D o k um e n tat io n DA S G A S T H AU S Z UM ÜBER MORG EN essen in fünf dimensionen Mit Beiträgen von Pat r ic k Z b i n d e n , L ou i s a P r e st o n , A n d r e a s C a m i na da , Cl au d io B e r e t ta & Lu i s F r ag ua da Jahre ans anni DA S G A S T H AU S Z UM Ü BER MORGEN essen in fünf dimens ionen Mit Beiträgen von L ouisa P reston , Andreas C am inada, Claudio B eretta, L uis Fraguada Kulinarische Kuration Patr ick Zbinden , Claudio S chmi tz , P eter L utz, Jürg S teurer Gesamtkonzept Senem W ick i, B arbara B randmaier, S tephan Sigr ist ©W.I.R.E. — Mai 2015 INH ALT S V ER Z EICHNIS 5 I. G A S T RONOMIE W EI T ER D ENK EN Vorwort von Senem Wicki und Stephan Sigrist 13 II. E S SEN IN fünf DIMENSIONEN 14 16 #1 WO W IR E S SEN – SPACE F OOD R adieschen & alfagras für das Leben auf dem M ars Gespräch mit Louisa Preston 20 R ezepte Essen für die Reise zum Mars 26 28 #2 W IE UNSER E S SEN AU S SIEH T – F OOD P OR N Die S ymbiose von Glamour und Geschmack Gespräch mit Andreas Caminada 34 R ezepte Glamour auf dem Teller 38 40 #3 W IE W IR E S SEN N ACHH ALT IGER M ACHEN – F OOD WA S T E Liebe D ein E ssen Gespräch mit Claudio Beretta 46 R ezepte Kulinarische Kreisläufe 50 52 #4 WA S E S SEN BE W IR K EN K ANN – P ER F OR M ANCE F OOD Leistungssteigernde T omaten und Beaut y R estaurants Gespräch mit Stephan Sigrist 58 R ezepte Speisen für Glück, Schönheit und Intelligenz 64 66 #5 W IE W IR E S SEN Z UBER EI T EN – R E -T H INKING F OOD Die ÜBERW INDUNG D ER DR I T T EN KO CHDIMENSION Gespräch mit Luis E. Fraguada 72 R ezepte Kulinarische Utopien in 3D 79 ID EEN UND T HE SEN zur Z uk unf t des E ssens 85 III. zum G as T haus Portrait Impressionen 86 88 I GAST RONOMIE W EIT ER DENK EN 5 Essen ist allgegenwärtig. Nahrung versorgt uns mit Energie, Speisen sind Eckpfeiler unserer Kultur. Lebensmittel prägen nationale Identitäten, sind verantwortlich für Genuss und entscheiden über Gesundheit und Krankheit. Wir sind was wir essen, gleichzeitig wiederspiegelt was, wie und wo wir essen unsere Gesellschaft. Angesichts dieser umfassenden Bedeutung des Essens erstaunt es nicht, dass wir uns nicht nur im Alltag damit beschäftigen, sondern dem Thema Essen auch im grösseren Kontext und als Schlüsseltreiber für Wirtschaft und Gesellschaft begegnen. Jahr für Jahr werden unzählige Studien veröffentlicht, die das Essverhalten der Gegenwart analysieren und Szenarien zur Nahrung der Zukunft entwerfen. Erstaunlich hingegen ist, dass die Auseinandersetzung mit dem Essen von morgen mehrheitlich in der Theorie erfolgt. Und dass sich die Dimensionen, innerhalb derer die künftigen Foodmärkte erörtert werden, primär auf aktuelle Konsumententrends beschränken. Dabei gilt es, Ernährung mit Blick auf die grossen Herausforderungen der Zukunft weiter zu denken: Zum Beispiel wie wir nachhaltiger und effizienter mit Nahrung umgehen oder wie wir Zivilisationskrankheiten entgegentreten, die auf veränderte Essgewohnheiten zurückzuführen sind. Damit eröffnen sich weitere Dimensionen, die für das Essen der Zukunft wichtiger werden. Vor allem aber gilt es, dem zunehmenden Abstraktionsgrad des Essens mit realen Speisen zu begegnen. Die Gastronomie und Esskultur von morgen sollte nicht nur auf Papier, sondern auf den Tellern neu erfunden werden, um den Menschen dabei die Gelegenheit zu geben, selbst zu entscheiden, welche Innovationen auch aus kulinarischer Sicht vorstellbar und wünschbar sind. Genfood, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren oder Essen für das Zeitalter der Besiedlung des Weltalls – entlang von fünf Dimensionen. Neben der Art der Herstellung von Nahrungsmitteln ging es um die Frage wo wir essen, welchen Mehrwert und Nutzen unser Essen haben kann, wie wir Speisen nachhaltig zubereiten können und wie sie aussehen können. Aus diesen fünf Dimensionen wurden extreme Varianten und Ableitungen in Form von Menus entworfen, die neuen Trends am Horizont des Lebensmittelmarktes entsprechen. E S S E N JE NS E I T S VON N A HRUNG Die extremste Variante eines Ortes, an dem wir essen werden, ist das Weltall. Was nach Science Fiction tönt, reflektiert in Tat und Wahrheit aber ein Szenario, an welchem intensiv geforscht und gearbeitet wird. So plant die NASA derzeit Raumflüge zum Mars und beschäftigt sich dabei notwendigerweise damit wie Menschen im All in der Schwerelosigkeit essen können. Und mit der Frage, wie wir Nahrungsmittel auf einem andern Planeten, unter ungewohnten ökologischen Bedingungen anbauen und herstellen können. Die Erkenntnisse aus dieser Forschung sind nicht nur für die Raumfahrt relevant, sondern auch für den Anbau von Pflanzen auf der Erde, wo sich die Bedingungen angesichts des Klimawandels verändern dürften. Gleichzeitig ist vorstellbar, dass für die Raumfahrt neue Texturen oder gastronomische Hilfsmittel benötigt werden, die auch für neue Esserlebnisse in Haushalten oder Gastronomie beitragen könnten. So muss für die Reise zum Mars sogar dem Glacé die Flüssigkeit entzogen werden, was zu einem ganz neuen Schleckerlebnis führt oder wir lernen ein einzelnes Lebensmittel möglichst unterschiedlich zuzubereiten, um bei den Gästen im Orbit (oder eben im Restaurant) die Lust am Essen zu fördern. DA S G A S T H AU S Z U M Ü B ER M O RG EN Weil Essen eine Erfahrung ist, die alle Sinne und mehr Dimensionen als die des Produkts umfasst, hat der Think Tank W.I.R.E. gemeinsam mit dem Schweizer Gastrounternehmen SV Group und dem Kulinarikexperten Patrick Zbinden entschieden, das Essen von morgen jenseits aller Theorien selbst zu erfinden und dafür das «Gasthaus zum Übermorgen» als ein Pop-Up-Zukunftsrestaurant ins Leben gerufen. Von März bis Dezember 2014 wurde im Herzen von Zürich im Museum Bärengasse gekocht und in ausgewählten Abendveranstaltungen sowie jeden Freitag Mittag Menus einer möglichen Zukunft serviert. Serviert wurde eine breite Palette von thematischen Gerichten: Speisen aus dem 3D-Drucker und zubereitet von Kochrobotern, fotogene Gerichte, fast zu schön zum Aufessen aber auch alternative Proteinquellen und In der Dimension der Nachhaltigkeit stand im Gasthaus zum Übermorgen die Frage im Zentrum, wie essen kreislaufbasiert hergestellt und verwertet werden kann – in Anlehnung an das Ökosystem. Im Kern dieses Ziels steht heute die Frage, wie die enorme Menge an Lebensmittel, die Tag für Tag im Abfall landen reduziert werden kann und welche Prozesse, Anreizsysteme oder Regulatorien notwendig sind, um die Verschwendung an Nahrungsmitteln zu beschränken. So werden in der Schweiz jedes Jahr 2 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das sind 300 Kilogramm pro Person pro Jahr. Dies betrifft den Einzelhandel und die Gastronomie vor allem jedoch die privaten Haushalte. Lösungsansätze umfassen Geschäftsmodelle, die abgelaufene aber noch geniessbare Nahrung zu günstigeren Preisen verkaufen und Ordnungssysteme, um den eigenen Kühlschrank übersichtlich zu gestalten. Vor allem aber Ideen und Ansätze um Essensreste wieder zu verwerten – im Restaurant oder am Familientisch. 7 Dass das Auge ein wichtiger Teil des Essgenusses ist, dürfte hinlänglich bekannt sein. Unklar ist aber, ob die derzeitige Inszenierung von Essen auf Blogs und im Internet Teil einer höheren Wertschätzung für das Essen darstellt, oder ob die Ästhetik zu einer höheren Abstraktion führt und damit das Essen zu einem Modeprodukt degradiert. In der Dimension des Aussehens geht es um die Bedeutung von «Food Porn» – der visuellen Inszenierung von Essen. Im Zentrum steht dabei die Frage, ob sich durch die zur Schaustellung köstlicher Lebensmittel die Bereitschaft in der Bevölkerung erhöht, wieder vermehrt selbst zu kochen und damit eine Kompetenz in der Bevölkerung stärkt, die im Zeitalter von Convenience zunehmend verloren geht. Oder ob die Schwelle, selbst zu kochen durch die Perfektionierung noch höher angesetzt wird und damit zu noch mehr Leistungsdruck führt. Essen hat neben der Nahrungsversorgung seit je weitere Funktionen. Im Kern der Anstrengungen der Lebensmittelbranche steht die Verbesserung der Gesundheit beim Essen. Seit vielen Jahren arbeiten Lebensmittelproduzenten daran, Nahrungsmittel gesünder zu machen und gesunde Zusatzstoffe wie Vitamine oder Mineralstoffe zuzuführen oder ungesunde Bestandteile wie Fett oder Zucker zu entfernen. Die nächste Stufe von so genanntem «Functional Food» wäre deswegen nicht nur die Erhöhung des Gesundheitswerts sondern die aktive Steigerung der Leistungsfähigkeit von Körper, Gehirn oder Schönheit. Essen, das besondere Kräfte verleiht hat in der Kulturgeschichte und im Science Fiction Bereich eine lange Tradition. Durch das bessere Verständnis darüber, wie Nahrungsmittelbestandteile auf unseren Körper wirken, welche Rolle unsere Gene bei der Ernährung und unserer Gesundheit spielen, eröffnen sich allerdings langfristig neue Möglichkeiten, wie Essen vielleicht glücklich, schön und stark machen könnte. Neben der Frage der technischen Machbarkeit geht es aber genau so um die Frage inwiefern das Machbare auch dem Wünschbaren entspricht, und ob wir unsere «Performance» überhaupt mit dem genussvollen Essen koppeln möchten. Und um die Frage, welche neuen Rollen sich daraus für die Industrie, den Handel oder die Gastronomie ergeben. Muskelzellen gezüchtet wird, bedingt keine Tierzucht und dürfte darum auch nicht Hormone enthalten, die in der Viehhaltung breit eingesetzt werden. Genau so wenig stellen sich kritische Fragen nach tiergerechter Haltung. Tomaten, die in Hochhäusern unter künstlichen Bedingungen gezüchtet werden, sind keinen Schadstoffen von Luft oder Wasser ausgesetzt. Und sie können lokal in Städten produziert werden, ohne dass sie hunderte oder tausende von Kilometern transportiert werden müssen bis sie auf unseren Tellern landen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass wir auch bei uns zu Hause oder in der Gastronomie zunehmend Technologie einsetzen werden. Sei es in Form von Kochrobotern, die uns Arbeit abnehmen oder in Form von 3D Druckern, die es Heim- und Profi Köchen erlauben, die Grenzen des Machbaren auszudehnen und Essen im wahrsten Sinn des Wortes neu zu denken. IN T E RG A S T RONOMIS CHE Z U S A MME N A R B E I T In diesem Kontext wurde Gastronomie in fünf Innovations-Dimensionen während neun Monaten praktiziert und in einem konstanten Prozess weiter entwickelt. Über 1000 Gäste wurden in 45 Mittag- und Abendessen und zu fünf thematischen Schwerpunkten in eine kulinarische Welt fern des Alltags entführt. Neben der Zusammenarbeit und Unterstützung durch die SV Group und Patrick Zbinden wurde das Gasthaus zum Übermorgen durch die Unterstützung der Stadt Zürich und durch die strategische Partnerschaft von W.I.R.E. mit Julius Bär und dem Collegium Helveticum der ETH Zürich und Universität Zürich ermöglicht. Ihnen allen möchten wir Danken. Vor allem aber allen Gästen, die den Mut aufgebracht haben, sich mit allen möglichen Formen der künftigen Ernährung auseinander zu setzen. Und das in der Realität und auf dem Teller! Senem Wicki, Stephan Sigrist Die Dimension der Produktion und Herstellung von Nahrung, die traditionellerweise im Kern der meisten Zukunftsperspektiven steht, geht über die Achse von Natur vs. Labor hinaus. Denn obschon der Lebensmittelmarkt heute durch die Polarisierung zwischen Bioprodukten gegenüber industriell