Sicherheitsanalyse des Kitesurfens auf Schweizer Seen

bfu-Grundlagen
Sicherheitsanalyse des Kitesurfens auf
Schweizer Seen
Autoren:
Giannina Bianchi, Christoph Müller
bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung
Bern 2014
bfu-Grundlagen
Sicherheitsanalyse des Kitesurfens auf
Schweizer Seen
Unfall-, Risikofaktoren- und Interventionsanalyse
Autoren:
Giannina Bianchi, Christoph Müller
bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung
Bern 2014
Impressum
Herausgeberin
bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung
Postfach 8236
CH-3001 Bern
Tel. +41 31 390 22 22
Fax +41 31 390 22 30
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www.bfu.ch
Bezug als PDF auf www.bestellen.bfu.ch, Art.-Nr. 2.228
Autoren
Giannina Bianchi, MSc ETH, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Forschung, bfu
Christoph Müller, Berater Sport, bfu
Redaktion
Othmar Brügger, MSc ETH, Teamleiter Forschung Sport und Haus/Freizeit, bfu
Expertengruppe
Bei der Erarbeitung dieser Grundlagen wurden folgende Experten konsultiert:
Yves Schafer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Freiburg
Marcel Kuhn, Leiter Tauchergruppe, Seepolizei des Kantons Thurgau
Fritz Brünisholz, Fachbereichsleiter, Seepolizei des Kantons Bern
© bfu 2014
Alle Rechte vorbehalten; Reproduktion (z. B. Fotokopie), Speicherung, Verarbeitung und Verbreitung sind mit Quellenangabe (s. Zitationsvorschlag) gestattet.
Zitationsvorschlag
Bianchi G, Müller C. Sicherheitsanalyse des Kitesurfens auf Schweizer Seen: Unfall-, Risikofaktoren- und Interventionsanalyse. Bern: bfu – Beratungsstelle für Unfallverhütung; 2014. bfuGrundlagen.
ISBN 978-3-906173-45-0 (PDF)
Aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir darauf, konsequent die männliche und weibliche
Formulierung zu verwenden.
Wir bitten die Lesenden um Verständnis.
Inhalt
I.
Zusammenfassung
5
1. Ausgangslage
5
2. Unfallanalyse
5
3. Risikofaktorenanalyse
5
4. Präventionsempfehlungen
5
5. Fazit
6
Résumé
7
1. Introduction
7
2. Analyse des accidents
7
3. Analyse des facteurs de risque
7
4. Recommandations pour la prévention
7
5. Conclusion
8
III.
Ausgangslage
9
IV.
Unfallanalyse
10
II.
V.
Unfallhäufigkeit
10
Verletzungsschwere
11
Verletzungslokalisation
11
Risikofaktorenanalyse
12
1. Unfallursache
12
2. Fahrniveau
12
3. Fahren und Springen
12
Geschwindigkeit
12
Sprünge und Manöver
13
4. Wind und Wetter
13
5. Kollisionen
13
6. Starten und Landen
14
7. Material
14
bfu-Grundlagen
Boardleash
14
Leinen
14
Quick-Release-System
14
Board
14
Inhalt
3
VI.
8. Fremdgefährdung
15
9. Ertrinkungsgefahr
15
10. Risikobereitschaft
15
Interventionsanalyse
16
1. Präventionsziele
16
Regelungen
16
Starten und Landen
17
Sicherheitssysteme
17
1.3.1 Depower-System
17
1.3.2 Quick-Release-System
17
1.3.3 Safety-Leash
17
Schutzausrüstung
18
1.4.1 Helm und Prallschutzweste
18
1.4.2 Neoprenanzug
18
1.4.3 Boardleash
18
Wissen und Fertigkeiten aneignen und verbessern
18
2. Präventionsmöglichkeiten
19
Forschung
19
Ausbildung
19
Beratung
19
Kommunikation
20
Kooperation
20
VII.
Fazit
21
VIII.
Anhang: bfu-Positionen
22
Quellen
4
Inhalt
23
bfu-Grundlagen
I.
Zusammenfassung
1.
Ausgangslage
3.
Risikofaktorenanalyse
Kitesurfen ist eine relativ junge Sportart, deren
Kitesurfen ermöglicht einerseits das Gleiten auf
Popularität in den letzten Jahren stark zuge-
dem Wasser mit beachtlichen Geschwindigkei-
nommen hat. Heute gibt es rund 3000 aktive
ten, andererseits das Ausüben von Sprüngen von
Kitesurfer in der Schweiz. Beim Kitesurfen lässt
mehreren Metern Höhe und Weite. Bei Stürzen
sich der Sportler auf einem Board (Brett) stehend
können somit grosse Kräfte auf die Sportler
mit einem Kite (Lenkdrachen) und der Hilfe des
einwirken. Wie bei anderen Outdoorsportarten
Windes über das Wasser ziehen. Bis anhin ist das
haben auch das Material und die Umgebungs-
Kitesurfen auf Schweizer Seen nur in bewilligten
bedingungen einen Einfluss auf das Unfallge-
Zonen erlaubt. Per 15. Februar 2016 werden alle
schehen. Kitesurfer sind den Wind- und Wetter-
Schweizer Seen für das Kitesurfen freigegeben
verhältnissen ausgesetzt. Eine falsche Einschät-
und gesperrte Bereiche müssen klar signalisiert
zung dieser Bedingungen und somit ein nicht
werden.
adäquates Verhalten können zu Unfällen führen.
Die falsche Wahl des Materials oder der nicht
2.
Unfallanalyse
korrekte Umgang damit können sowohl das
Verletzungsrisiko für den Sportler als auch für
In der Schweiz erleiden jährlich rund 400
Drittpersonen erhöhen.
Kitesurfer Verletzungen, die einen Arztbesuch
erfordern (ø 2008–2012). Anfänger verletzen
4.
Präventionsempfehlungen
sich häufiger als geübte Kitesurfer, dafür tragen
Fortgeschrittene und Könner eher schwerere
Um das Verletzungsrisiko für die Sportler selber,
Verletzungen davon als Anfänger. Da sich das
aber auch für Drittpersonen im Wasser und an
Material in den letzten Jahren enorm weiterent-
Land möglichst gering zu halten, sollten Kitesurf-
wickelt hat, ist nicht ganz klar, inwiefern sich das
Anfänger einen Ausbildungskurs besuchen. Es
Verletzungsbild geändert hat. Es ist aber davon
sollte niemals allein gesurft werden. Die Ver-
auszugehen, dass die unteren Extremitäten beim
wendung der neusten Sicherheitssysteme, wie
Kitesurfen immer noch am häufigsten von Ver-
Safety-Leash und Quick-Release-System, ist für
letzungen betroffen sind. Aber auch Verletzun-
alle Kitesurfer unumgänglich. Zudem wird das
gen des Kopfs und Rumpfs sind nicht zu unter-
Tragen von Helm, Neoprenanzug und Prall-
schätzen. Dabei führen meist unkontrollierte
schutzweste mit einem Auftrieb gemäss der
Manöver, misslungene Sprünge und Landungen
Schweizerischen Norm SN EN ISO 12402-5 emp-
oder andere technische Fehler zu den Verletzun-
fohlen. Kitesurfer müssen die Vortrittsregeln und
gen.
sonstigen Regelungen auf dem Wasser kennen
und befolgen sowie genügend Abstand zu ande-
bfu-Grundlagen
Zusammenfassung
5
ren Personen halten. Zum Kitesurfen an unbekannten Spots sollten sie sich zuerst über die
dort geltenden Regeln und über mögliche Gefahrenstellen informieren. Ab- und stark auflandiger Wind sollte wenn möglich gemieden werden. Um die Gefährdung Dritter einzuschränken,
empfiehlt es sich, Ein- und Ausstiegsstellen zu
bestimmen und klar zu kennzeichnen.
