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Ausgabe 3 / Mai 2015 / CHF 14.—
Liquiditätsprobleme
Employer Branding
Psychische Krankheiten
Engpässe überbrücken:
Wie sich in der Eurokrise finanzielle
Engpässe bei Lohnzahlungen überbrücken lassen. S. 10
Auffallen um jeden Preis:
Was Auszeichnungen bei Arbeitgeberwettbewerben für das Employer
Branding bringen. S. 20
Den Dialog suchen:
Wie HR und Führung mit psychischen Problemen im Unternehmen
umgehen können. S. 30
«HR-Prozesse
wirksamer gestalten»
Birgitt Werkmann-Karcher,
Betriebspsychologin und ZHAWDozentin, über die Schnittstellen
von Psychologie und HRM. S. 6
Personalarbeit in der Praxis
Stufengerechte Bewerberinterviews
Begegnung auf Augenhöhe
Interviews stufengerecht führen — nichts einfacher als das. Sollte man meinen. In der Praxis
zeigt sich jedoch, dass sich selbst routinierte Recruiter bei Bewerbungsgesprächen nicht immer
optimal verhalten. Welches sind die Erfolgsfaktoren für eine stufengerechte Interviewführung?
Von Michel Maulaz
W
ie viele Interviews haben Sie schon
geführt? Als HR-Leiter/in, als HRBusiness-Partner, als Linienmanager, als
Teamleiter, als Unternehmer, als Personalberater/in? Und wie oft wurden Sie
selbst bereits interviewt, befragt, ausgequetscht, verhört oder mit irrelevanten
Fragen konfrontiert? Welche Erfahrungen haben Sie in der einen oder anderen
Rolle gemacht? Was waren positive Erlebnisse und Erkenntnisse? Wann wurde es
kritisch und welche Situationen waren für
Sie reine Zeitverschwendung? Und: Woran lag es?
Die Erwartungen, Anforderungen und
Ziele von Interviewer und Bewerber können sehr unterschiedlich sein. Das Setting
und die Haltung bestimmen vieles. Und
doch gibt es eigentlich viele gemeinsame
Interessen von beiden Gesprächsteilnehmern.
Wer ist der «Kunde»?
Der Fall ist doch eigentlich klar: Wer zahlt,
befiehlt, und so hat der Interviewer, der
zukünftige Arbeitgeber oder der Berater
als sein Vertreter natürlich die besseren
Karten in der Hand. Diese Haltung ist tatsächlich noch weitverbreitet, ob man es
glaubt oder nicht. Zumindest erfahren wir
dies immer wieder von Kandidatenseite,
wenn von schlechten Interviewerlebnissen die Rede ist. Die Gründe sind wohl
vielfältig und die «Schuldigen» sind sicherlich auf beiden Seiten zu finden. Aber
Hand aufs Herz: Haben Sie sich passend
auf den Kandidaten eingestellt? Ist Ihnen
klar, welche Fragen Sie mit dem Kandidaten klären möchten bzw. sollten? Oder
wenn wir uns in die Situation der Kandidaten versetzen: Testen diese einfach mal
ihren Marktwert oder sind sie ernsthaft
am Job interessiert? Schaffen sie es, in
Die falsche Haltung: Wer arrogant auf seine Bewerber herunterblickt, setzt seinen Ruf aufs Spiel.
wenigen Minuten knackige, interessante
und relevante Aussagen zu ihrem Leistungsausweis zu formulieren? Wie erläutern und plausibilisieren sie ihre Misserfolge und «dunklen Flecken» im CV? Wie
haben sie sich auf ihren Gesprächspartner
vorbereitet und eingestellt?
Wer ist der «König»?
Wir leben bekanntlich nicht in einer
Monarchie. Und auf dem internationalen
Parkett existieren Monarchien höchstens
noch aus Nostalgiegründen. Die Gesprächspartner sollten sich im Interview
bewusst sein, dass keiner der Teilnehmer
«auf dem Thron» sitzt und auf den anderen herunterblickt. Und Unterwürfigkeit und anbiederndes Verhalten sind
ebenfalls nicht angebracht. Die passende Haltung ist wohl eine Begegnung auf
Augenhöhe und so sind wir auch beim
Thema «Stufengerechte Interviewführung». Aber was heisst denn das konkret?
Wie kann ich mich anpassen und bleibe
dennoch authentisch? Wie erreiche ich
im Interview meine Ziele? Wie komme
ich zu den Informationen, die für mich
relevant und wichtig sind? Und welches
sind denn die Erfolgsfaktoren für eine stufengerechte Interviewführung?
Fokussierte Vorbereitung
Vorbereitung ist das A und O. Und gleichwohl: Im Rekrutierungsalltag ist der Zeitdruck oft gross. Die Konzentration aufs
Wesentliche ist deshalb oft eine sinnvolle
Devise:
• Welche Informationen muss ich wann
haben, um meinen weiteren Entscheid
fällen zu können?
• Welche Fragen gilt es zu klären, damit ich glaubhaft Alternativen prüfen
kann?
Nicht auf jeder Stufe sind die gleichen
Fragen relevant und ist damit dieselbe
Vorbereitung auf das Interview nötig. Der
Bezug zur Aufgabe bzw. zum Kandidaten
muss unbedingt von Anfang an gegeben
sein. Disqualifizieren Sie sich hier nicht
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Personalarbeit in der Praxis
selbst. Dies gilt natürlich für beide Seiten,
insbesondere aber für den Recruiter. Zu
detaillierte Fragen im Erstgespräch auf
C-Level sind sicher nicht empfehlenswert.
Und auf Stufe Fachspezialist braucht es
vermutlich keine Vertiefung zur künftigen
Unternehmensstrategie.
Klare Prozessführung
Ein klar kommuniziertes Timing und die
Definition der wichtigsten Prozessschritte (z.B. Vorgespräch, Zweitgespräch, Präsentation, Assessment, Schlussgespräch,
Verhandlung) machen allen Parteien das
Leben leichter. Klar braucht es auch eine gewisse Flexibilität. Schwierig wird
es, wenn von Bewerberseite die Haltung
vorherrscht: «Also, ich stehe eigentlich
nur abends oder am Samstag für Gespräche zur Verfügung.» Umgekehrt schätzen es Kandidaten sehr, wenn bereits
beim Erstkontakt gewisse Zeitfenster für
die wichtigsten Prozessschritte vom
Recruiter kommuniziert werden. Gerade
auf Top-Level sollte dies zum Standard
gehören, da die Terminkalender meist
sehr voll sind.
Authentische Kommunikation
Passen Sie Ihre Sprache nach Möglichkeit an und bleiben Sie gleichwohl Sie
selbst, authentisch. Hochtrabende Formulierungen irritieren und wirken künstlich. Zu beachten ist auch der ausgeglichene Redeanteil. Stellen Sie Fragen,
zeigen Sie Interesse. Aber nehmen Sie sich
auch zurück, wenn nötig. Setzen Sie für
C-Level-Interviews keine Newcomer ein.
Es braucht eine gewisse Seniorität, um
mit einem potenziellen CEO ein Gespräch
auf ähnlichem Level zu führen und Akzeptanz zu erhalten.
Stufengerechte Fragetechnik
Je anspruchsvoller die diskutierte Funktion ist, desto differenzierter sollte Ihre
Fragetechnik sein. Reflektieren Sie wieder
einmal Ihre Interviewtechnik und passen
Sie diese an, wenn nötig.
Welchen Themen sollten Sie im Interview
auf Executive-Level besondere Beachtung
schenken? Versuchen Sie, Persönlichkeitsmerkmale zu identifizieren, die bei Führungskräften besonders ausgeprägt sein
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Die wichtigsten Grundsätze
• Konzentration auf das Thema – nicht
abschweifen
• Feedback geben
• aktiv zuhören
• Aufmerksamkeit fördern
(z.B. mithilfe von Visualisierungen
wie Präsentationen, Charts)
• mit Fragen führen
• Dialog statt Monolog
• Ängste nehmen
• Anschlussfragen stellen
sollten (gemäss einer Studie von Spencer
Stuart; Quelle: «Mit den besten Interviewfragen die besten Mitarbeiter gewinnen»,
Arthur Schneider, Praxium Verlag):
1. Leidenschaft und Engagement für
die Arbeit und das Unternehmen
2. Intelligenz und Klarheit des Denkens
3. Hervorragende Kommunikationsfähigkeiten
4. Hohes Energieniveau
5. Ein beherrschtes Ego
6. Innere Zufriedenheit und
Ausgeglichenheit
7. Wegweisende und prägende
Lebenserfahrungen
8. Ausgeglichenes und harmonisches
Familienleben
9. Positive Grundhaltung und Lebenseinstellung
10. Konzentration auf «doing the right
things»
Diese Punkte lassen sich im Laufe eines
Rekrutierungsprozesses immer mehr verifizieren. Vielleicht sind sie zu Beginn nur
als Bauchgefühl vorhanden. Später erhärten sich gewisse Eindrücke oder sie verschwinden. Variieren Sie Ihre Fragetechnik, um den Kandidaten auf den Zahn zu
fühlen. Für Interviews mit Fachspezialisten eignen sich eher standardisierte, detaillierte Fragebogen (Checklisten, Vorgaben des zukünftigen Linienvorgesetzten
etc.). In Interviews mit Führungskräften
ist es durchaus sinnvoll, auch intuitiv vorzugehen.
