Das etwas andere Dampfschifferlebnis im Drei-Seen-Land

Das etwas andere Dampfschifferlebnis im Drei-Seen-Land
Schifffahrt | Mit DS Neuchâtel unterwegs zwischen Bauernhöfen und Weinreben
Urner Wochenblatt - 08. August 2015
Die Fahrt mit dem Raddampfer im Drei-Seen-Land
bietet starke Kontraste zum
Urnersee. Auf jeden Fall ein
lohnendes Reiseziel.
Mario Gavazzi
Im Hafen von Murten warten zwei
Motorschiffe auf ihre Gäste. Es ist ruhig, Ferienstimmung, Hochnebel und
angenehm kühle Temperaturen bilden
nach den Hitzetagen im Juli willkommene Abwechslung. Die historische
Stadt Murten und gegenüber der
Mont Vully bilden eine Kulisse zum
See, wie wir sie im Kanton Uri nicht
kennen. Hoch ragen bei uns Felsen
aus dem See, im Herzen der Schweiz
ist die Landschaft gebirgig. Nicht so
im Gebiet des Seelandes, das unter
anderem wegen der Drei-Seen-Fahrt
zwischen Biel, Neuenburg und Murten auch bei uns bekannt und beliebt
ist. Der Jura wirkt bei Fernsicht als
Landschaftsband mit viel Einheitlichkeit. Und entfaltet der Südwind seine
Wirkung bis ins Mittelland, kann je
nach Standort fast die ganze Alpenkette bestaunt werden.
Vor der historischen Stadtkulisse von Murten legt das Dampfschiff Neuchâtel
an.
Der Raddampfer Neuchâtel steuert die gleichnamige Stadt, seinen Heimathafen, an.
durch die Farbe gelb geprägt, denn
früher wurde oft der Sandstein aus
der Region für Bauten verwendet.
Drei lange Pfiffe mit der Dampfpfeife
künden die Einfahrt in den Hafen
und damit das Ende der Reise an. DS
Neuchâtel legt an, die Fahrgäste verlassen das Freideck und die schmucken Räume mit der guten Gastronomie und machen den Platz frei für die
nächste Fahrt, eine Rundfahrt mit
Halt unter anderem in Portalban.
Letzter Flussdampfer der Schweiz
Zwischen diesen geografischen Polen
liegen die erwähnten drei Seen, verbunden durch zwei Kanäle, welche
von Schiffen aller Art und Grösse befahren werden können. Zwei Schifffahrtsgesellschaften betreiben die Liniendienste zwischen Biel, Neuenburg, Yverdon-les-Bains und Murten.
Mit den Kursschiffen können die
Kantone Bern, Neuenburg, Waadt
und Freiburg durchquert werden. Seit
zwei Jahren verkehrt auf den drei
Seen der Raddampfer Neuchâtel.
1912 wurde er in Zürich von der Firma Escher Wyss erbaut, 1968 stillgelegt und als schwimmendes Restaurant im Hafen von Neuenburg vertäut. Die Antriebsanlage wurde verschrottet, das Schiff vergammelte
langsam und das Restaurant wurde
geschlossen. In all diesen Jahren verkehrte, abgesehen von ein paar privaten Dampfbooten, kein Dampfschiff
mehr auf den «Trois-Lacs». Ermuntert durch die erfolgreiche Rettung
und Sanierung solcher Schiffe auf
vielen anderen Seen, gründete 1999
eine Gruppe interessierter Personen
den Verein Trivapor. Viele Hürden
mussten überwunden werden, doch
15 Jahre nach der Gründung stand
das Dampfschiff Neuchâtel wieder in
Betrieb. Die Schweiz hatte wieder
einen Flussdampfer! Die Kanäle zwischen den drei Seen verlangen eine
besondere Navigation und sind eine
Herausforderung für die Schiffsbesatzungen.
DS Neuchâtel kann die vier Kantone Neuenburg, Freiburg, Waadt und Bern
durchqueren.
FOTOS: MARIO GAVAZZI
In sanfter Umgebung durchfährt das
Schiff den Broyekanal.
Nach Neuchâtel bitte einsteigen
denen nicht wenige vom Unwetter im
Juli geknickt darniederliegen. Glockengebimmel kontrastiert die gut
hörbaren Schläge der beiden Schaufelräder, denn wir fahren nicht entlang von Felsen und Bergen wie auf
dem Urnersee: Wenige Dutzend Meter vom Schiff entfernt weiden Kühe,
Schafe, Geissen, ein Uferweg lädt
Wanderer ebenso ein wie Biker.