5.
Fazit
Kitesurfen ist eine noch relativ junge Sportart,
die jedoch jedes Jahr mehr Aktive zählt. Mit
einer guten Ausbildung, der Verwendung moderner Material- und Schutzausrüstung sowie
dem Befolgen der Regeln kann das Verletzungsrisiko beim Kitesurfen relativ gering gehalten
werden. Die Aufhebung des Kitesurfverbots per
15. Februar 2016 wird vermutlich eine Erhöhung
der Expositionszeit und damit auch der Unfallhäufigkeit zur Folge haben. Ob sich das Unfallrisiko verändert, kann aufgrund der heutigen
Datenlage nicht gesagt werden.
6
Zusammenfassung
bfu-Grundlagen
II. Résumé
1.
Introduction
3.
Analyse des facteurs de risque
Le kitesurf est un sport relativement récent, qui a
Le kitesurf permet à la fois de glisser sur l’eau à
beaucoup gagné en popularité ces dernières
des vitesses élevées et d’effectuer des sauts de
années. Aujourd’hui, la Suisse compte quelque
plusieurs mètres de hauteur et de longueur. En
3000 kiters actifs. Le sportif, debout sur une
cas de chute, les forces qui s’exercent sur les
planche de surf, est tracté sur l’eau par une aile
sportifs
(kite) sous l’action du vent. A l’heure actuelle, la
Comme pour d’autres sports de plein air, le
pratique de ce sport en Suisse est interdite en
matériel et l’environnement ont eux aussi une
dehors des zones bénéficiant d’une autorisation.
influence sur l’accidentalité. Les kiters sont expo-
Cette interdiction sera levée le 15 février 2016
sés aux conditions météorologiques, notamment
pour l’ensemble des lacs helvétiques. Les zones
au vent. S’ils les mésestiment et adoptent un
dédiées au kitesurf devront toutefois être signa-
comportement inadéquat, leur risque d’accident
lées clairement.
augmente. Un matériel mal choisi ou son utilisa-
peuvent
donc
être
considérables.
tion incorrecte peuvent augmenter le risque de
2.
Analyse des accidents
blessures tant pour le sportif lui-même que pour
les autres personnes à proximité.
Chaque année en Suisse, quelque 400 kiters
subissent des blessures qui nécessitent une consultation médicale (ø 2008–2012). Si les débu-
4.
Recommandations pour la
prévention
tants se blessent plus fréquemment que les sportifs aguerris, les kiters de niveau avancé ou ex-
Afin de minimiser le risque de blessures pour le
pert s’en tirent davantage avec des blessures
sportif lui-même et pour les autres personnes
sévères. Les énormes progrès réalisés ces der-
dans l’eau ou sur la rive, il est conseillé aux dé-
nières années en termes de matériel ne permet-
butants de suivre une formation. Le kitesurf ne
tent pas de dire clairement dans quelle mesure
devrait jamais être pratiqué en solo. L’utilisation
les blessures subies ont changé. Mais on peut
des systèmes de sécurité les plus récents (no-
supposer qu’elles continuent à toucher principa-
tamment quick release et leash de sécurité) est
lement les extrémités inférieures. Il ne faut pas
indispensable. Il est par ailleurs recommandé de
non plus sous-estimer les lésions à la tête et au
porter un casque, une combinaison en néoprène
tronc. Les accidents sont généralement la consé-
et un gilet de sauvetage doublé d’une protection
quence de manœuvres incontrôlées, de sauts ou
antichoc conforme à la norme SN EN ISO 12402-
de réceptions ratés, ou d’autres erreurs tech-
5. Les kiters doivent connaître les règles de prio-
niques.
rité sur l’eau ainsi que les autres réglementations
aquatiques, ils doivent s’y tenir et respecter une
bfu-Grundlagen
Résumé
7
distance de sécurité par rapport aux tierces personnes. Avant de découvrir un nouveau spot, ils
devraient s’informer des règles en vigueur et des
dangers potentiels. La pratique du kitesurf est à
éviter en cas de courants descendants ou d’un
fort vent de terre. Pour limiter le risque d’autrui,
il est conseillé de définir des zones d’entrée/de
sortie de l’eau et de les signaler clairement.
5.
Conclusion
Le kitesurf est une discipline sportive relativement jeune, qui compte d’année en année plus
d’adeptes. Le risque de blessures peut être maintenu relativement bas grâce à une bonne formation, à l’utilisation d’un matériel et d’un équipement de protection modernes et au respect des
règles applicables. La levée, au 15 février 2016,
de l’interdiction de pratiquer ce sport en dehors
des zones bénéficant d’une autorisation se traduira probablement par une augmentation du
temps d’exposition et donc de la fréquence des
accidents. Sur la base des données actuelles, il
n’est pas possible de dire si le risque d’accident
en sera modifié.
8
Résumé
bfu-Grundlagen
III. Ausgangslage
Kitesurfen ist eine Trendsportart, bei welcher der
aber mit einer Übergangsfrist von zwei Jahren erst
Sportler auf einem Brett (Board) steht und sich mit
am 15. Februar 2016 in Kraft (vgl. Amtliche Samm-
Hilfe eines Lenkdrachens (Kite) fortbewegt [1,2].
lung des Bundesrechts, AS 2014 261, Seite 277,
Der Kite wird mit einer Lenkstange (Kitebar) ge-
Ziff. III) [4] und Kitesurfen ist erst dann auf Schwei-
steuert, welche über Steuerungsleinen mit dem
zer Seen grundsätzlich erlaubt. Die zuständigen
Kite verbunden ist. Schliesslich trägt der Surfer
Behörden können aber weiterhin das Kitesurfen in
einen Trapezgurt, an welchem über eine weitere
bestimmten Bereichen oder auf dem ganzen See
Leine die Kitebar ebenfalls befestigt ist. Das auf
verbieten (vgl. Art. 3 BSG [5]) oder innerhalb der
Seen am häufigsten verwendete Kiteboard ähnelt
Uferzonen auf gekennzeichnete Startgassen be-
einem Wakeboard und ermöglicht über zwei Fuss-
schränken (vgl. Art. 54 Abs. 2 BSV [6].
schlaufen einen festen Stand. Je nach Windstärke
und Können werden verschieden grosse Kites verwendet. Tubekites sind am populärsten. Sie verfügen über Luftkammern, die vor Gebrauch aufgepumpt werden und ein Versinken des Kites bei
einer Wasserlandung verhindern. Auch Mattenkites
versinken nicht, müssen aber nicht aufgepumpt
werden, weil die Luft über ein System direkt in den
Schirm strömt.