hergestellten Lebensmitteln geprägt ist, könnten die Fortschritte im Bereich der Lebensmittelherstellung dazu führen, dass sich diese Grenzen mittelfristig auflösen. Denn durch das bessere Verständnis der Biologie lassen sich natürliche Prozesse vermehrt in Labors nutzen um Lebensmittel herzustellen, die zwar nicht in der Natur entstanden sind aber dennoch gesund und nachhaltig sind. Fleisch, das künstlich aus 9 Fünf DIMENSIONEN: HER S T ELL UNG, N ACHH ALT IGK EI T, AU S SEHEN, FUNK T ION, ORT W IE UNSER E S SEN AU S SIEH T #2 F OOD P OR N WO W IR E S SEN Glamour auf dem Teller #1 SPACE F OOD Essen für die Reise zum Mars W IE W IR E S SEN N ACHH ALT IGER M ACHEN #3 F OOD WA S T E Kulinarische Kreisläufe W IE W IR E S SEN Z UBER EI T EN #5 R E -T H INKING F OOD Kulinarische Utopien in 3D WA S E S SEN BE W IR K EN K ANN #4 P ER F OR M ANCE F OOD Speisen für Glück, Schönheit und Intelligenz II Essen in fünf dimensionen WO W IR E S SEN #1 SPACE F OOD E ssen für die R eise zum M ars Die Welt endet nicht am Rande unserer Atmosphäre, und die Menschheit träumt auch nicht erst seit der Mondlandung vor 50 Jahren von der Besiedlung anderer Planeten. Seit 2003 läuft die Marsexpedition «Rover» und mit dem Aufstieg der privaten Raumfahrt hat das Thema Space und damit auch Space Food in den letzten Jahren stark an Popularität gewonnen. Die Beschäftigung damit, was wir auf der langen Reise zum Mars essen, wie wir dort kulinarisch überleben und womit der Nachschub sichergestellt werden kann, ist aktueller denn je. Und weil die Weltraumforschung immer auch eine Reflektion der hiesigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragestellungen darstellt, lohnt sich ein Blick hinter die SciFi-Geschichten und Raumschiffphantasien. Denn Lösungen für längere Haltbarkeiten von Esswaren, Anbau von Agrarrohstoffen unter unwirtlichen klimatischen Bedingungen oder die Nutzung von Essen als Kulturund Identitätsträger sind im Hier und Jetzt genauso gefragt wie künftig, vierhundert Millionen Kilometer weit weg auf dem roten Planeten. 15 SPACE F OOD Auch wenn es noch einige Zeit dauern wird bis die ersten Marskolonialisten ihr eigenes Gemüse vor Ort ernten können: Die Weltraumforschung rund um das extraterrestrische Essen hilft auch bei der Bekämpfung vom Hunger im Hier und Jetzt. Louisa Preston, Astrobiologin und Geologin erklärt weshalb, und gibt einen Einblick in die Erforschung vom Essen für die Reise zum Mond. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie, ich oder jemand der gerade dieses Interview liest je den Weltraum bereisen wird, geschweige einen Fuss auf Mars setzt, sind klein. Weshalb sollten wir uns überhaupt mit Space Food auseinandersetzen? R AD IE S CHEN & ALFAGR A S FÜ R DA S LE B EN AUF D E M M AR S Auch wenn es nicht jeder Mensch ins Weltall schafft – einige werden es tun und in Zukunft werden das immer mehr. Und auf der Reise werden diese Menschen essen, trinken und atmen müssen. Wir arbeiten heute an Lösungen, wie künftige Weltraumforscher überleben können, damit die Menschheit die Entdeckung des Kosmos weitertreiben kann – auch wenn es uns als Individuum schon lange nicht mehr gibt. Zudem hilft es uns zu verstehen, wie Pflanzen und Nahrung unter widrigsten Bedingungen gedeihen können – auch um Saatgut für Gebiete auf der Erde zu entwickeln, welche von extremen Dürren, unfruchtbaren Böden, Überschwemmungen oder extremer Kälte betroffen sind. Damit helfen wir Länder mit Nahrung zu versorgen, in denen die Menschen ansonsten hungern müssten. Mit welchen Fragen beschäftigt man sich momentan im Bereich der Space Food Forschung? Ich kann nicht für die gesamte Forschung sprechen, aber was uns betrifft: Wir arbeiten momentan daran, Pflanzen und Nahrung für die rauen Gegebenheiten auf Mars und Mond – aktuell die wahrscheinlichsten Orte für menschliche Kolonien – vorzubereiten. Wir versuchen zu verstehen, wie Pflanzen trotz stark reduzierter Schwerkraft, extremer Strahlung, minimaler Wasserversorgung und extremen Temperaturen wachsen können. Es interessiert uns, wie sie die nötigen Nährstoffe aus dem Boden ziehen können, dem die hier auf der Erde reich vorhandene organische Materie voller Mikroorganismen fehlt. Gespräch mi t L ouisa P reston Was sind Ihre Forschungsziele und wie gehen Sie diese an? Wir möchten die Reaktionen der Pflanzen auf unterschiedliche Gegebenheiten simulieren und verstehen, wie diese unterschiedlichen Faktoren ihr Wachstum antreiben oder behindern. Pflanzen können als Versuchsobjekte eingesetzt werden – wenn sie gedeihen, dann können wir Men- 17 SPACE F OOD schen es wahrscheinlich auch. Zudem sind Pflanzen unverzichtbar, um Leben für künftige Kolonialisten zu ermöglichen (Nahrung, Luft, Wasser) und stellen eine wichtige psychologische Stütze dar – wie Gewächshäuser in der Antarktis und in Weltraumstationen gezeigt haben. Wir testen zum Beispiel in europäischen Laboren die Reaktion von Pflanzen auf eine extreme UV Strahlung. Ein Experiment, das wir hoffentlich noch dieses Jahr auf den Mond schicken können, ist ein Kilogramm Erde, versetzt mit Basilikum- und Tulpensamen, anhand welcher die NASA das Keimen von Pflanzen untersuchen kann. Und welche Vorstellungen oder Gewohnheiten müssten wir hinter uns lassen, wenn wir künftig einmal im All Nahrung produzieren und konsumieren? In der Vergangenheit musste Nahrung primär für den Lebenserhalt im All sorgen, Freude am Essen war dabei sekundär. Nun hat man aber gemerkt, dass «Essensmüdigkeit» der Astronauten auf der ISS (International Space Station) eine sehr grosse Gefahr für die Gesundheit darstellt – und zu Appetitlosigkeit und Unterernährung führen kann. Denn sogar wenn man jeden Tag sein Lieblingsspeise serviert bekommt – nach einer Woche hat man genug davon und sehnt sich nach Abwechslung. Wenn dieses Verlangen nicht befriedigt werden kann, isst man irgendwann nicht mehr ausreichend. Deswegen muss Space Food möglichst vielfältig und schmackhaft sein. Dennoch: Zukünftige Astronauten und Mars Kolonialisten müssten mit einer geringeren Vielfalt als auf der Erde leben. Welches Essen könnte denn nun auf dem Mars wachsen? Der Anbau auf dem Mars würde über die Hälfte des benötigten Kalorienverbrauchs bereitstellen – mit der Aufzucht von Tomaten, Kartoffeln oder anderen Früchten und Gemüsesorten. Bis jetzt konnten wir aufzeigen, dass Pflanzen wie Spargeln, Kartoffeln und Mangold auf marsähnlichen Böden wachsen können, ebenso keimen Samen von Radieschen, das Alfagras oder die Mongobohne in der dioxiden Marsatmosphäre. Nicht die variantenreichste Ernährung, aber zumindest ein Anfang. SPACE F OOD Und wer wird für uns auf dem Mars den Acker bewirtschaften und das Essen zubereiten? Theoretisch werden wir das selber tun. Es gibt aber die Idee, dass wir versuchen könnten, Treibhäuser und entsprechende Bauten zum Mars vorzuschicken – aufgestellt und betreut durch Roboter, kontrolliert von der Erde aus, sodass alles Nötige vorproduziert würde und bereit wäre, wenn die ersten Kolonialisten übernehmen. Wird Essen im Weltall ein lustvolles Erlebnis bleiben? Und welche Rolle spielen dabei Emotionen? Essen wird immer auch Genuss sein und ist schon heute ein Schlüsselelement des psychischen Wohlergehens der Weltraumcrews. Nicht nur weil beim Essen Endorphine ausgeschüttet werden und uns mit Energie versorgen, Essen uns damit stark und glücklich macht. Sondern auch weil Essen ein gemeinschaftliches Erlebnis ist und uns als Crew oder Familie vereint. Dieser soziale Aspekt wird oft übersehen, obwohl er in der Isolation des Weltraums sehr wichtig wird. Der Akt einer Gruppenmahlzeit fördert soziale Interaktion und trägt damit zu einem glücklicheren und produktiveren Team bei. Ernährung ist ein bestimmender Faktor regionaler Identität. Wie könnte eine ausserirdische Esskultur aussehen? Es gibt kein universelles Gericht. Das meiste Essen kann tiefgefroren und für Astronauten verpackt werden. Viele Gerichte aus unterschiedlichen Kulturen wurden schon mit auf die Reise ins All gegeben, von Eiscreme bis zu Curry, Nudeln, Rindfleisch oder Yorkshire Pudding. Das Problem: es schmeckt einfach nie so gut wie zu Hause! Ein ausserirdisches Gericht würde – für den Moment zumindest – aus denjenigen Zutaten bestehen, die am meisten Energie und Nährwert liefern und mit einem minimalen Aufwand hergestellt und aufbewahrt werden können. Das Motiv des Essens wäre Überleben, der Geschmack wäre zweitrangig. Das Gute ist, dass Kräuter sehr hoch oben auf der Anbauliste stehen, um Vielfalt und Geschmack zu erlauben und den Appetit im All anzukurbeln. Astrobiologin und Geologin D r. L ouisa P reston sucht in den extremsten Umgebungen der Erde nach Analogien mit einem möglichen Leben auf dem Planeten Mars. Aktuell arbeitet sie an einem AstroGardening Kit und vermittelt ihre Erfahrungen als TED Fellow oder bei BBC Sky at Night. 19 SPACE F OOD E ssen für die R eise zum M ars Von Patr ick Z binden 1. GANG «V I TAMI N E T RO T Z EN D E R S C H W ER K R A F T» Kopfsalatsuppe mit getrockneten Aprikosen 2. GANG «H E I M W E H N AC H D ER ER D E» Gehacktes und Hörnli mit Apfelmus in der Tube 3. GANG «S Ü S S E S AU S D EM A L L » M&Ms, Himbeer-Gelee und gefriergetrocknetes Eis «Take your protein pills and put your helmet on» sang David Bowie 1969 über den Weltraumfahrer Major Tom. Heutzutage ist klar: Pillenfood hat sich sowohl im All als auch auf der Erde nicht durchgesetzt. Der Grund: Essen und Trinken ist mehr als reine Bedarfsdeckung, die nach nüchternrationalen Kriterien abläuft. Auch hat das Essen neben der physischen Bedeutung eine wichtige soziale und psychische Funktion. Bei der Zusammenstellung des Space Food Menus werden deshalb auch Produkte mit diesen Mehrwerten berücksichtigt. Die NASA hat das Lebensmittelangebot für Weltraumfahrer wie folgt unterteilt: in rehydrierbare bzw. in thermostabilisierte Zutaten und in Nahrungsmittel, die eine mittlere Feuchtigkeit und/oder eine natürliche Form haben. Dazu kommen strahlenbehandeltes Fleisch, Würzmittel und Getränke. Ausser beim strahlenbehandelten Fleisch wurden beim dreigängigen Menu alle von der NASA kategorisierten Lebensmittelgruppen berücksichtigt. R E Z EP T E (4 Personen) KO P F S AL AT SUP P E Eine Zwiebel und 150 g Kopfsalat in Butter andünsten. Mit Mehl bestäuben und mit Weisswein ablöschen, einreduzieren und mit Gemüsefond auffüllen. Suppe mit Stabmixer pürieren und durch ein Spitzsieb passieren. Vollrahm hinzugeben und abschmecken. Mit fein geschnittenen, getrockneten Aprikosen dekorieren. H IMBE E R- GE LE E 1 TL Agar-Agar in kaltem Wasser auflösen. 2,5 dl Himbeerpüree mit 50 g Zucker und etwas Zitronensaft aufkochen, Agar-Agar hinzufügen und 2 Minuten köcheln lassen. Eine Himbeere in jedes Shotglas legen. Mit einem Trichter die Himbeerflüssigkeit in die Shotgläser mit den befüllten Himbeeren giessen. Vorsicht beim Befüllen, dass die Himbeeren nicht umfallen. 