Auf der Suche nach der Moderne – Hans Stockbauers frühe Jahre als Maler von 1930 bis 1940 Günther Holler-Schuster Mit der Thematisierung des Werks und der Person Hans Stockbauers unternimmt die Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum den Versuch auf eine noch zu wenig bekannte Facette der Kunstentwicklung in diesem Lande hinzuweisen. Obwohl Stockbauer bereits 1945 aus Graz wegging und fortan in Wien lebte, ist er ein wesentlicher Vertreter der lokalen Kunstentwicklung. Darüber hinaus hat er mit seiner Rezeption der klassischen Stilrichtungen der Moderne (Kubismus, Expressionismus und Neue Sachlichkeit) eine wichtige Rolle im gesamtösterreichischen Kontext gespielt. Nicht nur die Tatsache, dass er Gründungsmitglied der 1946 in Wien gegründeten Künstlervereinigung „Der Kreis“ war, auch seine Frühzeit als Maler, die hauptsächlich unter dem starken Eindruck der französischen Moderne stand, machen seine Kunst besonders. Viele Wechsel innerhalb seines Werkes sind auffällig. Als Stockbauer mit seiner künstlerischen Laufbahn begann, waren wesentliche Stationen der Moderne bereits formuliert. Kubismus und Futurismus ereigneten sich im Wesentlichen schon in den 1910er Jahren (Picasso, Braque, Leger etc.), der Expressionismus österreichischer Prägung mit Schiele, Gerstl und Kokoschka, sowie der Expressionismus in Deutschland (Brücke, Beckmann, u.a.), waren bereits weit entwickelt und die neue Sachlichkeit war gerade voll im Gange. Somit war es für junge Künstlerinnen und Künstler klar, dass man sich diese Stile anzueignen hatte, um daraus einen Individualstil zu entwickeln, oder man positionierte sich dagegen und versuchte etwas ganz Neues. Hans Stockbauer ging den Weg des Eklektizismus und versuchte für sich herauszufinden, wo seine Möglichkeiten lagen und wo er ansetzen konnte. Auf all das wird im Folgenden noch detailliert einzugehen sein. Die Neue Galerie Graz veranstaltete 2001 das von Günter Eisenhut und Peter Weibel konzipierte Projekt „Moderne in dunkler Zeit – Widerstand, Verfolgung und Exil steirischer Künstlerinnen und Künstler 1933–1945“ mit einer Ausstellung und einem begleitenden Buch. Darin wurden Positionen versammelt, die im genannten Zeitraum eine widerständige Haltung erkennen ließen und einen mehr oder weniger ungebrochenen Willen zur Moderne beibehielten. Zusätzlich mussten zahlreiche dieser Künstlerinnen und Künstler unter Verfolgung leiden und Berufsverbot, zumindest aber nachhältige Beeinträchtigungen ihrer künstlerischen wie persönlichen Entwicklung hinnehmen. In diesem historischen Moment lassen sich verschiedene Zugänge der jeweiligen Personen zum herrschenden Schreckens-regime der Nationalsozialisten feststellen. Meist arrangierte man sich mit den neuen Machthabern, in der Hoffnung ein besseres Auskommen davon zu erleben. Nur wenige hatten den Mut und die Courage zur Gegenwehr bzw. zum Widerstand in den unterschiedlichsten Ausformungen. Alfred Wickenburg, Kurt Weber, Ernst Paar oder Anny Dollschein waren darunter. Hans Stockbauers Zugang zu den Kräften des Natio-nalsozialismus muss als ambivalent angesehen werden. Daher war er auch, im Unterschied zu seinen beiden sehr engen Freunden Ernst Paar und Kurt Weber nicht im Projekt „Moderne in dunkler Zeit“ vertreten. Typisch für sehr viele Zeitgenossen war Stockbauer zum einen der Moderne verpflichtet, hatte ein Umfeld, das weitgehend nicht mit den Nationalsozialisten in Verbindung zu bringen war und setzte nach dem Krieg seine Haltung gegenüber der Moderne, die er bereits in jungen Jahren hatte, weitestgehend fort. Andererseits war er bereits seit 1934 illegaler Parteigenosse, wie ein amtliches Schreiben bestätigt (genau in dieser Zeit hatte er eine Ateliergemeinschaft mit Kurt Weber, einem ausgewiesenen Gegner der Nationalsozialisten) und der Künstler bemühte sich auch um eine niedrige Parteinummer, die er auch bekommen sollte: No 6.199.301.