Niederländische Moderne Die Sammlung Veendorp aus Groningen Katalog zur Ausstellung im Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck 21. November 2015 – 28. Februar 2016 Museum im Kulturspeicher Würzburg 19. März – 26. Juni 2016 Augustinermuseum, Städtische Museen Freiburg 16. Juli – 3. Oktober 2016 Suermondt-Ludwig-Museum, Museen der Stadt Aachen 5. November 2016 – 5. Februar 2017 Herausgegeben von Alexander Bastek, Elise van Ditmars und Tilmann von Stockhausen mit Beiträgen von Elise van Ditmars, Jenns Howoldt, Evelien de Visser und Laura Wanckel Michael iMhof Verlag Leihgeber Alle ausgestellten Werke stammen aus der Sammlung Veendorp, Inhalt 6 Grußwort 8 Vorwort die sich als Dauerleihgabe der Stiftung J. B. Scholtenfonds im Groninger Museum befindet Elise van Ditmars 11 Die Sammlung Veendorp. Lebenswerk eines Sammlers Evelien de Visser 19 Niederländische Malerei in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Jenns Howoldt 33 Die niederländische Moderne und die Malerei in Deutschland 43 Katalog 188 Exponatenliste 195 Bildnachweis 196 Literatur Laura Wanckel 4 | 199 Künstlerbiografien 208 Impressum | 5 Die Sammlung Veendorp. Lebenswerk eines Sammlers Elise van Ditmars Der Groninger Architekt und Ziegelfabrikant Reurt Jan Veendorp (1905–1983) trug seit den 1920er Jahren bis zu seinem Tod eine eindrucksvolle Kunstsammlung zusammen. 1969 wurde die Sammlung, im Einvernehmen mit Veendorp, von der Stiftung J. B. Scholtenfonds dem Groninger Museum als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Die Sammlung Veendorp besteht aus Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Druckgrafiken, Skulpturen und Keramik namhafter Künstler. Insgesamt zählt die Sammlung über 400 Werke, darunter etwa 100 Gemälde, mehr als 150 Zeichnungen und Aquarelle. Der Schwerpunkt liegt auf niederländischer Kunst aus der zweiten Hälfte des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Ein besonderer Platz wird Malern der Haager Schule eingeräumt, wie Willem Roelofs (1822–1897), Jan Hendrik Weissenbruch (1824–1903), Paul Gabriël (1828–1903), Anton Mauve (1838–1888) und den drei Brüdern Maris: Jacob (1837–1899), Matthijs (1839–1917) und Willem (1844–1910). Die Sammlung umfasst auch einige Meisterwerke des in Frankreich tätigen niederländischen Landschaftsmalers Johan Barthold Jongkind (1819–1891). Die Künstlergenerationen nach der Abb. 1 Reurt Jan Veendorp, 14. Mai 1968 Haager Schule repräsentieren die Amsterdamer Impressionisten George Hendrik Breitner (1857–1923) und Isaac Israels (1865–1934), aber auch Floris Verster (1861–1927), Jan (1858– 1928) und Charley Toorop (1891–1955), Willem Bastiaan Tholen (1860–1931) sowie Dirk Nijland (1881–1955). Werke der beiden letztgenannten Künstler sind verhältnismäßig reich vertreten. Die Skulpturensammlung besteht hauptsächlich aus Kleinplastiken von Joseph Mendes da Costa (1863–1939) und Lambertus Zijl (1866–1947). Abgesehen von der niederländischen Kunst umfasst die Sammlung zudem wunderschöne Beispiele der französischen Malerei, mit Werken unter anderem von Camille Corot (1796–1875), Charles-François Daubigny (1817–1878), Paul Gauguin (1848–1903) und Odilon Redon (1840–1916). Reurt Jan Veendorp (1905–1983) Geboren wurde Reurt Jan Veendorp am 15. Mai 1905 in Appingedam, Provinz Groningen, in den Niederlanden. Die Familie Veendorp war über mehrere Generationen als Ziegelfabrikanten tätig. Bis 1922 wohnte Veendorp mit seinen Eltern in Appingedam. Danach zog die Familie um nach Haren. Der Tod des Vaters und beider Brüder innerhalb von fünf Jahren bedeutete einen schweren Schicksalsschlag. Reurt Jan Veendorp blieb mit seiner Mutter Stientje Veendorp-Janssen allein zurück und war der alleinige Erbe der Ziegeleien. Obwohl er sich sehr für die beiden Firmen engagierte, gab er die tägliche Leitung aus der Hand. Von 1922 bis 1925 besuchte Veendorp die Academie Minerva in Groningen, wo er Kurse für Zeichnen und Kunsthandwerk belegte, aber auch Architekturunterricht erhielt. 