21 SPACE F OOD «Das meiste Essen kann tiefgefroren und für Astronauten verpackt werden. Viele Gerichte wurden schon mit auf die Reise ins All gegeben – von Eiscreme, über Curry, Nudeln und Rindfleisch bis hin zu Yorkshire Pudding. Das Problem ist aber: Es schmeckt einfach nie so gut wie zu Hause!» Louisa Preston #1 SPACE F OOD – E ssen für die R eise zum M ars W ie unser essen aussieht #2 Food P orn Glamour auf dem T eller Schönheit und Selbstinszenierung werden in einer durch soziale Medien durchdrungenen Realität zunehmend zum Erfolgsfaktor, und das nicht nur für Politiker oder Unternehmer, sondern auch für den Status im eigenen Freundeskreis. Wir stellen unser Leben in sozialen Netzwerken zur Schau und dabei zählt ein Bild oft mehr als tausend Worte. Auch unser Essen wird zunehmend über seine äussere Erscheinung beurteilt und in Szene gesetzt: unter dem Label «Food Porn» werden spektakuläre Gerichte sinnlich und bewusst lustvoll dargestellt und online zelebriert. Die Bewegung wird dabei nicht etwa durch Spitzenköche, sondern durch Laien vorangetrieben, die ihre Leidenschaft für die Ästhetik des Essens miteinander teilen. Dabei wird diese Form der Selbstdarstellung zunehmend auch als Geschäftsmodell entdeckt. Bereits heute setzen ganze Datingplattformen auf die kulinarische Seelenverwandtschaft. Doch mit dem Trend zur Sexualisierung von Nahrung, bei der «Schein» mehr als das «Sein» zu zählen scheint, stellen sich weiterführende Fragen: Werden wir tatsächlich zum Verzehr von hochwertiger Nahrung oder, wie der Begriff «Porn» suggeriert, primär bloss zum virtuellen Konsum derselben animiert? Trägt das Phänomen tatsächlich dazu bei, neue Gemeinschaften zu bilden oder führt die Über-Inszenierung des Essens vielmehr zu einer weiteren Individualisierung und somit Isolierung des Einzelnen? Und welche Konsequenzen erwachsen daraus für die Lebensmittelbranche, für Restaurants, und vor allem für unsere Esskultur? 27 Food Porn Die Bedeutung des Äusseren nimmt zu. Und oft wird zuerst fotografiert und erst danach probiert. Weshalb die zunehmende Konkurrenz aus ambitionierten Hobbyköchen dem Spitzenkoch Andreas Caminada trotzdem keine Angst bereitet und wie Kunst dabei helfen kann, sich kulinarisch über den Tellerrand zu bewegen, darüber spricht der Schweizer Spitzenkoch im Interview. Was ist Food Porn? Eine relevante Entwicklung, die unsere Art wie wir essen prägt oder eine Worthülse? D ie S ymbiose von G lamour und Geschmack Gespräch mi t Andreas C aminada Food Porn würde ich eher als eine «normale» Entwicklung im Kontext der Digitalisierung unseres Alltags betiteln, schliesslich ist Essen ein grosser und wichtiger Bestandteil in unserem Leben. Aus allen Ecken der Welt werden aber mittlerweile Bilder gemacht und ins Internet gestellt. Dieses Sammelsurium an Bildern ist spannend, aber auch verwirrend zugleich. Ja, ich würde hier schon fast von einer Überreizung sprechen, bei solch einer Fülle an Bildinformationen zum Thema «Food.» Und woher kommt das Bedürfnis Essen ästhetisch zu inszenieren? Die meisten Menschen mögen schöne Dinge, die perfekt inszeniert werden. Und genau das ist ein wichtiger Teil meiner Kochphilosophie: Beste Qualität an Produkten mit der Liebe zum Detail angerichtet; eine perfekte Symbiose. Zudem leben wir in einem Zeitalter, wo Essen weit mehr darstellt als «nur» Nahrungsaufnahme. Trotz dieser zusätzlichen visuellen Wirkkraft von Essen sollte es meiner Meinung nach aber auch künftig hauptsächlich über den Geschmacks- wie auch Geruchssinn wahrgenommen werden. Der visuelle Auftritt eines Menüs ist sozusagen «en plus» und sicherlich als Mehrwert zu betrachten. Welche Bedeutung hat Food Porn für Hobbyköche? Führt es zu einer «Demokratisierung», weil potentiell alle kochen können oder schrecken die Kreationen eher ab? Jeder Hobbykoch hat seinen persönlichen Anspruch und kocht mit seiner eigenen Handschrift, entsprechend breit wird dem «Food Porn» auch Beachtung geschenkt. Aus den Rückmeldungen von Hobbyköchen, welche die Rezepte aus meinem «Caminada» Magazin nachkochen, lässt sich entnehmen, dass der Stellenwert des Aussehens bei der Inszenierung auf dem Teller doch recht hoch ist. Somit führt dieser Trend aus meiner Erfahrung eher zu einer Steigerung des persönlichen Leistungsanspruchs der Hobbyköche als zu einem Abschrecken. 29 Food Porn Und welche Bedeutung hat Food Porn für die Gastronomie? Potential für Differenzierung oder entsteht Konkurrenz durch die steigende Kompetenz von Hobbyköchen? Der Gast hat heute einen anderen Anspruch an die Gastronomie als früher: Gutes Essen alleine genügt nicht mehr. Er will überrascht werden mit aussergewöhnlichen Kreationen und unglaublichen Verbindungen von Geschmäckern und neuen Produkten – und ja, dazu gehört auch eine dementsprechende Präsentation des Menüs. Ich denke schon, dass durch die Wichtigkeit von «Glamour auf dem Teller» eine Differenzierung unter den Gastronomen zu erkennen ist. Hingegen sehe ich keine Konkurrenz durch die steigende Kompetenz von Hobbyköchen, und wenn man diese als Konkurrenz betiteln will, dann ist es an uns Gastronomen, noch besser zu sein als die Amateure. Führt die Inszenierung auf dem Teller zu mehr Wertschätzung für Essen oder besteht das Risiko, dass der schöne Schein wichtiger wird als der Inhalt? Diese Entwicklung ist klar als eine Wertschätzung von Nahrungsmitteln zu verstehen. Wir arbeiten sehr viel mit regionalen Produkten, kennen die Lieferanten oft persönlich und wissen, was es alles braucht, bis ein Produkt «reif» ist. Da steckt viel Arbeit und Leidenschaft drin und auch das Mitspielen der Natur spielt eine grosse Rolle, damit ein Produkt überhaupt entstehen kann. Deshalb war und ist es ein wichtiger Teil unserer Philosophie, unsere kulinarischen Kompositionen mit einer Detailverliebtheit auf den Teller zu bringen und gleichzeitig mit einer klaren Linie zu versehen. Ich bin auch überzeugt, dass unsere Gäste ein sehr hohes Qualitätsbewusstsein in Bezug auf ihre Sinneswahrnehmung haben und diesen Anspruch bei uns geltend machen. Es soll etwas Aussergewöhnlichen sein, nicht alltäglich, das berührt und dadurch eine unvergessliche Emotion auslöst. Wie bereits eingehend gesagt: Der Gast will ein Gesamterlebnis haben. Somit hat das Äussere auch seine Wichtigkeit; entsprechend legen wir darauf auch sehr viel Wert im Schloss Schauenstein und denken uns immer wieder neue, manchmal auch sehr ausgefallene Präsentationen aus. Die Inspiration dazu hole ich mir mit meinem eigenen Magazin, wo ich Künstler aus der Schweiz wie auch aus der internationalen Szene porträtiere. Eine sehr gelungene und begehrte Kreation ist im Augenblick unser «Maiensäss» welches wir auf einem Light Plate anrichten. Davon sind die Gäste sehr angetan. Es soll ein Blickfang und gleichzeitig auch Ausdruck unserer Innovationskraft sein. Food Porn Kann man von einer Entkoppelung des Essens von seiner eigentlichen Versorgungsfunktion sprechen? Und falls ja, was sind die Folgen für die Wahrnehmung von Nahrung? Im Gegenteil, zumal das eine das andere ja nicht ausschliesst: Ein Essen, das alle Sinne anregt, ist doch ein unvergesslicher Moment, den ein manche unserer Gäste übrigens gerne mit ihrem Handy festhalten, bevor sie sich dem kulinarischen Genuss hingeben. Welche Rolle spielen Technologien bei der Neugestaltung von Essen? In den letzten 10 Jahren hat sich sehr viel in der Gastronomie getan, gerade bezüglich neuer Kochmethoden wie auch bei Küchengeräten. Auch wir benutzen in unserer Küche sehr viele neue Technologien und können damit neue lukullische Ideen kreieren. Aber ein Produkt in seinem eigenen Geschmack beizubehalten, ist oft durch die herkömmlichen Techniken am Besten umzusetzen. Welches sind Schlüsselinnovationen, die das Essen künftig prägen werden? Die high-end Gastronomie wird sicherlich wieder vermehrt zurück zu den regionalen Produkten gehen und damit ihre Innovationskraft umsetzen. In den Grossküchen werden die Innovationen durch den Gebrauch von neuen, noch unbekannten Produkten entstehen, wie z.B. Produkte aus Südamerika. Welche Rolle spielt die Digitalisierung und Virtual Reality beim Kochen? Am Anfang und am Ende steht immer die Leidenschaft, der Person, deren Handschrift ein Menü trägt. Ich sehe die Digitalisierung und Virtual Reality eher als zusätzliche und unterstützende Komponente in der Gastronomie. Man kann sich der neuen Technologie nicht verschliessen, sondern sollte sie dort einsetzen, wo sie sinnvoll ist. Zum Beispiel haben wir kürzlich «Schauenstein interactive» lanciert. Eine App, wo man Schloss Schauenstein erkunden kann – ohne Berücksichtigung der Öffnungszeiten. Dies soll einen Eindruck davon vermitteln, wer wir sind und was wir tun. Aber das wirkliche Erlebnis, das findet dann im «realen Leben» statt, sprich bei uns auf Schloss Schauenstein. 31 Food Porn Könnten Sie sich vorstellen, dass wir in Zukunft das Essen komplett von der Versorgungsfunktion befreien und diese zum Beispiel über Nährstoffpillen- und drinks sicherstellen? Nein, das kann ich mir schlecht vorstellen und sehe auch keinen essentiellen Wert darin, solche Dinge voranzutreiben, ausser zum Beispiel für eine Expedition ins Weltall, wo die Möglichkeit für normales Essen nicht gegeben ist. Wir dürfen beim Essen einfach nicht vergessen, dass es sinnlich ist; ein Teil des Lebensgenusses, der auch einen durchaus sehr wichtigen gesellschaftlichen Aspekt mit sich trägt. Denn gibt es etwas Schöneres, als eine Tafelrunde mit guten Menschen bei gutem Essen? Solche Momente werden immer wichtiger in unserem Leben, in einer Welt, wo wir Getriebene unserer Zeit sind. Wie sieht ihre persönliche Food Utopie aus? Welche kulinarische Traumwelt würden Sie mit dem Zauberstab erschaffen? Meine Welt ist die «Schauenstein-Welt», wo ich mich mit meinen Träumen verwirklichen und wo ich mich stetig weiterentwickeln kann. Somit brauche ich keinen Zauberstab, sondern lebe meine Träume, jeden Tag aufs Neue, und das ist ein Privileg. A ndreas C am inada ist der prominenteste Spitzenkoch der Schweiz. Von Gault-Millau 2005 und 2007 noch als «Entdeckung des Jahres» respektive «Aufsteiger des Jahres» gefeiert, ist er heute mehrmals zum «Koch des Jahres» gekürt worden und auch bei Michelin hat er mittlerweile seinen dritten Stern erhalten. Food Porn «Essen trägt einen wichtigen, gesellschaftlichen Aspekt mit sich. Denn gibt es etwas Schöneres, als eine Tafelrunde mit guten Menschen bei gutem Essen? Solche Momente werden immer wichtiger in unserem Leben, in einer Welt, wo wir Getriebene unserer Zeit sind.» Andreas Caminada 33 Food Porn Glamour auf dem teller Von Patr ick Z binden 1. GANG «GE MÜ S E E I S A M S T I EL » Erbsen-Minze, Knollensellerie-Orange und Ananas-Petersilie Eis 2. GANG «P O U L E T A L A M A I N » Spicy Chicken Drumsticks mit gerösteter Reispraline, ganzer Karotte und Chutney 3. GANG «YO U R P E R S O N A L F O O D P O R N PAN N A C O T TA » Panna Cotta mit einer Bentobox voll mit Verschönerungsund Inszenierungsmöglichkeiten Wann lohnt es sich, einen gefüllten Teller zu fotografieren, um das Foto anschliessend ins Internet zu stellen bzw. es per Handy mit anderen zu teilen? Vor allem dann, wenn auf dem Teller etwas ganz Aussergewöhnliches liegt. In diese Kategorie gehört der 1. Gang, bei dem drei gefrorene Suppen zu einer Glace geformt wurden. Das Essen nicht nur in digitaler Form festzuhalten, sondern es real mit den Händen erlebbar zu machen, war das Ziel des 2. Gangs. Ein gewollter Nebeneffekt des aufgetischten Fingerfoods: Fettige Hände erschweren einem das Fotografieren ungemein. Eine Panna Cotta und ein Stück Kuchen möglichst kreativ zu dekorieren, um das Ganze anschliessend zu fotografieren, war die Aufgabe für die Gäste beim 3. Gang. Die Fotografin des Gewinnerfotos absolviert eine Stage bei einer renommierten Food-Fotografin. R E Z EP T E (4 Personen) GE MÜSE E IS AM S T IE L 60 g Sellerie in kleine Würfel schneiden. Sellerie mit etwas Orangenzeste und 5 dl Gemüsebouillon aufkochen, kochen lassen bis der Sellerie weich ist. Mit Stabmixer pürieren. 