1 (J.H.:) Liebe Synodalgemeinde, die Predigt als eine Begegnung mit dem Bibeltext aus Lukas 6,36-42 - überschrieben mit den Worten: Die Stellung zum Nächsten: Die Stellung zum Nächsten als Text für die Predigt - ein Teil der Bergpredigt bei Lukas - oder vielmehr der Feldpredigt. Oje, und das als Predigttext für den Synodengottesdienst: Bergpredigt/Feldrede, mit all der deutlichen Sprache. Was soll ich dazu sagen? War da nicht was mit Zwei-Reiche-Lehre von Martin Luther und der Sündenspiegel, oder muss ich die Gesinnungsethik der liberalen Theologen bringen oder die Umsetzungsbemühungen der politischen Theologie? Ach was, das lasse ich mal alles weg. Hatte Jesus sich nicht am Anfang des 6. Kapitels im Lukasevangelium seine zwölf Jünger ausgesucht, nachdem er eine Nacht lang darüber gebetet hatte? Ja, so beschreibt es Lukas. Und dann zieht es Jesus mit den Zwölfen wieder zu den Menschen. Im Angesicht der Menschenmenge, die sich versammelt hatte, unterrichtet er sie. Er, der Lehrer Jesus, schult seine Leute durch eine Rede, und viele hören dabei zu. Ich stelle mir das irgendwie so vor, als wolle Jesus die Jünger mit der Firmenphilosophie vertraut machen, auf die Sache einschwören. Betriebsgeheimnisse scheint es dabei keine zu geben, schließlich hören eine Menge Leute zu. Das finde ich schon erstaunlich: Das Erfolgsrezept für seine Gruppe scheint Jesus nicht darin zu sehen, wie und was die Zwölf glauben, sondern wie sie sich verhalten, wie sie leben. Am Miteinander erkennen können, aus welchem Stall man kommt. Das ist Teil der Firmenphilosophie. (J.H.:) Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Ja, das ist wohl die Grundlage fürs Miteinander-Leben: Weil Gott barmherzig ist, deshalb können wir barmherzig sein. Das tut mir schon mal gut, dass vom barmherzigen Gott die Rede ist. Ist vieles doch sehr unbarmherzig im Leben. Gnadenlos. Unbarmherzig - der Konkurrenzdruck - schon in der Schule, unbarmherzig - der Kampf um den Arbeitsplatz, unbarmherzig - die Folgen der Finanzwirtschaft, die uns regiert und die wir selbst auf den Thron gehoben haben. Gottes Barmherzigkeit: Das ist eine gute Nachricht. Und irgendwie ist das auch die Überschrift und die Voraussetzung für diesen Abschnitt. Gottes Barmherzigkeit geht unserem Miteinander voran. Wahrscheinlich hat Lukas auch deshalb wohl seine Bergpredigt erst ins 6. Kapitel gepackt. 2 Davor stehen eine ganze Reihe von barmherzigen liebevollen Taten Jesu. Jesu Verhalten am Sabbat z.B.: da ist er ja nicht so pingelig wie die Pharisäer mit ihrer Rechthaberei. Da handelt Jesus einfach, und heilt einen Menschen, dessen rechte Hand abgestorben ist. Und er heilt den Gelähmten und einen Aussätzigen. Nach den guten Erfahrungen der Menschen mit Jesus kommt jetzt die Rede, die Lehre, die Schulung darüber, wie wir Menschen miteinander umgehen und leben sollen. (J.H.:) 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Jetzt geht es nach all der schönen Barmherzigkeit direkt zur Sache. Ein bisschen sanfte Überleitung wäre ja auch ganz schön gewesen. Stattdessen gleich mal klare Ansage: Nicht richten, nicht verdammen, aber vergeben. Erinnert mich an dieses afrikanische Sprichwort. „Worte sind schön und gut, aber Hühner legen Eier.“ Es soll ganz offensichtlich einfach was Konkretes bei rauskommen aus der Barmherzigkeit. Nicht nur Theorie, sondern Praxis. Aus der Barmherzigkeit soll was Sichtbares und Spürbares für meine Mitmenschen werden. Irgendwie stört nur die jeweilige zweite Satzhälfte, die man da zu hören bekommt: So werdet auch ihr nicht gerichtet, nicht verdammt. Ist das nun Anreiz oder Androhung oder Tatsachenbeschreibung? Auf jeden Fall gibt es einen Zusammenhang zwischen meinem Handeln und dem, wie es mir mal ergeht. Wenn ich nicht richte, werde ich selbst nicht gerichtet. Verdamme ich nicht, so werde ich nicht verdammt. Vergebe ich, so wird auch mir vergeben. Die Frage ist ja nur, wer mich nicht richtet, wer mich nicht verdammt und wer mir vergibt. Ist hier Gott gemeint oder die Menschen? Wahrscheinlich sagen die meisten Theologen: das bezieht sich auf Gott, ist also nicht innerweltlich gemeint. Gott richtet nicht, verdammt nicht und vergibt, wenn ich mich dementsprechend verhalte. Und diese Entsprechung soll mich daran erinnern, dass wir alle mal