Call for papers - Deutsche Gesellschaft für Soziologie

 Soziologie der Transparenz: Utopien, Theorien und unbeabsichtigte Nebenfolgen eines Konzepts Workshop an der Universität Osnabrück Institut für Sozialwissenschaften 26. und 27. November 2015 Call for papers „Transparenz“ ist ein gleichermaßen positiv belegter, allgegenwärtiger und selten klar definierter Begriff (Hood, 2007). Offenkundig ist die derzeitige Konjunktur des Begriffes in massenmedial-­‐politischen Debatten, in denen vor allem in Bezug auf öffentliche Institutionen, aber auch in Richtung privatwirtschaftlicher Organisationen nahezu widerspruchslos nach „mehr Transparenz“ gerufen wird. Ob es sich nun um Korruption, Lobbyismus, Unterschlagung, Spionage oder Diskriminierung handelt: das Transparentmachen von Entscheidungen gilt als mächtiges Werkzeug zur Sicherstellung von institutioneller Legitimität, Fairness und Effizienz. Der Aufbau „transparenter“ öffentlicher Institutionen, die Sicherstellung „transparenter“ Vergabeverfahren, „transparenter“ Wahlen und Einstellungspraktiken oder die „transparente“ Kennzeichnung von Lebensmitteln wird zunehmend von internationalen Akteuren wie der OECD, der UNO, der Europäischen Kommission und vielen anderen als explizites Ziel von Reformagenden formuliert. Einige Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von Transparenz als einer unhinterfragbaren globalen Norm (Garsten & Lindh de Montoya, 2008). Auffällig ist an all den Beispielen einerseits ein konzeptionelles Naheverhältnis zwischen Transparenz und Überwachung. Transparenz bezeichnet als Ideal nicht nur einen neugierigen Willen zum Wissen (Foucault, 1987), sondern einen Sammelbegriff für (Selbst-­‐) Kontrollmechanismen, die Regelkonformität sichern sollen – eine Idee, die sich schon bei Jeremy Benthams Konzept des Panoptikons findet. Andererseits ist das Transparenzideal in hohem Maße ambivalent in Bezug auf seinen Anwendungsbereich. Während es im Bereich übertragener Macht unmittelbar plausibel erscheint, soviel externe Einsichtigkeit wie möglich zu institutionalisieren, sollen Privatpersonen gerade vor dem Zugriff von Überwachungstechnologien geschützt werden. Der Ruf nach Offenlegung privater Konten öffentlicher Rollenträger verdeutlicht aber die Schwierigkeit, diese Trennung im praktischen Vollzug aufrecht zu erhalten. Seit den letzten 10 Jahren sind Transparenzkonzepte und -­‐techniken auch verstärkt zu Objekten soziologischer Auseinandersetzungen geworden (z.B. Jansen et al., 2010). So setzen sich zahlreiche zeitdiagnostisch-­‐gesellschaftskritische Studien mit dem Thema Transparenz auseinander und problematisieren es vorwiegend unter kulturwissenschaftlichen Aspekten, wie der intendierten Transparentmachung des Privaten (Han, 2012). Zum anderen hat gerade die moderne Verwaltungs-­‐ und Organisationssoziologie das Thema Transparenz für sich entdeckt. Bereits Ende der 1990er Jahre entwickelte sich insbesondere in Großbritannien ein ganzer 1 Forschungszweig, der sich mit Techniken des Transparentmachens organisationaler Entscheidungen auseinandersetzte (z.B. Power, 1997). Im Anschluss daran entstand eine Fülle an theoretischen und empirischen Arbeiten, die auf die unbeabsichtigten Nebenfolgen transparenter, d.h. extern einsichtiger Organisationsstrukturen und Entscheidungen aufmerksam machen (Anechiarico & Jacobs, 1996; Hood, 2007; Hood & Heald, 2006; O’Neill 2002; Strathern, 2000). Der Workshop hat vor diesem Hintergrund das Ziel, das Thema Transparenz aus unterschiedlichen disziplinären, bereichsspezifischen, methodologischen und theoretischen Perspektiven zu beleuchten. Die Vorträge können sich unter anderem an folgenden Themenkomplexen orientieren: Begrifflich-­‐historische Perspektiven: Welchen begriffsgeschichtlichen Ursprung hat das Konzept der Transparenz? Auf welche Bereiche wurde der Begriff in seiner historischen Genese bezogen? Was unterscheidet den