Zur fundierten Abklärung gewisser Kompetenzen werden oft Assessments eingesetzt. Neben dem Einsatz von Diagnoseinstrumenten und Praxisübungen (z.B.
Präsentationen, simulierte Führungsgespräche und Management-Cases) ist
das Interview ein wichtiger Bestandteil
der Beurteilung. Im Vieraugenprinzip
und psychologisch unterstützt, werden
kompetenzbasierte
Verhaltensweisen
mit dem Kandidaten besprochen und reflektiert. Der Beizug von Spezialisten nach
dem Second-Opinion-Prinzip ist hier wohl
der Normalfall.
Informationen festhalten
Wie halten Sie als Interviewer Informationen aus den Gesprächen fest? Protokollieren Sie das Gespräch mithilfe eines
Laptops oder eines Tablets? Vermutlich
wirken Sie so auf Ihren Gesprächspartner
nicht sehr präsent und konzentriert auf
das Gespräch. Handnotizen auf einem
vorbereiteten Formular sind sinnvoll.
Dabei sind auch hier Schwerpunkte zu
setzen. Wenn es um die Besetzung von
Fachfunktionen geht, steht eher die Klärung von Fachkompetenzen, konkreten
Resultaten und Erfolgen bzw. Misserfolgen im Vordergrund. Bei ManagementPositionen werden Sie versuchen, mehr
zur Persönlichkeit und zum Führungsverhalten zu erfahren. Vertritt der Kandidat
ähnliche Werte wie wir in der Unternehmung? Wirkt der Kandidat leidenschaftlich? Wie stellt er sich und seine Vita dar?
Übertragen Sie nach den verschiedenen
Interviewschritten (Interview-Kaskade)
die wichtigsten Informationen in Ihr Bewerbersystem. So sind diese Fakten jederzeit wieder auffindbar und vor allem
auch für Ihre Kolleginnen und Kollegen
verfügbar. Aber auch die Kandidaten sind
gefordert, Stichworte festzuhalten und
die Antworten auf ihre Fragen zu notieren. Dies verhindert, dass Fragen doppelt
und dreifach gestellt werden (z.B. in Folgegesprächen). Immer wieder kommt es
vor, dass Kandidaten keinen Notizblock
vor sich haben oder am Ende des Interviews vor einer leeren Seite sitzen. Sicher
ein No-Go!
Für Transparenz sorgen
Standardmässig sind auch formale Themen abzufragen, und dies bereits im Erstgespräch: Dazu gehören insbesondere Informationen zur Verfügbarkeit sowie zu
anderen Jobangeboten (Entscheidungsdruck). Thematisieren Sie auch die Salärerwartungen von Beginn weg. Seien Sie
Personalarbeit in der Praxis
diesbezüglich offen, denn beide Seiten
haben ihre Rahmenbedingungen. Während der Kandidat gewisse Erwartungen
mitbringt, sind die Vorstellungen des Arbeitgebers an sein Budget gebunden.
Der Anspruch an Transparenz, Ehrlichkeit
und Offenheit ist heute von beiden Seiten hoch. Machen Sie sich gegenseitig
nicht ein X für ein U vor. Prüfen Sie, ob
Kandidaten konsistent und transparent
auftreten. Entsprechen die Social-MediaProfile dem CV? Stimmen die Lebenslauf-Daten und die Funktionen überein?
Welche Kompetenzen verkaufen die
Kandidaten auf Xing und LinkedIn und
welche im Interview? Transparent sollten auch Sie als Interviewer auftreten:
Wie preisen Sie Ihren Job an, den Sie zu
vergeben haben? Erwähnen Sie auch
die Schattenseiten? Welches könnten
die Stolpersteine sein? Und sind Sie auf
kritische Kandidatenfragen vorbereitet?