1928 zog Veendorp zusammen mit seiner Mutter nach Den Haag. Ab 1947 mieteten sie in Wassenaar, am Rande von Den Haag, das „rosa Häuschen“, das dem Maler Dirk Nijland zuvor für nahezu dreißig Jahre als Wohnhaus und Atelier gedient hatte. Es trug zwar den liebevollen Na- siehe Kat. 42 | 11 Die niederländische Moderne und die Malerei in Deutschland Jenns Howoldt „Das ist alles ganz wie bei Israëls, eine eigenthümliche Poesie“, so beschrieb Fritz von Uhde (1848–1941) im August 1882 seine Eindrücke von Zandvoort.1 Der Maler war für mehrere Wochen in das Seebad gereist, wo er sich einer Badekur unterziehen wollte. Zugleich aber war er auf künstlerischer Entdeckungsreise und in der Ortswahl wohl auch durch Max Liebermann beeinflusst worden, zumindest hatte Uhde dessen erfolgreiche Hollandbilder im Kopf.2 Für Liebermann bedeuteten Studienreisen in die Niederlande, die er während seines Parisaufenthalts aufgenommen hatte, schon seit Jahren in künstlerischer Hinsicht eine „Badekur“3, die seiner Malerei frische, neue Impulse und Motive verschaffte.4 Sein erster Aufenthalt in Zandvoort, dem viele weitere folgen sollten, fand 1875 statt, als er die Werkstatt eines Zimmermanns, Dorfszenen und erstmalig die karge unspektakuläre Dünenlandschaft in Pleinair-Skizzen festhielt.5 Wie Liebermann interessierte sich Uhde für das Meer mit den Hotels und Badegästen nicht. Vielmehr suchte er seine Motive auf den Spuren des Malerfreundes, der im Jahr zuvor sein Altmännerhaus in Amsterdam6 mit großem Erfolg auf dem Pariser Salon ausgestellt hatte. Uhde begann mit Studien im Altmännerhaus, scheiterte aber an den schwierigen Arbeitsbedingungen in dem „alten Stinkkasten“, wo er „immer an Liebermann“ dachte.7 Die sandigen Gassen des Fischerdorfes zogen ihn mehr an. Vor allem die Kinder in ihren „lumpigen Kostümen“ vor den niedrigen Hütten und auf den Hinterhöfen wirkten auf ihn „poetisch“ und nahmen ihn mit ihrem kindlichen Charme gefangen. Es war dieses dörfliche Milieu, das ihn an die Bilder Jozef Israëls’ erinnerte. Der holländische Maler wurde so zum „Augenöffner“ und half Uhde, von den Bildgegenständen Liebermanns Abstand zu nehmen. Im Laufe seiner Studien sah Uhde die Wirklichkeitsauffassung von Israëls jedoch zunehmend kritisch. Israëls erschien ihm angesichts des armseligen Fischerdorfs als „ein Abb. 1 Fritz von Uhde, Fischerkinder von Zandvoort, 1882 Öl auf Leinwand, 60,2 x 80,2 cm Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv. 537 recht manierlicher Kerl“, für ihn, den deutschen Maler, hatte das Milieu eher „etwas Groteskes, Verkommenes“ und nichts „Sentimentales“.8 Genau dies vermied Uhde denn auch in seiner großen Freilichtstudie Fischerkinder von Zandvoort (Abb. 1), die er aus seinen Einzelstudien zusammenfügte. Sie markierte seinen Durchbruch zu „Arbeiten im Freien in den feinen luftigen Tönen“.9 Uhdes Darstellungsabsicht siehe Kat. 40 | 33 Isaac Israels Amsterdam 1865–1934 Den Haag 11 Hutgeschäft Mars auf dem Nieuwendijk in