¹ Man musste Verdienste um die Partei nachweisen können, um eine derartig niedrige Nummer zu bekommen. Wie er argumentierte, ist nicht bekannt. Direkte Hinweise auf ein reges politisches Leben im Sinne des Nationalsozialismus sind bei ihm nicht wirklich feststellbar. Einem Briefwechsel zur Folge, wobei er mit dem damaligen Leiter der Neuen Galerie, Hans Riehl, korrespondierte, kann man entnehmen, dass er stets mit „Heil Hitler!“ unterzeichnete. Das war üblich, wurde aber in vielen Fällen auch vermieden. Es kann auch als ein vorauseilender Gehorsam gelesen werden, der das Leben in derart schwierigen Zeiten einfacher machen sollte. Stockbauers Kunst folgte nicht wirklich den nationalsozialistischen Kunstbestimmungen. Seine Auslegung der Moderne konnte den Machthabern nicht gefallen. Jedoch sind einige Aspekte gegenteiliger Art sehr verstörend. 1941 gestaltete Hans Stockbauer gemeinsam mit dem 1901 geborenen Heinz Reichenfelser einen Gobelin zum Thema Türkenbelagerung in Graz. Dieser kam nie zur Ausführung, jedoch wurde ein Entwurf im Grazer Rathaus installiert, wo er bis heute noch zu sehen ist. Die Auseinandersetzung mit dem historischen Thema beinhaltet die fragwürdige Rolle von „Graz – Stadt der Volkserhebung, Bollwerk gegen den Südosten“. Sowohl die Formulierung, die als Motto unter das Motiv geschrieben stand, wie auch die Haltung, die von diesem Werk ausgeht, sind eindeutig der nationalsozialistischen Propaganda zuzuordnen. Somit stellt dieser Gobelinentwurf Stockbauers neben einem Entwurf des nationalsozialistischen „Hoheitszeichens“ (Reichsadler mit Hakenkreuz in den Fängen) eine von seinen zwei programmatischen Arbeiten für den Nationalsozialismus dar. Er war zusätzlich verschiedentlich für die Partei und das erweiterte Umfeld der Nazis tätig.² Nachdem der 1910 geborene Hans Stockbauer im Alter von 14 Jahren in der Grazer Druckerei Wall als Lithograph zu lernen begann, hatte er zeitlebens eine besondere Nähe zu grafischen Verfahren und zu einer Ästhetik, die in der Werbebranche üblich war. Auch Heinz Reichenfelser, der Stockbauer offensichtlich nahe stand, war ein hervorragender Grafiker. Seine Arbeiten in den 1930er Jahren gelten bis heute als die modern-sten und bemerkenswertesten, die hierzulande entstanden sind. Vielfach ausgezeichnet und beschäftigt für zahlreiche Betriebe wie dem Kaufhaus Kastner&Öhler, war Reichenfelser in der Zwischenkriegszeit einer der prominentesten Plakatgestalter Österreichs. Sein engagiertes Eintreten für den Nationalsozialismus ist somit besonders schockierend und nahezu unverständlich. Hans Stockbauers Zusammenarbeit mit Reichenfelser ist nicht weiter belegt und seine persönliche Nähe zum älteren Kollegen auch nicht. Auf einem kleineren Entwurf zum Grazer „Türkengobelin“ hatte der Künstler noch die Formulierung „Graz zur Türkenzeit im Jahre 1665“ gewählt. Auf einem ausgeführten großformatigen Gobelin zum selben Thema für das Gemeindeamt Bad Radkersburg ist ebenfalls nichts von der eindeutig nationalsozialistischen Wortwahl zu sehen. Dort findet sich gar keine schriftliche Eintragung. Ebenso in einer dritten Variante desselben Themas – auch ein ausgeführter Gobelin, der immer im Besitz des Künstlers blieb – ist keine wie immer geartete Titelgebung vorhanden. Somit wird die Einschätzung, was Stockbauers Engagement für den Nationalsozialismus angeht, immer unklarer. Zum Militärdienst konnte er wegen gesundheitlicher Probleme nicht eingezogen werden. Wo er die Kriegszeit verbrachte, ist weitgehend unklar und ließ sich nicht genau recherchieren. Fest steht, dass er 1941 in Krakau war und dort einige Gebrauchsgrafikaufträge