Herzmitteilung

NadineSeidel
Herzmitteilung
von
Agnes N. Reith
NadineSeidel
Herzmitteilung
Erstausgabe
MontAurumVerlag
Dr.StephanieBergold,Bremen
www.montaurum.de
[email protected]
Verlagsnummer:3‐937729
1.Auflage2015
Umschlaggestaltung:
NanaGondlach
Druck:epubli
MadeinGermany
©MontAurumVerlag,Bremen2015
AlleRechtevorbehalten.
Dieses Buch widme ich einem besonderen Menschen:
Henry Reith!
Durch seine Liebe entwickelte sich meine Persönlichkeit.
Durch ihn lernte ich,was Liebe wirklich bedeutet.
Er war stets mein Prinz, mein Freund,
mein Mann und mein Sexgott!
AneinemsonnigenHerbsttagwehtendieBlätterdurch
dieStraßen.EinejungeFraunamensJoyReithliefwei‐
nend über die viel befahrene Straße. Überall wich sie
denfremdenAutos,zwischendenensieherlief,aus.Sie
bliebmitihrervölligverschmiertenWimperntuschean
einem verlassenen Haus stehen und holte zittrig einen
alten,abgenutztenSchlüsselausihrerTasche.Diejunge
Fraublickteaufdenschweren,sichdrehendenHerzan‐
hänger aus Silber, auf die vielen kleinen, roten Steine,
die fast wie Diamanten schimmerten. Der Schlüssel
drehtesichimSchloss.DieTüröffnetesichfastwievon
selbst. Weinend machte sie einen Schritt nach dem an‐
derenindasmittlerweilefastvölligleergeräumteHaus.
Nur einige alte Möbelstücke standen noch immer ver‐
staubt in den Räumen und warteten darauf, vom
Sperrmüllabgeholtzuwerden.AlteMöbelstückeinrus‐
tikalerEichewarendasLetzte,dasderjungenFrauvon
einem Menschen blieb, den sie wahnsinnig liebte. Joy
schloss ihreAugen. Leise sagte sie: „Großmama!“ Ohne
dasssieihreTränenbändigenkonnte,starrtediejunge
FrauausdemgroßenKüchenfensterdesHauses,indem
sie aufgewachsen war. Sie schaute zu dem kleinen
FriedhofamEndederStraße.SiehörtedieGlockenläu‐
ten.EinzelneTränenflossenlangsamanihrerNasevor‐
bei zu ihrem Kinn. Vorsichtig drehte sich Joy um. Sie
schauteaufeinenaltenSekretär,dergeöffnetimRaum
stand.ÜberallsahsieleichtvergilbtesBriefpapier,Hefte
undBücher.SchriftenvonPhilosophen.Siehörteaufzu
weinenundschluchzte.IhreletztenTränenwischtesie
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mitihrerHandausdemGesicht.Nachdenklichfolgtesie
mitihrenAugeneinergetrocknetenSpurausTinte,die
fleckig über das Briefpapier und den Sekretär verteilt
war.DerteureFüllerihrerGroßmutterlagnochimmer
geöffnet neben einem alten Buch. So, als wäre die Ge‐
schichte einer glücklichen alten Dame noch nicht zu
Ende geschrieben. Die Blicke der jungen Frau schweif‐
tendurchdenRaum.SiebeobachteteihreUmwelt.Jede
kleinsteVeränderungnahmsiewar.DochihrBlickrich‐
tete sich wieder und wieder auf dieses Buch, das ver‐
schlossenvorihrlag!JoynahmdasdickeBüchleinfra‐
gendinihreHand.SiedrückteesgegenihreBrustund
an ihr Herz. Sie dachte an ihre Kindheit. An die vielen
schönenAugenblicke,dienunnurnochinihrenErinne‐
rungen steckten. Mit Daumen und Zeigefinger ihrer
linken Hand streifte sie über ihre geöffneten Augenli‐
der.DiejungeFrauspürteihrenregelmäßigklopfenden
Herzschlag. Sie starrte auf ein Foto, das sie mit ihrem
letzten Freund zeigte, der genauso schnell gekommen
wieerauchwiederverschwundenwar.DaskleineFoto
heftete seit Wochen an dem verstaubten Möbelstück.