Das Kitesurfen entwickelte sich ab 1987, wobei
1991 der erste Worldcup stattfand [1]. Trotz grosser Bemühungen wird das Kitesurfen 2016 doch
nicht olympische Disziplin. Eine Aufnahme für die
olympischen Sommerspiele 2020 wird weiterhin
angestrebt. In den letzten Jahren erlebte das
Kitesurfen in der Schweiz mit heute rund 3000
Aktiven
(www.kitegenossen.ch)
einen
grossen
Aufschwung. Weltweit wird geschätzt, dass die
Anzahl der Kitesurfer jährlich um rund 30 % zunimmt [3].
Das generelle Kitesurfverbot auf Schweizer Seen
wurde mit den Änderungen in der Binnnenschifffahrtsverordnung aufgehoben, die Aufhebung tritt
bfu-Grundlagen
Ausgangslage
9
IV. Unfallanalyse
Da das Kitesurfen eine junge Sportart ist, finden
Kiteschüler löste sich auf Geheiss seines Lehrers
sich in der Literatur relativ wenige Studien zum
vom seinem Kite, da der Lehrer wegen vielen Sur-
Thema. Zudem sind es meist deskriptive Studien,
fern Platzprobleme befürchtete. Beim Versuch
die auf einer kleinen Stichprobe basieren und einen
zurück an Land zu schwimmen verlor der Mann
kurzen Beobachtungszeitraum einschliessen, was
das Bewusstsein und ertrank. Vermutlich waren
die Aussagekraft der Untersuchungen einschränkt.
Herz-Kreislaufprobleme die Ursache für das Ertrin-
Ferner muss beachtet werden, dass sich über die
ken. Im Ausland ertranken im Zeitraum von 2000–
Jahre das Material und damit auch die Sicherheits-
2013 zwei weitere Personen mit Wohnsitz in der
systeme weiterentwickelt haben und Studien, die
Schweiz beim Kitesurfen. Tödliche Unfälle von
einige Jahre alt sind, daher oftmals nicht mehr
Drittpersonen infolge von Unfällen beim Kitesurfen
repräsentativ sind [3,7].
sind weder aus dem In- noch Ausland bekannt.
Unfallhäufigkeit
In der UVG-Statisitk der SSUV wurden in den Jahren 2006 bis 2010 keine Unfälle von Drittpersonen
Aus der Schweizer Statistik der Unfallversicherung
registriert, welche durch Kitesurfer verursacht wur-
UVG der Sammelstelle für die Statistik der Unfall-
den. Da die Statistik jedoch nicht alle Unfälle ab-
versicherung SSUV geht hervor, dass sich im
deckt, sind Verletzungen von Drittpersonen nicht
Durchschnitt der Jahre 2008-2012 jährlich 244
ganz auszuschliessen. In einer Befragung von
erwachsene Personen (16-65 Jahre) der Schweizer
Kitesurfern in Deutschland zwischen April und
Wohnbevölkerung, davon 75% im Ausland, beim
Oktober 2002 ereigneten sich 6 Kollisionen zwi-
Kitesurfen verletzten und daher ärztlich behandelt
schen zwei Kitesurfern sowie eine Kollision mit
werden mussten [8]. Der Männeranteil betrug 90%
einem Windsurfer [10]. Dies entsprach rund 6 %
und die Verletzten waren zwischen 18 und 48
der Verletzungen im erhobenen Zeitraum. Da die
Jahren alt. Aufgrund dieser Datenbasis kann jedoch
Weiterentwicklung des Materials heute ein rasches
nichts zu den Unfällen von Kindern, Jugendlichen
Trennen von Kite und Sportler (Quick-Release-
und Studenten ausgesagt werden. Die genaue
System) sowie ein schnelles und effektives Reduzie-
Anzahl der Verletzten ist daher nicht bekannt.
ren der Windkraft im Kite ermöglichen (Depower-
Basierend auf Analysen der vorhandenen Unfallsta-
System), ist dieses Resultat aber heute möglicher-
tistiken kann davon ausgegangen werden, dass
weise nicht mehr repräsentativ.
jährlich insgesamt rund 400 Personen der Schweizer Wohnbevölkerung in Folge eines Kitesurfunfalls
Verschiedene Studien untersuchten die Verlet-
ärztlich behandelt werden müssen.
zungshäufigkeit beim Kitesurfen und zeigen Wahrscheinlichkeiten von 1 bis 12 Verletzungen pro
Im Jahre 2013 ereignete sich der erste tödliche
1000 Stunden Kitesurfen [3,7,10–13]. Diese unter-
Unfall beim Kitesurfen auf Schweizer Seen [9]. Ein
schiedlichen Resultate sind einerseits auf verschie-
10
Unfallanalyse
bfu-Grundlagen
dene
Studiendesigns
und
Verletzungslokalisation
Probandenkollektive
zurückzuführen, andererseits auf unterschiedliche
Erhebungszeiträume. Die beiden neusten Untersu-
Vorliegende Untersuchungen zur Verletzungslokali-
chungen erhoben Daten im Jahre 2009 und basie-
sation wurden zwischen 2000 und 2009 durchge-
ren einerseits auf einer online Befragung in be-
führt. Aufgrund der Weiterentwicklung des Mate-
kannten Internetportalen [7], andererseits wurden
rials und der Sicherheitssysteme lassen sich die
Kitesurfer an populären Stränden in Australien
Daten über diese Zeitspanne nicht immer mitei-
angesprochen und befragt [11]. Die beiden Studien
nander vergleichen. Es gibt dennoch einen Einblick
fanden Verletzungswahrscheinlichkeiten von 10.5
in das Verletzungsbild beim Kitesurfen.
bzw. 12.2 Verletzungen pro 1000 Kitesurfstunden
ausserhalb vom Wettkampfbereich [7]. Trotzdem
Die Kitesurfer verletzten sich am häufigsten an den
schlussfolgern Bourgois et al. in ihrem Review, dass
unteren Extremitäten [3,10,13]. Rund 40 % aller
sich rund 6 bis 7 Verletzungen pro 1000 Kitesurf-
Verletzungen betrafen den Fuss oder das Fussge-
stunden ereignen [3]. Im Wettkampfbereich und
lenk (17–28 %) und das Knie (13–24 %) [10,13].
insbesondere im Training ist die Verletzungswahr-
Verletzungen der Beine erfolgten häufig aufgrund
scheinlichkeit rund doppelt so hoch wie im Freizeit-
von Sprüngen und den teilweise harten Landungen
sport.
[1]. Aber auch Verletzungen des Kopfes (5–14 %)
und Rumpfs (13–15 %) [10,13] sowie der Schulter
Verletzungsschwere
(10 %) [13] traten oftmals auf. Typische Anfängerverletzungen sind Abschürfungen und Prellungen
In zwei verschiedenen Untersuchungen erlitten
aufgrund von Stürzen am Strand, in Strandnähe
rund 80 % der verletzten Kitesurfer milde Verlet-
oder bei Kollisionen gegen feste Hindernisse [1].
zungen, welche keine ärztliche Behandlung erfor-
Aber auch harmlose Schnittwunden und Abschnü-
derten [7] bzw. die Sportler nicht davon abhielten
rungen, insbesondere der Finger, durch die Leinen
das Kitesurfen in ihrem gewohnten Ausmass aus-
können auftreten [1]. Zudem können der Druck
zuüben [10]. 15 bis 20% der Verletzungen waren
des Trapezgurtes, vor allem bei Hüfttrapezen, und
mittelschwer, was bedeutet, dass eine ärztliche
die hohen Zug- und Rotationskräfte zu Stressfrak-
Behandlung erforderlich war [7] oder die Kitesurfer
turen der Rippen führen. Auch Luxationen des
dem Sport mehr als ein Tag nicht nachgehen konn-
Schultergelenks sind nicht selten, da die Schulter
ten [10]. Schwere Verletzungen, welche Mehrfach-
oft hohen und ruckartigen Zugkräften ausgesetzt
verletzungen [7] bzw. eine Absenz von mehr als
ist.
sechs Wochen vom Kitesurfen [10] verursachten,
machten einen Anteil von rund 3 % aus. Sehr
schwere Verletzungen, welche zu Invalidität oder
gar Tod führten, kamen kaum vor [7,10].
bfu-Grundlagen
Unfallanalyse
11
V. Risikofaktorenanalyse
Nach der Analyse des Unfallgeschehens stellt sich
zu seichtes Wasser, Verwendung zu grosser Kites,
die Frage «Wie und warum ereignen sich Unfälle?»
Herausrutschen des Fusses aus der Fussschlaufe,
(Tabelle 1).
Druck des Trapezgurtes gegen Brustkorb, Schnitt
einer Finne oder Zug des Kites nach einem Sturz
1.
Unfallursache
[2,13]. In einer Untersuchung aus dem Jahre 2002
ereigneten sich zudem fast 60 % der Kopfverlet-
Seit der Entwicklung von Sicherheitssystemen,
zungen, weil die Boardleash das Board zurückzog
welche ein rasches Trennen von Kite und Sportler
und gegen den Kopf prallte [10].
(Quick-Release-System) sowie eine schnelle und
effektive Senkung des Winddruckes im Kite (De-
2.
Fahrniveau
power-System) ermöglichen, haben sich die Unfallhergänge verändert. Vor der Einführung dieser
Anfänger erlitten in einer deutschen Studie häufi-
Kontrollsysteme ca. 2004/2005 [3], führte der Kon-
ger Verletzungen als erfahrene Kitesurfer, während
trollverlust über den Kite oftmals zu Kollisionen mit
die Verletzungen der Fortgeschrittenen und Könner
Booten, anderen Surfern oder festen Hindernissen,
schwerer waren als diejenigen der Anfänger [7].
da der Kitesurfer in Notsituationen nicht fähig war
Diese beiden Risikofaktoren sind auch aus anderen
sich vom Kite zu lösen [2,10]. In neueren Studien
Sportarten, beispielsweise dem Schneesport [14],
werden vermehrt Unfallhergänge wie unkontrol-
bekannt. Eine andere Untersuchung konnte diese
lierte Manöver [3], Verletzungen nach misslunge-
Resultate jedoch nicht bestätigen. In ihrer Untersu-
nen Landungen, Stürze nach einem Sprung
chung hatten zwar Kitesurfer mit bis zu drei Jahren
[10,12,13] oder Stürze aufgrund anderer techni-
Erfahrung absolut gesehen am meisten Verletzun-
scher Fehler [10] identifiziert. Die Umgebungsbe-
gen, in Bezug auf die Exposition jedoch eine gerin-
dingungen und das Material begünstigen dabei die
gere Verletzungswahrscheinlichkeit als Kitesurfer
Verletzungswahrscheinlichkeit oftmals: auflandiger
mit vier oder mehr Jahren Erfahrung [13].
Wind, unruhige Wasseroberfläche, böige Winde,
Tabelle 1
Hauptrisikofaktoren beim Kitesurfen
3.
Fahren und Springen
Geschwindigkeit
Nr.
1
Risikofaktor
Fahren und Springen (Geschwindigkeit, Sprünge und
Manöver)
2
Wind und Wetter
Kitesurfer können mit und gegen den Wind mit
3
Kollisionen
4
Starten und Landen
Geschwindigkeiten von bis zu 65 km/h fahren
5
Material (Boardleash, Leinen, Quick-Release-System,
Board)
6
Fremdgefährdung
7
Ertrinkungsgefahr
8
Risikobereitschaft
12
Risikofaktorenanalyse
[3,10]. Eine Kollision bei 65km/h entspricht energetisch einem Sturz aus 17 Metern Höhe. Das Wasser
wird zudem mit zunehmender Geschwindigkeit des
bfu-Grundlagen
Surfers bei einem Sturz härter und die Verlet-
die Gefahr solcher Situationen heute vermutlich
zungswahrscheinlichkeit steigt.
gering.
Sprünge und Manöver
Eine besondere Gefahr für Sportarten auf und im
Wasser stellen Gewitter dar. Der in die Luft ragen-
Bereits bei geringen Windstärken können die
de Kite ist zudem im Vergleich zur relativ ebenen
Kitesurfer bis zu 10 Meter weit [2] und einige Me-
Wasserfläche ein erhöhter Punkt und die Wahr-
ter hoch springen [1]. Bei idealen Windbedingun-
scheinlickeit eines Blitzeinschlages ist daher grös-
gen erreichen die besten Fahrer auch mal Höhen
ser. Zudem breitet sich bei einem Blitzeinschlag
von 15 Metern und springen bis zu 30 Meter weit
eine Energiewelle über das Wasser aus, welche bei
[3]. Bei misslungenen Landungen können insbe-
allen Wassersportlern lebensgefährliche Verletzun-
sondere die unteren Extremitäten in Mitleiden-
gen verursachen kann.
schaft gezogen werden [1]. Eine sanfte Landung
erfordert Gefühl und Kontrolle über den Kite.
Das Kitesurfen erfordert kein Brevet und Neueinsteiger lernen nicht automatisch die meteorologi-
4.
Wind und Wetter
schen Bedingungen richtig einzuschätzen. Insbesondere Anfänger können daher die Anforderun-
Die Missachtung von kritischen Wind- und Wetter-
gen an die herrschenden Wind- und Wetterbedin-
verhältnissen kann ein Risikofaktor sein [1,2,11].
gungen unterschätzen.
Windrichtung und Windstärke beeinflussen die
Zugrichtung und Kraftentwicklung. Je stärker der
5.