Amsterdam | 1893 n Öl auf Leinwand, 64,5 x 59,5 cm Signiert unten rechts: Isaac Israels Die Dämmerung hat eingesetzt, wodurch der Blick gleich auf das hell erleuchtete Hutgeschäft fällt. Das Rot seines Interieurs bildet einen starken Kontrast zu den dunklen und schlichten Farben der Umgebung. Die geöffnete Tür erlaubt einen Blick hinein, wo die Verkäuferin eine Kundin bedient. Passanten spazieren auf der Straße, einige sehen sich die Schaufensterauslage an. Zwei Frauen rechts im Vordergrund sind besonders hervorgehoben. So wie die Passanten das Geschäft betrachten, blicken wir auf das Gemälde. Israels hat somit gleichsam ein Gemälde im Gemälde geschaffen. Als Sohn von Jozef Israëls, dem bedeutenden Vertreter der Haager Schule, ist Isaac Israels das Malen in die Wiege gelegt worden. Doch im Gegensatz zu den Mitgliedern der Haager Schule bevorzugte Isaac Israels Stadtszenen. Er sollte zu einem wichtigen Repräsentanten des Amsterdamer Impressionismus werden. Das Hutgeschäft Mars auf dem Nieuwendijk in Amsterdam ist hierfür ein schönes Beispiel. Es entstand 1893, als der Maler in einem kleinen Zimmer über Mendels’ Kurzwarenladen im Einkaufsboulevard Nieuwendijk wohnte. Er hatte dieses Zimmer eigens angemietet, um das Mars’sche Hutgeschäft, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befand, malen zu können. Israels fertigte auch Pastelle und Zeichnungen vom Interieur des Geschäfts an. Den Maler faszinierten die bunten Farben und die Frauen, die dort Hüte probierten. Es war allgemein bekannt, dass man im Hutgeschäft Mars von gut aussehenden weiblichen Angestellten bedient wurde. Israels teilte diese Meinung und schrieb, die Verkaufsfräulein hätten ihn in einen „merkwürdigen Taumel“ versetzt.1 Israels ließ sich auch weiterhin von der Mode inspirieren. Ab 1900 boten ihm die Schneiderateliers und später sogar die Umkleidekabinen des Modehauses Hirsch & Cie am Leidseplein in Amsterdam Anregung für so manches Werk. 1903 ging der Maler nach Paris, wo er ebenfalls Modeateliers besuchte und malte. Kennzeichnend für Israels’ Stil sind die breiten, groben Pinselzüge und der pastose Farbauftrag, den man in diesem Gemälde gleichfalls erkennen kann. Unter dem Einfluss der Fotografie steigerten die Amsterdamer Impressionisten das Ausschnitthafte ihrer Kompositionen. Dies tat Israels auch hier. Das Gemälde war früher unter dem Titel Die Kalverstraat bei Abend bekannt. 1 Vgl. Heijbroek/Voeten 2012, S. 94–96. 62 | Katalog Katalog | 63 Isaac Israels Amsterdam 1865–1934 Den Haag 13 Blumenstillleben | um 1917–1920 n Öl auf Leinwand, 60,5 x 46 cm Signiert unten rechts: Isaac Israels 14 Stillleben mit Rosen | um 1917–1920 n Öl auf Leinwand, 60 x 40 cm Signiert unten rechts: Isaac Israels Stillleben mit Blumen sind ungewöhnliche Motive für Isaac Israels, der am liebsten Menschen malte: Menschen auf der Straße, am Meer, in Geschäften und Modesalons, im Theater oder im Café. Gleichwohl befinden sich in der Sammlung Veendorp zwei Blumenstillleben von ihm, was in Anbetracht von Veendorps Faible für eher dezente Werke wiederum wenig überrascht. Israels’ Blumenbilder haben wie seine anderen Arbeiten nichts Statisches. Beim Blumenstillleben ist die Dynamik darauf zurückzuführen, dass die zwei verschieden geformten Vasen aus unterschiedlichem Material so nah beieinander platziert sind. Die daneben liegenden Blumen und der undefinierte Hintergrund tragen ebenfalls zu dieser Wirkung bei. Im Gegensatz zum Hutgeschäft Mars auf dem Nieuwendijk in Amsterdam und den Zwei Mädchen an der Lijnbaansgracht ist der Farbauftrag hier nicht pastos, gelegentlich schimmert sogar das Leinen des Bildträgers durch. Stillleben mit Rosen verdankt seine kompositorische Spannung dem dramatischen Hell-Dunkel-Kontrast von Vorder- und Hintergrund. Die kleine Vase mit Rosen steht voll im Licht, während die andere Bildhälfte in Schatten gehüllt ist und von einem schwarzen Vorhang eingenommen wird. Ein weiterer Kontrastpunkt ist der Höhenunterschied zwischen beiden Vasen: Der Blick des Betrachters gleitet hin und her, um beide Sträuße erfassen zu können. Sowohl 1917 als auch 1919 verbrachte Israels wegen einer Fußoperation einige Zeit im Krankenhaus.1 Israels konnte deshalb nicht in das von ihm so geschätzte Stadtleben eintauchen und war in seiner Themenauswahl eingeschränkt. So skizzierte er im Krankenhaus unter anderem Blumen, die dort in Hülle und Fülle vorhanden waren. Später arbeitete er im Atelier einige Blumenskizzen zu Gemälden aus.2 In jener Zeit sind auch diese beiden Werke entstanden. 1 Vgl. Ausst.-Kat. Rotterdam 1999, S. 27. 2 Wagner 1985, S. 126. 66 | Katalog Katalog | 67 Johan Barthold Jongkind Lattrop 1819–1891 La Côte-Saint-André 15 Landschaft am Abend | 1861 n Öl auf Leinwand, 24,5 x 33 cm Signiert und datiert unten links: Jongkind 1861 Mitten im Bild schwebt der runde Mond und leuchtet den Himmel und das Wasser in den unterschiedlichsten Farbschattierungen blau, gelb und violett aus. Sein heller Lichtschein wird vom Wasser reflektiert. Die Bäume, zwei Mühlen, die Häuser am Ufer und die Boote auf dem Wasser hingegen werden nicht beschienen, sondern liegen im Dunkeln. Am auffälligsten ist das Boot am rechten Bildrand: Sein Mast, der den Baum am linken Bildrand überragt, weist stolz in die Höhe. Auch die beiden Mühlen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Ihre Flügel heben sich selbstbewusst vom Himmel ab und verorten diese Landschaft im Mondlicht in den Niederlanden. In den Büchern des Kunsthandels Van Wisselingh & Co., wo Veendorp dieses Gemälde erwarb, war es als Clair de lune en Hollande aufgeführt.1 Der Niederländer kam durch ein Stipendium des Königs Wilhelm II. im Jahr 1846 nach Paris, nachdem er zuvor mit seiner Ausbildung 1837 an der Akademie der Bildenden Künste in Den Haag begonnen hatte und Schüler im Atelier von Andreas Schelfhout (1787–1870) war. Den von den Lehrern in Holland vorgegebenen, durch die romantische Tradition geprägten Weg verließ Jongkind rasch, als er in Frankreich war. Hier lernte der Maler die Vertreter der Schule von Barbizon und die zukünftigen Impressionisten kennen. Er begann, wie sie mit lockerem Pinselstrich und unter freiem Himmel zu arbeiten. Jongkind seinerseits war auch eine Inspirationsquelle für viele andere Künstler, und man zählt ihn zu den Wegbereitern des Impressionismus. In Paris malte Jongkind bevorzugt Stadtansichten, ging jedoch immer wieder in die Natur und beschäftigte sich mit der Landschaftsmalerei. Der Künstler verbrachte den größten Teil seines Lebens in Frankreich, reiste aber hin und wieder zurück in die Niederlande, wo er sich zwischen 1855 und 1860 in Rotterdam niederließ. Jongkind war hoch verschuldet und erhoffte, in seiner Heimat die finanzielle Lage verbessern zu können.2 Er sehnte sich jedoch nach seinem Leben in Frankreich und nach seinen Freunden. Er schrieb viele Briefe und schickte regelmäßig Gemälde nach Paris. Sein Freund Adolphe-Félix Cals (1810–1880) holte ihn schließlich nach Paris. Jongkind hatte immer noch finanzielle Nöte, seine Freunde halfen ihm, indem sie eine Auktion organisierten. 