erfüllte. Gleichzeitig sind auch einige Aquarelle mit Ansichten von Krakau und Warschau entstanden. Diese Aquarelle sind überraschend frei und in modernistischer Art gehalten. Außerdem verbrachte er einige Zeit – vor allem die letzten Jahre des Krieges – in Marburg (Maribor), wo er auch Aufträge für Wandmalereien ausführte. Auch dort entstanden Aquarelle und Zeichnungen, die die Gegend und jahreszeitliche Stimmungen zum Ausdruck bringen. Sehr ungezwungen und locker sind auch diese Arbeiten von Hans Stockbauer. Die Wandmalereien sind, soweit bekannt und noch vorhanden, gestalterisch traditionell, allegorisch und ohne weiteren direkten Zusammenhang mit der Ideologie des Nationalsozialismus. Ein weiteres Faktum diese Zeit betreffend führt nach Wien. 1942 fand in der Galerie Welz eine Ausstellung statt, die einen Querschnitt über das künstlerische Schaffen in der Steiermark vermitteln sollte. Alfred Wickenburg, Hans Fronius, Ernst Paar, Erich Hönig und Rudolf Szyszkowitz waren dort neben Hans Stockbauer mit mehreren Arbeiten vertreten. Der Kritiker der „Marburger Zeitung“, Oskar Maurus Fontana, schrieb damals: „Diese Maler, die zum Kreis der ehemaligen Sezession gehören, sind betont herb und kantig, ihnen kommt es nicht so sehr auf eine koloristische Palette, sondern vielmehr auf den charakteristischen Ausdruck an. Besonders stark sind sie im Zeichnerischen und Graphischen, im Malerischen wirken sie oft kühl und zurückhaltend. (…) Die Ausstellung wird in Wien viel beachtet und lebhaft erörtert“.³ Die Ausstellung wurde wenig später von offizieller Seite geschlossen. Zu lebhaft wurde die Diskussion darüber geführt und zu weit wichen die künstlerischen Positionen von der herrschenden Kunstdoktrin ab, als dass man diese der Öffentlichkeit weiter „zumuten“ wollte. Man sieht anhand dieses kurzen Abrisses einiger Fakten, wie unklar eine Einschätzung dieses Künstlers gegenüber den herrschenden Verhältnissen der Zeit möglich ist. Die Fakten offen zu legen, ist heute nach langer Zeit notwendig und selbstverständlich. Dass dem nicht immer so war, erschwert die Rezeption bis heute. Man mag sich auf Grund der vorhandenen Fakten ein Bild machen und darin viele Zeitgenossen finden, deren Lage ähnlich widersprüchlich einzuschätzen ist. Hans Stockbauer hat die Machtstrukturen des Nationalsozialismus für sich relativ gut nützen können. Verbreiteter war sicherlich der Konformismus und der Gedanke ans Überleben gegenüber dem Heldenmut angesichts der Unerträglichkeit eines derart terroristischen Regimes. Im Folgenden wird von der Frühzeit Hans Stockbauers als Maler die Rede sein. Die Jahre 1930 bis 1940 können sicherlich als die Zeit gelten, in denen der Künstler die wesentlichsten Werke schaffte. Bereits als Vierzehnjähriger nahm Stockbauer an der Landeskunstschule in Graz bei Daniel Pauluzzi Unterricht. Stockbauer äußerte sich sehr positiv über seine Lehrzeit und die Ausbildung an der Landeskunstschule: „Die Lehrzeit als Lithograph und der Eintritt in die Landeskunstschule bei Prof. Daniel Pauluzzi füllten mich ganz aus“.4 Pauluzzi (1866–1956) war in erster Linie ein Maler, der der traditionellen Landschafts- und Portraitmalerei verpflichtet war. Jedoch finden sich in seinem Werk einige äußerst überraschende Arbeiten, die in ihrer Freiheit und Lockerheit und in ihrer skizzenhaften Spontaneität in den 1920er Jahren schon viel vorwegnehmen, dem man später bspw. bei Wilhelm Thöny oder auch Hans Stockbauer wieder begegnet. Eine aus den 1920er Jahren stammende kleinformatige Ansicht von Graz im Abendlicht zeigt einen sehr freien Umgang mit den Formen und Farben und erinnert an Cézanne, der im Zusammenhang mit Hans Stockbauer besonders einflussreich war. Paul Cézanne war zweifellos der wesentlichste Einfluss