1 dl Rahm hinzufügen und mit Salz und Pfeffer abschmecken. 60 g Erbsen mit 5 dl Gemüsebouillon aufkochen, kochen lassen bis Erbsen weich sind. Mit Stabmixer pürieren und abpassieren. 1 dl Rahm und 5 Blätter fein gehackte Pfefferminze hinzufügen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken. 120 g Ananas in kleine Würfel schneiden. Ananas mit 5 dl Wasser, 40 g Zucker und etwas Zitronensaft aufkochen, kochen lassen bis die Ananas weich ist. Mit Stabmixer pürieren und etwas gehackte Petersilie hinzufügen. Gussformen und Holzstiele vorbereiten. Suppen schichtweise in Silikon-Formen abfüllen. Nach jeder Schicht die Formen wieder zum Anfrieren in den Tiefkühler geben. 35 #2 F OOD P OR N – Glamour auf dem T eller W ie w ir essen nachhalt iger machen #3 Food Waste Kulinar ische Kreisläufe Ein Drittel unseres Essens landet heute im Abfall. Ein Grossteil davon stammt von Restaurants und privaten Haushalten, die zu viel eingekauft, zu viel gekocht oder zu wenig sorgsam geplant haben. Nahrungsmittel verderben in riesigen Mengen ungegessen im Kühlschrank. Die Gründe für die Verschwendung liegen eigentlich auf der Hand: Die Wertschätzung für Nahrung leidet an der Übersättigung und den tiefen Preisen der Wohlstandsgesellschaft. Trotz dem Wissen um die Problematik von «Food Waste», ist die Aufgabe noch nicht gelöst. Medial inszenierte Konzepte wie Essen aus der Mülltonne sind zwar spannend und helfen uns dabei, auf das Thema aufmerksam zu machen. Als Lösung zur Abfallreduktion taugen sie aber nur bedingt. Es gilt die Esskultur in einen breiteren Kontext zu setzen und einerseits über neue Anreizsysteme nachzudenken, andererseits den Innovationsfokus vom einzelnen Produkt auf den Nahrungskreislauf auszuweiten. Wie aber schmeckt nachhaltige Nahrung? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass Nahrungssysteme effizient gestaltet sind? Und wie erreichen wir Verhaltensänderungen in einer Gesellschaft, die die Folgen ihres Handelns selten am eigenen Leib erlebt? 39 F o o d Wa st e Freude, Wertschätzung und Liebe sind die besseren Treiber von Verhaltensänderung als schlechtes Gewissen, meint der Schweizer Food Waste Experte schlechthin, Claudio Beretta. Und er gibt gleich eine Reihe von Tipps mit auf den Weg, wie auch wir es schaffen, weniger essbaren Abfall zu produzieren. Wir werfen ein Drittel aller produzierten Nahrungsmittel weg. Weshalb? Liebe dein E ssen Wir haben sehr hohe Ansprüche an Frische und Angebotsvielfalt und können es uns leisten, mehr zu kaufen, als wir brauchen. Parallel dazu haben wir Bezug zum Essen und Wertschätzung der Produkte zu einem grossen Teil verloren. In der Schweiz wird fast die Hälfte der Lebensmittel aus dem Ausland importiert. Dabei versucht der Detailhandel stets, die Erwartungen der Konsumenten vollständig zu erfüllen. Er bietet volle Regale bis Ladenschluss mit einer riesigen Anzahl von Produkten an, die immer frisch sind. Dadurch wird den Konsumenten der Eindruck vermittelt, etwas Gutes zu tun mit ihrem Konsum, da sie Ware vor dem Verderben retten. Oft hat das aber groteske Folgen: Beispielsweise werden Raclette-Kartoffeln aus Holland importiert, obwohl wir in der Schweizer Produktion einen Kartoffelüberschuss haben. Angeblich sei die Sorte aus Holland besonders beliebt. Als Folge müssen wir eigene Überschusskartoffeln entsorgen und gleichzeitig leidet eine Milliarde Menschen auf der Welt an Unterernährung. Was sind die Folgen dieses Ressourcenverlusts? Unnötige Verschwendung von Energie, Wasser und fruchtbaren Böden sowie zusätzliche Umweltbelastungen. Und das in einer Zeit, in der der Klimawandel bereits unumkehrbare Folgen hat. Das ist absurd. Ist das Thema Food Waste nur ein Luxusproblem der ersten Welt oder betrifft es den ganzen Planeten? Gespräch mi t Claudio Beretta Es betrifft auch die ärmeren Länder, aber anders: hier fehlen oft Knowhow und Infrastruktur um Nahrungsmittel aufzubewahren. So verderben grosse Mengen ungegessen. Könnten wir von der dritten Welt lernen? Beide Systeme sollten voneinander lernen. Wir sollten den ärmeren Ländern innovative Lagerungs- und Verarbeitungstechniken liefern, um das rasche Verderben geernteter Lebensmittel zu bremsen, gleichzeitig soll- 41 F o o d Wa s t e ten wir von ihnen vor allem beim Endkonsum den sparsamen, bewussten, wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln lernen. Qualität und Natürlichkeit sollten einen höheren Stellenwert als permanente Verfügbarkeit und Quantität haben. Wir würden uns somit auch wieder mehr Zeit gönnen fürs Zubereiten und Kochen. Viele sind sich des Problems bewusst, weshalb geschieht so wenig? Gewohnheiten zu verändern und Firmenstrukturen anzupassen erfordert Innovation, viel Eigeninitiative und ein entsprechendes Bewusstsein. Das geht nicht von heute auf morgen, aber viele Initiativen sind am Spriessen. Es gibt kaum einen Forschungsbereich, bei dem wir mit so wenig Aufwand so viel erreichen können, wie beim Thema Lebensmittelverschwendung. F o o d Wa st e Schlechtes Gewissen scheint als Treiber von Veränderung nicht zu funktionieren. Was muss geschehen, damit sich wirklich etwas ändert? Freude, Wertschätzung und Liebe sind viel bessere Treiber. Wir müssen beim Genuss einer zerschmelzenden Zitronenglace auf der Zunge Liebe zu dem Bauern spüren, der diese Zitrone angebaut hat. Das gelingt am Besten, wenn wir dem Essen einen grösseren Stellenwert im Leben einräumen: Mehr Zeit und Gemeinschaftsleben beim Zubereiten, Kochen und Backen; den Bezug zur Herkunft der Lebensmittel wiederherstellen, sei es durch Mitarbeit auf Landwirtschaftsbetrieben oder durch den Anbau im eigenen Gemüsegarten. Restaurants sollten sich mehr auf individuelle Qualitätsküche und Abwechslung von Tag zu Tag anstatt auf breite Standardauswahl nach Normkriterien fokussieren. Und wer trägt die Verantwortung? Können Sie ein Beispiel für eine vorbildliche Initiative geben? Ja, z.B. die «Love Food Hate Waste»-Initiative in England. Hier konnten Haushaltsverluste in fünf Jahren um 20% reduziert werden. Auch Skandinavien ist ein Vorreiter auf dem Gebiet. In der Schweiz werden v.a. viele Einzelprojekte, wie die Ässbar in Zürich oder Restaurants die Ausschussware verkochen, vorangetrieben. Wer den lampigen Salat im Kühlschrank aufbraucht, statt ihn wegzuwerfen, bewahrt noch niemanden vor Hunger. Welche Massnahmen zeigen tatsächlich Wirkung? Wenn wir weniger einkaufen, um es wegzuwerfen, müssen wir auch weniger in die Schweiz importieren aus Ländern, in denen Menschen hungern. Fragen Sie im Supermarkt nach krummem Gemüse, in der Bäckerei nach Brot vom Vortag, im Restaurant nach kleinen Portionen oder Tupperware um die Reste mitzunehmen… Je mehr Menschen so vorgehen, desto mehr findet ein Umdenken statt! Wir alle. Jeder von uns, immer mehr. Der Staat wird immer stärker aktiv mit Stakeholderdialogen, Forschungsnetzwerken und Sensibilisierungskampagnen. Auch erste Bildungsangebote sind in Entwicklung. In den grossen Firmen wird immer intensiver nach sinnvollen Lösungen gesucht, beispielsweise dass unverkäufliche, aber einwandfreie Waren von Detailhändlern in Restaurants verwertet oder an Institutionen der Lebensmittelhilfe gespendet werden. Ganz viele Initiativen spriessen, doch der Weg ist noch lange. Und die Konsumenten müssen wach bleiben, damit schöne Imagemassnahmen nicht von wirklichen Lösungsmassnahmen ablenken. Claud io B eretta prägt die Food Waste Debatte in der Schweiz seit Jahren massgeblich. Er ist Vorstand und Gründer von Foodwaste.ch und doktoriert am Institute for Environmental Engineering der ETH Zürich zum Thema «Environmental Impact of Food Losses in Switzerland». Müssten wir unsere Nahrungskreisläufe neu erfinden und damit ganzheitlicher denken und handeln lernen? Wir sollten vielmehr das, was uns die Landwirtschaft in der aktuellen Jahreszeit bei der aktuellen Witterung in der Region anbietet, auf kreative Weise und mit Freude essen. Saisonale, regionale Produkte schmecken in der Regel mindestens so gut wie teure Importprodukte, sind meist frischer und bieten über den Jahreszyklus hinweg eine riesige Vielfalt. 43 F o o d Wa s t e «Qualität und Natürlichkeit sollten einen höheren Stellenwert als permanente Verfügbarkeit und Quantität aller Produkte haben. Wir würden uns somit auch wieder mehr Zeit gönnen fürs Zubereiten und Kochen.» Claudio Beretta F o o d Wa st e Kulinar ische k reisläufe Von Patr ick Z binden 1. GANG «M Y OW N V E RT I C AL FA R M » Greenhouse mit frischem Gemüse und Gartenerde aus Frischkäse zum selber ernten 2. GANG «K AN I N C H E N H E A D T O TA I L » Kaninchenrolle mit Ratatouille, Ribel- und Weissermais-Polenta und Popcorn 3. GANG «R E C YC L I N G A L A U RG RO S S M U T T ER » Restenbrot Pudding mit Lagerapfel gewürzt mit Trietolt und Vanille Espuma Food Waste beginnt bereits auf dem Feld: In Entwicklungsländern vernichten Schädlinge und unsachgemässer Umgang mit Ressourcen einen Grossteile der Ernte bevor sie eingebracht und weiterverarbeitet wird. Anders sieht die Situation in den Industrieländern aus: Dort bleiben Gemüse und Früchte, die nicht den gängigen Normen entsprechen, auf dem Feld oder unter dem Baum liegen. Diese beiden Themen nimmt der 1. Gang auf. Mais dient nicht nur als Lebensmittel, sondern wird auch als Futtermittel oder zur Gewinnung von Benzin angepflanzt. Diese Verschwendung von Kalorien und die Tatsache, dass bei einem Tier neben den edlen auch zweitrangige Fleischteile essbar sind, widerspiegelt der 2. Gang. Der 3. Gang wiederum reflektiert den bei unsachgemässer Lagerung entstehenden Lebensmittelabfall und die kulinarische Zweitverwertung übriggebliebener Lebensmittel. R E Z EP T E (4 Personen) « Gemüse - Greenhouse» mit frischem Gemüse, Gartenerde und Frischkäse 250g Cantadou und 200gPhiladelphia-Frischkäse in der Rührmaschine aufschlagen. Mit Salz, Pfeffer und Zitronensaft abschmecken. Auf dem «Treibhausboden» ausstreichen und kühlstellen. 100g Pumpernickel mit der Röstiraffel reiben (Anliker). Mit gehacktem Thymian, Salz und Pfeffer abschmecken. Auf der ausgestrichenen Frischkäsemasse verteilen.Das Mini-Gemüse (Zucchetti, Radieschen, Baby-Fenchel und Baby-Karotten) in die Masse stecken. R estenbrot-P udding 150 g Äpfel schälen, entkernen und in 0,5 cm grosse Würfel schneiden. In einer Bratpfanne mit Butter andünsten. Mit 2 cl Birnenschnaps und 1 dl Wasser ablöschen. Flüssigkeit einkochen lassen und anschliessend aus der Pfanne nehmen. Brot in 1 cm grosse Würfel schneiden und in einer Bratpfanne mit Butter goldgelb anbraten. 4 Eier, 2 dl Milch, 30 g Zucker und etwas Zitronenzeste in einer Schüssel verrühren. Brot- und Apfelwürfel mit der Ei-Milch-Flüssigkeit gut vermischen (Brot darf leicht auseinander fallen). Zwei ca. 29 x 40 cm grosse Alufolienblätter mit Klarsichtfolie belegen. Die Masse darauf verteilen und ca. 4 cm dick einrollen. Die Enden gut zudrehen (es darf kein Wasser eindringen). Topf mit Wasser aufkochen und die Rollen ca. 25 Min. ziehen lassen. Ausgepackte Rollen in ca. 2 cm grosse Scheiben schneiden. In Trietolt-Gewürzzucker (oder Zimt-Zucker-Mischung) wenden. Vanille -E spuma 1 dl Rahm erwärmen, ½ Blatt eingeweichte, gut ausgedrückte Gelatine darin auflösen. Mit 150 g Vanillejoghurt, 70 g Zucker verrühren und Saft von einer halben Zitrone verrühren. Die Masse in ein ISI- oder Kisag-Siphon geben. Mit Patrone laden und kräftig schütteln. Kaltstellen. 