Renate Dörfel-Kelletat Frank Dörfel

Renate Dörfel-Kelletat
Frank Dörfel
Musikerin
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Diplom-Mathematiker
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Breisgauer Str. 7
14129 Berlin
030-80582724
12. März 2016
Sehr geehrter Herr Außenminister Steinmeier,
am 9.3.2016, erhielten wir von Ihrem Amt den folgenden Text:
Außenminister Steinmeier anlässich der Messerangriffe gegen Zivilisten in Israel
09.03.2016
Zu den jüngsten Messerangriffen gegen Zivilisten in Israel sagte Außenminister Steinmeier
heute (09.03.) in Berlin:
Wir verurteilen die abscheulichen Angriffe auf Zivilisten, die sich gestern in Tel Aviv-Jaffa,
Petah Tikva und heute Morgen in Jerusalem ereignet haben, auf das Schärfste. Für solche
Mordtaten gibt es keine Rechtfertigung. Unsere Gedanken und unser Mitgefühl gelten den
Opfern und ihren Angehörigen.
Die seit Mitte September andauernde Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern, die
nahezu täglich Menschenleben fordert, muss ein Ende finden.
Beide Seiten müssen helfen, zu einer Deeskalation zu kommen. Es reicht nicht, an den
Symptomen des Konflikts zu arbeiten, sondern es muss den Ursachen begegnet werden.
Hoffnung auf Frieden für Israelis und Palästinenser bietet nur die Wiederaufnahme ernsthafter
Bemühungen hin zu einer fairen Zweistaatenlösung.
Sehr geehrter Herr Steinmeier,
selbstverständlich ist es richtig und gut, dass Sie Gewalt, menschenverachtende, tödliche Gewalt
verurteilen und sich öffentlich dagegen aussprechen. Aber warum geschieht das so einseitig, so
ausschließlich dann, wenn Israelis Opfer von Gewalttaten wurden. Warum schweigen Sie zu all der
alltäglichen Gewalt, die die israelische Besatzungsmacht gegen Palästinenser ausübt.
Ich zitiere aus dem Wochenbericht des Palestinean Centre for Human Rights (Weekly Report On
Israeli Human Rights Violations in the Occupied Palestinian Territory (25 February – 02 March 2016),
dem jüngsten Bericht der uns vorliegt:
… Israeli forces have continued to commit crimes, inflicting civilian casualties. They have also
continued to use excessive force against Palestinian civilians participating in peaceful protests
in the West Bank and Gaza Strip, the majority of whom were youngsters. During the reporting
period, Israeli forces killed 4 Palestinian civilians, including 3 children, in the West Bank. One
of them was killed in Qalandya refugee camp, north of occupied Jerusalem, another was killed
at “Beit Eil” military checkpoint, north of Ramallah, while the 2 others were killed in “Eli”
settlement, south of Nablus. Moreover, they wounded 20 civilians, including 3 children.
Thirteen of them, including a child, were in the West Bank, and the 7 others, including 2
children, were in the Gaza Strip. Concerning the nature of injuries, 11 civilians were hit with
live bullets, 6 were hit with rubber-coated metal bullets and 3 others were hit with sound
bombs.
In the West Bank, Israeli forces killed 4 Palestinian civilians, including 3 children, and
wounded 13 others, including a child. Seven of them were hit with live bullets and 6 others
were hit with a rubber-coated metal bullet. … (mehr unter http://pchrgaza.org/en/?p=7895 )
Es ist uns nicht verständlich, warum Sie durch öffentliche Erklärungen den Eindruck von
Einseitigkeit verstärken, der seit Jahren das Erscheinungsbild der deutschen Nahostpolitik
bestimmt. Wenn Sie schon nicht umhin konnten, die schlimmen Messerattacken auf Israelis
zu kommentieren, warum kommentieren Sie dann nicht auch die Attacken der IDF, einer der
bestgerüsteten Armeen der Welt, auf die Bevölkerung des Westjordanlandes und des
Gazastreifens. Sie wissen doch über die Lage der Palästinenser Bescheid, die sich seit 1968
einer arroganten, ihre Menschenrechte mit Füßen tretenden Besatzungsmacht gegenüber
sehen, die ihnen ihre Rechte verweigert, auch das Recht auf freie Meinungsäußerung, wie
gerade in diesen Tagen wieder geschehen durch die Weigerung des IDF, den
palästinensischen Menschenrechtler und Friedensaktivisten Salah Al-Khawaja nach
Deutschland zu einer Reihe von Vorträgen (in Hamburg und Berlin) ausreisen zu lassen. Ein
ebenso beredtes Schweigen Ihres Hauses herrscht in Bezug auf die unerträgliche Situation der
Menschen im Gazastreifen, denen durch die andauernde Blockade durch Israel jegliche
geordnete Wiederherstellung ihrer Lebensgrundlagen verweigert wird.
Eine der vielen minutiösen Faktensammlungen durch das PCHR, die Übersicht über die
Umstände von 135 Tötungen von Palästinensern im vierten Quartal 2015
http://pchrgaza.org/en/?p=7492 lässt uns sprachlos. Ihre Reaktion auf diese Aufstellung
interessiert uns sehr!
Herr Steinmeier, Sie sind führendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands,
einer Partei, zu deren Traditionen die Solidarität mit den Schwachen, den Unterdrückten, den
Entrechteten gehört. Wie gelingt es Ihnen, diese Tradition, die ja an manchen Stellen in der
SPD noch durchscheint, zu harmonisieren mit Ihrer „Realpolitik“?
Der letzte Absatz Ihrer Verlautbarung lässt uns rätseln, was damit wohl gemeint sei:
Beide Seiten müssen helfen, zu einer Deeskalation zu kommen. Es reicht nicht, an den
Symptomen des Konflikts zu arbeiten, sondern es muss den Ursachen begegnet werden.
Hoffnung auf Frieden für Israelis und Palästinenser bietet nur die Wiederaufnahme ernsthafter
Bemühungen hin zu einer fairen Zweistaatenlösung.
Ist dies die verschlüsselte Aufforderung an die israelische Seite, die Besatzung der seit 1968
okkupierten (und zum Teil widerrechtlich annektierten) Gebiete zu beenden und den Palästinensern
ihre Hoffnung auf eine irgendwie geartete Zukunft wiederzugeben? Und/Oder ist dies die
Aufforderung an die Palästinenser, sich jeglichen Widerstandes gegen die Besatzung zu enthalten und
sich mit der Situation der fortschreitenden Enteignung und ethnischen Säuberung abzufinden? Was ist
Ihrer Meinung nach denn eine „faire Zweistaatenlösung“? Ihre Verlautbarung vom 9.3. lässt uns ratlos.
In der Hoffnung auf eine klärende Antwort grüßen Sie
Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel