12 MENSCHEN Schwerpunkt: 25 Jahre Deutsche Einheit DB WELT | Nr. 10 | Oktober 2015 Die DB und ihre Mitarbeiter verbinden Deutschland +++ Die DB und ihre Mitarbeiter verbinden Deutschland +++ Die DB und ihre Mitarbeiter verbinden Deutschland +++ 1989 1 Vor 25 Jahren, am 3. Oktober 1990, wurde Deutschland wieder eins. Das galt gut drei Jahre später auch für die beiden deutschen Bahnen Zeit zu Handeln. Mit den sogenannten Verkehrsprojekten Deutsche Einheit gab der erste gesamtdeutsche Verkehrsminister Günther Krause im April 1991 den Anstoß. Reichs- und Bundesbahn waren aber hochverschuldet, eine Reform musste her, um den Bund finanziell zu entlasten und mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Am 5. Januar 1994 wurden die westdeutsche Bundesbahn und die ostdeutsche Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (l.) und Bahn-Chef Heinz Dürr bei der Gründung der Deutschen Bahn am 4. Januar 1994 in Berlin (4). DDR-Verkehrsminister Horst Gibtner (l.) und Bundesverkehrsminister Friedrich Zimmermann unterzeichnen 1990 den Vertrag über den Bau der Schnellfahrstrecke Hannover– Berlin(5). Bau der Grümpentalbrücke 2008 (6) Reichsbahn zur Deutschen Bahn AG zusammengeführt. Vor allem ging es mit der Gründung der DB auch um ein neues Selbstverständnis: Das Unternehmen musste wirtschaftlich werden und nun am Markt Geld verdienen. Seitdem leisten die Mitarbeiter der DB einen entscheidenden Beitrag, damit Millionen Menschen Tag für Tag mobil sind und Güter transportiert werden. Zum ersten Mal rauschte am 15. September 1998 ein Zug mit Tem- 1990 po 250 durch Ostdeutschland, von Berlin über Stendal und Wolfsburg nach Hannover. Acht Jahre nach der Wiedervereinigung wuchs auf der Schiene zusammen, was zusammen gehört. Das größte und mit 10 Milliarden Euro teuerste Projekt ist auch 25 Jahre nach der Wende noch immer unvollendet – die neue Verbindung von Nürnberg nach Berlin. Im Dezember dieses Jahres soll der 123 Kilometer lange Teilabschnitt von Erfurt nach Leipzig fertig werden. (kar) 2 1993 Zur Sache Rüdiger Grube, Vorstandsvorsitzender DB und DB Mobility Logistics 25 Jahre Deutsche Einheit. Herr Grube, was ist an Ihnen recht deutsch? Vielleicht, dass ich schon als Kind gern mit Modelleisenbahnen gespielt habe. Vor allem aber lebe ich nach bestimmten Werten und Regeln. Neben Pünktlichkeit oder Verlässlichkeit sind das bei mir Glaubwürdigkeit, Disziplin und Fleiß. Die Wiedervereinigung wurde auch für die Bahn zu einem einschneidenden Ereignis. Das war DAS Ereignis überhaupt. 1994 4 Man darf nicht vergessen, wir waren vorher die Deutsche Reichsund Bundesbahn. Ich glaube, kein anderes Unternehmen in Deutschland steht so für die Wiedervereinigung wie wir. Was die Bahn und vor allem die Mitarbeiter geleistet haben, davor habe ich den größten Respekt. Welche Hoffnungen an das vereinte Deutschland haben sich erfüllt – und welche nicht? Ich habe gehofft, dass es den Westdeutschen wie den Ostdeutschen in kurzer Zeit gelingt, sich als ein Volk zu fühlen. Das gelang nicht ganz so schnell. Die Vereinigung von Reichsbahn und Bundesbahn ist ein schönes Beispiel, wie Deutschland zusammengewachsen ist. Hier sind Kollegen aus Ost und West aufeinander zugegangen, damit es funktioniert. 3 Tausende DDR-Büger kamen nach dem Mauerfall mit der Bahn auch nach Hof in Bayern (1). Im Juni 1990 werden die beiden S-BahnNetze im Bahnhof Berlin Friedrichstraße verbunden (2). Ein Hubschrauber stellt einen Fahrleitungsmast 1993 in BerlinCharlottenburg auf (3) ür Jens Nöldner begann die Wende am 4. Oktober 1989. Der damals 25-jährige Reichsbahner sollte in Dresden ein Stellwerk bewachen, an dem die Züge mit den DDR-Flüchtlingen aus der bundesdeutschen Botschaft in Prag vorbei in den Westen rollten. „In den beleuchteten Zügen konnte ich die Menschen erkennen und fragte mich, was sie bewegt. Ich war aufgewühlt von den Ereignissen jener Tage, spürte große Unsicherheit. Und ich hatte Angst um meine Familie.