auf die junge Generation von Künstlerinnen und Künstler – so auch in Österreich. Die Auflösung der Formen und die analytische Auseinandersetzung mit der Landschaft sowie die Entwicklung der Perspektive als Vorbereitung zum Kubismus waren beispielhaft. Josef Floch (1894–1977), Herbert Boeckl (1894–1966) oder Gerhard Frankl (1901–1965) waren u.a. sehr intensiv damit beschäftigt, Cézannes Malerei zu studieren und für ihre eigene künstlerische Praxis zu adaptieren. Eine Ausstellung („Führende Meister der französischen Kunst im neunzehnten Jahrhundert“), die Carl Moll 1925 für die Wiener Secession initiierte, wurde zu einem wichtigen Impuls. Acht Hauptwerke von Paul Cézanne waren in dieser Schau vertreten.5 Was sich bei Cézanne ankündigte, war für die jungen Kräfte höchst motivierend und gab dieser Generation wesentliche Impulse, einerseits um den Impressionismus weiterzuentwickeln und andererseits die Strenge des Realismus aufzulösen. Man fand hier einen Ansatz, der letztlich als Vermittlungselement zwischen Impressionismus, Expressionismus, Fauvismus und Kubismus zwingend wurde. Cézannes Werk begünstigte sowohl in Österreich wie auch in Deutschland die Nähe zum Expressionismus, den man damals als bestimmend vorfand. Im selben Moment jedoch war das für viele junge Künstlerinnen und Künstler der Weg aus dieser vorherrschenden Malweise, ohne sie ganz verlassen zu müssen. Hans Stockbauer war damals noch nicht in Wien und es ist auch nicht belegt, ob er an den Entwicklungen dort wenigstens passiv teilhatte. Er wählte einen anderen Weg, indem er 1930 Graz verließ und bis 1932 nach Paris ging. Wie bereits erwähnt war Ernst Paar (1906–1986) Stockbauers engster Freund in dieser Zeit. Die beiden gingen 1930 gemeinsam nach Paris, um sich künstlerisch weiterzubilden. Stockbauer stand überhaupt am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn und somit waren die Eindrücke in Paris besonders prägend und nachhaltig. Die beiden jungen Maler begannen an der berühmten Académie Julian zu studieren. Diese Institution war eine höchst angesehene Privatanstalt, die 1868 vom Maler Rodolphe Julian (1839–1907) gegründet wurde. Sie bestand bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges. Vor allem bei ausländischen Künstlerinnen und Künstlern war die Académie Julian sehr beliebt. Die Tatsache, dass man an der Ècole des Beaux-Arts eine sehr strenge Französischprüfung abzulegen hatte, hielt viele ausländische Künstlerinnen und Künstler davon ab, es dort überhaupt zu versuchen. Frauen konnten an dieser Akademie dieselben Kurse belegen wie Männer, was für die Fortschrittlichkeit dieser Anstalt sprach. Der Unterricht war sehr frei und durch die sehr guten Lehrer und die später sehr berühmten Künstler, die dort unterrichteten und studierten (Arp, Barlach, Bonnard, Corinth, Derain, Léger, Nolde, Vallotton oder Vuillard), war die Académie Julian eine höchst bemerkenswerte Einrichtung. Um 1888/89 gründete sich dort die postimpressionistische Künstlergruppe Nabis. Alfred Wickenburg (1885– 1978), der wohl als wesentlichster Vertreter kubistischer Tendenzen in Österreich angesehen werden muss, studierte von 1906 bis 1910 an der Académie Julian. Damals war sie noch eher den akademisch-traditionellen Idealen verpflichtet und Wickenburg gehörte zu einer Gruppe von jungen Künstlern, die sich innovativen, zeitgenössischen Entwicklungen verschrieben hatten. Eine intensive Nähe Stockbauers zu Wickenburg ist nicht belegt. Nachdem beide in Graz (Stockbauer ab 1932) Sezessionsmitglieder waren, ist eine gewisse Nähe zueinander anzunehmen. Ernst Paar beschreibt die erste gemeinsame Zeit mit Hans Stockbauer in Paris folgendermaßen: „Die erste Kontaktnahme mit Paris war überwältigend. Das zarte graue Flimmern des Pariser Lichtes versetzte uns in euphorische Stimmung. Jeder von uns fand Arbeit in einem lithographischen Atelier, dort arbeiteten wir etwa zweieinhalb Tage in der Woche; die übrige Zeit wurde gemalt und flaniert und bald gingen wir als Werkstudenten an die Académie Julian. Ich fühlte mich in dieser Zeit frei und ungebunden wie nie in meinem Leben. Um den Professor scherten wir uns wenig. Bei seiner Anwesenheit waren wir meistens nie da“.6 In dieser Zeit setzte sich Stockbauer sehr intensiv mit dem Kubismus auseinander und fand zu einer eigenständigen Interpretation dieses Stils. Er entwickelte die Räumlichkeit des Kubismus in die Fläche. In der Fläche löste er die dreidimensionalen Formen auf. Die Motive waren klassisch (Interieurs, Musikinstrumente, Blumenvasen und Blumenstöcke sowie Akte), womit der etudenhafte Charakter der Malerei unterstrichen wurde. In zahlreichen Landschaften setzte sich Stockbauer offensichtlich mit Paul Cézanne und Georges Braque auseinander. Immer wieder war die Reduktion der Formen ins Geometrische und die Vereinheitlichung des Kolorits bezeichnend. Mitunter kann man den Eindruck nicht los werden, dass es sich dabei um eine weitgehend manierierte Variante des Kubismus handelte. Diese Tatsache trifft auf sehr viele Zeitgenossen zu und lässt die Ergebnisse bei der Kritik oft als relativierend und dekorativ erscheinen. Man muss trotzdem differenzieren und gewisse eigenständige Stärken jeweils zulassen. Leider ist zuwenig überliefert, das einen genaueren Einblick in die Zeit zulässt, in der Stockbauer in Paris weilte. Aufzeichnungen und Reflexionen des Künstlers, in denen er über seine damalige Entwicklung berichtet, sind nicht vorhanden. Fest steht, dass sich Graz als Ort der Rezeption des Kubismus besonders bemerkbar machte. Viele Künstlerinnen und Künstler unternahmen in dieser Zeit Reisen nach Paris bzw. hielten sich länger dort auf: Alfred Wickenburg von 1906 bis 1909, Kurt Weber 1927 und 1934 bis 1936, Wilhelm Thöny 1929 und von 1931 bis 1938, Anny Dollschein 1930 und von 1932 bis 1935 oder Wolfgang Schaukal mehrere Male zwischen 1934 und 1937.7 Wickenburg, der als Lehrer in Graz an der Kunstgewerbeschule tätig war, brachte diesen Modernismus mit und erreichte zusätzlich eine große Verbreitung der Ideen, die innerhalb der klassischen Moderne formuliert wurden. Somit entstand in Graz während der 1930er Jahre ein sehr offenes und innovatives Klima. Die Moderne wurde so zum willkommenen Experimentierfeld, in dem sich die jungen Künstlerinnen und Künstler frei bewegten. Für viele war es ein Beginn, bevor sie weiter in eigene Konzepte vordringen wollten. Viele wurden jedoch von den politischen Verhältnissen eingeholt und konnten über das Experiment nicht hinauskommen. Die Kunstdoktrin der Nationalsozialisten förderte die starre akademische Haltung und reicherte sie zusätzlich noch mit unerträglichen propagandistischen Inhalten auf. Sich dagegen zu wehren, war nur im Verborgenen möglich oder wurde überhaupt nicht unternommen. Somit bleibt bezeichnend, dass sich, wenn man sich die Szene in Graz zur damaligen Zeit ansieht, in den meisten Fällen nur wenige Werke von großer Qualität nennen lassen. Die Kompromisse, die gemacht wurden, verwässerten vielfach die Radikalität, die im Hintergrund oft spürbar blieb. So war es auch bei Hans Stockbauer nur eine kurze Phase, in der er sich intensiv mit dem Kubismus auseinandersetzte. Vor allem zwei Stillleben (mit Gitarren) aus seiner Pariser Zeit waren es, die bis heute zu den vorzüglichsten Beispielen österreichischer Kubismusrezeption gehören. Zusätzlich entstanden sowohl in Paris als auch danach einige höchst eigenständige Auseinandersetzungen mit Cézanne. Dazu gehören sicherlich die beiden Darstellungen von Hinterhöfen aus Graz