1. Klausur_SS 2015

Juristische
Fakultät
Übung im Strafrecht
für Anfänger
PD Dr. Ulrike Schittenhelm
Prof. Dr. Frank Saliger
1. Klausur: 22.05.2015
Auf einer Party bei G wird eifrig über Politik diskutiert. Als A sich mit einer flapsigen Bemerkung
über B lustig macht, kann dieser seinen bislang nur mühsam unterdrückten Zorn nicht mehr
bändigen und stürzt auf den A zu, um diesen zu verprügeln.
Da A dem B körperlich unterlegen ist und sich nicht anders zu helfen weiß, packt er eine dem
G gehörende, auf dem Nebentisch stehende Kristallvase und will diese gegen den Oberkörper
des B werfen. Allerdings verfehlt der Wurf des A knapp sein Ziel und die Kristallvase trifft den
C mit voller Wucht an der Schulter.
B hat sich aufgrund des Vorfalls wieder beruhigt. Dem C tut die Schulter weh und die Kristallvase ist beim Aufprall auf den Fliesenboden zerbrochen.
Um ein ganz anderes Problem geht es dem eifersüchtigen M, der – weil er meint, sie betrüge
ihn – seine Frau F umbringen will.
Als der Geburtstag der F bevorsteht, geht M zu dem mit ihm befreundeten Apotheker X, weiht
diesen in seinen Plan ein und bittet ihn, die zuvor für F gekauften Pralinen mit einem tödlichen
Gift zu präparieren. X denkt nicht daran, sich auf ein solches Vorhaben einzulassen. Weil er
es sich aber mit M auch nicht verderben will, erklärt er sich zum Schein bereit, dessen Wunsch
zu erfüllen.
Nachdem M die angeblich vergifteten Pralinen bei X abgeholt hat, überreicht er sie der F als
Geburtstagsgeschenk. F, die sich über die Pralinen freut, isst alsbald die Hälfte der Schachtel
leer. Als ihr kurz darauf übel wird, führt M dies auf das Gift in den Pralinen zurück. Nun bekommt er es doch mit der Angst zu tun und fährt aus Sorge um Leben und Gesundheit seiner
Frau mit F Richtung Krankenhaus.
Auf dem 100 Meter vor dem Eingang des Krankenhauses entfernten Parkplatz lässt M die F
aussteigen. Statt ebenfalls auszusteigen und sie zu begleiten, fährt M, der plötzlich fürchtet,
wegen der „Vergiftung“ in Schwierigkeiten zu kommen, schnell davon. Mit Hilfe eines zufällig
vorbeikommenden Passanten kommt F, der noch immer übel ist, in das Krankenhaus. Dort
wird festgestellt, dass sich F, wohl weil sie zu viel Süßes gegessen habe, lediglich den Magen
verdorben habe.
Wie haben sich A und M nach dem StGB strafbar gemacht? Mordmerkmale sind nicht
zu prüfen.
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Lösungsskizze
1. Tatkomplex: Der Wurf mit der Kristallvase
A.
Strafbarkeit des A gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 StGB 1
Z könnte sich wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 2 strafbar gemacht
haben, indem er die Kristallvase in Richtung B warf und C am Oberkörper traf.
I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
a.
Grundtatbestand
Zunächst muss ein Erfolg der Körperverletzung eingetreten sein, also eine körperliche Misshandlung einer anderen Person stattgefunden haben oder diese an ihrer Gesundheit geschädigt worden sein. Eine körperliche Misshandlung ist eine üble, unangemessene Behandlung,
die den anderen nicht nur unerheblich in seinem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt.
Der Wurf mit der Kristallvase, einem schweren Objekt, gegen den Oberkörper, der zu Schmerzen in der Schulter des C führte, stellt eine solche Behandlung dar. Eine Gesundheitsschädigung liegt vor, wenn bei dem Opfer ein pathologischer, also negativ vom Normalen abweichender, Zustand hervorgerufen oder verstärkt wird. Die Schmerzen in der Schulter, die bei
lebensnaher Auslegung aufgrund einer leichten Prellung oder eines leichten Blutergusses
beim Aufprall entstanden sind, stellen einen pathologischen Zustand dar. Beide Körperverletzungserfolge liegen vor.
Der Wurf mit der Vase lässt sich nicht hinwegdenken, ohne dass die Verletzung des C ausgeblieben, so dass diese Handlung auch kausal im Sinne der conditio sine qua non-Formel war.