Kollisionen
Wind, desto grösser sind die Kräfte, welche auf
den Kitesurfer einwirken. Dabei ist auch die Wahl
In diversen Studien wurde berichtet, dass Kitesurfer
der Kitegrösse von den Windverhältnissen abhän-
in Notsituationen nicht fähig waren, sich vom Kite
gig. Heutige Kites haben im Vergleich zu älteren
zu lösen und Verletzungen resultierten [10,12]. Die
Exemplaren sehr effektive Systeme um den Wind-
Datenerhebungen dieser Studien liegen bereits
druck im Kite schnell zu senken (Depower-System).
einige Jahre zurück und Sicherheitssysteme, welche
ein rasches Depowern und Lösen vom Kite in Notsi-
Auflandiger Wind kann vor Steilküsten oder gros-
tuationen ermöglichen, haben sich in den letzten
sen Objekten eine Luftströmung nach oben verur-
Jahren stets weiterentwickelt. Allerdings sind Kolli-
sachen und einen Surfer meterweit in die Höhe
sionen mit Objekten auch heute nicht ganz auszu-
ziehen, wenn dieser von der Luftströmung erfasst
schliessen [11] und verursachen die schwersten
wird [2]. Zudem besteht bei stark auflandigen
Verletzungen [15]. Wie hoch die Relevanz dieses
Winden die Gefahr, dass der Kiter auf das Ufer
Risikofaktors für das Unfallgeschehen in der
gezogen wird, während sie bei ablandigen Winden
Schweiz ist und ob auch Drittpersonen davon be-
auf das Gewässer hinaus getrieben werden kön-
troffen sind, ist aufgrund der Datenlage in der
nen. Dank den Sicherheitssystemen und der effi-
Schweiz unklar.
zienten Depowerfähigkeit moderner Ausrüstung ist
bfu-Grundlagen
Risikofaktorenanalyse
13
6.
Starten und Landen
Leinen
Stürze auf den harten Erdboden führen eher zu
Die Steuerungsleinen, welche den Surfer mit dem
Verletzungen als Stürze ins Wasser. Die Unfallzah-
Kite verbinden sind zwischen 19 und 32 Meter
len aus der Schweiz ermöglichen jedoch keine
lang und ca. 1mm dünn. Da Leinen von ca. 25
Aussage, wie viele der Kitesurfunfälle sich an Land
Metern den grössten Einsatzbereich bieten, werden
bzw. auf dem Wasser oder beim Starten bzw. Lan-
diese auch am häufigsten von den Kitern verwen-
den des Kites ereignet haben. In einer Befragung
det. Kite-Leinen bestehen aus Polyester, Polyethyl-
von Kitesurfern in Deutschland im Jahre 2004 er-
en oder einem anderen Material mit hoher Reiss-
eigneten sich 20 % der Unfälle am Strand [10].
festigkeit. In gespanntem Zustand können sie da-
15 % der verunglückten Kitesurfer verletzten sich
her beim Sportler selber oder auch bei Drittperso-
während dem Startmanöver.
nen Verletzungen verursachen.
7.
Material
Boardleash
Quick-Release-System
Ein «Quick-Release» ist ein Schnellauslösesystem,
welches dem Surfer ermöglicht die Verbindung
Eine Boardleash ist eine Verbindungsleine zwischen
zwischen Trapezgurt und Kite augenblicklich zu
dem Surfer und seinem Board, welche verhindert,
lösen und den Druck aus dem Kite zu nehmen. In
dass das Brett im Falle eines Sturzes wegtreibt und
der französischen Norm NF S52.503 sind die Kräfte
verloren geht. Sie wird insbesondere von ungeüb-
definiert, welche maximal aufgewendet werden
teren Kitesurfern verwendet.
müssen, um den Schnellauslöser auszulösen [16].
Eine entsprechende schweizerische oder europäi-
Es gibt zwei verschiedene Systeme. Eine elastische
sche Norm zu Quick-Release-Systemen existiert
Boardleash ist rund 2 Meter lang. Aufgrund der
nicht. Es ist unklar, ob die auf dem Schweizer
Elastizität kann bei einem Sturz das Brett unkon-
Markt erhältlichen Systeme jederzeit in einer Notsi-
trolliert zurückschnellen und dabei den Surfer am
tuation ohne grossen Kraftaufwand ausgelöst wer-
Kopf oder Rumpf treffen und schwere Verletzun-
den können.
gen verursachen [10]. Eine Rollleash hingegen wickelt sich während dem Sturz des Kitersurfers ab
Board
und das Board kann danach kontrolliert wieder
heran geholt werden. Durch die Länge der Leash
Es gibt verschiedene Arten von Kitesurfboards.
und die nicht elastischen Eigenschaften wird ver-
Während die einen einem klassischen Surfboard
hindert, dass das Board unkontrolliert zurück-
mit Fussschlaufen ähneln, erinnern die anderen an
schnellt.
ein Wakeboard [15]. Erstere haben einen bedeutend besseren Auftrieb und können in einer Notsituation auch als Schwimmhilfe verwendet werden.
Wakeboard ähnliche Bretter haben aber nur mini-
14
Risikofaktorenanalyse
bfu-Grundlagen
malen Auftrieb und bieten daher wenig Unterstüt-
vor Ertrinken bei Bewusstlosigkeit. Zudem können
zung beim Schwimmen.
normale Rettungswesten nicht in Kombination
mit einer Prallschutzweste getragen werden. Ge-
Bei der Verwendung einer elastischen Leash oder in
mäss der Binnenschifffahrtsverordnung müssen
grossen Wellen kann das eigene Board auch zur
Kitesurfer heute eine Schwimmhilfe gemäss der
Verletzungsgefahr werden. Zudem kann ein verlo-
Schweizerischen Norm SN EN ISO 12402-5 bei
rengegangenes
sich haben [6].
und
frei herumschwimmendes
Board eine Gefahr für andere Kitesurfer und Wassersportler darstellen.
10.
8.
In einer Untersuchung wurde festgestellt, dass
Fremdgefährdung
Risikobereitschaft
Kitesurfer im allgemeinen eine relativ hohe RisikoAufgrund des potenziell grossen Aktionsradius und
bereitschaft mit sich bringen [7]. Zudem stellte sich
eines eventuellen Kontrollverlustes über den Kite
heraus, dass Kitesurfer, welche Verletzungen erlit-
oder das Board besteht die Gefahr, dass andere
ten, eine höhere Bereitschaft hatten, Risiken in
Kitesurfer, Windsurfer oder auch Badegäste ver-
Kauf zu nehmen, als Kitesurfer, die sich nicht ver-
letzt werden. In einer deutschen Untersuchung
letzten. Solche mit schwereren Verletzungen wie-
erlitten 6 % der verunfallten Kitesurfer Verletzun-
sen eine höhere Risikobereitschaft auf als solche
gen bei Kollisionen mit anderen Kitesurfern oder
mit leichteren Verletzungen.