und einige Landschaften, die vom Vokabular Cézannes abhängig waren, jedoch originell gelöst wurden. Sie alle entstanden unmittelbar nach der Rückkehr des Künstlers nach Graz. Kubistische Reste waren jedoch auch in den folgenden Jahren in Stockbauers Schaffen bemerkbar. In einigen Blumenstillleben verwendet er zum einen die gewohnten Versatzstücke (Vase, Blumenstock, Narrenhut, Spiegel, Möbel), zum anderen wurde seine Palette bunter und der Bildaufbau lehnte sich an den Expressionismus an. Die Lockerheit des Duktus war dabei bemerkenswert. Friedrich Aduatz äußerte sich über Stockbauer und Paar: „Hans Stockbauer und Ernst Paar, beide zuletzt in Wien lebend, zuvor in Paris, wo beide sowohl als Drucker wie auch als Schüler der berühmten Académie Julian tätig waren, traten ebenfalls der Sezession Graz bei. Bei den Ausstellungen der Sezession riefen sie beträchtliches Aufsehen hervor, Stockbauer zeigte sich von Matisse beeinflusst“.8 Der Grazer Kunsthistoriker Robert Graf schrieb 1934: „Für den jungen Künstler ist es bezeichnend, dass er sich nicht – wie die Jugend es meistens macht – das Werk eines ganz bestimmten anderen Künstlers zum Vorbild genommen hat, sondern dass er die vielfältigen Kunstströme der Gegenwart aufnahm und sie mit sogleich wahrnehmbarer Eigenart verarbeitete. So sah man – wenn man wollte – auf seinen Bildern in der neunten Sezessionsausstellung den Küchenstuhl van Goghs, die Laute Picassos, die trompetenden bleich-derben Artisten Beckmanns, das langausgebreitete Stilleben Bracques, aber alles von einer Persönlichkeit erfasst“.9 In der Tat sind in einigen Bildern Stockbauers auch Anlehnungen an Max Beckmann feststellbar. Es mag weit hergeholt erscheinen, aber Beckmann war einige Male in Graz. Seine Frau, die Opernsängerin Minna Beckmann-Tube (1881–1964) hatte von 1918 bis 1925 ein legendäres Engagement an der Grazer Oper. Das Paar pendelte in dieser Zeit häufig zwischen Berlin, Frankfurt am Main und Graz hin und her. Ob Beckmann sich in Graz mit der lokalen Kunstszene einließ, ist nicht belegt – es dürfte wohl nicht der Fall gewesen sein. Auch war Hans Stockbauer zu jung, um Beckmann möglicherweise in Graz begegnet zu sein. Stockbauer muss Beckmann, der damals schon international sehr berühmt war, wohl über dessen Werke gekannt haben. Ein Portrait seiner ersten Frau Melanie und einige Stillleben und eine Landschaft, alle um 1934 entstanden, weisen Verwandtschaften mit dem Expressionismus von Max Beckmann auf. Die dunklen Konturen und die starken Kontraste, sowie das fahle Inkarnat sind zumindest Hinweise darauf. Wieder ist es die formale Nähe, die sich hier zeigt und nicht die inhaltliche Härte, die man von Beckmann kennt. Das moderne Leben allerdings wird in den Bildern sichtbar. Stockbauer zeigt seine Frau der zeitgenössischen Mode folgend und mit melancholischem Blick. Man kann diese Elemente auch in der Nähe der damals gerade so aktuell gewesenen Neuen Sachlichkeit sehen. Die Neue Sachlichkeit war ursprünglich eine Reaktion auf die Ereignisse während und nach dem 1. Weltkrieg. Kritisch und radikal gingen Künstler wie Otto Dix oder George Grosz mit der politischen Situation in Deutschland um. Der Realismus und die formal traditionelle Ausrichtung dieses Stiles waren geeignet, um von den Nationalsozialisten vereinnahmt zu werden. Viele der Vertreter der Neuen Sachlichkeit, die auch mit der Dimension des Nationalismus spekulierte, wurden Parteigänger des Nationalsozialismus. Franz Lenk, Franz Radziwill, Alexander Kanold, Carl Grossberg oder Christian Schad und Rudolf Schlichter waren darunter. Die politische Lage, die Not und die Ausformungen der Industrialisierung, die das urbane Leben in den Vordergrund stellten, waren auch Themenschwerpunkte, die von Randerscheinungen