Geschäftsmodelle für Übermorgen Connected Car und die Shareconomy: Zwei Szenarien für die Automobilitätsbranche “Young man, that’s the thing; you have it. Keep at it. Electric cars must keep near to power stations. The storage battery is too heavy. Steam cars won’t do, either, for they require a boiler and fire. Your car is self-contained – carries its own power plant – no fire, no boiler, no smoke and no steam. You have the thing. Keep at it.” Thomas Edison zu seinem Angestellten Henry Ford auf der Jahrestagung der Edison Illuminating Company in New York im Jahre 1896. 36 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 Bereits vor über hundert Jahren befand sich die Automobilindustrie in einer Phase des technologischen Umbruchs. Zu Beginn der Industrieentwicklung stand die Frage des Dominanten Designs in der Antriebstechnologie im Mittelpunkt. Die ablehnende Einschätzung der Elektromobilität aufgrund zu schwerer Batterien und dem Mangel an Stromquellen w ürde Thomas Edison aus heutiger Perspektive sicherlich revidieren. Die Automobilindustrie befindet sich nach über hundert Jahren der Dominanz von Verbrennungsmotoren erneut in einer Phase des Umbruchs: Die Elektromobilität wird kommen, die Frage ist lediglich, in welchem mittel- bis langfristigen zeitlichen Horizont. Es befinden sich aber nicht nur die Antriebstechnologien in einem radikalen Wandel, sondern auch die etablierten Geschäftsmodelle. Eine zentrale Rolle in den zukünftigen Geschäftsmodellen werden Informations- und Kommunikationstechnologien spielen. Auslöser dieses grundlegenden Wandels sind umfassende gesellschaftliche und technologische Transformations- und Veränderungsprozesse, die man auch mit dem Schlagwort Megatrend etikettiert. Mindestens fünf für die (Auto-)Mobilität relevante Megatrends sind zu identifizieren: > Umwelt- und Ressourcenschutz, insbesondere auch Dekar- bonisierung; > Demographischer Wandel, in der Triade vor allem der Zuwachs älterer Bevölkerungsgruppen; > Urbanisierung und das Entstehen von Megacities und städ- tischen Agglomerationsräumen; > Steigender Mobilitätsbedarf auch in BRIC-Staaten; > Individualisierung des Konsums weg von standardisierten Massenprodukten; > Shareconomy, weg vom Besitz und hin zum Teilen und Nut- zen von Gütern. Diese Megatrends bilden den Nährboden für innovationstreibende Faktoren, zu denen die Veränderung von Kundenbedürfnissen, die Konvergenz von Branchen – Fahrzeugindustrie, Mobilitätsdienstleistungen, Energiewirtschaft, IT-Branche – und der Eintritt neuer und branchenfremder Akteure in die 37 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 Automobilitätsindustrie zählen. Diese Innovationstreiber erzwingen auf lange bis mittlere Frist eine Neuausrichtung der gesamten Automobil- und Zulieferbranche und bedingen tiefgreifende Veränderungen in den Geschäftsmodellen. Insbesondere die traditionellen Geschäftsmodelle der Automobilhersteller geraten in Anbetracht des Übergangs zur Elektromobilität und den skizzierten Innovationstreibern zunehmend an ihre Grenzen und bedürfen einer strategischen Neuausrichtung. Die Neuausrichtung betrifft die zentralen Gestaltungsparameter der Geschäftsmodelle: einerseits den Kern der Wertschöpfung und den Kundennutzen (Value Proposition) und andererseits die Konfiguration der Wertschöpfungskette (Value Chain Configuration) sowie die Erlösmodelle der Unternehmen. In der Value Proposition werden sich die Akteure in der Automobilindustrie weg bewegen von den klassischen produktorientierten Konzepten hin zu serviceorientierten Geschäftsmodellen, die sich konsequenter an den Kundenbedürfnissen orientieren. Im Rahmen dieser Entwicklung wird das Fahrzeug in ganzheitliche Bündel von Mobilitäts- sowie Informations- und Kommunikationsdienstleistungen integriert. Für die Konfiguration der Wertschöpfungskette bedeutet dies, dass sich durch den Eintritt von Dienstleistern die Schwerpunkte des klassisch produktgetriebenen Geschäfts „downstream“ verschieben werden. Dass ein solcher Wandel stattfinden wird, ist unbestritten. Offen ist nur, mit welcher