47 #3 F OOD WA S T E – Kulinar ische Kreisläufe was essen bew ir k en k ann #4 P ER F OR M ANCE F OOD Speisen für Glück, S chönhei t und Intelligenz Die Erwartungen ans Essen steigen. Es geht längst nicht mehr nur darum, unseren Körper mit Energie zu versorgen. Genügte es früher, dass Essen nach einem harten Tag mit körperlicher Arbeit unseren Magen füllte, braucht der heutige Wissensarbeiter am Schreibtisch weitaus weniger Kalorien, um den Tag zu bewerkstelligen. Mit wachsendem Wissen über das Essen ist zudem auch unser Körperbewusstsein gewachsen. Wir achten auf alle Funktionen, die unser Essen für unsere Lebensweise besitzt – Essen wird zum Performance Food. Je nach individuellem Lebensstil und Ambitionen essen wir uns heute intelligenter, schöner, glücklicher und natürlich gesünder. Die positiven Folgen dieser Entwicklung sind offensichtlich: Wir leben länger, sind tendenziell gesünder und entlasten damit das Gesamtsystem. Daneben müssen wir uns aber auch fragen: Bleibt der Genuss und die Rolle des Mahls als gesellschaftlicher Kitt auf der Strecke? Generieren wir mit dem steigenden Leistungsdruck beim Essen nicht noch mehr ungesunden Stress? Und führt die enge Verknüpfung von Wissensgrad und Gesundheit mittelfristig zu einer weiteren Öffnung der gesellschaftlichen Schere? 51 performance Food Essen mit wundersamer Wirkung auf Menschen war früher Science Fiction. Heute liegt es als Functional Food in den Regalen. Doch selbst falls die zunehmende Funktionalisierung des Essens uns alle gesünder und gescheiter machen wird: bis zur kompletten Ernährung durch die Tablette scheint der Weg noch weit. Stephan Sigrist, Leiter des Think Tanks W.I.R.E., erklärt die Hintergründe. Wir erwarten von unserem Essen zunehmend Leistung: Nahrung soll nicht nur nahrhaft sein, sondern auch die Gesundheit verbessern, uns schöner machen, die Stimmung aufhellen oder die Hirnleistung steigern. Weshalb reicht die pure Natur nicht mehr? LEIS T UNG S S T EIGER ND E T OM AT EN & BE AU T Y R E S TAUR AN T S P O T EN Z I AL UND GR EN Z EN VON P ER F OR M ANCE F OOD Gespräch mi t S tephan Sigr ist Wir sind im Begriff, die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit besser zu verstehen. Was wir essen hat einen grosssen Einfluss auf unseren Gesundheitszustand: Viele der so genannten Zivilisationskrankheiten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis Diabetes Typ 2 sind auf die heutigen Essgewohnheiten zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass Nahrung zunehmend «funktionalisiert» wird – also einen Zusatznutzen für die Gesundheit bekommt. Wir nutzen das wachsende Verständnis, um unserem Körper mit Nahrung nicht nur Energie zuzuführen, sondern auch seine Gesundheit zu optimieren. Die Bedeutung von Lebensmitteln, die Vitamine, Mineralstoffe oder Cholesterinsenker enthalten, ist über die letzten Jahre kontinuierlich gestiegen. Selbstverständlich wäre der direkte Weg zu einer gesunden Ernährung ein ausgewogener Speiseplan mit natürlichen Produkten. Der Boom von Bioprodukten zeigt auch, dass eine nachhaltige, natürliche Ernährung bei den Konsumenten eine grosse Rolle spielt. Weil es im hektischen Alltag aber schwierig ist, sich ausgewogen und nachhaltig zu ernähren, liegt der Griff zu künstlich angereicherten Lebensmitteln nahe. In Zukunft werden wir wohl nicht nur Mängel kompensieren, sondern Nahrung auch dafür einsetzen, unsere Leistungsfähigkeit zu steigern – oder auch unser Aussehen. Was sind die wichtigsten Innovationthemen im Bereich «Performance Food»? Wir stehen heute noch immer am Anfang der Forschung. Zur Zeit versuchen Wissenschaftler in Universitäten oder in grossen Unternehmen wie Nestlé die Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Ernährung noch besser zu verstehen: wie sich Inhaltsstoffe von Nahrungsmitteln auf unsere Gesundheit auswirken, wie Menschen mit unterschiedlicher genetischer Konstitution auf bestimmte Stoffe reagieren. Der erste wesentliche Fortschritt, den wir sehen werden, dürften deshalb diagnostische Tests sein, die dazu beitragen, dass sich der Speiseplan individualisiert. Wir 53 performance Food werden dann mehr Inhaltsstoffe vermeiden, die wir nicht gut vertragen oder auf die wir allergisch sind. Ein zentraler Treiber dieser Forschung dürften neue Software und Algorithmen sein. Diese werden uns dabei helfen, die wachsenden Datenmengen, die die Forschung generiert, zu interpretieren und Muster zu identifizieren, die Hinweise auf mögliche Zusammenhänge liefern. In einem zweiten Schritt, der erst viel später erfolgen wird, könnte die alte Vorstellung aus Science Fiction Filmen Realität werden, dass pharmakologisch aktive Stoffe in Lebensmitteln dazu eingesetzt werden, uns fitter, jünger und besser aussehend zu machen. Natürlich gibt es bereits heute Arzneimittel, die versprechen, die Haut glatter zu machen. Diese unterscheiden sich aber nicht wesentlich von bestehenden Vitamincocktails, deren effektiver Nutzen umstritten ist. performance Food Was sind die Konsequenzen daraus für die Pharmaindustrie und das Essen selbst? Die Schnittstellen zwischen Food- und Pharmaindustrie überlappen zunehmend. Allerdings sind die Kompetenzen unterschiedlich verteilt. Während Pharmaunternehmen viel von Medizin und Arzneimittel verstehen, dafür aber keine Schnittstellen zum Endkunden haben, ist es bei Lebensmittelherstellern genau umgekehrt. Ich könnte mir deshalb vorstellen, dass es in Zukunft vermehrt zu Kooperationen kommt. Dies ist insofern interessant, als dass genau diese überlappenden Bereiche in den letzten 15 Jahren getrennt wurden und sich vor allem Pharmaunternehmen stärker spezialisiert haben. Sollte sich der Markt an der Schnittstelle zwischen Ernährung und Gesundheit weiter vergrössern, braucht es aber genau diese Kooperationen oder interdisziplinäre Institutionen. Und was sind die Grenzen der Leistungssteigerung beim Essen? Beim Konzept der personalisierten Ernährung geht es bei der Umsetzung in die Praxis nicht nur um die Frage des Verständnisses der molekularen Prozesse, sondern auch darum, wie eine massgeschneiderte Ernährung im Alltag umgesetzt werden kann. Wie behalte ich als Konsument den Überblick, was ich essen darf und was nicht? Wie können Händler die immer vielfältigeren Anforderungen der Konsumenten an spezifische Produkte handhaben? Wie können Familien überhaupt noch eine gemeinsame Mahlzeit zubereiten, wenn jeder am Tisch etwas anderes verträgt? Bei der Frage nach der Verbesserung von Leistungsfähigkeit oder Aussehen geht es neben der technischen Machbarkeit vor allem darum, ob die Konsumenten bereit sind, einen pharmakologischen Nutzen mit einem Lebensmittel zu kombinieren. Viele der Functional Food Produkte der letzten Jahre waren wahrscheinlich – neben regulatorischen Aspekten – nicht erfolgreich, weil die Menschen Genussprodukte nicht mit Krankheiten assoziieren wollten. Wenn nun eine Tomate glatte Haut macht oder ein Kaugummi die Gehirnleistung ankurbeln soll, fällt dieser negative Aspekt weg. Dennoch ist unklar, ob eine weitgehende Entkopplung von Kalorienversorgung und Genuss im Alltag funktionieren würde. Aus diesen Fragestellungen ergeben sich neue Forschungsfelder im Umfeld der sozialen Einbettung neuer Technologie, die ergänzend zu den biochemischen Aspekten stark an Bedeutung gewinnen werden. Wie werden diese neuen Möglichkeiten die Art und Weise wie wir essen verändern? Wird Essen ein genussvolles Erlebnis bleiben und welche Rolle spielen Emotionen dabei? Auf der Suche nach höheren Margen und im Rummel um neue Lebensmittelkreationen wird oft vergessen, dass unser Essverhalten ausgesprochen konservativ ist. Die Mehrheit der Menschen isst auch in der Wohlstandsgesellschaft immer wieder dasselbe. Die meisten der neuen Produkte in den Supermärkten verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Essen ohne Genuss ist bis heute kaum vorstellbar und Produkte, die diesen Aspekt ausklammern, dürften es schwer haben, sich im Markt durchzusetzen. Anders gesagt: Essen ohne Emotionen ist kaum denkbar. Die Herausforderung für neue funktionalisierte Produkte wird es sein, neue Mehrwerte mit Genuss zu verbinden. Allerdings müssen wir, und das wäre ein weiterer wichtiger Forschungsschwerpunkt, besser verstehen, welche Art Emotionen beim Essen relevant sind und wie wir sie – und das wäre der Schlüssel für den Erfolg am Markt – gezielt fördern können. Welchen Einfluss haben Farben, Textur oder Herkunft auf das emotionale Erlebnis beim Essen? Der direkte und letzte Weg unser Wohlbefinden zu erhöhen, wäre es natürlich, Nahrung mit Stimmungsaufhellern zu versetzen. Schokolade, die wirklich glücklich macht, dürfte sich durchaus als Kassenschlager durchsetzen – wären da (glücklicherweise) nicht die regulatorischen Hürden. 55 performance Food Parallel mit dem steigenden Wissen über unsere genetischen Strukturen wird Essen zunehmend ein individuelles Unterfangen. Wie kann Essen ein gemeinschaftlicher Akt bleiben wenn alle primär daran interessiert sind ihren eigenen Körper zu verbessern? Dies dürfte eine der zentralen Herausforderungen der Zukunft sein. Wir spüren dies schon bei anderen Lebensbereichen, wie dem Wohnen oder beim Teilen von Informationen aus sozialen Netzwerken: Die Individualisierung eröffnet zwar Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung – so auch bei personalisierter Ernährung –, sie unterläuft aber die Zusammengehörigkeit und die Solidarität. Essen hat dabei bis heute eine Schlüsselrolle eingenommen: Der Austausch am Familientisch, das Essen mit Freunden oder Geschäftsessen sind ein integraler Bestandteil von Gemeinschaften, auch im 21. Jahrhundert. Die Frage, wie wir Gemeinschaft mit personalisierter Ernährung kombinieren, ist Voraussetzung dafür, dass sich das Potenzial der Technologie im Markt durchsetzen kann. Und wie könnte ein Esstisch der Zukunft aussehen oder ein Restaurant? Wenn wir davon ausgehen, dass sich der Performance-Aspekt beim Essen durchsetzt, bekommt auch der Esstisch oder das Restaurant eine neue Dimension. Eine mögliche Erweiterung wären diagnostische Sensoren, die den Essenden scannen und Informationen liefern, welche Optimierungsmöglichkeiten empfehlenswert sind. Darüberhinaus wird die Vermittlung von Informationen über die Zusammensetzung von Nahrungsmitteln wichtiger. Der Tisch wird also eine Art Interfacefunktion übernehmen, die dem Essenden hilft, Entscheidungen zu treffen und über die Wirkung des funktionalisierten Essens informiert. Je nach Art der Optimierung kann der Tisch oder der Raum eine unterstützende Rolle einnehmen, in dem er die Gäste dabei unterstützt, ihr besseres Aussehen zu präsentieren und sich zu inszenieren – oder, falls gewünscht, auch für Privatsphäre zu sorgen. Für Restaurants ergäben sich neue Möglichkeiten für Dienstleistungen. Regeneration bei einer Teeinfusion vor der Rückkehr ins Büro oder das Neu-Denken von Erlebnisgastronomie zwischen Coiffeur und Schönheitschirurg wären Szenarien im Bereich der Science Fiction. In Realität und näher am Alltag würde es schlicht bedeuten, dass Gastronomie sich tatsächlich mit Gesundheit verbinden lässt und insbesondere die Alltagsverpflegung auf die spezifischen Bedürfnisse von Gästen ausgerichtet sein könnte: Mein Gastronom kennt meine persönlichen Präferenzen und stellt jeden Tag ein Menu zusammen, das meinen kulinarischen Präferenzen, vor allem aber meinen Gesundheitsansprüchen, entspricht. performance Food Können wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln, wenn wir unsere kulinarischen Gewohnheiten neu erfinden? Die letzte Stufe der Funktionalisierung wäre die komplette Entkopplung der Nahrungsaufnahme vom Essen. Nahrung würde in einer solchen Welt in Tablettenform, intravenös oder – wie in alten Science FictionSzenarien – als Duft aufgenommen und könnte beliebige Rollen übernehmen: Stimmungen aufhellen, beruhigen, Muskeln aufbauen, Intelligenz steigern oder sexuelle Begierden wecken oder stillen. Das Spektrum des Denkbaren wäre in diesem Falle weit offen. Für das, was Essen sein kann, und für die Räume, in denen es stattfindet. Wären da nicht limitierende Faktoren wie Tradition und Kultur, die auch in Zukunft dafür sorgen werden, dass sich unser Essen nicht soweit von dem entfernen wird, was auch unserer Existenz zu Grunde liegt. D r. S tephan S igr ist ist Gründer und Leiter von W.I.R.E. und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit langfristigen Trends in Wirtschaft und Gesellschaft. Er ist Autor zahlreicher Bücher, berät Unternehmen und politische Institutionen in strategischen Belangen und ist regelmässiger Referent auf internationalen Tagungen. 