Patrick Zobrist (Only in German)

5. Luzerner Tagung zur Arbeitsintegration
Potenzial personenzentrierter
Ansätze
11. November 2015
Referat
Wie beraten, wenn Sanktionen drohen?
Patrick Zobrist
Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Die Unterlagen finden Sie auch unter: www.hslu.ch/fachtagung-arbeitsintegration
Hochschule Luzern –
Soziale Arbeit
Tagung Arbeitsintegration 15
Wie beraten, wenn
Sanktionen drohen?
Patrick Zobrist
Dipl. Sozialarbeiter FH/
Master of Arts in Sozialer Arbeit
Dozent/Projektleiter
Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
Daumenschraube
(17./18.Jh.)
(Bild: Stapferhaus 2004:78)
5. Luzerner Tagung zur Arbeitsintegration vom 11.11.2015
Potenzial personenzentrierter Ansätze
Kritik an Beratung im Sanktionskontext
Beratung unter Sanktionsdruck: „Darf nicht“
„Zwang entwertet professionelle Beziehung“
„Beratung“: Nur wenn Wahlfreiheit gewährleistet ist
(Nestmann 2012: 27; identisch: Großmaß 2010: 183,
vgl. auch 2. Frankfurter Erklärung der DGVT zur Beratung, 2012)
Beratung unter Sanktionsdruck:
„Kann nicht funktionieren“
„Nur unter der Voraussetzung, dass Beratung ergebnisoffen den
Orientierungsbedürfnissen und den Entscheidungsanstrengungen der
Ratsuchenden folgt, und ohne Sanktionsdruck auskommt, kann eine
vertrauensvolle Beratungsbeziehung entstehen (...)“
(2. Frankfurter Erklärung der DGVT zur Beratung, 2012)
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Soziale Arbeit
Tagung Arbeitsintegration 15
These:
Beratung unter Sanktionsdruck – das „darf“ und
„kann“, aber nur unter bestimmten Bedingungen!
(Bild: Stapferhaus 2004:78)
???
Inhalt
1) „Beratung“ und „Sanktionsdruck“: Annäherungen an
die Begriffe und ihre Folgerungen
2) Unter welchen Bedingungen wirken Zwangskontexte?
3) Methodische Prinzipien bei der Beratung unter
Sanktionsdruck
4) Ein Gedanke zur Legalität und Legitimität
5) Fazit
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Was ist „Beratung“?
Beratung =
„(...) ein zwischenmenschlicher Prozess, in welchem eine
Person (...) mehr Klarheit gewinnt über eigene Probleme
und deren Bewältigungsmöglichkeiten. Die Hilfe zur
Selbsthilfe (...) ist ein entscheidendes Element von
Beratung.“
(Warschburger 2009: 16)
Beratung =
„Anleitung zur selbstgesteuerten Problemlösung“
(Gregusch 2005)
Kennzeichen von Beratung (vgl. Warschburger 2009: 32f.)
- vertrauensvoll
- theoretisch fundiert und evidenzbasiert
- problem- und lösungsorientiert, ressourcenorientiert
- Handlungskompetenzen aufzeigen und erweitern
- partizipativ
- planvoll und zielgerichtet
- klientenspezifisch/zielgruppenspezifisch/
lebensweltorientiert
- interdisziplinär
- qualitätskontrolliert
- offen für neue Formen/Settings
- niedrigschwellig
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Vermutung: Nicht alle Interaktionsformen in der
Arbeitsintegration
- sowohl bei den Zuweisenden
- als auch bei den Anbietern
sind „Beratung“ (i.e.S.)!
(vgl. Schaufelberger/Zobrist , i.Vorb.)
Fordern
- Sachverhaltsklärungen/Sanktionierungen
- Informationsvermittlung zu den Grundlagen
- ...
Sondern:
Fördern
- Anleitung
- Coaching
- Kompentenztrainings/Befähigungen
- Beratung
- ...