vor den Richterstuhl Gottes treten werden und dass wir dort auch nach Taten beurteilt werden. Keinesfalls geht das es bei dem „nicht Richten“ um die öffentliche Rechtsprechung, sondern es geht um einen Frömmigkeitsstil: Wenn ich nicht richte, nicht verdamme, sondern vergebe, dann wird auch Gott so mit mir am Ende meiner Tage umgehen. Und wenn es sich doch auf die Menschen bezieht? Kann man ja auch mal denken, oder? Da habe ich zugegebenermaßen schon meine Bedenken, ob das so funktioniert. Verurteilt nicht, so werdet auch ihr 3 nicht verurteilt. Klappt ja irgendwie nur, wenn sich alle dran halten. Nicht nur ich, sondern auch die anderen. Doch wenn ich es recht überlege: Jesus würde da wahrscheinlich einwenden, dass es zum Stillstand kommt, wenn ich mein Verhalten von den möglicherweise ausbleibenden Reaktionen anderer abhängig mache. Nichtstun, weil man nicht sicher ist, wie die anderen reagieren. Tja, ich muss wohl anfangen mit dem barmherzigen Lebensstil, auch wenn die Erwiderung des anderen ungewiss ist. Nur so wird die Barmherzigkeit Gottes praktisch. Schließlich hat Jesus seine Jünger und die anderen Zuhörer ja auch dazu aufgefordert zu beginnen. Barmherzigkeit praktisch, das heißt: Auch den Armen nicht verurteilend für seine Armut selbst verantwortlich machen, mit dem Herzen bei dem Ärmeren zu sein, und mit Taten etwas gegen die Armut zu tun. Barmherzigkeit konkret werden lassen meint wohl auch handfestes Tun. Praxis eben. (J.H.:) 38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen. Also auch noch: Gebt, so wir euch gegeben. Ehrlich gesagt, frage ich mich ja doch, was meint das eigentlich: Nicht richten, nicht verdammen, vergeben und jetzt auch noch geben. Klingt so weit weg. Wenn ich ans Richten so heute und bei uns im Kirchenkreis denke, an der Kreissynode, ja dann fällt mir, darf man ja fast nicht sagen, dann fällt mir das Verwaltungsamt ein. Das Verwaltungsamt. Gut, es läuft echt nicht alles rund da, die Strukturen brauchen wohl mal eine Generalüberholung, die Überlastung ist da, aber: Man, man, man, was die sich alles anhören müssen - und abkriegen. Dabei würde es ja von uns Pfarrern keiner besser machen, wer hat denn schon von uns den Plan in der Tasche - kaum wer. Ich jedenfalls nicht. Sachliche Kritik ist ja durchaus angebracht, aber lieblose Nörgelei, und dieses Herausstellen und Bloßstellen, wie mies es da läuft. Dabei habe ich neulich doch mal freitagsabends noch eine Anfrage ans VWA geschickt. Wie spät war es da? Na bestimmt schon 19 Uhr durch. Und da habe‘ ich noch umfassende Auskunft erhalten, habe sogar noch mal ‘ne Nachfrage gestellt und wieder Antwort bekommen. Freitags, 21:07 Uhr, die letzte Antwort aus dem VWA. Was für ein Service! Nicht schlecht, der Herr Heidrich, und das am Freitag vor Pfingsten. Hat der auch mal Feierabend? 4 Na vielleicht meint „nicht richten“ dies: Beurteilen ja, aber nicht lieblos verurteilen. Und dann könnte man unter „nicht verdammen“ verstehen: Kritisieren ja, aber nicht von oben herab verwerfen und in die Ecke stellen. Dann mir und andern auch mal vergeben, wenn etwas nicht so klappt, privat und im Beruf und bei Kirchens. Gutes auch so nennen. Und etwas geben, sich einbringen, sich engagieren. Kurz gefasst: Barmherzig leben. Als Verhaltensstil und Umgangston als Firmenphilosophie. Barmherzigkeit leben: Da wär ich ja fast wieder am Anfang. Und was ist mit dem, der Barmherzigkeit lebt? Wer Barmherzigkeit lebt, der bekommt von Gott ein volles, gedrücktes, gerütteltes, überfließendes Maß, so heißt es so schön poetisch. Da hat sich Lukas das Bild von einem bis zum äußersten mit Getreide gefüllten Hohlmaßes genommen. Übervoll ist diese Maß. Klingt toll: Wer Barmherzigkeit lebt, der bekommt von Gott reichlich geschenkt. Über und über überschüttet mit der Barmherzigkeit Gottes. Der Gedanke gefällt mir. Was gibt’s, Johannes? (J.H.:) Wäre jetzt mal Zeit, Schluss zu machen, sonst wird‘s zu lang. Wir wollen ja noch tagen. Kreissynode. Hast Recht, Johannes, mache Schluss. Hast Recht, unsere Zeit ist begrenzt. Wir können nicht ewig warten mit der Barmherzigkeit. Wir müssen jetzt anfangen barmherzig zu sein, wie unser Vater barmherzig ist. Amen. Juni 2015, Pfr‘in Annette Schmid, Berschweiler
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