der Neuen Sachlichkeit aufgegriffen wurden. In Graz kann man Johannes Wohlfart und Paul Schmidtbauer auf jeden Fall dazuzählen. Elemente der Neuen Sachlichkeit, die wiederum eher formaler Natur waren und sich meist mit kubistischen und expressiven Formen verbanden, konnte man damals vielfach begegnen. Bei Anny Dollschein und Ernst Paar jedenfalls, aber auch Karl Wiener, Axl Leskoschek, Ida Maly oder Friedrich Aduatz bedienten sich dieses Vokabulars und transformierten es auf ihre Weise. Die Widersprüchlichkeit, die in der Neuen Sachlichkeit steckte, ist wohl auch synonym für die Haltung vieler Künstlerinnen und Künstler dieser Zeit. Man war dem modernen Leben verpflichtet, der Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Zuständen und man formulierte das in einer traditionell anmutenden realistischen Malweise. Das führte sowohl bei Künstlern wie bei Rezipienten zu Missverständnissen. „Das für die Epoche der Zwischenkriegszeit und auch für die Malerei der Neuen Sachlichkeit konstitutive Spannungsverhältnis einer Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zwischen Modernität und Traditionalität wäre in einer Gesamtdarstellung der Malerei zukünftig stärker zu akzentuieren. Es scheint in der Lage, das Dilemma der Neuen Sachlichkeit zum Ende der Weimarer Republik genauer zu fassen, das aus heutiger Sicht darin zu bestehen scheint, weitestgehend mit der Demokratie identifiziert zu werden und doch nicht in der Lage oder bereit gewesen zu sein, sie offensiv zu verteidigen. Im Gegenteil: das Gros der neusachlichen Maler war ab 1930 gerade nicht bereit, die Demokratie zu unterstützen.“10 Man sieht hier deutlich, wie widersprüchlich die Positionen damals gewesen sein müssen. Hans Stockbauer hat in seinen Arbeiten ab Mitte der 1930er Jahre deutliche Bezüge zur Neuen Sachlichkeit verarbeitet. In einigen Landschaften werden immer wieder eher unspektakuläre, vom Modernismus geprägte Elemente dargestellt. Technisierung (Bahn, Fabrik) verbindet sich mit einer kühlen menschenleeren Atmosphäre. Kubistisches und Expressives wird dabei zur selben Zeit sichtbar. In den Landschaften dieser Zeit ist nichts mehr von der an Cézanne erinnernden Harmonie und Lockerheit der Formen zu spüren. Vielmehr wird die Stimmung düsterer, obwohl Stockbauer eine sehr bunte Palette anwendet. Zweifellos gehören diese Landschaften zum hervorragendsten, was Stockbauer damals geschaffen hat. Von 1934 bis 1936 hatte Stockbauer mit seinem Freund Kurt Weber (1893–1964) in Graz eine Ateliergemeinschaft. Sicherlich war auch der frankreicherfahrene Weber ein wichtiger Einfluss für Stockbauer. Auch Weber war dem Kubismus verpflichtet, auch er löste diesen in der Fläche auf und ließ expressive Elemente in die Kompositionen einfließen. Direkte Bezüge zwischen Weber und Stockbauer lassen sich jedoch in den Werken der beiden nicht ablesen. Man bestärkte sich wohl eher in der jeweiligen Praxis. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Ende des nationalsozialistischen Regimes ging Hans Stockbauer nach Wien, wo er wieder auf Ernst Paar traf, bei dem er kurzzeitig wohnte. In Wien wurde Hans Stockbauer, der sich nun wieder eindeutig modernen Äußerungen zuwandte, zusammen mit Ernst Paar Mitbegründer der Künstlervereinigung „Der Kreis“. Diese Vereinigung, der u. a. in der ersten Zeit auch Ferdinand Stransky, Ernst Höfinger, Arnulf Neuwirth und später auch Franz Zadrazil angehörten, war dem Experiment zugetan und dem Mut zum Neuen. Man war nicht radikal, sondern eher der klassischen Moderne verpflichtet, deren Ideale man aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus kannte. Die formalen Probleme bestanden in der bis auf Cézanne zurückgehenden Untersuchung der optischen Wirklichkeit nach zugrundeliegenden