88 Künstler, darunter Corot und Daubigny, steuerten kostenlos Werke bei – der Ertrag der Versteigerung sollte für Jongkind bestimmt sein.3 Durch Vergleiche mit anderen Werken, die er vom Rotterdamer Hafen malte, nimmt man an, dass Landschaft am Abend ebenfalls die Stadt an der Maas darstellt. Da er sich 1861, das Jahr auf das dieses Gemälde datiert ist, bereits wieder in Paris aufhielt, dürfte er es vermut1 Vgl. Verkaufsbuch „Archief kunsthandel van Wisselingh & Co.“, Inv.-Nr. 160, Netherlands Institute for Art History, Den Haag, Niederlande. 2 Ebenda, S. 44–46. 3 Ebenda, S . 70. 4 Vgl. Hefting 1992, S. 65. 68 | Katalog lich anhand von Aquarellstudien gemalt haben, die während seines Auftenthaltes in den Niederlanden entstanden sind. Jongkind malte gern Aquarelle en plein air, die er später als Vorlage für seine Ölbilder nutzte.4 Mondschein- oder Nachtlandschaften begegnen uns im Œuvre des Künstlers öfter, ebenso wie Hafen- und Flussstücke. Katalog | 69 Willem van Konijnenburg Den Haag 1868–1943 Den Haag 20 Landschaft in Nordbrabant | 1891 n Öl auf Leinwand, 32 x 40 cm Signiert und datiert unten links: W v K. ‘91 Die Pinselschwünge sind auf dieser grob gemalten Landschaft überdeutlich sichtbar. Zwischen den drohend grauen Wolken über dem die Bildfläche exakt in der Mitte halbierenden Horizont schimmert an einigen Stellen das helle Blau des Himmels hindurch. Darunter erstreckt sich in Braun und Gelb eine sanft wogende Heidelandschaft, an deren Ende sich in der Ferne die Konturen eines Waldes abzeichnen. Nachdem Willem van Konijnenburg von 1884 bis 1886 die Akademie der Bildenden Künste in Den Haag durchlaufen hatte, reiste er im Oktober 1886 nach Paris, um dort die Maler von Barbizon zu studieren. Er hatte deren Werke bereits in Den Haag kennengelernt, zum Beispiel in der Sammlung des Malers Hendrik Willem Mesdag und in den Galerien Wisselingh & Co. und Goupil & Cie. Van Konijnenburg lebte in Den Haag, wo sich auch sein Atelier befand. Hier entwickelte er seinen Stil in unmittelbarer Nähe zu den Künstlern der Haager Schule. „Was gab es“, so schrieb er über die Künstler der Haager Schule, „von ihnen zu lernen? Sie hatten nie etwas mitzuteilen oder zu zeigen. Der Vorteil, ihre Arbeit mit eigenen Augen zu betrachten und die Atmosphäre ihrer Werke, ihren Eifer, ihre Persönlichkeit zu erleben, waren die einzigen Bildungsfaktoren – insofern schon ein Vorteil und lehrreich, aber eben indirekt. Im direkten Sinn waren sie keine Pädagogen. Viel nach der Natur zeichnen; fleißig sein und ,mach nur weiter so‘ waren die ständig wiederkehrenden Hinweise, die ich von meiner Jugend bis ins Alter stets treu befolgte.“1 Bei allen Einwänden Konijnenburgs ist der Einfluss, den die Maler der Haager Schule auf ihn hatten, unverkennbar. Er stand in Kontakt mit ihnen, besuchte ihre Ateliers, sah ihre Bilder und verlegte sich wie sie nach seinem Akademieabschluss in den 1880er und 90er Jahren auf das Landschaftsgenre. Und von ihnen hatte er auch das Arbeiten nach der Natur übernommen. Von 1887 bis 1894 verbrachte van Konijnenburg regelmäßig längere Aufenthalte in Südlimburg, dem südlichsten Teil der Niederlande, und malte dort Hügel- und Heidelandschaften. In jener Zeit entstanden wohl nur rund fünfzig Werke. Er experimentierte mit dem Format, dem Aufbau der Komposition und verschiedenen Maltechniken.2 Im Fall der hier vorgestellten Landschaft handelt es sich um das an Limburg grenzende Nordbrabant. Wahrscheinlich war der Maler auf einer seiner Touren zwischen Den Haag und Südlimburg durch diese Gegend gekommen. Da van Konijnenburg feststellen musste, dass er sich als Landschaftsmaler nicht weiterentwickeln konnte,3 arbeitete er nach 1895 als fester Karikaturist für die Wochenzeitschrift De Nederlandsche Spectator und begann, Plakate zu entwerfen. 