Die Schmerzen stellen zudem ein typisches Risiko eines Aufpralls dar, so dass sich auch die
von A geschaffene rechtlich missbilligte Gefahr im Erfolg verwirklichte. Sie waren dem A daher
auch objektiv zurechenbar.
b.
Qualifikation
Weiterhin könnte der A die Verletzung mithilfe eines gefährlichen Werkzeuges herbeigeführt
haben. Dafür muss die Kristallvase ein Gegenstand sein, der nach seiner Beschaffenheit und
der Art seiner konkreten Verwendung, dem Wurf gegen den Oberkörper, geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Zwar dürfte eine Kristallvase ein eher schwerer Gegenstand
sein, bei einem Wurf gegen den Oberkörper eines Mannes aus vermutlich geringer Entfernung
– die Tat fand in einem Innenraum statt – ist die Eignung zur erheblichen Verletzung jedoch
zu verneinen.
2.
Subjektiver Tatbestand
A muss vorsätzlich gehandelt haben. Vorsatz ist der Willen zur Verwirklichung des Tatbestands in Kenntnis aller objektiven Tatumstände. A wollte hier den B mit der Vase treffen.
Insofern stellte er sich durchaus vor, dass er einen anderen Menschen verletzen würde. Allerdings traf er nicht den von ihm anvisierten B, sondern den C, auf den er nicht zielte. Aus diesem
1
§§ ohne Gesetzesangaben sind im Folgenden solche des StGB.
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Grund könnte sein Vorsatz gem. § 16 I 1 entfallen sein. Das Treffen des C muss dafür ein
relevanter Irrtum über das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmals darstellen. In der vorliegenden Konstellation handelt es sich um eine sog. aberratio ictus, ein Fehlgehen des Schlages, bei der der Täter sich nicht bloß um die Identität des Opfers irrt, sondern der Angriff das
richtig identifizierte Opfer verfehlt und einen Dritten trifft. Trotzdem könnte man die Relevanz
dieses Irrtum im Hinblick darauf verneinen, dass der A wie von ihm gewollt einen anderen
Menschen, also ein gleichwertiges Tatobjekt, trifft und die konkrete Identität in der Formulierung des Tatbestands keinen Niederschlag gefunden hat, der Irrtum also einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum darstellt. Anders als bei einem bloßen Identitätsirrtum unterläuft dem
Täter hier jedoch ein Irrtum über den Geschehensablauf, der über das bloße Motiv hinausgeht.
Er hat seinen Vorsatz schon auf das anvisierte Tatobjekt konkretisiert, dieses jedoch verfehlt.
Eine Verletzung eines anderen zieht er gar nicht in Betracht. Um der Bedeutung dieser Konkretisierung gerecht zu werden, ist daher die Strafbarkeit wegen des vollendeten Delikts zu
verneinen. Die Konstellation entspricht vielmehr einem möglichen Versuch im Hinblick auf das
anvisierte Opfer und ggf. einer Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Zusammenhang mit dem getroffenen Opfer.
II.
Ergebnis
A hat sich nicht wegen (gefährlicher) Körperverletzung strafbar gemacht.
B.
Strafbarkeit des A gem. §§ 223 I, II, 22, 23 I
T könnte sich allerdings durch den Wurf wegen versuchter Körperverletzung gem. § 223 I, II,
22, 23 I an B strafbar gemacht haben.
Vorprüf ung
Der B wurde nicht verletzt, die Körperverletzung an ihm daher unvollendet. Der Versuch der
Körperverletzung ist gem. § 223 II strafbar.
I.
Tatbest and
1.
Tatentschluss
B muss Tatentschluss in Bezug auf die Verletzung des B gehabt haben. Er wollte mit der
Kristallvase den B treffen und hatte insofern Tatentschluss bezüglich der objektiv zurechenbaren Verursachung der Körperverletzungserfolge.
2.
Unmittelbares Ansetzen
Weiterhin muss B unmittelbar zur Tatbestandsverwirklichung angesetzt haben, also nach seiner Vorstellung die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschritten haben und eine Handlung
vorgenommen haben, die ohne wesentliche Zwischenschritte in die Tatbestandsausführung
münden soll. Hier hat B die geplante Tathandlung, den Wurf mit der Kristallvase, schon vorgenommen. Das unmittelbare Ansetzen ist daher unproblematisch zu bejahen.