geometrischen Gesetzmäßigkeiten. Von hier aus fanden sich dann Übergänge zur bald in den Vordergrund tretenden abstrakten Malerei, wozu latente, mitunter auch offene Verbindungen zum Surrealen und sogar zu Formen der Pop Art traten. Das alles wurde sehr gemäßigt vorgetragen und stand dem radikaleren Art-Club etwas nach. Hans Stockbauer begann in expressiver Manier zu malen, was teilweise an Herbert Boeckl erinnerte. Ab den 1950er Jahren entwickelte Stockbauer eine eigene Form des Farbholzschnittes. Ostasiatische Einflüsse – Stockbauer beschäftigte sich ab dieser Zeit auch mit dem Buddhismus – waren auf technischer Ebene zu bemerken. Formal waren die Gestaltungen zunächst abstrakt, bevor wieder erkennbare Versatzstücke (Tiere, Stillleben, Badende etc.) in die Kompositionen einflossen. Die Besonderheit seines Verfahrens bestand in der Verwendung eines einzigen Druckstockes für mehrfärbige Drucke. Er schnitt dabei nach jeder Farbe am Druckstock weiter und färbte ihn neu ein.11 Hans Fenz schrieb anlässlich einer Ausstellung Stockbauers im Ecksaal des Joanneums im Jahre 1965: „Hier ist etwas, das trotz seiner motivischen und gedruckten Fülle doch auch Visionäres zum Klingen bringen kann. (…) Hans Stockbauer ist kein purer Abstrakter, vielmehr treten immer wieder, mehr oder weniger deutlich, kubistische und expressionistische Formen in Erscheinung, durch die er seine künstlerisch hoch einzuschätzende Wiederbelebung des Holzschnittes ganz wesentlich stärkt“.12 Bis zu seinem Tod 1982 malte Hans Stockbauer sehr intensiv weiter und wechselte erneut seinen Stil. Waren es Kubismus, Expressionismus und Neue Sachlichkeit in den 1930er Jahren, die ihn beschäftigten, so konnte man diese Tendenzen zwar noch nach 1945, als Stockbauer Mitglied der Künstlervereinigung „Der Kreis“ war, spüren. Er entwickelte aber die Formen der Neuen Sachlichkeit weiter, indem er viele Stadtansichten, Straßenzüge mit Werbe- und Verkehrsschildern malte. Man könnte bisweilen an eine Art der Rezeption von Surrealismus und Pop Art denken. Somit blieb der Suchende am Weg der Moderne weiter fündig und erweiterte sein Repertoire um weitere Facetten seiner reichhaltigen Entwicklung. 1. siehe zu biografischen Fakten und Stockbauers Einstellung zum Nationalsozialismus: Herbert Lipsky, „Zu Hans Stockbauer“, in diesem Katalog, S. 24 2. siehe dazu: Lipsky, a.a.O., S. 25f 3. Oskar Maurus Fontana, „Volk und Kultur – Steirische Maler in Wien“, in: Marburger Zeitung, Ostern 1942, o.S. 4. Hans Stockbauer, „Autobiographisches“, in: Kat. Hans Stockbauer, Ausstellungszentrum Neues Rathaus, Leoben 1977, S. 5 und in diesem Katalog, S. 30 5. siehe dazu: Matthias Boeckl, „Durch das Andere zum Eigenen – Zur Rezeptionsgeschichte der Moderne Frankreichs in Österreich“, in: Kat.: Wien – Paris, (Hg.) Agnes Husslein-Arco (Hg.), Belvedere Wien, Wien 2007, S. 30f. 6. Günter Eisenhut, „Ernst Paar“, in: Günter Eisenhut, Peter Weibel (Hg.), Moderne in dunkler Zeit – Widerstand, Verfolgung und Exil steirischer Künstlerinnen und Künstler 1933–1945, Graz 2001, S. 308 7. Günter Eisenhut, in: Moderne in dunkler Zeit, Graz 2001, S. 315 8. Friedrich Aduatz, „Über meinen Werdegang als Maler“, in: Kat: Vorangehen, Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum, Wilfried Skreiner (Hg.), Graz 1987, S. 7 9. Robert Graf, „Zwei junge steirische Künstler“, in: BWK – Beratung für Architektur, Wohnkultur und Kunst, 3. Jahrgang, Graz 1934, S. 3 10. siehe dazu: Olaf Peters, Neue Sachlichkeit und Nationalsozialismus – Affirmation und Kritik 1931– 1947, Berlin 1998, S. 311 11. siehe Stockbauers Beschreibung seiner Methode in diesem Katalog, S. 22 12. Hans Fenz, „Die gesteigerte Farbholzschnitt-Technik Hans Stockbauers“, in: Die Wahrheit, 23. 5. 1965
© Copyright 2024 ExpyDoc