Zurück in den Hafen von Murten: Es
ist Mittagszeit, das Gelände ist geschmückt, Nationalfeiertagsstimmung,
Schweizer Fahnen überall. Es wird rauchen an der Feier, Grillstände stehen
bereit. Ein anderer Kamin gehört dem
kleinen Schraubendampfer Sirius, entstanden aus dem Umbau eines alten
Schiffes, steht in Privatbesitz und hat
heute Ruhetag. Da ertönt eine Kinderstimme: «Schaut dort, das Schiff, es hat
einen Kamin!» Seine Eltern schauen
ungläubig auf den See und tatsächlich:
Eben hat das Dampfschiff Neuchâtel
den Broyekanal verlassen und fährt,
von Neuenburg herkommend, der Station Murten entgegen. Das eintreffende Schiff heisst nicht nur Neuchâtel, es
fährt auch in seinen Heimathafen. Um
13.50 Uhr, bitte einsteigen. Das unsichere Wetter hat nur wenige Menschen
auf den See gelockt, umso intensiver
wird der mit Innerschweizer Knowhow wieder fahrbereit gemachte
Dampfer besichtigt und bestaunt. Shiptec Lucerne, die technische Abteilung
der Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees, hat die Revision im
Auftrag von Trivapor durchgeführt. Ein
gelungenes Werk, mit Ausnahme der in
Italien beschafften Dampfkesselanlage:
DS Neuchâtel musste wenige Wochen
nach der festlichen Einweihung 2014
in Reparatur gehen, wie dies schon bei
DS Unterwalden auf dem Vierwaldstättersee geschehen ist. Nach monatelangem Werftaufenthalt scheinen die
Probleme nun gelöst zu sein.
Begegnungen auf engem Raum
Wer in Flüelen oder an der Treib das
Schiff für eine Urnersee-Rundfahrt
besteigt, hat die Wahl, die Landschaft
auf Augenhöhe zu bestaunen oder
den Blick in die Bergwelt schweifen
zu lassen. Hier ist das etwas anders.
Der Murtensee ist umgeben von sanften Hügeln, vielen Schilfbeständen,
und nur kleine Weiler, Dörfer, ein
Campingplatz und einige unbebaute
Uferflächen prägen das Bild einer mittelländischen Szenerie. Das ändert
sich bei der Einfahrt in den Broyekanal. Diese flussähnliche Wasserstrasse entstand mit einer Vielzahl anderer Kanäle im Rahmen der Regulierung im Gebiet des Seelandes, welche
im 19. Jahrhundert begann und bis in
die 1970er-Jahre andauerte. DS Neuchâtel dampft mit gedrosselter Geschwindigkeit entlang privater Bootshäfen, eines Campingplatzes, einer
Einfamilienhaussiedlung in Sugiez
und unter Strassenbrücken, wo jeweils der Kamin umgelegt werden
muss. Gesäumt wird das Flachufer
durch eine Vielzahl von Bäumen, von
Und plötzlich auf offenem
Gewässer
Die engen Platzverhältnisse lassen
Kreuzungen mit anderen Schiffen
gleicher Grösse wie unserem Dampfer zu. Nach der Station La Sauge ändert das Bild: Ein künstlich angelegter Kanal aus Stein und Beton lässt
das Schiff auf das offene Gewässer
gleiten: Wir befinden uns auf dem
grössten Schweizer See, dem Lac de
Neuchâtel. Flächenmässig ist der
Genfersee viel grösser, aber der grenzt
an Frankreich! Die Ausdehnung dieses eindrücklichen Sees erleben wir
heute nur teilweise, denn das Schiff
steuert Saint-Blaise und Hauterive an
und fährt bald schon dem Heimathafen entgegen. Die Stadt Neuenburg,
Namensgeberin unseres legendären
Schiffes, ist von Weitem erkennbar.
Der Kern dieses Ortes mit den vielen
architektonischen Meisterwerken ist
Pioniertaten
Dort liegt, einige 100 Meter vom See
entfernt, das Dampfschiff Fribourg.
Das Schwesterschiff zur «Neuchâtel»
wurde vor 50 Jahren ausrangiert. Damit verschwand der zweitletzte
Dampfer der Flotte aus dem Fahrdienst. Und das ausgerechnet im gleichen Monat, in welchem ennet der
Alpenkette erstmals in Europa ein
Raddampfer als historisches Schiff
wieder in Betrieb gesetzt wurde: DS
Piemonte auf dem Lago Maggiore. Im
geschichtlichen Ablauf gesehen darf
die Wiederinbetriebnahme von DS
Neuchâtel als «Ehrenrettung» zwischen der Ausrangierung der «Fribourg» und der Renaissance der «Piemonte» im Mai 1965 gelten. Allein
deshalb schulden wir den Dank den
Pionieren, welche 1999 begonnen haben, im Rahmen des Vereins Trivapor
das Unmögliche möglich zu machen.
Eine dieser wichtigen Persönlichkeiten haben wir getroffen: Sébastien Jacobi, im Ruhestand weilender ehemaliger SBB-Mediensprecher und Autor
vieler Fachbücher und -artikel über
den öffentlichen Verkehr. Er half mit,
das Projekt trotz aller Widerstände
durchzuziehen. Dank ihm und vielen
anderen Pionieren kann DS Neuchâtel als Dampfschiff in Fahrt erlebt
werden. Ein Erlebnis, das an einem
Nationalfeiertag besondere Wertschätzung verdient.