DamalsschenkteJoydaskleinePassfotoihrerOmazum
Geburtstag.Jetztgehörtedas,wasJoyaufdemFotosah,
ebenfalls zu ihrer Vergangenheit. Leise sagte sie: „Lie‐
beskummer tut weh! Oma, es ist die Hölle! Es tut so
verdammt weh. Ich wünschte, du könntest mich jetzt
hören!Duwärsthier.Erhatmichverlassen,erhatmir
immergeschworen,dassermichliebtunddannhater
michmiteineranderenbetrogen.“Verzweifeltlegtedie
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junge Frau das verschlossene Buch ihrer Großmutter
aufeinenHocker.SieblicktetraurigaufdieSchrifteines
einzigartigenMenschen,zaghaftflüstertesie:„Herzmit‐
teilung von Agnes N. Reith!“ Fragend suchte Joy zwi‐
schen den vielen Schriftstücken nach dem passenden
SchlüsselfürdasmagischeSchriftguteinerFrau,diesie
liebte.SiedachteaneinenbesonderenTag,siehörtedie
StimmeihrerverstorbenenOma,dieergreifenderzähl‐
te: „Dieses Buch ist mein Leben. Es ist das Wichtigste,
was ich besitze, mein Kind. In ihm stecken mein Herz,
mein Glück, meine Leidenschaft! Meine Erinnerungen
andieLiebemeinesLebens…EsistmeineHerzmittei‐
lungandieWelt.Leiderkamichbisherniedazu,eszu
veröffentlichen!“ Joy atmete tief ein. Gleichzeitig fand
sie,währendsiediemitTintebesprenkeltenPapierbö‐
gen zur Seite legte, ein kleines goldenes Kästchen in
Form einer Rose. Sie öffnete die kleine, geheimnisvoll
lackierte Holzblüte und lauschte einer lieblichen Melo‐
die.EinSpiegelwarindenDeckelderkleinenDoseein‐
gearbeitet.FragendöffneteJoyeinkleinesrotesLeinen‐
tuch,worinsieeinenkleinenSchlüsselfand.Waresder
Schlüssel,densiesuchte?DerSchlüsselzuihremGlück?
NeugierignahmJoydaskleineStückMetallinihreHand
und steckte es in das Schloss des leicht verstaubten
Tagebuchs. Es öffnete sich. Joy legte die goldene Dose
zurückaufdenaltenSekretär.Dannnahmsiedaswert‐
volleBuchindieHandundlöstedasgeöffneteSchloss.
GespanntundzittrigsetztesichJoyimSchneidersitzauf
denaltenHolzfußbodenimFlurdesHauses.Eswarkalt.
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Frierend lehnte sie sich mit ihrem Rücken an die helle
Strukturtapetean.Dann öffnetesiedasGeschenkihres
Lebens.EinBuch,dasihrzeigensollte,waswirklichim
Leben zählt. Sie schaute auf ein Bild ihres Großvaters.
Sie blickte auf das Bild eines lächelnden, jungen und
schönenMannes,mitdemDatum28.Februar1963.Es
waren mittlerweile sechzig Jahre vergangen. Joy ent‐
deckteeineBleistiftzeichnung.Inihrsteckte,etwasver‐
steckt, ein Herz, dessen Umrisse aus Tausenden von
winzigenRosenbestand.Siesahaufdieverschnörkelte
SchriftihrerOma,dieliebevollvorJahrenschrieb:Erist
derMannmeinesLebens.MeinHaltundaufewigmein
ganzer Stolz, mein Lebensglück! Mein Henry! Wahre
Liebevergehtnie!
BerührtblätterteJoydieSeiteum.IhreAugenbewegten
sich minimal, während sie die beeindruckenden Zeilen
ihrerGroßmutterlas.SiespürtedieKraft,diesichhin‐
ter jedem einzelnen Wort versteckte, noch in dem Au‐
genblick,alssiedieSeitezuEndegelesenhatte.
LiebeistMagiezweierSeelen,diesichfinden,wieFeuerin
unserem Herzen, das lodert und glüht, wie Funken über
Funken, die in den Himmel fliegen zu den Sternen. Liebe
ist grenzenlos, man kann sie nicht besitzen, sie ist ein
wahrhaftgroßesGeschenk! Liebe ist eine wundervolle Bereicherung, Liebe ist, wie
tausend, gar abertausend Gefühle gleichzeitig, die mitei‐
nanderverschmelzen. WahreLiebemachtjedenAugenblickmitdemMenschen,
denmanliebt,zuetwasBesonderem. 4
Liebe ist wie Poesie, wie Bewegung, wie ein Fluss, der
durchunserenKörperfließt. Liebeistheftig,stürmischwiederWind,derallesmitsich
reißt. Liebe ist die Verbindung zweier Seelen mit einem un‐
sichtbaren Band, nichts kann sie trennen, keine Ferne,
keinMenschundnichtderTod!
