Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften 5. Die Forderung nach einer ökologischen Umgestaltung des Steuersystems: Die Erwartung einer doppelten Dividende Bisher war die Betrachtung auf die Lenkungseffekte von E-Abgaben konzentriert, ihr Aufkommen war nicht von Interesse. In diesem Abschnitt rücken die Einnahmen aus E-Abgaben in den Mittelpunkt der Betrachtung → Ökosteuern ÖSt. These: ÖSt sind zur Erzielung von Staatseinnahmen besser geeignet als herkömmliche Steuern (z. B. die Einkommensteuer). Der ÖSt wird nämlich eine Double Dividend (doppelter Vorteil) zugesprochen → Theoretische Grundlage der ÖSt-Reform in Deutschland vor ca. 10 Jahren. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 182 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften a) Die Idee der Doppelten Dividende ÖSt sollen traditionelle Steuern aufkommensneutral ersetzen und deren negative Wohlfahrtseffekte vermeiden. → Eine Verminderung der Steuerlichen Zusatzlasten (Excess Burdens) soll erreicht werden. → Das gleiche Steueraufkommen soll bei einem insgesamt höheren Wohlfahrtsniveau erzielt werden. a1) Was sind "Excess Burdens"? (Wiederholung aus Mikro!) qs ( z ) inverse Angebotskurve für Gut z qd ( z) inverse Nachfragekurve " " IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 183 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Konsumentenpreis Abb. IV-13 (1 + τ )qs ( z ) qd (z ) qτ * qs (z ) E B q* A qτ∗ D 1+τ C 0 IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich zτ * z* Menge z 184 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Im Zusammenhang mit der ÖSt-Diskussion steht Gut z oft für den Produktionsfaktor "Arbeit". Im Schnittpunkt A von qs ( z ) und qd ( z ) mit Menge z ∗ liegt das Konkurrenzmarkt-GG im Fall ohne Steuern = Gesamtwirtschaftliches Optimum. Die Einführung einer proportionalen Wertsteuer mit Steuersatz τ auf Gut z wirkt wie ein proportionaler Preisaufschlag auf Produzentenpreis. Die neue Angebotsfunktion lautet (1 + τ ) qs ( z ) . Das neue Markt-GG mit Gütermenge zτ∗ liegt in B. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 185 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Das Produktionsniveau zτ* ist kleiner als das gesamtwirtschaftlich optimale Produktionsniveau z ∗ → Die Steuer verursacht einen realen Wohlfahrtsverlust (Excess Burdens) in Höhe von ABC ( HarbergerDreieck). Der von der Steuer verursachte Gesamtverlust bei Anbietern und Nachfragern ist um das Steueraufkommen DCBE höher. DCBE geht jedoch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht (in der Regel) nicht verloren, sondern wird nur anders verwendet (für Staatsausgaben/öffentliche Güter). Bei Senkung von τ werden DCBE und ABC kleiner. Die Grundidee der ÖSt ist vor diesem Hintergrund: Der Verlust an Steuereinnahmen bei Gut z (Verminderung von DCBE) soll durch eine (zusätzliche) ÖSt auf ein "dreckiges" Gut x ("Mineralöl") ausgeglichen werden. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 186 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Die damit verbundene Verminderung von ABC gilt als zweite Dividende der ÖSt-Reform. Die erste Dividende ist die Internalisierung externer Effekte → Umweltverbesserung im Sinne Pigous → "ÖSt haben netto negative Excess Burdens." Wir fragen zunächst: Wie weicht der (unter Berücksichtigung dieser Doppelten Dividende) optimale ÖSt-Satz t * vom Pigou-Steuersatz t p ab? Wichtige Feststellung: Die intuitive Vermutung t * > t p gilt nicht immer! Begründung: Die Gesamtwohlfahrt beim ÖSt-Satz t auf das "dreckige" Gut x und vollkommener Konkurrenz auf dem Markt für x beträgt: IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 187 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften x (t ) W (t ) = ∫ pd ( x )dx − C ( x(t )) − D( x(t )) + L(T (t )) 0 (2) (1) (3) (4) x(t ) : Produktionsmenge von x bei t (1): (2): (3): (4): (Brutto)Konsumentenrente bei Gut x Produktionskosten " Umweltschäden " durch ÖSt-Aufkommen T (t ) vermeidbare Excess Burdens bei anderen Steuern (z. B. auf Gut z ) Die Bedingung 1. Ordnung für den optimalen ÖSt-Steuersatz t ∗ lautet W ′(t ∗ ) = 0 . IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 188 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Zum Vergleich von t ∗ mit dem Pigou-Steuersatz t p = D′( x(t p )) wird die marginale Wohlfahrtsänderung W ′(t p ) bei t p betrachtet. Unter Standardannahmen gilt: W ′(t p ) > 0 ⇒ t ∗ > t p < 0 ⇒ t∗ < t p Welcher Fall gilt unter welchen Bedingungen? IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 189 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Man hat W ′(t p ) = ⎡⎣ pd ( x(t p )) − C ′( x(t p )) − D′( x(t p )) ⎤⎦ ∂x ∂L ∂T + ∂t t =t p ∂T ∂t = t =t p ∂L ∂T ∂T ∂t , t =t p 0 weil bei vollkommener Konkurrenz p = C ′ + t p und t p = D′( x(t p )) . ∂L ≥ 0 (ein höheres ÖSt-Aufkommen erlaubt eine stärkere Senkung ∂T anderer verzerrender Steuern!) hängt das Vorzeichen von W ′(t p ) nur vom ∂T Vorzeichen von (= marginale Veränderung des ÖSt-Aufkommens ∂t t =t p Wg. bei Variation von t ) ab. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 190 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Schlussfolgerung: ∂T ∂t Bei ∂T ∂t <0 t =t p ⇒ t∗ < t p < 0 ist der optimale ÖSt-Satz t ∗ somit kleiner als der Pigout =t p Steuersatz t p . Der Pigou-Steuersatz t p liegt in diesem Fall im Laffer-Bereich. Dort führt ein steigender Steuersatz t zu sinkenden Steuereinnahmen. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 191 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Steueraufkommen Abb. IV-14 T T (t ) 0 tmax Steuerung t Laffer-Bereich Der Laffer-Effekt beruht darauf, dass die Bemessungsgrundlage x(t ) (= GG-Menge des dreckigen Gutes) stark sinkt, wenn der Steuersatz t steigt.. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 192 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Der Laffer-Effekt ist besonders wahrscheinlich bei • • einer hohen Preiselastizität der Nachfrage und allgemein einer wirkungsstarken ÖSt großen (marginalen) Umweltschäden → hoher Pigou-Steuersatz t p . Paradox: Gerade wenn eine ÖSt ökologisch besonders wichtig erscheint, ist t ∗ < t p zu erwarten! IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 193 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften b) Kritik an der Existenz einer Doppelten Dividende Die "Doppelte Dividende" ist als Rechtfertigungsgrund für ÖSt umstritten: Es gibt dabei rein semantische und tatsächliche Probleme. b1) Die sprachliche Verwirrung um den Begriff der "Doppelten Dividende" Die Ursache der Konfusion ist: Auch ÖSt verursachen Excess Burdens. Besonders offensichtlich ist dies, wenn die ÖSt eine Verbrauchsteuer auf ein "dreckiges" Gut x ist (wie die Mineralölsteuer). Wir betrachten die Situation mit konstanten Grenzkosten der Produktion c und konstanten Grenzumweltschäden d . IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 194 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Abb. IV-15 Preis Grenzkosten p(x) B c+d c+t c F E G C H D A x(t ) x0 0 IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich x* x 195 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Bei ÖSt-Satz t entstehen Excess Burdens = ACD ("Harberger Dreieck für Gut x "). Die ÖSt ist trotzdem gesamtwirtschaftlich vorteilhaft, weil gilt: Vermiedene Umweltschäden > Excess Burdens AEFD > ACD Das ÖSt-Aufkommen beträgt DCGH = tx(t ) . Die durch Besteuerung von x bei anderen Steuern vermeidbaren Excess Burdens seien L( DCHG ) ( Verkleinerung des Harberger-Dreiecks beim anderen Gut z ). Der