Windsurfern [10]. Ein unkontrollierter Kite, die
gespannten Leinen, die Kitebar [1] oder ein herumschwimmendes Board können zur Gefahr für andere werden. Aus den Schweizer Statistiken kann
jedoch nichts über Verletzungen von Drittpersonen
durch Kitesurfer oder deren Material ausgesagt
werden. Gemäss Experten der Swiss Kitesailing
Association sowie der See- und Kantonspolizei gibt
es keine Konflikte mit den Kitesurfern, da sich diese an die Regeln halten. Daher ist die Gefährdung
von anderen Wassersportlern oder auch Spaziergängern in der Schweiz vermutlich gering.
9.
Ertrinkungsgefahr
Beim Kitesurfen besteht wie bei allen Wassersportarten eine gewisse Ertrinkungsgefahr. Heute
auf dem Markt verfügbare Schutzwesten für das
Kitesurfen erfüllen die Anforderungen einer Rettungsweste nicht und bieten daher keinen Schutz
bfu-Grundlagen
Risikofaktorenanalyse
15
VI. Interventionsanalyse
Sobald die Risikofaktoren bekannt sind, kommt die
Regelungen
Frage auf «Wie können die Verletzungen verhindert
werden?». Um das Verletzungsrisiko im Kitesurfen
Auf Schweizer Seen gilt die Regelung, dass Kitesurfer
zu reduzieren, bieten sich verschiedene Präventi-
und Segelbretter anderen Schiffen gegenüber kein
onsmöglichkeiten an (Tabelle 2). In der Interventi-
Vorfahrtsrecht haben [6]. Ansonsten gelten innerhalb
onsanalyse werden in einem ersten Schritt Präventi-
der Kitesurfer die gleichen Vorfahrtsregeln wie beim
onsziele formuliert, die dazu beitragen die Risikofak-
Windsurfen oder Segeln: Backboard vor Steuerbord,
toren zu reduzieren (Kap. VI.1). Die Präventionsmög-
Lee vor Luv und der überholende Kitesurfer muss
lichkeiten (Kap. VI.2) zeigen schliesslich auf, wie die
ausweichen. Gegenüber anderen Personen ist ein
Präventionsziele erreicht werden können.
genügend grosser Abstand einzuhalten, so dass ausreichend Manövrierraum besteht ohne jemand an-
1.
Präventionsziele
dern zu gefährden. Der Schweizer Kitesurfclub
«Kitegenossen» empfiehlt gegenüber anderen Was-
Das primäre Ziel der Prävention ist die Vermeidung
sersportlern beim Springen einen Abstand von min-
von Unfällen. Da sich aber nicht alle Unfälle ver-
destens 2 Leinenlängen bzw. 50 Metern nach Lee
meiden lassen, müssen auch folgenmindernde
einzuhalten sowie beim Fahren den Abstand dem
Massnahmen (z. B. das Tragen von Schutzausrüs-
Fahrkönnen anzupassen [17]. Das Einhalten der Vor-
tung) gefördert werden.
trittsregeln beim Kitesurfen sowie gegenseitige Rücksichtnahme verhindern Kollisionen und Stürze infolge
von Ausweichmanövern.
Tabelle 2
Empfehlenswerte Präventionsmöglichkeiten im Kitesurfen
Nr.
1
Präventionsziel
Regelungen kennen und einhalten
(Vortrittsregeln, Binnenschifffahrtsverordnung, Sicherheitsabstände, Surfspot spezifische
Regeln)
Präventionsmöglichkeit
Sensibilisierung der Kitesurfer*
Kitekurs besuchen*
Brevet obligatorisch einführen
Informationstafeln an Einstiegstellen der Spots*
2
Ein- und Ausstiegsstellen bestimmen und kennzeichnen, korrektes Verhalten beim Starten
und Landen
Sensibilisierung der Verantwortlichen
3
Sicherheitssysteme verwenden
(Quick-Relase-System, Safety-Leash, Depower-System)
Sensibilisierung der Kitesurfer*
Leitfaden erstellen
Marktbereinigung*
Kitekurs besuchen*
4
Schutzausrüstung tragen
(Helm, Prallschutz mit Auftrieb gemäss SN EN ISO 12402-5, Neoprenanzug, Boardleash)
Sensibilisierung der Kitesurfer*
Kitekurs besuchen*
Gesetzliche Bestimmung*
5
Wissen und Fertigkeiten aneignen und verbessern
Sensibilisierung der Kitesurfer*
Kitekurs besuchen*
Brevet obligatorisch einführen
*zum Teil bereits heute realisiert
16
Interventionsanalyse
bfu-Grundlagen
Starten und Landen
während der Kite weiterfliegt. Heutige Kites verfügen alle über ein Depower-System. Beim Kauf von
Speziell bezeichnete Ein- und Ausstiegsstellen für
gebrauchtem Material sollte darauf geachtet wer-
Kitesurfer helfen Konflikte und Kollisionen mit
den, dass der Kite diese Funktion verfügt.
anderen Personen zu vermeiden. Zuständige Behörden können das Kitesurfen innerhalb der Ufer-
1.3.2 Quick-Release-System
zonen auf bewilligte und als solche gekennzeichnete Startgassen beschränken [6]. Ein- und Ausstiegs-
Ein Quick-Release-System ermöglicht den Kite
stellen sollten genügend Raum bieten, damit die
schnell zu lösen und den Druck aus dem Kite zu
Kitesurfer ihr Material ohne Gefahr für unbeteiligte
nehmen. Der Kite stürzt dabei auf die Wasserober-
Personen bereitstellen und wieder einpacken kön-
fläche, bleibt aber mit dem Surfer via Safety-Leash
nen. Zudem sollten diese Stellen sicher gestaltet
verbunden, damit er nicht verloren geht. Heute
werden und keine Hindernisse aufweisen, um den
sind alle Kites mit einem Quick-Release-System
Kite sicher starten und landen zu können.
ausgestattet [13]. Beim Kauf von gebrauchtem
Material sollte darauf geachtet werden, dass es
Die Hilfe erfahrener Helfer beim Start und der Lan-
über ein Quick-Release-System verfügt.
dung des Kites kann die Unfallgefahr reduzieren.
Wichtig ist, dass der Helfer weiss, wie das Start-
Kitesurfer sollten vor jeder Fahr das Quick-Release-
und Landemanöver abläuft, mögliche Gefahren
System testen und überprüfen, um zu vermeiden,
kennt und die Zeichen des Kitesurfers versteht.
dass es infolge Verschmutzung oder Abnutzung in
einer Notsituation nicht oder nur schwer ausgelöst
Nicht verwendetes Material sollte weggeräumt und
werden kann.
der Kite jederzeit beschwert werden, um niemanden durch herumliegendes oder –fliegendes Mate-
Die Funktionsfähigkeit der Systeme rettet den
rial zu gefährden. Bei Manövrierunfähigkeit auf
Kitesurfer aber noch nicht aus einer Notsituation.
dem Wasser (z. B. aufgrund von Windmangel oder
Der Kitesurfer muss die Situation früh erkennen
Materialproblemen) sollte der Kitesurfer seine Lei-
können und die Schnellauslösung rechtzeitig betä-
nen zusammenrollen, um die beanspruchte Fläche
tigen.
zu minimieren. Dies erleichtert auch eine eventuelle
Rettung.