GenaujetztwurdeJoyklar:Niemalsvorhergabeseinen
jungen Mann, den sie so geliebt hatte. Nachdenklich
schautesieaufihreArmbanduhr.Eswarfrüh.Sieblieb
sitzen. Sie legte sich das geheimnisvolle Buch ihrer
GroßmutteraufdieOberschenkelundblätterteweiter.
*
02.Mai1958
Liebes Tagebuch. Heute ist etwas Aufregendes in mei‐
nem Leben passiert. Es hat mich so fasziniert, dass ich
die Idee hatte, es einfach aufzuschreiben. Ich wollte es
mit jemandem teilen. Mit dir teilen. Deshalb habe ich
genau jetzt angefangen, dir zu schreiben! Du bist mein
persönlichesBuchundträgstseiteinpaarMinutendie
Überschrift „Herzmitteilung!“ Ich heiße Agnes Natalia,
meine Eltern nennen mich auch Aggi, ich bin 15 Jahre
jung und, so glaube ich jedenfalls, zum ersten Mal in
meinemLebenhoffnungslosverliebt!Heutehabeichin
der Stadt einen Jungen gesehen. Er rief laut über die
Straße: „Du da, du wirst doch ganz nass, lauf aus dem
Regenrausundstelledichunter.“
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Fragend blickte ich stumm, mit meinem nassen Rock
und meinen neuen schwarzen Sandalen, zu meiner
Freundin. Ich schaute in den Himmel, beobachtete die
Tränender Engel,dieaufdieErdeniederfielen.Eswa‐
ren tausende, abertausende kleine Perlen, sie waren
überall um mich herum. Dann sah ich diese braunen,
liebevollen Augen, sein krauses Haar. Zwei braune, lo‐
ckige Haarsträhnen hingen mitten im Gesicht dieses
Jungen.Gefesseltvonihm,spürteichdasFeuerinmei‐
nem Herzen, welches in Sekundenschnelle zu lodern
begann, als sich unsere Blicke trafen. Es traf mich wie
ein Blitz. Innerhalb einer Minute war es um mich ge‐
schehen. Es war ein Gefühl, das ich noch nicht kannte,
liebesBuch.Jedenfallsnichtsoheftig,voneinerSekun‐
de zur nächsten. Reaktions‐ und sprachlos stand ich,
eingeschüchtert zwischen vielen fremden Menschen,
mitten in der Stadt. Ich spürte den Regen auf meiner
Haut,spürtemeinHerz,dasschnellzuschlagenbegann.
WortlosbeobachteteicheineGruppeJungen,diehinter
einemLadenlokalverschwand.DerRegenhörteauf.Die
Sonne schien auf den nassen Asphalt. In den Pfützen
spiegeltensichdienochtropfendenBlätterderBäume.
Langsam machte ich mich nachdenklich auf den Weg.
NochimmerkonnteichdiesesGefühl,dasmichgenauin
diesem kurzen Augenblick magisch fesselte und für
wenigeSekundenverzauberte,nichterklären.DerKloß
in meinem Hals verschwand. Ich atmete tief. Doch in
meinemKopfflattertendielockigenHaarsträhneneines
fremden,frechenJungen,vondemichnochnichteinmal
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einen Namen wusste, stundenlang fort. Was war denn
das? War ich hoffnungslos verliebt? War das die Liebe
auf den ersten Blick? Hilf mir liebes Tagebuch! Ich bin
verwirrt…
03.Mai1958
Stunden später lag ich gestern noch wach. Mit meiner
kalten Hand kratzte ich über die erst kürzlich von mir
selbst gestrichene weiße Tapete. Ich starrte gegen die
Wand, legte die Bettdecke eng an meinen Körper und
klemmte das aufgewärmte Stückchen Stoff zwischen
meineBeine.IchschlossmeineAugenundträumtevon
einem Jungen, dessen gelockte Haarsträhnen sich zag‐
haft durch die Luft bewegten. Ich lächelte verträumt,
leisekicherteich:„Duda,duwirstdochganznass,lauf
ausdemRegenrausundstelledichunter.“Erwarfrech!