“ Wie so viele ehemalige DDR-Bürger ist auch Jens Nöldner froh, dass die Revo- Jens Nöldner lution friedlich blieb. Für den Absolventen der Verkehrshochschule Dresden begann mit der deutschen Vereinigung eine aufregende Zeit. Er bekam schnell Führungsverantwortung. Mit 29 Jahren war er schon Generalvertreter für den Güterverkehr in Sachsen. Vom staatlichen Monopoltransporteur musste sich die Deutsche Reichsbahn (DR) zum markt- und kundenorientierten Dienstleister wandeln. Nöldner entwickelte ein Logistikkonzept für das neue VW-Werk Mosel in Zwickau. 1997 bekam er das Angebot, in Hannover die Stelle als Vertriebsleiter für den größten Güterverkehrskunden der DB in Niedersachsen, Volkswagen, zu übernehmen. „Dass ich der Karriere wegen aus meiner sächsischen Heimat weggegangen bin, habe ich nie bereut.“ Doch seine Mundart hat er mitgenommen, wie auch seine Liebe zum Dresdner Christstollen. Heute ist Nöldner Chef der wichtigen Sparte Automotive bei DB Schenker Rail im hessischen Kelsterbach. Der Werdegang von Horst Buckmann schien Ende der 1980er-Jahre festzustehen. Als Bundesbahnbeamter lag eine Laufbahn im gehobenen Dienst in der Direktion Hannover vor ihm. Doch als ihn Ende 1992 sein Chef Horst ermunterte, für ein halbes Buckmann Jahr zum Austausch mit der Reichsbahn nach Ost-Berlin zu gehen, sagte Buckmann zu. „Die Reichsbahn war damals bei der Vergabe von Leistungen an Fremdfirmen schon weiter als wir bei der Bundesbahn“, erinnert sich der Vermessungsingenieur. Da die DR in der Nachwendezeit viel Fachpersonal an die freie Wirtschaft verloren hatte, wo oft besser bezahlte Jobs vergeben wurden, blieb Buckmann auch, nachdem der sechsmonatige Austausch eigentlich vorbei war. „Hier herrschte Aufbruchstim- 2008 1990 6 5 mung. So lief die Beschaffung von Computern in Berlin unkomplizierter als bei der DB in Hannover.“ In Berlin-Marzahn nahm sich der Bundesbahner eine Zweitwohnung. Mit seinen neuen Kollegen spielte er Volleyball und unternahm Radtouren. „Ich habe sie als sehr unverkrampft und offen empfunden.“ Nach dreieinhalb Jahren Pendeln zog der Ingenieur ganz nach Berlin. Hier arbeitete er in den folgenden Jahren an der Sanierung der Berliner Stadtbahn wie am Bau der Schnellfahrstrecke Berlin–Hannover. Heute blickt Buckmann durch sein Bürofenster auf die „ewige“ Großbaustelle Berlin Ostkreuz. Auf die Modernisierung dieses S-Bahn-Knotenpunkts in Friedrichshain wartet Berlin schon länger, als die DDR überhaupt existierte. Immerhin: 2018 soll das neue Ostkreuz endlich fertig sein. Nur in den ersten Jahren spürte der Wessi Buckmann noch Unterschiede zu den Kollegen aus der ehemaligen DDR: „Im Osten war das Nachbarschaftsverhältnis enger.“ Doch mittlerweile sieht er keine Unterschiede mehr zwischen Ost und West. Während viele Deutsche noch ihren ersten Urlaub im jeweils unbekannten anderen Deutschland planten, reiste der Reichsbahner Arvid Kämmerer schon im Sommer 1990 dienstlich nach Paris. Aufgrund seiner Französischkenntnisse wurde er zum internationalen Eisenbahn-Verband UIC delegiert, wo er die Zusammenarbeit der europäischen Eisenbahnen forcieren sollte. „Überall wurden wir in Europa bewundert, wie gut die Vereinigung über die Bühne ging, vor allem auf dem Gebiet der Bahn.