Gesamtwohlfahrtsgewinn durch ÖSt ist also: (∗) AEFD − ACD L( DCGH ) > AEFD − ACD + Netto-Wohlfahrtsgewinn durch Internalisierung: Erste Dividende Zweite Dividende IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich ⊕ 196 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Die Existenz einer "Schwachen Doppelten Dividende" (Weak Double Dividend) im Sinne von Ungleichung (∗) ist relativ unbestritten. Darüber hinaus spricht man von einer "Starken (Strong) Doppelten Dividende", falls sogar L( DCGH ) > ACD gilt. Dann ergibt sich durch eine ÖSt eine Verminderung der gesamten Excess Burdens des Steuersystems. In diesem Fall wäre ÖSt-Reform sogar ohne Beachtung der Umweltverbesserung gesamtwirtschaftlich vorteilhaft! IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 197 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Die Starke Doppelte Dividende ist weit weniger wahrscheinlich als die Schwache Doppelte Dividende. Es besteht in diesem Zusammenhang eine erhebliche Gefahr von terminologischen Missverständnissen: Die Doppelte-Dividenden-These ist sicher nicht widerlegt, wenn keine Starke Doppelte Dividende vorliegt! Durch die Begriffsverwirrung wird sogar politischer Missbrauch möglich! Politisches Frage: Inwiefern liefert der Öko-Aspekt ein überzeugendes Zusatzargument für eine auch ansonsten sinnvolle Steuerreform? Dies hängt von der Ausmaß einer “grünen Einstellung“ bei den Wähler ab, die politischen Modetrends unterliegt. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 198 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften b2) Empirisch relevante Bestimmungsfaktoren für die Wohlfahrtseffekte von ÖSt Große Chancen für eine Starke Doppelte Dividende bestehen, wenn die Preiselastizität der Nachfrage bei "dreckigem" Gut x gering und bei den anderen besteuerten Gütern z groß ist. Die Preiselastizität der Nachfrage bei vielen "dreckigen" Energiegütern (Öl, Strom) ist kurzfristig in der Tat niedrig: • • Die Gewohnheiten der Menschen sind auf kurze Sicht eher starr. Langlebige Güter mit hohem Energieverbrauch (Kraftwerke, KfZ) müssen erst abgeschrieben werden → Ein Ersatz ist nicht sofort möglich/wirtschaftlich. IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 199 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Deshalb sind zunächst eher geringe Excess Burdens bei (Öko-)Besteuerung von Energie zu erwarten. Langfristig bestehen aber viele Anpassungsmöglichkeiten (insbesondere durch Entwicklung neuer Techniken). Deren Realisierung ist ökologisch auch erwünscht → Konflikt zwischen erster und zweiter Dividende. Zusätzliches Problem: Eine ÖSt-Reform führt tendenziell zur Konzentration der Besteuerung auf eine geringe Zahl von Gütern, nämlich die "dreckigen". Weil die Excess Burdens quadratisch mit dem Steuersatz ansteigen, führt eine Einschränkung der Steuerbasis zur Erhöhung der Excess Burdens. → Schlecht für die Starke Doppelte Dividende! IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 200 Prof. Dr. Wolfgang Buchholz Institut für Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie Fakultät Wirtschaftswissenschaften Ein anderes Argument aus der Optimalsteuertheorie ist auch von Bedeutung: Wenig Excess Burdens entstehen bei der Besteuerung von zur Freizeit komplementären Gütern (z.B. Urlaubsreisen): Freizeitkomplementaritätsregel. Energie ist aber ein wichtiges Vorprodukt für die meisten Produktionszweige und damit komplementär zur Arbeit: Insgesamt besteht deshalb eher eine Substitutionalitätsbeziehung zwischen Energie und Freizeit (= Freizeitausstattung – Arbeit). So gesehen sind hohe Excess Burdens zu erwarten. → Auch schlecht für die Starke Doppelte Dividende! IV. Umweltpolitische Instrumente im Vergleich 201
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