1901 und 1906 folgten erneut Reisen nach Paris – jetzt aufgrund seiner Faszination für die Kunst der italienischen Renaissance und der Flämischen Primitiven und nicht mehr der Barbizon-Maler wegen. Immer wieder passte er seinen Stil an. 1917 gelang ihm endlich der Durchbruch beim großen Publikum, nun war er als bedeutender moderner Künstler anerkannt. Sein Stil lässt sich nicht ohne weiteres auf einen Nenner bringen. Ab und zu erinnert sein Werk an Jan Toorops sym1 Rijnders 2007, S. 34. 2 Vgl. Rijnders 1990, S. 24–27, und Rijnders 2007, S. 29–34. 3 Rijnders 2007, S. 10. 76 | Katalog bolistische Bilder, von denen allerdings keines in der Sammlung Veendorp vertreten ist. Beim Malen und Zeichnen seiner Figuren ging van Konijnenburg von geometrischen Prinzipien aus und bediente sich religiöser und mythologischer Themen. Katalog | 77 Jacob Maris Den Haag 1837–1899 Karlsbad 22 Der Geigenspieler/ Sohn des Malers | 1887 n Öl auf Leinwand, 86 x 49 cm Signiert unten rechts: J. Maris In diesem dunkel gehaltenen Bild eines Geige spielenden Knabens drückt sich eine große Intimität und Nähe aus. Und gerade deshalb, weil der Junge von hinten gezeigt wird. Der Betrachter wird zum intimen Beobachter. Der Geige spielende Junge steht quasi auf einer Bühne, der Betrachterstandpunkt befindet sich auf der Höhe des Jungen. Perspektive und Darstellung bringen zum Ausdruck, wie konzentriert dieser ungefähr zwölfjährige Junge auf seine Noten blickt. Er steht vor einem massiven schwarzen Notenpult, im Hintergrund befindet sich ein dunkelgrüner Vorhang, rechts steht ein Stuhl mit geöffnetem Geigenkasten, auf dem einige Notenpapiere einen hellen Lichtpunkt setzen. Geschickt betont der Maler mit Lichtakzenten einzelne Partien, so beispielsweise das blonde Haar des Jungen, Lichtreflexionen auf der Geige und das Weiß des Notenblattes. Bekleidet ist der junge Geigenspieler mit einem dunkelbraunen Samtjackett, Kniebundhosen und schwarzen Kniestrümpfen. Der intime Blick des Betrachters vermittelt den Eindruck, man würde sein eigenes Kind beim Musizieren beobachten. Jacob Maris hat hier tatsächlich seinen eigenen Sohn dargestellt, nämlich seinen Ältesten Willem Matthijs (1872–1929). Das Bildnis wird in das Jahr 1887 datiert, doch in diesem Jahr war der Sohn des Künstlers bereits fünfzehn Jahre alt. Da der Knabe auf dem Gemälde deutlich jünger wirkt, lässt sich vermuten, dass Maris das Bild schon früher begonnen hatte und erst 1887 vollendete. Das Rijksmuseum in Amsterdam (Sammlung Drucker-Fraser) besitzt ein Aquarell, das den ältesten Sohn beim Stimmen seiner Geige zeigt. Der Schriftsteller De Bock erzählt in seiner Biografie über Jacob Maris, dass der Junge „wunderbar Geige spielte und in seinem Vater stets einen aufmerksamen Zuhörer fand.“1 Jacob liebte Musik und hatte eine Vorliebe für Beethoven. Er sagte einmal: „So ein Kerl wie Beethoven, wirst Du aus dem schlau? Wir, die Maler, haben noch die Natur als Quelle und Ausgangspunkt, aber woher nimmt Beethoven eine solche Komposition?