Ehrlich!!! Aber genau so brachte er mich zum Lachen
undnunummeinenSchlaf.Schmunzelndstarrteichzu
einemBildmeinerEltern.Ichlegtemichgesterntraurig
zur Seite, zog meine Bettdecke über beide Ohren und
träumte in dieser Nacht mit offenen Augen von einem
Jungen,denichinmeinemLebenniemalsmehrwieder‐
sehen würde. Ich hatte den Moment in der Stadt ver‐
passt.IchEsel!
Und nun? Genau jetzt, liebes Buch! Einen Tag später
ärgere ich mich und finde keinen Schlaf. Stattdessen
halteichmeinen Füller aufdasweißeBlattPapierund
schreibe meine Gedanken auf. Ich versuche meine Ge‐
fühleinWortezufassen.VersuchedieLeidenschaft,die
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er in mir entfachte, zu zähmen. Ich ärgere mich. Ich
glaube, dass all das kein Zufall war, liebes Tagebuch!
SchonMamaäußertestets,esgibtimLebenkeineZufäl‐
le.Frage:Washatteer,wasandereJungennichthaben?
WarumkamerinmeinLebenstolziert?Einfachso.Fra‐
gen über Fragen … noch habe ich keine Antworten.
WennwasBedeutendesfolgt,werdeichdirberichten.
14.Mai1958
Liebes Tagebuch. In den letzten Tagen war ich nicht
glücklich. Immer musste ich an diesen einen Jungen
denken. Egal, was ich gemacht habe, er war immer in
meinemKopf.NachtsinmeinenTräumen.Wiesagtman
soschön?ErhatmirdenKopfverdreht.DiesesLachen
verfolgt mich seit Tagen überall hin! Manchmal denke
ich,ichmüssesterben…
19.Mai1958
BuchmeinesLebens…duwirstesnichtglauben,heute
binichmitmeinerFreundininderStadtgewesen.Rate
mal, wen ich gesehen habe. Jaaaaaaa, ich freue mich
soooooo!Erwares.Ersprachmichan.Lustigwar,dass
er sich an damals nicht erinnerte. Als ich ihm sagte:
„Beim letzten Mal hattest du gesagt: ‚Du da, du wirst
dochganznass,laufausdemRegenrausundstelledich
unter!‘“,schauteermicherschrockenanundentgegne‐
te:„Daswarstdu?“JetzthabeicheinDate,eineVerab‐
redungundbintotalaufgeregt.Wiederwaresfortanda,
dieses Kribbeln. Diese Schmetterlinge, die sich in mei‐
nemKörper inScharenhinundherbewegtenundden
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Ausgangnichtfanden.OhHerrgott,ichglaube,ichwer‐
debeidemTreffensterben.Ichwerdeunendlichnervös
sein.Ichkannesgarnichterwarten,ihnzusehen,aber
ich habe auch Angst, etwas falsch zu machen, liebes
Buch!MeineKnieschlottern…
25.Mai1958
Liebes Tagebuch! Wir haben uns getroffen. In einem
kleinen Café! Schon als ich durch die Tür in das Café
kam und ihn sah, war es wieder da, dieses Gefühl, die
Kontrolle zu verlieren. Mir wurde heiß, dann kalt. Ich
begannzuschwitzen,fastohnmächtigzuwerden,dabei
hatteichnochnichteinmal„Hallo“gesagt.Ichversuchte
mich zusammenzureißen. Ich schaffte es gerade noch!
Er schaute mich mit seinen treuen, braunen Augen an.
Es waren Augen, in denen ich mich völlig verlieren
konnte.Wirunterhieltenuns.Erwaretwasälteralsich,
Schülerundmachte geradeseinenFührerschein.Über‐
glücklichstammelteichetwasvonmeinemLebendurch
den Raum. Er lachte. Ich auch. Meine Nervosität war
ununterbrochen vorhanden. Ich überspielte meine Un‐
sicherheitmitmeinemLächeln.Immerwiedersahichin
sein Gesicht und tief in seine Augen. Es schien, als
schauteichdurchsiehindurch,direktinseineSeele.Er
hatteeinensüßenDreitagebart.DasFeuer,daserinmir
entfacht hatte, knisterte laut. Ich musste mich anstren‐
gen,ihmzuzuhörenundhatteMühe,michzukontrollie‐
ren. Ich fühlte eine Art Zauber, der sich um uns legte,
der den Raum ausfüllte, in dem wir saßen. Mir wurde
heiß. Die Zeit, die wir zusammen verbrachten, verging
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wie im Flug. Stunden kamen mir vor wie Sekunden.