Geschwindigkeit und Radikalität er stattfindet. Nachfolgend werden für die Triadeländer zwei extreme und polare Szenarien für das Jahr 2030, also für übermorgen, diskutiert und daraus die Rolle der Vernetzung des Fahrzeugs und komplementärer IT-Dienstleistungen abgeleitet: Konservatives Szenario: Disruptiver Wandel bleibt aus und Connected Car bleibt peripher An der Kernwertschöpfung und der Value Proposition ändert sich auf längere Frist erst einmal nichts. Das Fahrzeug bleibt für die meisten Kunden Teil des persönlichen Lebensraumes, den man ungern mit Fremden teilt. Der Fahrzeugbesitz bleibt also wichtig, auch weil das eigene Fahrzeug als Statussymbol dient oder identitätsstiftend wirkt. In diesem konservativen Szenario bleibt der Mehrwert durch Mobilitäts- und Kommunikationsdienstleistungen begrenzt. Intermodale Mobilitätsdienstleistungen kämpfen mit Schnittstellenproblemen, und die Vernetzung des Fahrzeugs und daran gekoppelte IT-Dienste liefern keinen signifikanten Nutzen und Mehrwert. Dies liegt unter anderem auch daran, dass sich die Hersteller, die nach wie vor ihre eigene IT-Systemarchitektur im Fahrzeug kontrollieren, nicht auf einen gemeinsamen Standard einigen können. Diese mangelnde Vernetzung der Fahrzeuge ist auch ein Grund dafür, dass sich im 38 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015 konservativen Szenario der Übergang zur Elektromobilität nur sehr langsam vollzieht. Schätzungen der Universität Duisburg von 2013 gehen davon aus, dass bis 2030 nur etwa 25 Prozent der Fahrzeuge reine Elektrofahrzeuge sein werden. Dies ist auch auf technische Defizite zurückzuführen: Defizite in der Ladeinfrastruktur wie mangelnde Kapazitäten, Gebietsabdeckungen sowie Ladegeschwindigkeiten und zu langsame Entwicklungsfortschritte in der Batterietechnik. Die Anschaffungskosten für Elektrofahrzeuge bleiben in diesem Szenario auch Übermorgen noch zu hoch. Es bestehen Reichweiten- und Flexibilitätsdefizite – eben auch wegen der nicht vorhandenen Vernetzung. In diesem konservativen Szenario bleibt die Grundkonfiguration der Wertschöpfungskette im Wesentlichen unangetastet. Zwar können sich Hersteller von E-Fahrzeugen wie Tesla in den Marktsegmenten für Elektromobilität etablieren und auch branchenfremden Akteuren wie Apple mit dem iCar oder Google gelingt der Markteintritt in urbane Nischen, die marktbeherrschende Stellung der OEMs bleibt jedoch unangetastet. In der Wertschöpfungskonfiguration des konservativen Szenarios gewinnen Dienstleistungen an Bedeutung, jedoch sind diese überwiegend an das Fahrzeug gekoppelt. Auch IT-Dienste bleiben auf das Fahrzeug beschränkt – eine integrierte und intermodale Vernetzung findet nicht statt. Der Spielraum für FahrzeugIT-Anbieter ist begrenzt. Disruptives Szenario: Service Transition & Shareconomy In diesem Szenario ändern sich Kernwertschöpfung und Value Proposition grundlegend. Die Bedeutung des Fahrzeugbesitzes rückt in den Hintergrund. Für die meisten Fahrzeugnutzer reicht ein temporärer Zugang – Share oder Pay-per-Use – zu Fahrzeugen aus, die Inanspruchnahme von (Auto-)Mobilitätsdienstleistungen verdrängt das Fahrzeugeigentum. Das Schlagwort „Shareconomy“ beschreibt dieses Grundprinzip des Teilens und gemeinsamen Nutzens. Bei den Wertschöpfungskonzepten in der Shareconomy konkurrieren zwei Modelle: Car-Sharing als B2C-Angebot, welches von profitorientierten Unternehmen angeboten wird, versus Crowdsharing-Konzepte (C2C), bei denen private Anbieter ihre Fahrzeugmobilität mit anderen Nutzern teilen. Letzteres basiert auf „Peer-to-peer“-Plattformen, die private Anbieter und private Nachfrager zusammenführen. Grundlage für beide Modelle ist aber die Fahrzeugvernetzung. In Ergänzung zu den Carsharing-Diensten blühen nicht nur fahrzeuggebundene, sondern auch zunehmend fahrzeugungebundene Dienstleistungen auf. Dabei handelt es sich nicht nur um intermodale Mobilitätsdienstleistungen, sondern vor allem auch um Informations- und Kommunikationsdienstleistungen rund um das vernetzte Fahrzeug. IT-Dienste stehen im Zentrum der Wertschöpfung und ermöglichen