57 performance Food Speisen für Glück, S chönhei t und Intelligenz Von Patr ick Z binden 1. GANG «P I MP YO U R B R A I N » Kalte LC1 Superfood Suppe mit Salat und salzig-würzigem Riegel als Hommage an den Reformer Oskar Bircher-Benner 2. GANG «P I M P YO U R SKIN » Hirsetaler mit Soja Paneer und Calcium Tomatensauce 3. GANG «P I MP YO U R N ERV E S» Rotweinkuchen mit Acticoa Schokolade und Chiliglace à la Hanföl Welche Lebensmittel machen gesund und leistungsfähig? Für Oskar Bircher-Benner waren es naturbelassene Lebensmittel, die z.B. in ein Müesli gehören. Die Industrie hingegen reichert Nahrungsmittel mit angeblich gesunden Zutaten an und verkauft sie als sogenannten Functional Food. Angereichert mit Superfood werden im 1. Gang sowohl naturbelassene Zutaten als auch Functional Food kombiniert. Lässt sich Attraktivität mit Lebensmitteln oder durch das Schlucken von Nahrungsergänzungsmittel verbessern? Oder ist ein chirurgischer Eingriff das Mittel der Wahl für mehr Schönheit? Diese Fragen behandelt der 2. Gang bei dem ein Skalpell neben einem Nierentellerchen aufgetischt wurde. Die in diesem Gang servierten Lebensmittel garantieren vermeintlich mehr Schönheit. Extra gesunde Schokolade (die offiziell von der EU als solche abgesegnet wurde), Rotwein, Chili und Hanföl: Der 3. Gang garantiert entspannte Hirnaktivitäten. R E Z EP T E E NE RGIE R IE GE L ( 1 0 R iegel ) 125 g feine Haferflocken, 1 Ei, 75 g flüssiger Honig, 100 g Beeren-Mix (Goji / Acai / Aronia), 2 TL Ovomaltine, 1 kleine Chilischote und eine Prise Fleur de Sel mischen, kurz quellen lassen. Die Masse rechteckig auf ein gebuttertes Blech streichen. Mit einer Kelle gut zusammenpressen. In der Mitte des auf 160 °C vorgeheizten Backofens 20–25 Min. backen. Noch heiss in Stängel schneiden. L C 1 - J O G H URT-LE INÖL -R AND E N- SH O T ( 4 P ersonen ) 150 g Randen in grobe Würfel schneiden und mit Gemüsefond, Salz und Pfeffer zu feinem Püree mixen. 500 g Joghurt und 1 dl Milch in einer Schüssel vermischen. Mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer abschmecken. 2 EL Randenpüree in je ein Toni-Joghurtglas abfüllen. LC1-Joghurt mit einem Trichter auf das Randenpüree geben. 1 TL Leinsamenöl auf das Joghurt geben. Joghurtglas mit Deckel verschliessen, vor dem Konsum schütteln. 59 performance Food «Auf der Suche nach höheren Margen und im Rummel um neue Lebensmittelkreationen wird oft vergessen, dass unser Essverhalten ausgesprochen konservativ ist. Die Mehrheit der Menschen isst auch in der Wohlstandsgesellschaft immer wieder dasselbe.» Stephan Sigrist #4 P ER F OR M ANCE F OOD – Spe isen für Glück, S chönhei t und Intell igenz w ie w ir essen zuberei ten #5 R e -th ink ing F OOD k ulinar ische U top ien in 3D Unsere Vorstellungen vom Essen der Zukunft sind beschränkt. Bio oder lokale Produktion gelten seit Jahren als Fluchtpunkte der Ernährung von morgen. Dabei eröffnet der technologische Fortschritt neue Möglichkeiten, um unseren Speiseplan weiterzudenken. Und schafft damit nicht nur neue kulinarische Erlebnisse und Gestaltungsformen, sondern vielleicht sogar Ansätze, um den Hunger der wachsenden Weltbevölkerung langfristig zu stillen. Dazu stellte das «Gasthaus zum Übermorgen» im letzten Programm drei extreme kulinarische Visionen zur Diskussion: Ernährung ohne zu Essen, genug Nahrung für alle und nie mehr selber kochen – mit Hilfe von 3D Druckern und Kochrobotern. Wo liegen die Grenzen der Gastronomie und Esskultur? Können wir sie sprengen und wenn ja, mit welchen Mitteln? Wie viel Neues ist wünschbar, und inwiefern ist radikale Innovation auf dem Speiseplan sinnvoll? 65 R e - t h i n k i n g F OOD Kochroboter könnten uns künftig zwar langweilige Arbeiten in der Küche abnehmen- Kreativität ist von ihnen aber nicht zu erwarten. Warum Technologie dennoch dabei helfen wird die Gesellschaft kulinarisch weiter zu entwickeln, und weshalb das Zusammenspiel von Mensch und Maschine dabei die grösste aller Herausforderungen darstellt, erklärt uns Designer und Erbauer von 3D Food Druckern, Luis Fraguada. D IE Ü B ERW INDUNG D ER D R I T T EN KO C H D IM E NSION gespräch mi t L uis E. Fraguada Seit der ersten industriellen Revolution werden menschliche Arbeitskräfte zunehmend durch Maschinen und Roboter ersetzt – auch in der Produktion, Verarbeitung und Zubereitung von Essen. Dies hat die Art und Weise wie wir essen radikal verändert, eine riesige Anzahl bäuerlicher Arbeitsplätze vernichtet, aber auch sehr viel neue Stellen geschaffen, zum Beispiel bei der Vermarktung und weltweiten Verteilung der neuen Produkte. Heute stehen wir vor der nächsten industriellen Revolution: Intelligenten Maschinen, werden nicht nur unsere Muskelkraft, sondern auch unsere Denkleistung ersetzen oder zumindest ergänzen. Was könnte das für die Zukunft der Ernährung bedeuten? Bei der «Revolution», die wir gerade erleben, geht es meines Erachtens weniger um die Maschinen selbst, sondern um die Demokratisierung von Wissen. Über das Internet haben mehr Menschen Zugang zu Wissen und damit auch zu Instrumenten, die früher Experten vorenthalten waren. Damit macht diese Revolution aus Konsumenten neue Produzenten. Schauen Sie sich zum Beispiel Youtube an, wo sich Menschen in unzähligen Videos der Molekularküche widmen und Gerichte der besten Restaurants der Welt nachkochen. Diese neuen privaten Produzenten werden beliefert durch Unternehmen, die hochspezialisierte Zutaten verkaufen, die früher sehr schwer zu beschaffen waren. Aber ja, wir werden in Zukunft auch mehr «intelligente» Küchengeräte sehen, die uns Schritt für Schritt durch Rezepte führen, sogar intelligente Kochtöpfe, die es uns wissen lassen, wenn das Essen anbrennt. Wir bei Robots in Gastronomy konstruieren zum Beispiel Maschinen, die dekorative Patisserieelemente produzieren können. Man muss sich aber bewusst sein: obschon Geräte immer intelligenter werden, ist diese Intelligenz im Vergleich zur menschlichen Intelligenz und Kreativität beschränkt und wird in der Küche nur rudimentäre Aufgaben übernehmen können. Wieso sollte ein Patisseur tausend gleiche Rahmblumen formen wollen, wenn eine Maschine diese Aufgabe schneller und in Perfektion bewerkstelligen kann? Menschen sind schlecht im Ausführen repetitiver Aufgaben, Maschinen hingegen sind dafür geschaffen. Lasst die Maschinen die langweilige Arbeit erledigen, während Menschen sich das nächste Gericht erträumen! 67 R e - t h i n k i n g F OOD Sind die Alleinstellungsmerkmal eines Roboters also Effizienz und Perfektion? Im Wesentlichen schon, wie uns das Patisseurbeispiel zeigt. Aber nicht nur. Roboter könnten in Zukunft auch Aufgaben in der Molekularküche übernehmen, die für Menschen zu gefährlich sind. Was sind die vielversprechendsten Innovationen der Food Robotik? Natürlich gibt es sehr viele interessante Unternehmen in diesem Bereich. Die meisten davon ermöglichen es kreativen Köchen in irgendeiner Form mit dem industriellen Nahrungssektor in Konkurrenz zu treten. Das Unternehmen Polyscience adaptiert zum Beispiel wissenschaftliche Geräte und macht sie für die Küche nutzbar. Sie stellen Maschinen her, die Flüssigkeiten destillieren können oder Zentrifugen und Grillgeräte, die bis minus -34ºC arbeiten. Sie ermöglichen damit eine neue Garde an kulinarischen Künstlern, die sich nicht nur für die Zutaten eines Gerichts interessieren, sondern auch dafür, wie diese emulgieren, auftauen, sich mischen – und dies in mikroskopischen Bereichen. Aber eigentlich sind das keine bahnbrechenden Innovationen, die auf uns zukommen. Diese Geräte sind im industriellen Bereich seit Jahrzehnten in Gebrauch. Neu ist, dass sie nun für Einzelpersonen oder Restaurants zur Verfügung stehen und dort die Kreativität weiter befeuern. R e - t h i n k i n g F OOD Und wie könnte das Zusammenspiel zwischen Mensch und Roboter in der Küche aussehen? Genau diese Frage stellen wir uns bei Robots in Gastronomy auch. Denn um unsere Küchenroboter bedienen zu können, muss ein Koch heute über Grundkenntnisse in Geometrie, Mathematik und computergestütztem Design verfügen. Das ist natürlich kein klassisches Kochwissen! Deswegen investieren wir viel Zeit in die Ausbildung unserer Kunden, um sie überhaupt erst zu befähigen, unsere Technologie zu nutzen. Was wiederum zeigt, dass wir selbst auch noch kein optimales Zusammenspiel zwischen Mensch und Roboter gefunden haben. Dieses sollte idealerweise intuitiv funktionieren. Denn Köche, dass habe ich mittlerweile verstanden, sind Meister der vierten Zeitdimension. Sie müssen abschätzen, wie sie multiple Zutaten mit unterschiedlichen Konsistenzen und Kochzeiten so miteinander kombinieren können, dass alle zur gleichen Zeit auf dem Teller landen. Das bedingt eine aussergewöhnliche Intuition, die 4. Dimension. Unsere Maschinen bewegen sich aber nur bis zur 3. Dimension. An der Überbrückung dieser einen Dimension experimentieren wir sehr aktiv. Und welche Arbeit könnte die Automatisierung der Küche schaffen? Wie wäre es mit kulinarischem Entwickler, Nahrungsinformations-Architekt oder Küchenverhaltensprogrammierer? Aber wem helfen diese Innovationen? Nur den wenigen Glücklichen, die es sich leisten können, dem nächsten grossen Hype zu folgen? Oder könnten Roboter den Hunger auf der Welt bekämpfen? Oder die Gesundheit der Gesellschaft verbessern? Wir können beobachten, dass immer mehr Menschen mittels Fitnesstrackern Daten über ihren eigenen Körper sammeln und damit ihre Gesundheit kontrollieren. Selbst finde ich diesen Trend zwar etwas absurd, es ist aber unbestritten, dass damit Bewusstsein für das Thema Gesundheit geschaffen wird. Natürlich sind diese Geräte auch wieder nur der privilegierten Schicht