Versuchen Sie zudem, auch bezüglich
des ganzen Search-Prozesses transparent
zu sein. Wo steht der Kandidat? Welches
sind die Entscheider? Wie sieht der Entscheidungsprozess aus? Für Kandidaten
auf Top-Level sind diese Informationen
essenziell, da doch das zeitliche Investment in der Regel gross ist.
Verbindlichkeit zeigen
«Ich habe wochenlang nichts auf meine
Bewerbung gehört und dann plötzlich eine Absage erhalten» – «Der Kandidat hat
mir seine Referenzangaben noch immer
nicht geliefert …» Kommen Ihnen solche
Aussagen bekannt vor? Auch schon mal
erlebt? Verbindlichkeit schafft Vertrauen. Vereinbaren Sie gemeinsam Termine,
Daten für Feedback und für offene Gesprächspunkte. Und halten Sie sich dar-
Let’s Talk
Business.
an. Anspruchsvoll wird dieses Thema im
Umgang mit direkt angesprochenen Executive-Kandidaten. Hier können Sie sich
als Recruiter von der Masse abheben. Der
Informationsfluss in der Kommunikation
wird zu Beginn eher einseitig sein, nämlich hin zum Kandidaten. Später kommt
jedoch der Zeitpunkt, zu dem sich mögliche Kandidaten entscheiden müssen,
ernsthafte Kandidaten zu werden. Die
langfristige Einstellung, glücklicherweise
abgeworben worden zu sein, stärkt zwar
vielleicht einen Moment lang das Ego, ist
aber auf Dauer in den Interviews und vermutlich im Assessment nicht zielführend.
Dresscode einhalten
Eine im Zusammenhang mit Bewerbungsgesprächen oft zitierte Redewendung
lautet: «Es gibt keine zweite Chance für
den ersten Eindruck.» Gleichzeitig heisst
es oft aber auch: «Jeder hat eine zweite Chance verdient.» Die Wahrheit liegt
wohl wie so oft in der Mitte. Mit Sicherheit gibt es aber Grundregeln, die es auch
heute in der Businesswelt zu beachten
gilt. Seien Sie sich bewusst, welche Botschaften Sie aussenden, wenn Sie in Freizeithosen statt im Anzug zum Interview
erscheinen. Verkörpern Sie als Interviewer
den Dresscode der Unternehmung? Weiss
ein Kandidat, wie man sich bei seinem
zukünftigen Arbeitgeber kleidet? Auch
hier gilt: stufengerecht und authentisch
bleiben. Eine Grundregel lautet für beide
Seiten: lieber over- statt under-dressed;
lieber diskret und vielleicht etwas konservativ statt bunt schillernd. Versuchen Sie
lieber nicht, um jeden Preis aufzufallen.
Fallen Kandidaten aus dem Rahmen, darf
man sie durchaus auf ihr Auftreten ansprechen. Denn nur wer die passenden
Antworten bereithält, kann sich ein extra-
vagantes Outfit, eine spezielle Frisur oder
auffälligen Schmuck leisten.
Glaubwürdig bleiben
Gehen Sie positiv, mutig, selbstbewusst
und mit klarem Kopf ins Interview. Konzentration ja; Verkrampfung nein. Begegnen Sie Ihrem Gesprächspartner trotz
allem Selbstbewusstsein auf Augenhöhe.
Seien Sie offen und stehen Sie auch zu
schwierigen Themen in Ihrer Unternehmung. Genauso sollten auch Kandidaten
zu den heiklen Punkten in ihrem Lebenslauf stehen. Vertrauliche Themen können offener diskutiert werden, wenn beispielsweise zu Beginn des Gesprächs eine
entsprechende Erklärung unterschrieben
wird. Gerade bei einer heiklen, verdeckten Suche ist dies empfehlenswert. «Verkaufen» Sie sich bzw. Ihr Unternehmen
im Interview adäquat. Aber seien Sie dabei nicht zu marktschreierisch unterwegs
und übertreiben Sie es nicht. Ihre Glaubwürdigkeit könnte ernsthaften Schaden
nehmen.
HR-Tool online
Checkliste Bewerberinterview
Mit dieser Checkliste gewinnen Sie die
Übersicht über die wichtigsten Themen
im Bewerberinterview.
Download: www.personal-schweiz.ch
Autor
Michel Maulaz ist
Managing Partner und
Mitgründer von Convidis
(www.convidis.ch).
Convidis ist eine HRBeratungsunternehmung
in den Bereichen Executive Search, Assessment und Management
Development mit Sitz in Glattbrugg/Zürich.
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