CAD-FEM GmbH INFOPLANER 1/2002 Mit FEM den Ton angeben Dass mit der FEM Produkte schneller entwickelt und optimiert werden, ist hinreichend bekannt. Aber sie führt auch zu schnell verwertbaren Ergebnissen, wenn Produkte nach einem sehr langen Entwicklungsprozess bereits ein fast unübertreffbares Qualitätsniveau erreicht haben. Am Beispiel eines Kontrabass wird gezeigt, wie dank moderner Simulationstools die Qualität von „alten“ und neuen Produkten beeinflusst werden kann. Die Anwendbarkeit dieser Tools lässt sich spielend übertragen auf andere Industriebereiche. Besonders der Maschinenbau, die Automobil- und Flugzeugindustrie, Mikroelektronik, Medizintechnik, Produzenten von Freizeit- und Konsumgütern und viele andere Wirtschaftszweige nutzen die FEM in der Produktentwicklung und in der Konstruktion. Warum sieht ein Kontrabass aus wie ein Kontrabass aussieht? Über hunderte von Jahren wurden Produkte wie der Kontrabass verbessert und optimiert. So wie die Natur in ihrer Evolution wirkt, hat jedes Detail bei Kontrabass seine Notwendigkeit. Man denke an die Eierschale. Sie ist ein perfektes Gehäuse mit maximaler Steifigkeit (das Ei ist in Längsrichtung extrem stabil) und minimalem Gewicht. Der Baum, welcher den Umfang des Stammes nach oben verkleinert, gleicht dem Biegewiderstand eines spannungsoptimierten Trägers. Die Flossen von Fischen sind strömungsoptimierte Profile. Die Natur hat lange daran gearbeitet. Die Instrumentenbauer, welche ihre Wissenschaft über Generationen weitergegeben haben, sind einer Perfektion ebenfalls nahe gekommen. Der Wirtschaft fehlt heute natürlich die Zeit, um Produkte in dieser Art reifen zu lassen. Der Markt verlangt immer schneller nach neuen Produkten. Der Nischenmarkt ist von der Konkurrenz besetzt, sobald unbeabsichtigte Design-Loops, also Fehler die erst spät erkannt werden, die Fertigstellung des Produkts verzögern. Mehr als ein Prototyp bedeutet meist ein markant Zeitverlust. Aus diesem Grunde wird heute immer häufiger Simulationssoftware eingesetzt. Studien und kreative Ideen werden im virtuellen Raum durchgespielt und die ungenügenden Varianten werden frühzeitig aussortiert. Dieses Vorgehen erlaubt es den Entwicklungsteams, mit eindeutig weniger Prototypen ans Ziel zu kommen. Dank Simulation kann zudem mehr Verständnis über das Verhalten der Bauteile insgesamt gewonnen werden - ein besseres Produkt entsteht und Know-how für Folgeprodukte wird angesammelt. Abgesehen von den verkürzten Entwicklungszeiten werden durch die Gewichtsoptimierung auch Materialkosten, besonders wichtig bei Grossserien, eingespart. 16 Anwenderbericht Warum sieht ein Kontrabass aus wie ein Kontrabass aussieht? Um neue Antworten auf diese Frage geben zu können, wurde der vollständige Bass als FEMModell nachgebildet. Da CAD-Daten waren in diesem Falle leider nicht vorhanden waren, wurden in einem ersten Schritt digitalisierte Bilder des Kontrabasses auf der Benutzeroberfläche von ANSYS hinterlegt. Mit wenigen Mausklicks lässt sich auf diese Weise ein maßstabsgetreues Abbild des Basses erstellen. Das Original und das FEM Modell sind in den Bildern 1 und 2 gezeigt. Bild 1: Der Kontrabass. Wie bei Evolutionsprozessen in der Natur lässt sich der Beginn der Kontrabassentwicklung nur schwer festlegen. Seit der Zeit von Stradivari (1644-1737) ist die Familie der Streichinstrumente in der Form allerdings kaum noch verändert worden. Bild 2: Das vernetzte Modell besteht in den dünnwandigen Bereichen aus Schalenelementen. Die voluminösen Bereiche wurden mit Solidelemente vernetzt. Schlanke Strukturen wie die Saiten bestehen aus Balkenelementen. Durch die Möglichkeit in einem Modell gleichzeitig Balkenelemente (Saiten und Verstrebungen), Schalenelemente (Korpus) und Volumen- oder Solidelemente (Steg, Griffbrett, Luft) zu verwenden, kann ein vollständiges Modell des Kontrabasses geschaffen