zugänglich. Aber vielleicht sind es genau diese wenigen Privilegierten, die mit ihren Entscheiden die globale Nahrungskette beeinflussen könnten und ihr Mehrwissen und den technologischen Fortschritt so zum Wohle von allen einsetzen. Obwohl viele sich gerne mit Food Trends beschäftigen, sind doch die meisten von uns recht konservativ wenn es darum geht, neue Geschmäcker oder Formen auszuprobieren. Sind wir wirklich im Stande, Essen neu zu denken? Und wenn ja, in welchen Bereichen sehen Sie das grösste Potenzial? Das stimmt natürlich. Trotzdem ist die Küche doch eigentlich unser hauseigenes Labor. Viele Menschen durchschreiten den hochkomplexen Prozess des Kochens sogar täglich mehrere Male! Vielleicht sind wir deshalb so verbunden mit unseren kulinarischen Traditionen und reagieren nostalgisch, wenn wir bestimmte Geschmäcker oder Gerüche erkennen. Und wie könnte ein Abendessen der Zukunft aussehen? Oder ein Restaurant? Am künftigen Esstisch, ob zu Hause oder im Restaurant, wird sich alles um die Anpassung an individuelle körperlichen Bedürfnisse und geschmackliche Vorlieben drehen. Es geht um Sie. Sie und ihre Gäste wer- 69 R e - t h i n k i n g F OOD R e - t h i n k i n g F OOD den zwar dasselbe Gericht essen, es wird aber jeweils leicht an Ihre Präferenzen angepasst sein. Im kleineren Umfang tun wir dies heute ja auch schon. Aber ich denke wir stehen hier vor einem Durchbruch, weil wir nun beginnen werden, die Daten, die wir über uns selbst sammeln, für das Essen zu nutzen und in unser Kochen zu integrieren. Ich habe jüngst Dinge wie die Flüssigdiät Soylent gesehen, die mich schrecklich beunruhigen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um ein Getränk, das alle Nährstoffe enthält die ein Individuum benötigt, und das zu einem relativ niedrigen Preis. Die Aussicht, mich für den Rest meines Lebens durch ein geschmackloses Getränk zu ernähren, macht mir aber Angst. Natürlich ist es bewundernswert, dass die Erfinder von Soylent versucht haben, eine Substanz zu finden, die den Konsumenten für einen Bruchteil des normalen Warenkorbpreises ernähren kann. Aber Essen geniessen zu können ist für mich ein essentieller Aspekt des menschlichen Erfahrungsschatzes. Und ich hoffe, dass sich unsere Zivilisation die Kultur des Geschmacks und des Teilens von Essen mit Anderen erhalten wird. Könnten wir uns als Gesellschaft weiterentwickeln, indem wir unsere kulinarischen Gewohnheiten neu erfinden? Ja, und sei es nur dass, uns diese neuen Erfahrungen lehren werden, dass die meisten grossen Gesundheitsprobleme von einer schlechten Ernährung her stammen. Dann hat sich diese Entwicklung schon gelohnt. Wir wissen: Wie und was wir essen bestimmt massgeblich, wie wir uns fühlen. Bisher konnten wir das aber nicht quantifizieren und haben wohl deshalb auch die Augen davor verschlossen. Wenn wir nun aber viel stärker in Kontakt treten mit den Grundstoffen unseres Esskonsums, werden wir die Folgen unserer Ernährung klarer verstehen. Denn heute haben viele Menschen keine Ahnung was sie eigentlich essen. Wenn Technologie dabei helfen kann bewegen wir uns auch als Gesellschaft in die richtige Richtung. L uis Fraguada untersucht die Verwendung von neuen Technologien in der Architektur, Gastronomie und Mode. Als Mitbegründer von Robots in Gastronomy widmet er sich dem Design von digitalen Werkzeugen und Robotern in der Gastronomie. Er forscht am Institute for Advanced Architecture in Barcelona und tritt an internationalen Konferenzen auf. Weshalb sind wir genau jetzt bereit für einen Wandel? Wir sind sehr stark verbunden mit dem für uns lebensnotwendigen Essen. Aber noch viel stärker sind wir miteinander verbunden. Und genau deshalb sind wir heute auch bereit, Essen neu zu denken und mit neuen Geschmacksrichtungen zu experimentieren: Wir kennen Rezepte aus der ganzen Welt und können exotische Zutaten über das Internet bestellen, wenn wir sie in unserem lokalen Supermarkt nicht finden. Zudem beschränkt sich unsere Kreativität nicht mehr nur auf das Beifügen exotischer Zutaten, sondern geht darüber hinaus bis zur Schöpfung ganz neuer Kochprozesse und Gerichte. In letzter Konsequenz könnte das heissen, dass wir der Materie und auch uns selbst damit näherkommen. Das hoffe ich. Und was wird sich nie ändern, weil es heute schon so gut ist? Natürlich ist es schwierig dazu eine generelle Aussage zu treffen, weil global gesehen ganz unterschiedliche kulinarische Realitäten vorherrschen. Ich hoffe aber, dass wir uns die Freude über den Geschmack, die Verbindung, die wir als Individuen mit Aromen haben, erhalten können. 71 R e - t h i n k i n g F OOD k ulinar ische U top ien in 3D Von Patr ick Z binden 1. GANG «TAN K EN E R S E T Z T E S SEN » Soylent mit Tomate und Beef Cherky Kauknochen 2. GANG «E S S E N F ÜR A L L E» Duell in fünf Gängen: Industrie vs. Natur → Klebfleisch vs. Rindsschmorbraten → Goldenmais vs. Ribelmais → Analogkäse vs. Schweizer Alpkäse → Gentechgemüse vs. Biogemüse → Surimi vs. MSC Crevette 3. GANG «RO BO T E R KO C H EN F Ü R U N S» Schokoladehirn aus dem 3D Drucker. Sabayone aus dem Thermomix à la Nature oder à la Givaudan auf Kellogs Cini Minis aus dem Extruder. Mit Trinknahrung nicht nur Geld, sondern auch Zeit sparen? Kostengünstiger wäre das Trinken von Nahrung, die alle lebensnotwendigen Bestandteile enthält allemal. Und der Zeitaufwand fürs Kochen und Kauen würde tatsächlich auf ein Minimum reduziert. Dafür würde der Besuch beim Zahnarzt umso teurer, denn unsere Zähne sind evolutionsbiologisch auf Kautätigkeit ausgelegt. Zur Trinknahrung gibt es deshalb beim 1. Gang ein Stück Trockenfleisch mit Biss. Industriell auf- und zubereitete Nahrungsmittel machen, neben konventionell gewachsenen und traditionell hergestellten Lebensmitteln einen immer grösseren Anteil unseres Nahrungsangebots aus. Deshalb beleuchtet und bewertet der 2. Gang die vielschichtigen Vor- und Nachteile der Nahrungsmittelherstellung. Unbestritten: Multifunktionale Kochgeräte, wie sie beim 3. Gang zum Einsatz kommen, vereinfachen das Kochen und ersetzen zunehmend den Herd und Backofen in der heimischen Küche. Was kommt danach? In der Warteschleife ist bereits der 3D-Drucker für Lebensmittel. R E Z EP T E S A B AYONE MI T T H E R MOMI X Thermomix kaufen, mit Strom verbinden, Rezept aus Menu auswählen und den angegebenen Schritten folgen. 7 Minuten vom Thermomix Roboter kochen lassen. Fertig. 73 R e - t h i n k i n g F OOD «Menschen sind schlecht im Ausführen repetitiver Aufgaben, Maschinen hingegen sind dafür geschaffen. Lasst die Maschinen die langweilige Arbeit erledigen, während Menschen sich das nächste Gericht erträumen! Luis E. Fraguada #5 R E -T H INKING F OOD – k ulinar ische U top ien in 3D IDEEN & T HE SEN Z UR Z UK UNF T D E S E S SENS — Die Debatten und Gespräche zur Ernährung von Übermorgen haben eine Vielzahl von Ideen hervorgebracht, deren Ansätze aufzeigen, wie sich Gastronomie, Handel oder Lebensmittelhersteller genau so wie Konsumenten auf die Chancen und Herausforderungen der Zukunft vorbereiten können. Die Ideensammlung umfasst eine Bandbreite von realitätsnahen Konzepten, die schon heute in Gastrobetrieben oder der Produktion berücksichtigt werden könnten, bis hin zu Denkanstössen für eine fernere Zukunft. Parallel dazu hat W.I.R.E. während dem Betrieb des «Gasthauses zum Übermorgen» Thesen entwickelt, die Leitplanken und Diskussionsgrundlagen für die Entwicklung der nächsten Generation von Lebensmitteln und Ernährung liefern. 79 ID EEN Z UR Z UK UNF T D E S E S SENS FÜR G A S T RONO MI E , I N D U S T R I E U N D G E S ELL S C H AF T #2 F OOD P OR N Glamour au f dem T eller E ssen in K indergärten und S chulen ästhet isch und or iginell inszenieren und dami t die E xper iment ier freudigk ei t der K inder steigern # 1 S PAC E F O O D E ssen f ür d ie R e ise zum M ars A nt i- Jetlag N ahrung Dates i n v i rtuellen R estaurants statt s k ype Dates m i t Freunden , d i e zu we i t weg wohnen , um s ie real zu tre f f en M ehr E xper imente : G e f r i ergetroc k nete Früchte und G emüse in d ie Mensa ! T echnolog i e , d ie unterstützt , zur r i cht igen Z e i t zu essen ( w i e es auch R aumfahrer tun) H ome -D eh y dr ierer, um N ahrungsm i ttel länger haltbar zu machen Nutzung der S chwerelos ig k e i t f ür d i e extraterrestr ische Genussopt im ierung S pace grown organ ic f ood komplett f rei von weltli chen S chadsto f f en Kant inen, bewusst darau f ausgelegt , den i nterd isz ipl inären A ustausch in B etr ieben zu f ördern # 5 R E -T H I N KI N G F O O D k ul inar ische U top ien in 3 D N eues Forschungs f eld f ördern zu mögl i chst e f f i z ient produz ierten N ahrungsmi tteln Fleisch aus dem L abor: S tea k des guten G ew issens! T ransport- E xternali täten verr ingern: Wasser und dam i t Volumen dem P roduk t entz iehen, anschliessend lo k ale Z ugabe von Wasser zur W iederherstellung der T extur Brot ohne Krümel er f inden E ssen übers Internet bestellen und zu H ause selbst ausdruck en H andy verbot am E sst isch- im R estaurant und zu H ause Sparprogramm für R estaurants und pr i vaten Küchen: Lieber k leinere P ort ionen, dafür schön inszeniert Sensor ik-Übungen, um den Geschmack ss inn zu trainieren und dami t die Augen zu entlasten Hormonsnack gegen die M idlife - Cr isis #3 F OOD WA S T E Kulinar ische Kreisläufe Gemeinschaf tst ie fkühler im H aus Ordnungsh ilfen für Kühlschränk e M orgendl iche R estentauschbörse au f dem B ür k liplatz H ausschweine statt H ausk atzen in den H interhöfen der S tadt für die E ssensresten! J ährliche S tadtmetzgete mi t lok al produz iertem Fleisch Algor i thmen die helfen , M enus aus R esten zu kochen Künstliche V erteuerung von Lebensm i tteln und B erück sicht igung von E xternali täten #4 P ER F OR M ANCE F OOD Spe isen für Glück, S chönhei t und Intelligenz L abel für Super f ood N ahrungsmi ttel Smart W earables mi t eingebautem Lernsp iel, um sich beim Interpret ieren der eigenen Körpersignale stet ig zu verbessern B iof ood und P er f ormance f ood mi teinander verbinden : Die mi t zusätzlichen V i taminen versetzte B iok arotte Endlich Kalor ien -fre ie S chokolade S chnelltests für Lebensmi ttel , um sie au f S chadstoffe prüfen zu können Neue N ahrungsmi ttel , die einen intr ins isch mot i v ieren, Sport zu machen (oder ein Instrument zu lernen…) T HE SEN Z UR Z UK UNF T D E S E S SENS FÜR G A S T RONO MI E , I N D U S T R I E U N D G E S ELL S C H AF T #1 L ebensm i ttel und Küchen werden i ntell i gent. Dam i t wächst aber auch d ie S ehnsucht nach Überraschungen und M y then. Die Digitalisierung prägt auch den Lebensmittelsektor in zunehmendem Ausmass. Während Nahrungsmittel bezüglich Inhaltsstoffen und Herkunft seit Jahren transparenter werden, helfen intelligente Systeme künftig vermehrt bei der Zubereitung: Algorithmen unterstützen in der Küche bei der Zubereitung von Speisen, helfen neue Geschmacksstoffe zu kombinieren oder Rezepte aus Speiseresten in Kühlschränken zu erstellen. Kochroboter dürften in Gross- und Kleinküchen zum Einsatz kommen, damit Effizienz steigern und für die Köche Zeit schaffen, die anderweitig genutzt werden kann. Als Folge davon wächst aber auch die Sehnsucht nach Überraschungen und der mythischen Bedeutung von Nahrung, die mit der fortschreitenden Technologisierung unter Druck geraten