modernen Transparenzbegriff von seinen historischen Vorgängern? Kann der Ruf nach Transparenz als „Diskurs“ verstanden werden und wie ließe sich ein etwaiger „Transparenzdiskurs“ analytisch fassen? Organisationssoziologische Perspektiven: Welche Organisationstypen sind in welchem Maße von Transparenzanforderungen betroffen? Welche (unbeabsichtigten) Nebenfolgen hat die Einsehbarkeit organisationalen Entscheidens in betroffenen Organisationen? Welche Rollen haben z.B. Compliance-­‐Abteilungen oder „due diligence“ Verfahren in Organisationen? Handeln transparente Organisationen effizienter, fairer und berechenbarer? Gibt es verallgemeinerbare Reaktionstypen auf die Transparenz organisationalen Entscheidens? Die Transparenz professioneller Arbeit: Wie wirken sich Transparenzanforderungen in Bereichen aus, die über ein hohes Maß beruflicher Autonomie verfügen? Woraus speist sich die Forderung, medizinisches, juristisches, bürokratisches oder wissenschaftliches Personal extern zu kontrollieren? Wie reagieren die davon betroffenen Berufsgruppen auf die Einsehbarkeit ihrer Arbeit? Welche Beziehung besteht in der Anwendung von Transparenzmechanismen zwischen Professionellen und Laien? Makro-­‐Perspektiven: Lassen sich Transparenzanforderungen in unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft kontrolliert vergleichen und, wenn ja, wie? Inwiefern unterscheiden sich Transparenzideale und -­‐techniken in Bezug auf Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht oder Erziehung voneinander? Gibt es (makro-­‐) strukturelle Ursachen für die gegenwärtige Popularität des „Transparenzdiskurses“? Techniken und Praktiken der Transparenz: Welche (Sozial-­‐) Technologien kommen im Transparentmachen von Entscheidungen zum Tragen? Welche Rolle spielen moderne Kommunikations-­‐ und Überwachungstechnologien im Prozess der Herstellung externer Einsichtigkeit? Welche Perspektiven auf Transparenztechnologien haben diejenigen, die sie anwenden? Welche Praktiken kommen in der konkreten Handhabung von Transparenztechnologien zur Anwendung? Wir freuen uns auf Beiträge zu diesen und ähnlichen Themen und bitten um die Zusendung eines kurzen Thesenpapiers (deutsch oder englisch, max. 5 Seiten) per Mail an die unten angegebene E-­‐Mail Adresse bis zum 30.09.2015. Die Papiere werden rechtzeitig vor der Tagung allen TeilnehmerInnen zugänglich gemacht. Im Anschluss an den Workshop ist eine Publikation der ausformulierten Thesenpapiere geplant. Organisation: Dr. Fran Osrecki, Prof. Dr. Wolfgang Ludwig Schneider Kontakt: fran.osrecki@uni-­‐osnabrueck.de 2 Literatur Anechiarico, F. and J.B. Jacobs (1996) The pursuit of absolute integrity: How corruption control makes government ineffective. Chicago, IL: The University of Chicago Press. Foucault, M. (1987) Sexualität und Wahrheit. Erster Band: Der Wille zum Wissen. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Garsten, C. and M. Lindh de Montoya (eds.) (2008) Transparency in a new global order: Unveiling organizational visions. Cheltenham, UK: Edward Elgar. Han, B-­‐C. (2012) Transparenzgesellschaft. Berlin: Matthes & Seitz. Hood, C. (2007) ‘What happens when transparency meets blame-­‐avoidance?’, Public Management Review, 9(2): 191-­‐210. Hood, C. and D. Heald (eds.) (2006) Transparency: The key to better governance? Proceedings of the British Academy (135). Oxford, UK: Oxford University Press. Jansen, S., Schröter, E., and N. Stehr (eds.) (2010) Transparenz. Multidisziplinäre Durchsichten durch Phänomene und Theorien des Undurchsichtigen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. O’Neill, O. (2002) A question of trust (The 2002 Reith Lectures). Cambridge, UK: Cambridge University Press. Power, M. (1997) The audit society: Rituals of verification. Oxford, UK: Oxford University Press. Strathern, M. (2000) ‘The tyranny of transparency’, British Educational Research Journal, 26(3): 309-­‐321. 3