Sanktionsdruck
Formen der Selbst-/Fremdbegrenzung
(Schwabe, 2008)
Formen der
Fremdbegrenzung
Formen der
Selbstbegrenzung
Bitte
Appell
klare Verhaltensaufforderung
Ankündigung von Konsequenzen
oder Sanktionen
Durchführung
von Sanktionen
Formen von
Zwang
Typische Sanktionen in der Arbeitsintegration
 Programmausschluss
 Kürzungen von Leistungen
d.h. es wird „desintegrierend“ sanktioniert
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Freiwilligkeit und Zwang konstituieren
individuelle Handlungsspielräume
(vgl. Giddens 1997, Schwabe 2008, Kähler/Zobrist 2014, Lindenberg/Lutz 2014)
Regeln
Strukturen
ermöglichen
Ressourcen
Handlungsspielräume
begrenzen
Handeln
Freiwilligkeit
Zwang
Unfreiwilligkeit
strukturell
i.e.S.
gesetzl. Auftrag
Bund/SECO
Kantonale
Amtsstelle (AWA)
RAV
VG
Fordern &
Fördern
PB
Rollenerwartungen/Rollenübernahmen
Beispiel: Rollenkonstellationen in der ALV
RAV
VG
Fordern &
Fördern
PB
Rollenerwartungen/
Rollenübernahmen
AMMInstitution
Berater
Stes
soziales Umfeld
Stes
soziales Umfeld
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Tagung Arbeitsintegration 15
Welche Akteure haben
welche
Handlungsspielräume?
Was bedeutet das für die
Interaktionen (inkl.
Beratung) in der
Arbeitsintegration?
Empirische Hinweise zu Veränderungschancen in
Zwangskontexten (vgl. Kähler & Zobrist 2013: 73f.)
- Soziale Arbeit: Ca. in der Hälfte der Fälle in Zwangskontexten
sind positive Wirkungen zu verzeichnen (Kähler/Zobrist 2013)
- Psychiatrie: Initiale Zwangsbehandlung bei Psychotikern reduziert
die Aufenthaltstage und erhöht die Klientenautonomie (Frank et al.
2005), v.a. kurzfristige Wirkung (Steinert & Schmid 2004).
Partizipation trotz Zwangsbedingungen wichtig (Thornicroft et al.
2010)
- stationäre Suchttherapie: Effekte der „freiwilligen“ und
„zwangsweisen“ Behandlung vergleichbar (Schaub et al. 2010)
- Straftäter: generelle Rückfälligkeit wird durch psychosoziale
Behandlungen um rund 30% reduziert (Lipsey & Cullen 2007),
sofern spezifische Prinzipien eingehalten werden.
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Spezifische methodische Wirkfaktoren
(vgl. Trotter 2001, 2015)
 Auftrags- und Rollenklärung
 Motivationsförderung & Aktivierung der Klienten
 Pro-soziales Rollenmodell/Differenzierte Empathie
 Strukturierte Interventionen
 Aktive Bewältigung von Widerstand
 Gemeinsamer Problemlösungsprozess & Ziele
 Verhaltensnahe Interventionen; alltagsnahe Veränderungen,
Einbezug des soz. Umfelds
 Kompetenzförderung/Fertigkeitstrainings
Fazit:
Welche forschungsbasierten Faktoren sind
wichtig?
- Transparenz, Klarheit, Orientierung
- Selbstbestimmung, eigene Ziele der Klienten,
Motivation für Veränderung, Sinnhaftigkeit,
Perspektiven
- Beteiligung, Befähigung, Ermöglichung,
Ermächtigung und gute Beziehungsgestaltung
A Aufträge, Rollen und Erwartungen klären
B Bewegung, „movere“ Veränderungsmotivation
Personenzentrierung
Individualisierung
Subjektivität
C Co-Operation
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A
Tagung Arbeitsintegration 15
– Aufträge, Rollen und Erwartungen klären
Wer will was von wem?
gesetzl. Auftrag
Bund/SECO
Kantonale
Amtsstelle (AWA)
RAV
VG
Fordern &
Fördern
PB
Rollenerwartungen/Rollenübernahmen
Allseitige Erwartungen und Rahmenbedingungen
klären
RAV
VG
Fordern &
Fördern
PB
Rollenerwartungen/
Rollenübernahmen
AMMInstitution
Berater
Stes
soziales Umfeld
Stes
soziales Umfeld
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Sanktionen: Wann/wie/weshalb?
rechtl. Rahmenbedingungen
Rechte und Pflichten
Auftrags- und Rollenklärung
Befürchtungen, Erwartungen
Wünsche
Akteure,
Kooperation
& Kompetenzen
Informationsfluss und
Datenschutz
Ziel: Transparenz & Einschätzbarkeit
B
– „Bewegung“ – „movere“
Veränderungsmotivation
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Einschätzung der Kooperation und Motivation
(vgl.: Sachse et al. 2012)
Kontaktmotivation - Kooperationsbereitschaft
vs.
Veränderungsmotivation - Veränderungsbereitschaft
Motivationsdiagnostik:
Steht der Klient vor oder nach dem Rubikon?