II.
Rechtsw idrigkeit
A könnte jedoch gem. § 32 durch Notwehr gerechtfertigt sein.
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Dafür muss zunächst eine Notwehrlage, also ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf
ein Rechtsgut des A vorliegen. Ein Angriff, ein von einem Menschen ausgehendes rechtsgutsgefährdendes Verhalten, auf die körperliche Unversehrtheit des A ist in dem Verhalten des B,
der sich mit der Absicht den A zu verprügeln auf diesen stürzt, zu sehen. Der Angriff muss
zudem gegenwärtig gewesen sein, also unmittelbar bevorstehen, gerade stattfinden oder noch
andauern. B war schon dabei, sich auf den A zu stürzen, der Angriff war daher gegenwärtig.
A konnte sich zudem seinerseits nicht auf Rechtfertigungsgründe stützen, so dass der Angriff
auch rechtswidrig war. Eine Notwehrlage lag vor.
Weiterhin muss der Wurf mit der Kristallvase eine taugliche Notwehrhandlung darstellen, sich
also gegen Rechtsgüter des Angreifers richten, erforderlich und geboten sein. Hierbei
kommt es nicht auf den Erfolg, also das Treffen des C an, sondern auf die Handlung, den Wurf
an sich. Auch wenn ihm der Wurf auf B letztlich misslang, zielte A auf B, so dass sich die
Verteidigungshandlung gegen dessen körperliche Unversehrtheit richtete. Sie war erforderlich,
wenn sie dazu geeignet war, den Angriff abzumildern oder zu beenden, und das relativ mildeste Mittel war, dieses Ziel zu erreichen. Hier stellte der Wurf mit der Kristallvase die einzige
Möglichkeit dar, den B daran zu hindern, A zu verprügeln, so dass er erforderlich war. Ein
Ausschluss aus sozialethischen Gründen ist hier nicht naheliegend, so dass die Verteidigung
auch geboten war. Eine flapsige Bemerkung stellt noch keine relevante Notwehrprovokation
dar.
Schließlich kam es dem A gerade darauf an, den Angriff von sich abzuwehren, so dass auch
das Vorliegen des subjektiven Rechtfertigungselements zu bejahen ist.
A handelte daher gerechtfertigt.
III.
Ergebnis
A hat sich daher auch nicht wegen versuchter Körperverletzung an B strafbar gemacht.
C. Strafbarkeit des A gem. § 229
A könnte sich jedoch wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 an C strafbar gemacht
haben, indem er bei seinem Wurf mit der Kristallvase diesen an der Schulter traf.
I.
Tatbest and
1.
Verursachung des Erfolg
Wie oben dargestellt, hat A durch den Wurf mit der Vase den C körperlich misshandelt und
kausal eine Gesundheitsschädigung bei diesem herbeigeführt.
2.
Objektive Sorgfaltspflichtverletzung
Weiterhin muss A bei seinem Wurf mit der Vase eine Sorgfaltsanforderung verletzt haben,
deren Einhaltung von einem durchschnittlichen sorgfältigen Angehörigen seines Verkehrskreises erwartet werden kann. Generell ist jeder Mensch dazu verpflichtet, sein Verhalten so auszugestalten, dass er dadurch andere Menschen nicht verletzt. Insofern ist im Grundsatz zu
erwarten, dass niemand eine Vase auf einen anderen Menschen wirft. Allerdings befand sich
der A in einer Notwehrsituation, so dass man darüber nachdenken könnte, ob er sich nicht
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genau so verhalten hat, wie sich jeder besonnene gewissenhafte Mensch in der gleichen Situation verhalten hätte. Auch in einer solchen Situation kann jedoch erwartet werden, dass
Risiken für Dritte bei der Verteidigung vermieden werden. Ein Wurf mit einem schweren, ggf.
sogar unhandlichen Gegenstand wie der Kristallvase in einem vollen Raum ist insofern auch
in dieser Situation sorgfaltswidrig.
3.
Objektive Vorhersehbarkeit
Zudem muss der Erfolg objektiv vorhersehbar gewesen sein, ein durchschnittlicher Teilnehmer
des Verkehrskreises des Täters also mit dessen Eintreten rechnen müssen. Dass in einem
vollen Raum eine Vase nicht das anvisierte Opfer, sondern einen Dritten treffen kann, war
naheliegend, der Erfolg daher vorhersehbar.