“ Mehrmals fuhr Kämmerer in den 1990er-Jahren unter anderem nach Frankreich, Spanien und Schweden die damals bereits über Arvid moderne HochgeschwinKämmerer digkeitsnetze verfügten. „Wir wollten Anregungen für den Aufbau unserer ersten Betriebszentralen mit ESTWTechnik sammeln.“ Heute ist Kämmerer bei DB Netz Leiter Vertrieb und Fahrplan für den Regionalbereich Ost. Jeden Morgen um 7.30 Uhr schaut er mit dem Leiter Produktion, Helge Schreinert, in der Betriebszentrale vorbei. „Ich will sehen, wie der Verkehr in Deutschland läuft und welche Probleme die Kollegen haben.“ Seit seinem Wechsel von Frankfurt(Main) nach Berlin im Jahr 2007 pflegt Kämmerer enge Beziehungen zur Polnischen Bahn. Mit seinen Kollegen im Nachbarland arbeitet er gemeinsam an der Sanierung alter Grenzbrücken und dem Ausbau internationaler Eisenbahnverbindungen. Kämmerer genießt es, mit dem Zug durch Deutschland zu fahren. „Für die Zukunft wünsche ich mir, dass die Eisenbahn von der Politik wieder stärker als Daseinsvorsorge verstanden wird. Denn nur so können wir die Mobilität der Menschen in Deutschland als Grundversorgung weiterhin sichern.“ Die Zusammenführung der Mitarbeiter beider deutschen Bahnen hat Jörg-Michael Brandes hautnah erlebt und begleitet. Der heute 60-Jährige arbeitete seit 1988 im Personalbereich der Bundesbahn. 1990/91 bekam er immer mehr Bewerbungen von ehemaligen DDR-Bürgern auf den Tisch. Aufgrund der unterschiedlichen Berufsbezeichnungen und Ausbildungen in Ost und West fiel es ihm nicht immer leicht, diese Menschen bei der Bundesbahn einzuordnen. „Ein Lokführer war ein Lokführer, aber was war ein Wirtschaftskaufmann?“ Zusätzlich kompliziert wurde seine Aufgabe durch den Umstand, dass die Bundesbahn eine „Beamtenbahn“ war, die Reichsbahn jedoch nicht. „Wenn Ausbildungen und Abschlüsse der Reichsbahn Stralsund nicht anerkannt wurden, sorgte das unter VDE 1 ehemaligen DDR-Bürgern häufig für DisSCHLESWIGRostock HOLSTEIN kussionen und Ärger.“ Im Jahr 2000 wechselte Brandes von Lübeck/ Hannover nach Magdeburg, wo er PersonalHagenow Land MECKLENBURGchef bei DB Station&SerVORPOMMERN VDE 1 vice wurde. „Im Westen waren Eisenbahner überwieHAMBURG gend männlich. Doch in Magdeburg bestand mein Team fast ausschließlich aus Frauen. Das war für mich schon eine Umstellung.“ Musste er sichBREMEN anJörg-Michael Brandes fangs noch ein wenig eingeVDE 2 wöhnen, so gelang es ihm Uelzen VDE 3 NIEDERSACHSEN nach und nach, das Vertrauen seines neuen Teams zu erlangen. Salzwedel Brandes, der heute als Revisor Personal und Compliance in der Konzernrevision arBERLIN VDE 4 beitet, fallen heute noch manchmal UnterStendal schiede auf – in der Bezahlung zwischen BeHannover amten, Arbeitnehmern und Qualifikationen in Ost und West. Hatten Bundes- und Reichsbahn zur BRANDENHelmstedt Vienenburg Wendezeit noch zusammen 500.000 BURG Magdeburg Mitarbeiter, so ist ihre Zahl heute auf VDE 5 196.000 in Deutschland gesunken. Beim notwendigen Stellenabbau legSACHSENte die DB Wert auf SozialverträglichVDE 8 ANHALT Stapelburg keit. 25 Jahre nach der deutschen Ver2 km einigung hat mehr als die Hälfte aller VDE 6 Kollegen auch keine BundesHalle NORDRHEINEichenberg bahn- oder ReichsbahnWESTFALEN Vergangenheit mehr. Leipzig „Dazu kommen regiVDE 9 SACHSEN onale Unterschiede, Arenshausen weil die LebenshalDresden Eichenberg Bebra tungskosten in einiErfurt Sonneberg gen Ballungszentren 1 km (Thür) VDE 7 höher sind. Aber auch damit müssen wir leben“, sagt Brandes und hofft, dass THÜRINGEN HESSEN künftige Tarifkonflikte die Berufsgruppen in der DB nicht voneinander entfernen. 