“2 Jacob Maris, der Älteste der drei Maris-Brüder, gilt als ein bedeutender Vertreter der Haager Schule. Er war bekannt für seine Landschaften, Marinebilder und Stadtansichten mit weißen Wolkenhimmeln. Besonders seine Stadtansichten erfreuten sich beim Publikum großer Beliebtheit. Im Gegensatz zu seinem Bruder Matthijs hatte Jacob im Allgemeinen keine Schwierigkeiten, Bilder zu malen, die der Kunstmarkt verlangte, schließlich musste der Künstler das Geld für den Unterhalt seiner großen Familie verdienen. Doch auch Jacob hatte manchmal genug vom Malen der populären Stadtansichten. Das geht aus einer an seinen Kunsthändler gerichteten Bemerkung hervor: „Verflixt, wieder eine Stadt mit weißen Wolken!“3 1 2 3 4 De Bock 1902–1903, S. 149. Ebenda, S. 150. Tiepen 1910, S. 6. Notizen Veendorp; Archiv Groninger Museum. 5 Brief von Reurt Jan Veendorp an Herrn Eilers (Kunsthandel E. J. van Wisselingh & Co.), 23. April 1964; „Archiv Kunsthandel Van Wisselingh & Co.“, Inv.-Nr. 64, RKD, Den Haag. 80 | Katalog Der Sammler Veendorp zögerte zunächst Den Geigenspieler zu kaufen, da es sehr stark verschmutzt und mit einem schweren Rahmen versehen war. Doch das Bild ließ ihn „nach erneuter Betrachtung nicht los“ und „war später, in gesäubertem Zustand, wie neu“.4 Nach dem Erwerb des Gemäldes schrieb der Sammler Herrn Eilers vom Kunsthandel E. J. van Wisselingh & Co.: „Der ,Geigenspieler‘ von Jacob Maris ist wirklich noch schöner als ich ihn in Erinnerung hatte, superb. Ich begreife wahrhaftig noch kaum den Zufall, dass diese Arbeit noch in meine Sammlung gelangte, weil mir das Treffen von Entscheidungen doch oft sehr schwer fällt.“5 Katalog | 81 Philippe Rousseau Paris 1816–1887 Acquigny 38 Stillleben mit Zwiebeln, Schalotten und Knoblauch n Öl auf Leinwand, 61,5 x 46 cm Signiert rechts unten: Ph. Rousseau Cannes Ein Stillleben mit Zwiebeln, Schalotten und Knoblauch – wer malt denn so was? Für den Kunsthandel galt dies in den 1850er Jahren als unverkäuflich, denn Knoblauch und Zwiebeln „erlebte das Publikum mit der Nase“.1 Die großen Zwiebeln in diesem Werk bilden ein Gegengewicht zu den kleinen Schalotten und Knoblauchknollen auf der linken Seite des Strangs. Einige Knollen haben grüne Triebe, an den Zwiebeln lösen sich die äußeren Häute. Mit spielerischer Präzision, was auf ein großes malerisches Können hinweist, hat Rousseau dies dargestellt. Indem er die Tür im Hintergrund schräg abbildet und den Strang links von der Mitte platziert, bringt er Spannung in die Komposition. Auch der deutliche Hell-DunkelKontrast trägt mit dazu bei. Der Farbauftrag bei den Knollen ist pastoser als der des Hintergrunds. Dort wurde die Farbe so sparsam aufgetragen, dass die Leinwand noch hindurchschimmert. Der französische Maler Philippe Rousseau war Zeit seines Lebens sehr bekannt. Der kaiserliche Hof von Napoleon III. sowie die Bankiersfamilie Rothschild zählten zu seiner festen Kundschaft. Rousseau hatte mit der Landschaftsmalerei begonnen, widmete sich aber sehr bald dem Tiergenre und Stillleben. In der Gattung Stillleben konzentrierte er sich mehr auf das sogenannte Küchenstillleben, wofür dieses Stillleben mit Zwiebeln, Schalotten und Knoblauch ein schönes Beispiel ist.2 In Veendorps Haus hing dieses Werk – zusammen mit Bücklinge von Suze Robertson – im Treppenhaus. Scherzend nannte der Sammler dies „die Stinkecke“. 1 Siehe Aufzeichnungen Veendorp; Archiv Groninger Museum. 2 Siehe Ausst.-Kat. Amsterdam 1993. 106 | Katalog Katalog | 107
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