Wille
Rubikon-Modell
(Heckhausen; zit. in Storch/Krause 2002)
Motivationsförderung
durch Klärungen
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Motivationsförderung durch:
unterstützen/befähigen für
Veränderungen
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Motivationsdiagnostik: Welche Motivationsstufe
bei welchem Thema?
Thema X ?
Thema Y ?
Thema Z ?
Transtheoretisches Modell der Veränderung von Prochaska/Di Clemente
(Frischknecht/Kiefer 2011)
Stand Methodenentwicklung:
Stufengerechte Intervention (Zobrist 2010)
Auftrags- und Rollenklärung
Förderung Problemeinsicht
„Klären vor Verändern“
Rückfall in alte Muster
antizipieren
Umsetzung unterstützen
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Ambivalenzenklärung
Zielklärung
Unterstützung der
Selbstwirksamkeit
Zielsetzung/Planung
Ressourcenaktivierung
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C
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– Cooperation und Beziehungsgestaltung
www.sozialarbeiterwitze.de
„Kooperation
lässt sich nüchtern definieren
als Austausch,
von dem alle Beteiligten
profitieren.“
Sennett, 2012:17
[email protected]
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Typisches „Beziehungsproblem“ in
Zwangskontexten...
Widerstand
Widerstand als „Oberflächenphänomen“
Widerstand
Sozialwissenschaftliche
Erklärungsansätze
Reaktanz-Theorie (Brehm)
Widerstand entsteht bei
Einschränkung von
Handlungsspielräumen
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Bedürfnis-Theorie (Grawe)
Widerstand entsteht bei
Problemen der
Bedürfnisregulation oder zur
Bedürfnisregulation
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Soziale Arbeit
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Prinzipien der Beziehungsgestaltung
(vgl. Kähler/Zobrist 2013; Mayer 2009)
- Auftrags- und Rollenklärung  „A“
- Beteiligung, Befähigung, Autonomie zurückgeben
- Widerstand explizit akzeptieren und darauf eingehen
- Grundbedürfnisse im Kontakt befriedigen
(Grawe 2004)
Orientierung und Kontrolle
Selbstwertschutz/Selbstwerterhöhung
Bindung/Beziehung
Luststreben/Unlustvermeidung
Wann „darf“ nicht beraten werden, wenn
Sanktionen drohen?
Ethische Leitlinien
erfüllt
Ethische Leitlinien
nicht erfüllt
Rechtliche
Grundlagen erfüllt
• Verhandelbares
klären
• Rechte und
Pflichten klären
• transparent
informieren
• Änderung der
Grundlagen
bewirken
• Offener/verdeckter
Widerstand leisten
• Arbeitsplatz
wechseln
Rechtliche
Grundlagen nicht
erfüllt
• Kl. über
Folgen/Risiken
informieren
• Auf rechtliche
Schranken
hinweisen
• Kl. motivieren,
ausserhalb des
Zwangskontextes
Hilfe anzunehmen
Kähler/Zobrist 2013: 84f. (nach Rooney 2009: 34)
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Haltungen, wenn unter Sanktionsdruck gearbeitet
wird
(vgl. Kähler/Zobrist 2013: 75, Conen 2011: 141f., Bibus 2009,
411ff.)
- Zwangskontexte eröffnen Veränderungschancen, sofern die
Klientenautonomie im Sinne der Ko-Produktion kontinuierlich
unterstützt wird
- Achte auf Beteiligung der Klienten bei Entscheidungen und
fördere ihre Fähigkeiten
- Vermeide unreflektierte Formen der Machtausübung,
begrenze die Autonomieeinschränkungen und schaffe
Wahlmöglichkeiten
- Dokumentiere und legitimiere fachlich begründete und legale
Eingriffe
- Vor- und Nachbesprechungen mit KlientInnen und im
Rahmen von Supervision und kollegialer Beratung
- Nach einer Sanktionierung: Trotzdem Unterstützung
anbieten und den Klienten nicht alleine lassen
Fazit
Dafür:
 dem Zwangskontext angepasste
Methodik
 Berücksichtigung von personenzentrierten Aspekten (z.B. Motivation
Autonomie, Partizipation etc.)
 reflektierte Normen und Werte
Es ist zu betonen, dass in einem
liberalen Rechtsstaat (...) das
‚Recht auf Nichtveränderung‘
gilt!“
Kähler/Zobrist 2013: 120
[email protected]
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Literaturhinweise
Quellenangaben/weitere Literatur
[email protected]
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