4.
Objektive Zurechnung
a.
Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Hätte A sich sorgfaltsgemäß verhalten, also die Vase nicht in einem vollen Raum geworfen,
wäre C auch nicht verletzt worden. Der Pflichtwidrigkeitszusammenhang liegt vor.
b.
Schutzzweckzusammenhang
Weiterhin dient das Gebot, sein Verhalten so auszurichten, dass andere Leute nicht geschädigt werden, auch der Gesundheit der durch das Verhalten Beeinträchtigten. Auch der Schutzzweckzusammenhang ist daher gegeben.
c.
Weitere Fallgruppen
Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch sonstige Umstände ist nicht ersichtlich. Es verwirklichte sich gerade das von A geschaffene Risiko.
II.
Rechtsw idrigkeit
A könnte allerdings wegen Notstands gem. § 34 gerechtfertigt gewesen sein, weil er handelte,
um sich vor dem Angriff des B zu schützen.
Dafür muss eine Notstandslage, also eine gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut des A
bestanden haben, d.h. eine Situation, bei der ohne Eingreifen jederzeit ein Schaden für das
besagte Rechtsgut zu befürchten ist. Hier war die körperliche Unversehrtheit des A durch den
Angriff des B bedroht, der auch zeitnah zur Schädigung derselben durch Prügel geführt hätte,
wenn A nicht mit dem Wurf der Kristallvase die einzige ihm mögliche Verteidigung ergriffen
hätte. Die Gefahr war auch rechtswidrig und somit von A nicht hinzunehmen.
Der Wurf mit der Kristallvase muss zudem eine zulässige Notstandshandlung darstellen. Er
beendete erfolgreich den Angriff des B, war daher also geeignet. Zudem darf die Gefahr, hier
also der Angriff, nicht auf andere Weise abwehrbar gewesen sein, der Wurf muss also das
mildeste Mittel gewesen sein. Er war das einzige Mittel, so dass auch dies zu bejahen ist.
Schließlich muss das geschützte Interesse das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegen. Anhaltspunkte können der Wert des Rechtsguts und der Grad der drohenden Gefahr
sein. Hier ist zu beachten, dass der A die ihm drohende Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit mit der Verletzung des gleichen Rechtsguts des C abwendete. Aus diesem Gesichtspunkt spricht daher nichts für ein Überwiegen seines Interesses. Betrachtet man daneben die
drohende Schwere der Verletzungen des A und vergleicht sie mit den Verletzungen des C,
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kommt man zu keinem relevant abweichenden Ergebnis. A drohten lediglich Prügel, die vermutlich zu ähnlichen Folgen wie der Aufprall der Vase führen würden, ggf. auch – wegen der
Möglichkeit eines mehrmaligen Zuschlagens – zu etwas gravierenderen Verletzungen. Trotzdem ist bei dem Zuschlagen mit bloßen Händen nicht davon auszugehen, dass schwere Verletzungen herbeigeführt worden wären, zumal sich viele andere Leute im Saal befanden, die
zumindest nach einiger Reaktionszeit hätten eingreifen können. Zwar mag man insofern vielleicht noch ein Überwiegen des Interesses des A bejahen, wesentlich ist es jedoch nicht.
Die Handlung des A war daher keine zulässige Notwehrhandlung.
A handelte daher rechtswidrig.
III.
Schul d
Die Folge, die Verletzung eines Dritten, war auch für den A individuell sorgfaltspflichtwidrig
und vorhersehbar.
Allerdings könnte A gem. § 35 I wegen entschuldigenden Notstands entschuldigt gewesen
sein. Dafür müsste der Wurf mit der Kristallvase die einzige Möglichkeit gewesen sein, eine
für Leib oder Leben des A drohende gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Liegt eine solche
Gefahr vor, kommt es nicht mehr auf die Abwägung der betroffenen Interessen an, sondern
nur darauf, ob es dem A zumutbar gewesen wäre, die ihm drohende Gefahr hinzunehmen.
Allerdings zeigt die Nennung der Gefahr für den Leib neben der Gefahr für das Leben, dass
eine gewisse Intensität der Verletzung drohen muss, die der Lebensgefahr wertungsmäßig
gleichkommt. Der Angriff des B erfolgt lediglich mit den bloßen Fäusten, ohne Waffen oder
gefährliche Werkzeuge. Insofern waren nur Verletzungen zu besorgen, die nicht die notwendige Intensität erreichen. A war daher auch nicht entschuldigt.