1 km Neustadt „Nur wenn wir uns im eigenen Unterneh(b. Coburg) men nicht gegenseitig Konkurrenz machen, werden wir als ein Unternehmen in Europa Über die Grenze hinweg eine Zukunft haben.“ Als Lückenschlüsse wurden nach der VDE 8 Der ewigen Ost-West-Diskussionen Grenzöffnung Lücken im Netz von RHEINLAND überdrüssig ist Angelika Gutsch. „Das Bundes- und Reichsbahn wieder verbunden. FALZ trennt unsPnur“, sagt die ehemalige Vier Beispiele: Arenshausen–Eichenberg Rentwertshausen Reichsbahnerin, die bis zur Wende 1990, Rentwertshausen–Mellrichstadt und ganz dicht dran war an der deutschSonneberg–Neustadt bei Coburg 1991 sowie deutschen Grenze. Sie wohnte nicht Vienenburg–Stapelburg 1996. Mellrichstadt SAARLAND Nürnberg nur im Grenzgebiet bei Marienborn, ab 1982 arbeitete sie auch im Grenzbahnhof. 2 km VDE Die Verkehrsprojekte Deutsche Dort notierte sie handschriftlich alle ausEinheit sind Verkehrsverbindungen und eingehenden Wagen. zwischen Ost und West, deren Bau sich positiv Als die Grenze sich 1989 öffauf die Regionalplanung und Infranete, endete diese bürokrastruktur in den neuen Bundestische Routine abrupt. „Wir ländern und über die ehemalige BAYERN sind angesichts der vielen innerdeutsche Grenze auswirSonderzüge gar nicht mehr ken. Sie umfassen Bahnhinterhergekommen.“ strecken, Straßen und Gutsch wartete nicht ab, BADENWasserwegprojekte. bis ihr Arbeitsplatz endgül-WÜRTTEMBERG Angelika Gutsch tig wegfiel, sondern bewarb sich aktiv in der Fahrkartenausgabe im nahen Braunschweig. „Die größte Umstellung waren nicht die Bundesbahner. Sondern: Von jetzt an hatte ich mit Menschen statt mit Wagen zu tun.“ Doch die niedersächsischen Kollegen halfen ihr, sich schnell einzuarbeiten. Heute kann sie keine Unterschiede mehr zwischen Wessis und Ossis ausmachen, wenn sie täglich zur Arbeit über die ehemalige Grenze nach Helmstedt fährt. „Darüber sollten wir alle froh sein.“ Forum: Wie haben Sie die Wiedervereinigung erlebt? Schreiben Sie an: Deutsche Bahn AG, DB Welt, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin, Mail: [email protected] FOTOS: AP / DPA / PICTURE ALLIANCE, DB MUSEUM, JAN BAUER / BUNDESARCHIV, HISTORISCHE SAMMLUNG DB AG / KIRSCHE, HISTORISCHE SAMMLUNG DB AG, PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG, FRANK KNIESESTEDT/ DB AG, DB AG (5) GRAFIK: C3 VISUAL LAB (2) Wie haben DB-Mitarbeiter die Wiedervereinigung vor 25 Jahren erlebt – und was haben sie beruflich daraus gemacht? DB Welt sprach mit fünf Kollegen, die beide Seiten kennen F J 13 AUS ZWEI WIRD EINS Im November 1989 wurde die Berliner Mauer zur Bühne etzt wächst zusammen, was zusammen gehört“, sagte der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt im November 1989 nach dem Mauerfall am Brandenburger Tor. Der Einigungsvertrag ein Jahr darauf zwischen Ost und West war zwar eine reine Formalie, aber das Ziel war klar: ein gemeinsamer Staat. Auch aus zwei Bahnen sollte künftig eine werden. Bereits kurz nach dem Mauerfall erlebten die Bahnen einen Ansturm von Reisenden zwischen Ost und West, der kaum zu bewältigen war. So nutzten etwa am 18. November rund 36.000 Reisende die Strecke Hof–Gutenfürst. Auch Güter rollten wieder über die ehemalige Grenze. In beiden deutschen Staaten wurden nach 1945 vor allem die Nord-Süd-Achsen ausgebaut, während man die OstWest-Strecken dem verringerten Verkehrsaufkommen anpasste. Oberste Priorität war es, die gekappten Verbindungen zwischen Ost und West wieder herzustellen und das marode Schienennetz in Ostdeutschland wieder aufzubauen. Zwischen der BRD und der DDR gab es keine einzige elektrifizierte Bahnstrecke. MENSCHEN DB WELT | Nr. 10 | Oktober 2015
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