formale Entmischung bezahlen primär jene,
die «wider Erwarten» leisten. (z.B. im course-by-course-tracking)
• Umstellungen in die eine (von gegliedert auf gesamt: z.B. Finnland, Deutschland) oder die andere Richtung (z.B. Ungarn) zeigen keine einem Strukturwechsel zurechenbare langfristigen Equity-Gewinne (einzelne Modellrechnungen lassen sogar eher gegenteilige Wirkungen vermuten).
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Modellregionen -
Reformvorlage
• Für Equity-Zwecke kommt diese Reform «zu spät»: Anders als früher besitzt ein
erheblicher Teil der Gesellschaft die notwendigen Mittel, sie zu konterkarieren.
• Egal, wie der endgültige Prozentsatz aussieht (15 – 100%), gibt es
keinen empirischen Grund anzunehmen, dass sich auf diesem Wege
Equity oder Excellence nachhaltig verbessern lassen.
• Kurzfristig bewirken die Modellregionen formale Angleichung und
eine Verknappung der ohnehin umkämpften Gymnasialplätze.
• Kurz- und mittelfristig werden sich jene, die können, der oben erwähnten
Alternativstrategien bedienen (NOESIS: «meilenweit»).
• Mittel- und langfristig wird dies dazu führen, dass sozio-ökonomische
Ressourcenunterschiede eine noch grösser Rolle als bisher spielen können.
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Stupid Public Policies? • Warum versprechen politische Kräfte chronisch mehr, als
sie dem historisch und empirisch vergleichenden Wissen
nach erwarten dürfen? (Hopmann 2014, Bauer/Geppert/Hopmann 2011)
• Globalisierung und wachsende Ungleichheit:
Die Politik des «noch nicht, aber bald».
• Grenzen der Glaubwürdigkeit oder der Zwang,
Verantwortung umzuverteilen.
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Stupid Public Policies? -
Politischadministrative
Eingriffe
Strukturen &
Kontrollen
•
•
•
•
Bildungspolitische
Erwartungen
Equity &
Excellence
NMS / Gesamtschule
Pflichtkindergarten
Ganztagsschule
Schulautonomie
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Praktische Haftung
Schulleben & Unterricht
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Stupid Public Policies? -
Politisch
administrative
Eingriffe
Strukturen &
Kontrollen
Wie gute Schule
gemacht wird
(NOESIS etc.)
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Bildungspolitische
Erwartungen
Equity &
Excellence
Unterricht
Eltern
Umfeld
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
- Stupid Public Policies? Wer tatsächlich «kein Kind zurücklassen» möchte, die/der …
• Beendet den Streit über kontraproduktive Themen & Modelle.
• Sorgt für die Auflösung der «blinden Flecken» (von Inklusion bis
Dienstrecht).
• Verhindert Kollateralschäden durch überbordende Kontrollen.
• Konzentriert die Bemühungen auf die «Marginalisierten»
(Schülerinnen, Schüler, Lehrkräfte, Schulen).
• Stärkt die lokale Handlungsfähigkeit (statt bloss formaler Autonomie)
und sucht dafür die erweiterte Schulpartnerschaft.
10.12.2015
Univ.-Prof. Dr. Stefan T. Hopmann
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Bildungsreform: Fortschritt oder Rückschritt
Zusammengefasst
Ob Fortschritt oder Rückschritt ist nicht entschieden.
Gelingt es, die «blinden Flecken» aufzulösen und
Kollateralschäden zu vermeiden, könnte die Bilanz
besser aussehen, als der gegenwärtige Stand und die
laufende politische Diskussion befürchten lässt.
Wahrscheinlich ist das leider nicht!
10.12.2015
Univ.-Prof. Dr. Stefan T. Hopmann
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Univ.-Prof. Dr. Stefan T. Hopmann
Institut für Bildungswissenschaft
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