IV.
Ergebnis
A hat sich daher wegen fahrlässiger Körperverletzung an C strafbar gemacht.
D. Strafbarkeit des A gem. § 303 I
Schließlich könnte sich A wegen des Wurfs mit der Kristallvase wegen Sachbeschädigung
gem. § 303 I strafbar gemacht haben.
I.
Tatbest and
1.
Objektiver Tatbestand
Bei der Vase muss es sich um ein taugliches Tatobjekt gehandelt haben, also um eine fremde
Sache. Die Vase stellt einen körperlichen Gegenstand, vgl. § 90 BGB, dar, der im Eigentum
des G stand, also für A fremd war.
Diese Vase muss A zerstört haben, also so stark geschädigt haben, dass von ihrer Substanz
beziehungsweise der bestimmungsgemäßen Gebrauchsmöglichkeit nichts mehr übrig war.
Die Vase ist bei dem Aufprall auf den Boden zerbrochen, wurde also zerstört.
Die Handlung des A war auch kausal und der Erfolg diesem zuzurechnen.
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Subjektiver Tatbestand
A muss vorsätzlich gehandelt haben. Bei der Vase handelt es sich für A erkennbar um ein
zerbrechliches Objekt, bei dem es offensichtlich ist, dass sie bei einem Wurf zu Bruch geht.
Es ist davon auszugehen, dass A diese sich aufdrängende Folge erkannt und billigend in Kauf
genommen hat. Er handelte also mindestens mit bedingtem Vorsatz.
II.
Rechtsw idrigkeit
A könnte allerdings gem. § 904 BGB wegen Notstands gerechtfertigt sein.
Dafür muss zunächst eine Notstandslage i.S.d. § 904 BGB vorliegen. Hier bestand eine gegenwärtige Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des A.
Diese wendete A erfolgreich durch das ihm einzig möglich Mittel ab, den Wurf mit der Vase,
deren damit verbundene Zerstörung insofern zur Abwendung dieser Gefahr notwendig war.
Schließlich muss der dem A drohende Schaden gegenüber dem dem G entstandenen Schaden an dessen Eigentum unverhältnismäßig groß gewesen sein. Hier steht dem Eigentum
an einem vermutlich nicht übermäßig wertvollen Kleingegenstand die körperliche Unversehrtheit des A gegenüber. Der daran drohende Schaden war insofern und auch angesichts des
bestehenden Ausgleichsanspruchs unverhältnismäßig groß.
A war sich zudem der drohenden Gefahr bewusst und handelte, um sich zu verteidigen.
Er ist daher gem. § 904 BGB gerechtfertigt.
III.
Ergebnis
A hat sich nicht wegen Sachbeschädigung strafbar gemacht.
2. Tatkomple x: Die vermeintlich vergifteten Pralinen
A.
Strafbarkeit de s M gem. §§ 212 I, 22, 23 I
M könnte sich wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 I, 22, 23 I strafbar gemacht haben,
indem er der F die vermeintlich vergifteten Pralinen überreichte.
Vorprüf ung
Die F ist nicht verstorben, der Totschlag daher nicht vollendet. Der Versuch des Totschlags ist
als der Versuch eines Verbrechens, vgl. § 12 I, gem. § 23 I strafbar. Auch wenn es sich bei
dem Versuch um einen untauglichen Versuch handelte – die Pralinen waren ungefährlich –
ist dieser strafbar. Die Annahme, dass vergiftete Pralinen zum Tod einer Person führen können, ist naturwissenschaftlich korrekt, der Versuch stellte daher keinen abergläubischen Versuch dar.
I.
Tatbest and
1.
Tatentschluss
M stellte sich vor, dass die nichtsahnende F die von ihm überreichten Pralinen essen würde
und durch diese versterben würde. Er stellte sich daher alle objektiven Tatbestandsmerkmale
des Totschlags vor und wollte diese verwirklichen. Er handelte mit Tatentschluss.
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Daneben muss er nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zu ihr angesetzt haben, also
die Schwelle zum „Jetzt geht’s los“ überschritten haben und eine Handlung vorgenommen
haben, die ohne wesentliche Zwischenschritte in die Tatausführung münden soll. Hier hat M
der F die Pralinen nicht nur überreicht, sie hat zudem schon die Hälfte davon gegessen. Damit
wäre sie schon gefährdet gewesen, wenn die Pralinen tatsächlich Gift enthalten hätten. M hat
daher unmittelbar angesetzt.