flexible und intermodale Mobilität und sogar autonome Automobilität (autonomes Fahren). Im disruptiven Szenario dominieren Elektrofahrzeuge – die zunehmende Fahrzeugvernetzung wirkt sich insbesondere positiv auf die Diffusion der Elektromobilität aus. Aber auch leistungsfähige Batterien und die verbesserte Ladeinfrastruktur schaffen Akzeptanz. Die Konfiguration der Wertschöpfungskette verändert sich in diesem disruptiven Szenario grundlegend. Die Dominanz der etablierten Fahrzeughersteller (OEM) ist gebrochen. Die alten „Platzhirsche“ Audi, BMW, Daimler & Co. befinden sich „im Zangengriff“ neuer Akteure und besetzen nur noch ausgewählte Marktsegmente oder Nischen. Die Hersteller von Elektrofahrzeugen etablieren sich erfolgreich in breiten Marktsegmenten und auch branchenfremden Akteuren aus der IT-Branche wie Google oder Apple gelingt der Markteintritt – nicht nur in Nischen, sondern vor allem in den rapide wachsenden Marktsegmenten der urbanen Mobilität. Dies erklärt sich in diesem Szenario auch dadurch, dass Dienstleistungen stärker in den Mittelpunkt der Wertschöpfung rücken. Infolge des Übergangs zur Shareconomy gewinnen ferner Maklerdienste (B2C sowie C2C) weiter an Bedeutung – siehe Uber und BlaBlaCar – die auf Basis der zunehmenden Vernetzung der Fahrzeuge und dem Durchgriff auf viele Nutzer und Fahrzeuge auch Plattformen für ergänzende Informations- und Kommunikationsdienstleistungen haben werden. In diesem Szenario werden Informations- und Kommunikationsdienstleistungen eine zentrale Rolle spielen und die Akteure aus der IT-Branche – Apple, Google & Co. – eine marktbeherrschende Stellung erlangen. Prof. Dr. Michael StephanRolle ist Inhaber Lehrstuhls für Technologieund in schöpfungstreibende ein. des Kehrt man die Argumentation Innovationsmanagement sowie Leiter der Forschungsstelle Strategie, Innovation diesem Zusammenhang um, so können die Fahrzeugvernetzung und Wettbewerb an der Philipps-Universität Marburg. und daran gekoppelte IT-Dienste die Entwicklungsszenarien maßgeblich (mit)beeinflussen. Thomas Schaper ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Technologie- und Innovationsmanagement der Philipps-Universität Marburg. Prof. Dr. Michael Stephan ist Inhaber des Lehrstuhls für Technologie- und Innovationsmanagement sowie Leiter der Forschungsstelle Strategie, Innovation und Wettbewerb an der Philipps-Universität Marburg. Thomas Schaper ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Technologie- und Innovationsmanagement der Philipps-Universität Marburg. Abschließende Bewertung der Szenarien zur Bedeutung von Connected-Car-Lösungen Die zukünftige Bedeutung des vernetzten Fahrzeugs und die Rolle von Informations- und Kommunikationsdienstleistungen in der Automobilität hängen von zahlreichen Treibern ab. Die beiden Szenarien, das konservative und das radikale Szenario, beschreiben zwei extreme und entgegengesetzte Entwicklungsverläufe bezüglich dieser Innovationstreiber. Welches der beiden Szenarien erscheint wahrscheinlicher? Unbestritten in beiden Szenarien ist der beschriebene Übergang zur Elektromobilität, lediglich die Geschwindigkeit des Übergangs ist fraglich. In jedem Fall steht die Fahrzeugvernetzung mit der Elektromobilität in einem symbiotischen Zusammenhang. Nur die Fahrzeugvernetzung kann eine flexible Nutzung der Ladeinfrastruktur ermöglichen, zugleich rückt die Elektromobilität das „Connected Car“ s tärker in das Zentrum. Auch die Verlagerung des Wertschöpfungsschwerpunktes hin zu Dienstleistungen gilt in beiden Szenarien für Übermorgen als gesichert. Im Zuge des Bedeutungszuwachses von Dienstleistungen steigt auch die Relevanz der Fahrzeugvernetzung und IT-Dienste. Während im konservativen Szenario jedoch IT-Dienste primär fahrzeuggebunden sind (Navigation, Internetzugang, Multimedia) und die Hersteller hier proprietäre Lösungen verfolgen, räumt das disruptive Szenario der Fahrzeugvernetzung und den IT-Dienstleistungen eine zentrale und wert- 39 Detecon Management Report dmr • Special Automotive 2015
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