Dann,liebesTagebuch,habenwirunsverabschiedet.Er
nahmmeineHand.MeinHerzschlugschnell.MeinBlut
pulsierte durch meinen erhitzten Körper. Er machte
mich nur durch seine Anwesenheit verrückt. Unsere
Finger begannen miteinander zu spielen. Nervös und
fragendblickteichihnan.ZärtlichnahmermeineHand.
ErstreicheltemeinenHals,meinGesicht.Ichließeszu.
Es war schön. Ich gab ihm einen Kuss. Ich spürte die
Leidenschaft unserer Zungen, während wir etwas ver‐
steckt in einem Eingang eines geschlossenen Ladenlo‐
kals stehenblieben. Dieser Junge fesselte mich. Er zog
mich magisch an. Wir verabschiedeten uns mit einem
Lächeln.IchspüredenKussnochjetzt,liebesTagebuch!
Stunden später. Ich möchte ihn wiedersehen. Ihn küs‐
sen,ihnstreicheln.Ichbinverrückt,verrücktnachihm.
Was schreibe ich? Ich kenne ihn doch eigentlich gar
nicht.Aberwarumfühltessichsoverdammtgutan?So,
alswennwirunsschonewigkennen.Alshättenwiruns
gesucht und gefunden? Ich werde meinen Henry wie‐
dersehen. Ich werde sehnsüchtig auf ihn warten. Ich
kann es kaum abwarten. Es war schön und ich bin un‐
endlich glücklich, wenn er in meiner Nähe ist! Schlaf
schön,liebesTagebuch!Ichwerdedirweiterberichten.
29.Mai1958
Ich habe ihn wieder gesehen. Wir haben uns im Rom‐
bergpark getroffen und sind spazieren gegangen. Er
hielt meine Hand. Unsere Hände schwitzten, während
wir uns festhielten. Wir gingen an den Bäumen vorbei
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und fühlten den warmen Sommerwind. Glücklich hielt
ichseinenArm.IchspürtedievielenGemeinsamkeiten,
die wir hatten. Ich lauschte seiner wundervollen Stim‐
me.WirbliebenengumschlungenaneinemTeichvoller
Enten stehen. Eine kleine Brücke führte über das ru‐
hendeGewässer.ZumerstenMalerlebteichdasGefühl,
von dem meine Mutter immer sprach, das Gefühl, „an‐
gekommen“zusein.DenMenschengefundenzuhaben,
dermirgab,wasichbrauchte–unddasnachsokurzer
Zeit. Warum? Frag mich etwas Leichteres, liebes Buch.
Er hielt mich fest. Ich wünschte, er hätte mich niemals
wieder losgelassen. Mein Herz fing erneut Feuer. Wir
liefen weiter, alberten und lachten. Ich war so ver‐
dammtglücklich.AlleswarwieineinemFilm.Einero‐
mantische Liebesgeschichte, unsere eigene, gemeinsa‐
me Geschichte sollte jetzt beginnen. Er nahm mich in
denArm.SeineHandlegteerdabeiuntermeinenPullo‐
ver auf meine nackte Haut. Ich tat es bei ihm auch. Ich
fühlte seine warme Haut unter meinen Fingern. Ich
spürte seine Hand, die mich vorsichtig streichelte. Wir
gingenweiter.Ichwollteihnküssen.Ihnniemalswieder
loslassen.WirliefenweiterundbetrachtetendieVögel,
die zu einem Nest flogen. Ich war schüchtern, er auch!
Wir redeten viel, lachten zusammen und beobachteten
fremde Leute. Stunden später... Er blieb stehen. Hielt
michfest.MeineKniewurdenweich.Ergabmirzärtlich
einenKussaufmeineLippen.Eswurdeschnellstürmi‐
scher. Es war schön. Unbeschreiblich schön. Die Zeit
blieb stehen. Wir nahmen um uns herum nichts mehr
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