II.
Rechtsw idrigkeit
Rechtfertigungsgründe für das Verhalten des M sind nicht ersichtlich, er handelte daher rechtswidrig.
III.
Schul d
Auch Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe liegen nicht vor, so dass M auch
schuldhaft handelte.
IV.
Rücktritt
M könnte allerdings gem. § 24 I 2 strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten sein, indem er
die F in Richtung Krankenhaus fuhr und 100 Meter vor diesem absetzte.
1.
Kein Fehlschlag
Zunächst dürfte der Versuch nicht fehlgeschlagen sein, müsste aus Sicht des Täters also
noch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mittel ohne Zäsur zu vollenden gewesen sein. Hier
stellte sich M vor, dass F sterben würde, wenn er nichts gegen die Übelkeit unternähme. Insofern wäre die Tat nach der Vorstellung des M für ihn noch problemlos zu vollenden gewesen.
Dass in Wahrheit keine Gefahr für die F bestand, weil die Pralinen nicht vergiftet waren, spielt
keine Rolle. Maßgeblich ist allein die Vorstellung des M. Ein Fehlschlag lag daher nicht vor.
2.
Taugliche Rücktrittshandlung
Bei der Bestimmung der notwendigen Rücktrittshandlung kommt es zunächst darauf an, ob es
sich um einen beendeten oder einen unbeendeten Versuch handelte. Ein Versuch ist beendet, wenn der Täter nach seiner Vorstellung alles Erforderliche getan hat, um den Erfolg herbeizuführen, dagegen unbeendet, wenn nach der Tätervorstellung noch weitere Handlungen
notwendig sind. Hier hatte M Angst um das Leben der F, stellte sich also vor, dass sie an dem
schon verspeisten Gift sterben würde. Der Versuch war also beendet. Da nie eine Gefahr für
die F bestanden hat, kommt ein Rücktritt durch Verhinderung der Vollendung gem. § 24 I 1
Alt. 2 nicht in Frage. Vielmehr ist § 24 I 2 einschlägig, so dass für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts erforderlich ist, dass M sich freiwillig und ernsthaft um die Erfolgsabwendung bemüht hat. Dass er freiwillig, also aus autonomen Motiven handelte, ist nicht zu
bezweifeln. Allerdings ist fraglich, ob er sich auch ernsthaft um die Erfolgsabwendung bemüht
hat. Er brachte F nicht etwa selbst ins Krankenhaus, sondern setzte sie in ihrem körperlich
beeinträchtigten Zustand 100 Meter entfernt von diesem ab, so dass sie nur mit Hilfe eines
zufälligerweise vorbeikommenden Passanten ins Krankenhaus gelangte. Dies war insofern
nicht die optimale Rettungsmöglichkeit. Allerdings wurde die Magenverstimmung der F
trotzdem erfolgreich behandelt; wenn diese eine lebensgefährliche Vergiftungserscheinung
gewesen wäre, hätte der M insofern kausal die Rettung der F, also die Erfolgsabwendung,
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herbeigeführt. Wenn man im vorliegenden Fall mehr von ihm verlangen würde, hieße es ihn
deswegen schlechter zu behandeln, nur weil sein Versuch ein untauglicher, also für das Leben
der F völlig ungefährlicher war. Darin könnte man einen Wertungswiderspruch sehen. Allerdings ist zu beachten, dass der Täter im Falle eines tauglichen Versuchs durch die suboptimalen Rettungsbemühungen für sich das Risiko eingeht, dass der Versuch doch noch vollendet wird und er deshalb wegen eines vollendeten Totschlags bestraft werden kann. Dieses
Risiko trägt er im Falle eines untauglichen Versuchs nicht. Dies rechtfertigt es in diesem Fall
von ihm optimale Rettungsbemühungen zu verlangen. Diese hat er jedoch nicht vorgenommen. M ist daher nicht gem. § 24 I 2 strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten.
V.
Ergebnis
M hat sich somit wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht.
Gesamtergebnis
A hat sich wegen fahrlässiger Körperverletzung gem. § 229 strafbar gemacht, M wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 I, 22, 23 I.
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