Sicherheitssysteme
1.3.3 Safety-Leash
Die Safetyleash verbindet den Surfer mit dem Kite,
auch wenn dieser den Kite über den Quick-Release
1.3.1 Depower-System
gelöst hat. Dies ist wichtig, damit der Kite nicht
verloren geht oder sogar andere Wassersportler
Ein Depower-System ermöglicht die Kraftentwick-
verletzt. Beim Lösen der Safety-Leash wird der
lung im Kite zu dosieren, indem der Anstellwinkel
Surfer vollständig vom Kite getrennt. Dies kann
des Kites zum Wind verändert werden kann. So
notwendig sein, wenn sich der Kite irgendwo ver-
kann der Zug des Kites schnell reduziert werden,
bfu-Grundlagen
Interventionsanalyse
17
heddert hat. Jeder Surfer sollte einen Kitesystem
Aufgrund des Verletzungsrisikos durch ein zurück-
mit Safety-Leash verwenden.
schnellendes Board wird von der Verwendung
elastischer Leashes aber abgeraten. Für Anfänger
Schutzausrüstung
und ungeübte Kiter ist es jedoch ratsam eine Rollleash zu verwenden, um das Board nicht zu verlie-
1.4.1 Helm und Prallschutzweste
Helm und Prallschutzweste können einen Teil der
Verletzungen beim Kitesurfen verhindern oder
ren.
Wissen und Fertigkeiten aneignen
und verbessern
zumindest den Schweregrad vermindern.
Eine gute Kontrolle des Kites im Wind, eine korrekPrallschutzwesten, welche die Schweizer Norm SN
te Einschätzung der Wind- und Wetterbedingun-
EN ISO 12402-5 erfüllen, kommen der gesetzlichen
gen, die Verwendung des richtigen Materials sowie
Vorgabe einer Schwimmhilfe nach, wie sie für
das Wissen zum richtigen Agieren in kritischen
Kitesurfer
Situationen
in
der
Binnenschifffahrtsverordnung
ist
Voraussetzung
zum
sicheren
vorgeschrieben ist [6]. Schwimmhilfen haben einen
Kitesurfen. Die Kontrolle des Schirms benötigt
Mindestauftrieb von 50 Newton, erfüllen jedoch
Feingefühl und Übung [7]. Trotz diesen Anforde-
nicht die Richtlinien an eine Rettungsweste und
rungen ist das Kiten relativ leicht erlernbar [1,2,15]
garantieren beispielsweise keinen Schutz vor Er-
und nach wenigen Tagen sind hohe Geschwindig-
trinken bei Bewusstlosigkeit. Um die Häufigkeit
keiten sowie kleine Sprünge möglich.
oder den Schweregrad von Verletzungen zu reduzieren, sollten Kitesurfer immer einen Helm sowie
Eine gute Kenntnis über Gefahrenstellen an Spots
eine Prallschutzweste mit einem Auftrieb gemäss
sowie eine korrekte Einschätzung der Wetter- und
der Schweizerischen Norm SN EN ISO 12402-5
Windverhältnisse sind für ein sicheres Kiten von
tragen.
Bedeutung. Für die Ostsee wurde beispielsweise
eine Checkliste entwickelt, welche hilft das Risiko
1.4.2 Neoprenanzug
der Wetterbedingungen besser einzuschätzen [2].
Vor dem Kitesurfen sollten die Wind- und Wetter-
Auch ein Neoprenanzug bietet zusätzlichen Auf-
bedingungen sorgfältig geprüft werden und starke
trieb und erleichtert das Schwimmen. Zudem ver-
Stürme, Unwetter oder gar Gewitter gemieden
hindert er, dass der Körper auskühlt. Bei kühleren
werden. Das Surfen bei auflandigen Winden erfor-
Wasser- und Lufttemperaturen ist das Tragen eines
dert Erfahrung und ist für Anfänger ungeeignet.
Neoprenanzuges empfehlenswert.
Stark ab- oder auflandige Winde bergen besondere
Gefahren und sollten wenn möglich gemieden
1.4.3 Boardleash
werden. An fremden Spots sollten Informationen
über Regeln und mögliche Gefahren eingeholt
Boardleashes können verhindern, dass das Board
werden.
bei einem Sturz weggetrieben wird und verloren
geht oder sogar andere Wassersportler verletzt.
18
Interventionsanalyse
bfu-Grundlagen
Um grundsätzlich Unfälle zu vermeiden sollte jeder
Ausbildung
Kitesurfer vor einem Manöver die Umgebung
überprüfen und sich versichern, ob genug Platz
Kitesurfen ist zwar schnell erlernbar, stellt jedoch
vorhanden ist. Um in einer Notsituation oder bei
Anforderungen an Anfänger, die das besuchen
Start- und Landemanöver Unterstützung zu erhal-
eines Kitesurfkurses unbedingt empfehlenswert
ten, sollte niemals alleine gesurft werden.
machen. Aus sicherheitstechnischer Sicht sollten in
einem Kitesurfkurs die Verwendung und der Um-
2.
Präventionsmöglichkeiten
gang mit der richtigen Ausrüstung sowie Schutzausrüstung, die Regelungen auf den Seen (Binnen-
Die Präventionsziele können mit verschiedenen
schifffahrtsverordnung, Vortrittsregeln, Sicherheits-
Strategien
erreicht
abstände, Surfspot spezifische Regeln), das Erken-
werden (Tabelle 2). In der bfu werden Massnah-
nen und Einschätzen von Gefahren sowie das kor-
men den Themenbereichen Forschung, Ausbil-
rekte Entscheiden und Handeln in Risikosituationen
dung, Beratung, Kommunikation und Kooperation
thematisiert werden.
(Präventionsmöglichkeiten)
zugeteilt (Tabelle 3). Die Ausarbeitung und Umsetzung von Massnahmen bedarf jeweils eines inten-
Die Forderung nach einem Brevet als Ausbildungs-
siven Austauschs mit den relevanten Partnern.
abschluss, wie es bespielsweise beim Gleitschirmfliegen erforderlich ist, scheint sich zur Zeit nicht
Forschung
aufzudrängen.