ist. Menschliche Kochkunst und die Schaffung von Atmosphären beim Kochen und Essen gewinnen an Bedeutung. #2 #4 Di e nächste G enerat ion N achhalt i gk ei t verbi ndet das N ahrungss y stem mi t dem Ö ko - , G esundhe i ts -, und S oz i als y stem. Nachhaltigkeit wird in Industrienationen zum Standard in der Gastronomie und bei der Nahrungsmittelherstellung. Dies beinhaltet Transparenz über Inhaltsstoffe, genauso wie Kenntnisse über die Herkunft und die Wertschöpfungskette. Während ökologisch produzierte Lebensmittel heute als Differenzierungsmerkmal gelten und höhere Margen erzielen, dürfte sich die Abgrenzung durch diese Mehrwerte zunehmend abschwächen. Gleichzeitig wird sich die Unterscheidung zwischen industriell und natürlich hergestellten Produkten abschwächen, da «künstliche» Methoden biotechnologische Prozesse anwenden und weder Schadstoffe noch ungesunde Inhaltstoffe enthalten werden. Im Gegenteil: Der Biofood von morgen könnte aus dem Labor E ssen verbindet alle Sinne und erdet die M enschen im Z ei talter der V irtual isierung. Während die Globalisierung zu einer Homogenisierung der Esskultur beiträgt und die Mechanismen der Erlebnisgastronomie zu einer Angleichung vieler Gastronomiebetriebe führen, wächst gleichzeitig die Sehnsucht nach kulinarischen Erlebnissen. Dabei geht es nicht um die Inszenierung von Restaurants im Sinne der Erlebnisgastronomie der 1990er Jahre, sondern vielmehr um eine subtile Verknüpfung unterschiedlicher Gestaltungselemente auf verschiedenen Erfahrungsdimensionen. Im Kern steht dabei auch der Mut ungewöhnliche Elemente miteinander zu verbinden und die Vielfalt in der Gastronomie zu erhöhen anstatt unter Effizienzdruck immer mehr standardisierte Prozesse und Gestaltungselemente anzuwenden. Innovation in der Gastronomie entspricht in aller Regel nicht den eher konservativen Essbedürfnissen von Konsumenten. Dennoch gilt es für die Gastronomie der Zukunft, gerade vor diesem traditionellen Hintergrund der lokalen Esskulturen, Esskonzepte und Erfahrungen breiter zu denken und Experimente zu fördern, welche die Auseinandersetzung mit Neuem nicht in der Theorie betreibt, sondern im realen Leben. N ahrung w ird personalis iert. Gerade darum w i rd d ie soz i ale V ernetzung be i m E ssen i n Z u k un f t noch w icht iger . Mit dem besseren Verständnis darüber, wie Nahrung unseren Gesundheitszustand beeinflusst und welche Rolle unsere genetische Konstitution dabei spielt werden Konzepte der personalisierten Ernährung in den nächsten Jahren Marktreife erlangen. Diagnostische Tests können helfen, Lebensmittel zu identifizieren, auf die wir allergisch sind oder die besonders bekömmlich oder aufgrund von Veranlagungen sogar notwendig sind, um den Ausbruch von Krankheiten zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Als Folge werden sich die Speisepläne bei Restaurants und Familientischen basierend auf den individuellen Präferenzen und Bedürfnissen immer weiter spezialisieren. Damit wird es aber gleichzeitig schwieriger, gemeinsam dasselbe Menu zu essen, und der soziale Austausch beim Essen gerät noch weiter unter Druck. Für Gastronomie und Industrie wächst die Notwendigkeit Lösungen zu entwickeln, wie individuelle Ernährung mit sozialer Vernetzung kombiniert werden kann. So entsteht in der Gastronomie - auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Fragmentierung der Gesellschaft im Zeitalter der Virtualisierung von Beziehungen in sozialen Netzwerken - Potential in Kantinen und Restaurants den Austausch zwischen den Gästen zu fördern. #3 stammen. Künstlich hergestelltes Fleisch ist aus Tierschutzperspektive wünschbar, verursacht keine Treibhausgase wie die Viehzucht und kommt ohne Hormonzusätze aus. Die nächste Generation von nachhaltigen Lebensmitteln geht aber über die ökologische Produktion hinaus und verknüpft das Nahrungssystem mit dem Öko, Gesundheits- und Sozialsystem: Lebensmittel, die beispielsweise lokal in urbanen Treibhäusern produziert werden, müssen nicht über lange Distanzen transportiert werden, enthalten keine Schadstoffe und sind deshalb gesünder und fördern die Auseinandersetzung und Kompetenzen der Menschen, indem sie lokale Gemeinschaften direkt in den Anbau und die Ernte einbinden. Diese Art des Denkens in vernetzten Systemen könnte auch für Gastronomie und Hersteller an Bedeutung gewinnen und Lebensmittel und Küchen mit neuer Bedeutung versehen. #5 Unsere E ss k ultur verändert sich , aber nicht jeder Foodtrend ist tatsächlich relevant . Das Konsumverhalten verändert sich: Das Leben verschiebt sich in den digitalen Raum, die Schnelllebigkeit fördert die Nachfrage nach Convenience. Leistungssteigerung, Schönheit und Gesundheit sind Kernwerte der modernen Gesellschaft geworden. In der Folge transformiert die Spirale aus Angebot und Nachfrage, getrieben durch neue Technologien und Sehnsüchte immer mehr Märkte – auch im Bereich der Ernährung. Das frühzeitige Erkennen und Umsetzen der wichtigen Trends verspricht Marktwachstum und höhere Margen. Doch immer mehr Konsumenten sind von den wachsenden Angeboten und der hohen Dynamik überfordert und die Bereitschaft, sich beim Essen auf neue Produkte und Erfahrungen einzulassen, ist beschränkt. Die Möglichkeit Nahrungsmittel für Leistungssteigerung und Optimierung der Schönheit einzusetzen dürfte deshalb in Realität schwer umsetzbar sein, einerseits weil die Komplexität beim Essen durch regulatorische Hürden und Produktrisiken zunehmen würde, andererseits weil Essen sei je durch den «Bauch» geht. Die Herausforderung der nächsten Jahre wird für Lebensmittelhersteller und Gastronomie darin liegen, den schmalen Grat zwischen Tradition und neuen Mehrwerten so zu gestalten, das dem Wunsch nach Erlebnissen und Gesundheit Rechnung getragen wird, ohne dass das Genuss- und Lustgefühl dabei auf der Strecke bleibt. III Zum Gasthaus 85 W.I.R.E. W.I.R.E. ist ein interdisziplinärer Think Tank, der sich mit globalen Entwicklungen in Wirtschaft, Gesellschaft und den Life Sciences befasst. Im Fokus der Arbeit stehen die kritische Auseinandersetzung mit etablierten Sichtweisen sowie die Entwicklung von Ideen, strategischen Konzepten und innovativen Produkten. Gleichzeitig funktioniert W.I.R.E. als Plattform für den Austausch zwischen Akteuren aus Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Politik und Design. Dabei stellt der Think Tank seine Expertise in den Dienst ausgewählter Unternehmen und Institutionen. Nebst der Partnerschaft mit der Bank Julius Bär und dem Collegium Helveticum der ETH Zürich und der Universität Zürich verfügt W.I.R.E. über ein internationales Netzwerk aus Experten, Vordenkern und Entscheidungsträgern. → www.thewire.ch S V GROUP Als leidenschaftliche Gastgeberin verpflegt und umsorgt die SV Group ihre Gäste, sie schafft Genusserlebnisse und Lebensqualität. Mit ihrem Versprechen «Passion for quality» strebt die SV Group bei all ihren Tätigkeiten höchstmögliche Qualität an. Die SV Group wurde vor 100 Jahren (1914) als Sozialwerk gegründet, aber von Beginn an unternehmerisch geführt. Daraus hat sich ein führendes, dynamisches Unternehmen mit heute über 8000 Mitarbeitenden entwickelt: Ihre Gastfreundschaft und ihr Engagement sind der Schlüssel zum Erfolg. Die SV Group verknüpft seit je wirtschaftliche Leistung mit gelebter sozialer und ökologischer Verantwortung und wird das auch in Zukunft tun. Dieses gesellschaftliche Engagement wird zusätzlich verstärkt durch die gemeinnützige Arbeit der SV Stiftung als Mehrheitsaktionärin der Aktiengesellschaft SV Group. Die SV Group war, ist und bleibt ein Pionierunternehmen mit Nachhaltigkeit als Kompass. → www.svgroup.ch Patr ick Zb inden Patrick Zbinden ist Fachmann für Kulinarik mit Schwerpunkt Sensorik, d.h., der Wissenschaft der menschlichen Wahrnehmung beim Essen und Trinken. Als freischaffender Food-Journalist schreibt er für diverse Magazine und Zeitungen. Neben seiner journalistischen Tätigkeit leitet er seit mehreren Jahren Degustationsseminare. Darüber hinaus entwickelt er kulinarische und multisensorische Inhalte für Gastronomiebetriebe und Events. → patrickzbinden.wordpress.com S enem W i ck i Basierend auf ihren Schwerpunktthemen Innovation, Organisationsentwicklung, Standortentwicklung und Zukunft von Banken berät Senem Wicki bei W.I.R.E. Unternehmen und öffentliche Institutionen. Daneben betreut sie Ausstellungen und Veranstaltungen im W.I.R.E.LAB, dem «Haus der Zukunft». Sie ist seit rund zehn Jahren am Knotenpunkt von Wirtschaft und gesellschaftlicher Veränderung tätig und hat als Strategieberaterin und Coach Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Politik im internationalen Kontext begleitet. Sie hat an der KaosPilot-Schule in Dänemark studiert und besitzt einen Masterabschluss der Zürcher Hochschule der Künste. Das G asthaus zum Übermorgen wäre nicht möglich gewesen ohne: D ie S tadt Z ür ich für das H aus der Z uk unf t D IE UN T E R S TÜT Z E ND E N UN T E R NE HME N: Carma / Barry Callebaut, Collegium Helveticum, Essento, Givaudan, Halter Bonbons, Julius Bär, Thermomix R E FE R E N T E N UND R E FE R E N T INNE N: Bruno Stanek, Raumfahrtexperte; Sami Coll, Universität Genf, Pia Grimmbühler für Live-Food Fotografie; Renzo Blumenthal, Bio-Bauer; Claudio Beretta, PhD ETH Zürich und Foodwaste.ch-Vereinspräsident; Dr. Liv Kraemer, Dermatologin und Beautyindustrieexpertin; Dr. Thilo Beck, Chefarzt Psychiatrie ARUD Zentren für Suchtmedizin D E S IGNE R, KÜNS T LE R UND R E Q UIS I T E N D E R T HE ME NINS Z E NIE RUNG: Rudolf Mohr; huber.huber; Valeria Felder und Anna Pedemonte; SRF Requisiten und Fundus; Quiet Ensemble – Bernardo Vercelli und Fabio di Salvo; Jonathan Keep, Keep-Art und Hackuarium Lausanne UND N ATüR LICH D E M T E A M vom S W IS S C OM R E S TA UR A N T B IN Z Jürg Steurer, Restaurant Manager; Stefanie Graf, Sous Chef und das ganze SV Küchen- und Serviceteam UND A LLE N G Ä S T E N FÜR D E N MU T A UF DA S NE UE UND DA S MI T D E NK E N FÜR ÜB E R MORGE N 87 #5 R E -T H INKING F OOD k ulinar ische U top ien in 3D #3 F OOD WA S T E – Kulinar ische Kreisläufe #3 F OOD WA S T E Kulinar ische Kreisläufe #5 R E -T H INKI NG F OOD – k ul inar ische U top ien in 3D #2 F OOD P OR N – Glamour auf dem T eller #1 SPACE F OOD – E ssen für die R eise zum M ars #5 R E -T H INKI NG F OOD – k ul inar ische U top ien in 3D © 2015 W.I.R.E. Gesamtkonzept und Inhalt: Senem Wicki, Stephan Sigrist (W.I.R.E.) Kulinarische Kuration: Patrick Zbinden; Claudio Schmitz, Peter Lutz (SV Group); Jürg Steurer, Stefanie Graf (Swisscom Restaurant Binz) Eventmanagement und Kommunikation: Barbara Brandmaier (W.I.R.E.) Eventkoordination und Unterstützung: Alejandra Pinggera, Stefan Pabst, Nicholas Bornstein, Simone Achermann (W.I.R.E.) Gestaltung: Kristina Milkovic (W.I.R.E.) www.thewire.ch Dies ist eine Publikation von W.I.R.E. welche zu Informationszwecken dient und nicht unbedingt der Position oder Ansicht der Kooperationspartner, dem Collegium Helveticum in gemeinsamer Trägerschaft der ETH Zürich und Universität Zürich sowie der Bank Julius Bär & Co. AG entspricht. Sie wurde nicht durch die Bank Julius Bär & Co. AG, Zürich oder eine ihrer Tochtergesellschaften oder ein mit ihr verbundenes Unternehmen (zusammen «Julius Baer») verfasst, geprüft oder genehmigt. 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