Effiziente Unfallprävention basiert auf einer syste-
Beratung
matischen Analyse des Unfallgeschehens, der relevanten Risikofaktoren sowie der empfehlenswerten
Um Konflikte und die Gefährdung von Drittperso-
Präventionsmassnahen. In der Unfallforschung wird
nen gering zu halten, empfiehlt es sich an Seen
das Unfallgeschehen laufend analysiert. Wissens-
Ein- und Ausstiegsstelle für Kitesurfer zu bestim-
management garantiert ein aktueller Kenntnisstand
men und zu kennzeichnen.
zum Unfallgeschehen sowie den Risiko- und Sicherheitsfaktoren. Spezialstudien dienen der Klä-
Das Gesetz über die Produktesicherheit (PrSG) ge-
rung spezifischer Fragen. So stellt beispielsweise
währleistet die Sicherheit von Produkten auf dem
die
Schweizer Markt [18]. Produkte dürfen nur in Ver-
Wirksamkeit
verschiedener
Quick-Release-
Systeme eine Forschungsfrage dar.
kehr gebracht und verkauft werden, wenn sie bei
normaler oder bei vernünftigerweise vorhersehba-
Tabelle 3
Empfehlenswerte Präventionsmassnahmen
Forschung
- Unfallforschung
- Wissensmanagement
- Spezialstudien
bfu-Grundlagen
Ausbildung
- Kitesurfkurs
Modul «Ausrüstung /
Schutzausrüstung»
Modul «Gefahrenbewusstsein /
Selbststeuerungsfähigkeit»
Regelungen
Beratung
- Ein- und Ausstiegsstellen
bestimmen und kennzeichnen
- Sichere Produkte
- Regeln und Gesetze
Kommunikation
- Regelungen
- Gefahrenbewusstsein
- Ausrüstung /
Schutzausrüstung
Kooperation
- Kitegenossen
- Seepolizei
- Swiss Kitesailing
Association
Interventionsanalyse
19
rer Verwendung die Sicherheit und die Gesundheit
Kooperation
der Verwenderinnen und Verwender und Dritter
nicht oder nur geringfügig gefährden. Sie müssen
Damit die der Prävention zur Verfügung stehenden
den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheits-
Mittel einen maximalen Nutzen bringen, sollten
anforderungen nach den Normen oder – wenn
gesamtschweizerische oder internationale Anstren-
keine solchen Anforderungen festgelegt worden
gungen koordiniert werden. Die Zusammenarbeit
sind – dem Stand des Wissens und der Technik
aller Institutionen im Bereich des Kitesurfens bringt
entsprechen. Wer ein Produkt in Verkehr bringt,
ein breitgefächertes Fachwissen und verschiedene
muss nachweisen können, dass es die grundlegen-
Sichtweisen in die Thematik der Prävention ein und
den Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen
ermöglicht dadurch die Umsetzung wirksamer,
erfüllt. Die Hersteller und Importeure sind zudem
effizienter und umsetzbarer Massnahmen.
verpflichtet, Massnahmen zu treffen, allfällige Gefahren, die von ihren Produkten ausgehen, auch
nach dem Inverkehrbringen zu erkennen, abzuwenden und sie den zuständigen Vollzugsbehörden zu melden. Der Vollzug des Gesetzes ermöglicht die Sicherheit von Produkten zu erhöhen.
In den Bereich der Beratung fallen auch gesetzliche
Bestimmungen, wie beispielsweise die Vortrittsregeln auf den Seen. Gesetzliche Regelungen sind
dann wirkungsvoll, wenn Kontrollen durchgeführt
und Zuwiderhandlungen mit Sanktionen bestraft
werden.
Kommunikation
Kampagnen und Broschüren bieten eine gute
Möglichkeit zur Sensibilisierung von Kitesurfern
und können einen Grossteil der Sportler erreichen.
Sie sind aber kein optimales Hilfsmittel, um eine
langfristige Verhaltensänderung zu erreichen. Mit
Hilfe von Flyern, Informationen im Internet oder
auch an den Kitesurfspots sollten Kitesurfer für die
geltenden Regeln, mögliche Gefahren, für korrekte
Ausrüstung und Schutzausrüstung sowie ein sicheres Verhalten sensibilisiert werden.
20
Interventionsanalyse
bfu-Grundlagen
VII. Fazit
Das Kitesurfen ist eine noch relativ junge Sportart,
die jedoch jährlich an Aktiven gewinnt. Mit einer
guten Ausbildung, der Verwendung moderner
Ausrüstung und Schutzausrsütung sowie dem Befolgen der Regelungen kann das Verletzungsrisiko
beim Kitesurfen relativ gering gehalten werden.
Die Aufhebung des Kitesurfverbots per 15. Februar
2016 wird vermutlich eine Erhöhung der Expositionszeit und damit auch der Unfallhäufigkeit zur
Folge haben. Ob sich das Unfallrisiko verändert,
kann aufgrund der heutigen Datenlage nicht gesagt werden.
bfu-Grundlagen
Fazit
21
VIII. Anhang: bfu-Positionen
Kitesurfen (Drachensegelbretter)
Anfangs 2014 hat der Bundesrat beschlossen, das bisherige Verbot für Kitesurfen ausserhalb bewilligter
Zonen aufzuheben. Um den Kantonen genügend Zeit zu geben, auf ihren Seen neue, sichere Rahmenbedingungen für das Kitesurfen zu schaffen, tritt die Aufhebung erst am 15. Februar 2016 in Kraft. Die bfu
empfiehlt den kantonalen Behörden, in dieser 2-jährigen Übergangsfrist die Ein- und Ausstiegsstellen
sowie die Startgassen sicher zu gestalten und klar zu signalisieren, wobei auch die Sicherheit von Fussgängern oder Radfahrern an Land beachtet werden muss. Ausserdem soll das Kitesurfen in Zonen
mit besonderen Risiken (z. B. Badezonen) verboten werden.
Basierend auf Analysen der vorhandenen Unfallstatistiken geht die bfu davon aus, dass jährlich rund 400
Personen infolge eines Unfalls beim Kitesurfen ärztlich behandelt werden müssen. Die meisten Unfälle
ereignen sich aufgrund unkontrollierter Manöver, misslungener Sprünge oder anderer fahrtechnischer
Fehler. Auch Unfälle infolge von Kollisionen und die Verletzungsgefahr für Dritte im Wasser oder an Land
können nicht ausgeschlossen werden. Zudem besteht – wie bei allen Wassersportarten – Ertrinkungsgefahr.
Den Wassersportlern empfiehlt die bfu folgende Sicherheitsmassnahmen:

eine gute Ausbildung absolvieren

moderne Sicherheitselemente wie Safety-Leash und Quick-Release-Systeme verwenden

genügend Abstand zu anderen Kitesurfern, gegenüber Booten und weiteren Nutzern der Gewässer
(z. B. Schwimmern) einhalten

die Vortrittsregelung auf dem Wasser beachten

Schutzausrüstung tragen: Wassersporthelm, Neoprenanzug, Prallschutzweste mit einem Auftrieb gemäss der Schweizerischen Norm SN EN ISO 12402-5
http://www.bfu.ch/de/ratgeber/ratgeber-unfallverhütung/sport-und-bewegung/wassersport/kitesurfen/kitesurfen-tipps
22
Anhang: bfu-Positionen
bfu-Grundlagen
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(Binnenschifffahrtsverordnung, BSV): Änderungen vom 15. Januar 2014. 2014.
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einer neuen Trendsportart. Sportorthopädie - Sportraumatologie. 2001;17(17):253–259.
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[18] Schweizerische Eidgenossenschaft. Bundesgesetz über die Produktesicherheit (PrSG). 2009.
bfu-Grundlagen
Quellen
23
Die bfu setzt sich im öffentlichen Auftrag für die Sicherheit
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