werden. Die Gesamtzahl an Elementen liegt bei ca. 30.000. Die benötigten Rechenzeiten liegen auf einem PC somit im Bereich von wenigen Minuten. Nachdem die Modellgenerierung geschafft war, musste für die Berechnung noch die nicht ganz einfache Frage nach den genauen Materialeigenschaften der verwendeten Hölzer geklärt werden. Eine Internetrecherche hat eine erstaunliche Sammlung an Datenbanken zu Tage gefördert. Selbst exotische Materialien wie das Ebenholz des Griffbretts oder Pernambuk, aus dessen Material der Bogen besteht, sind zu finden (www.tu-dresden.de/mw/ ihp/hft/hft.html). Eine nähere Betrachtung der anisotropen Materialeigenschaften (Anisotropie = die Eigenschaften sind in den drei Koordinatenrichtungen verschieden) erklärt das Verhältnis von Höhe zu Breite des Kontrabasses. Das CAD-FEM GmbH Verhältnis ist in etwa so gewählt, dass die Laufzeiten akustischer Wellen in beiden Richtungen gleich sind. Akustisch gesehen ist der Kontrabass also eher „rund“. Nach der Bestimmung der Materialeigenschaften, der zweiten Hürde, ist das weitere Vorgehen für einen geübten FEM Anwender wieder standardmässig. Die Berechnung der Eigenfrequenzen und der Eigenmoden durch ANSYS, erfolgte innerhalb von Minuten. Bild 3: Eigenfrequenz des Steges bei 640 Hz. Der Steg wirkt als Filter und verhindert so, dass hohe Frequenzen über den Korpus abstrahlen können. Die Skala gibt hier ein Mass für die Amplitude der Bewegung an. Die Ergebnisse der FEM-Simulation zeigen direkt die Funktion der Kontrabasskomponenten und das Zustandekommen des Tons auf. Die unterste Eigenfrequenz des Stegs (Bild 3) bei 614 Hz stellt einen Filter für diese Frequenz dar. Da bei höheren Frequenzen die Dichte der Eigenfrequenzen zunimmt, ist der Steg somit als Tiefpass identifiziert. Der Steg übernimmt also die Funktion eines Frequenzfilters. Er gibt nur die tiefen Frequenzen aus dem Saitenspektrum zur Abstrahlung an den Korpus weiter. Die Idee des Frequenzfilters, wurde also schon vor vielen hundert Jahren erfolgreich eingesetzt. Der geneigte Leser erkennt den Zusammenhang mit der heutigen Zeit. Moder- INFOPLANER 1/2002 ne Maschinen unterliegen oft Schwingungsanregungen. Es ist dabei meist ein absolutes Muss, dass keine Resonanzfrequenzen auftreten (manchmal ist das Gegenteil gewollt). Die Analyse der Eigenfrequenzen und Eigenformen gibt dem Entwickler entscheidende Informationen über das Schwingverhalten seines Bauteils wieder. Der Korpus selbst besitzt ebenfalls eine Reihe von Eigenfrequenzen, die sich auf den Klang des Instruments auswirken. Die tiefste Eigenfrequenz liegt bei ca. 40 Hz, was zwar dem tiefsten Ton des Instruments entspricht, aber eine Schwingung des Griffbretts darstellt. Da die Abstrahleigenschaften des Griffbretts aber eher gering sind, kann diese Frequenz vernachlässigt werden. Erstaunlich ist, dass der Knotenpunkt dieser 40Hz Schwingung mit dem Auflagepunkt der Saiten übereinstimmt. Dies hat weniger akustische Vorteile als vielmehr ein angenehmes Spielgefühl zur Folge. Verantwortlich dafür, dass der Knotenpunkt dort ist, wo er eben optimal hingehört, ist die vergleichsweise grosse Masse der Schnecke. Also auch hier ist nicht eine barocke Modevorstellung beim Design Pate gestanden, sondern reine Funktionalität. Das FEM Modell kann verfeinert und realitätsnaher gebracht werden, wenn die Luft mitmodelliert wird - die Luft schwingt mit und dämpft das ganze System. Wird die Luft also mitberücksichtigt, ergeben sich für die nächsthöheren Eigenfrequenzen Werte von ca. 60 Hz, welche deutlich über den Ton liegen. Dies spiegelt sich auch in der verbreiteten Erkenntnis vieler Bassspieler, dass der Kontrabass immer noch nicht die richtige Grösse für seinen Klangbereich hat. Im 18. Jahrhundert gab es entsprechende Versuche, einen riesigen Kontrabass, den sogenannten Octobass, zu bauen. Eine etwas höhere Eigenfrequenz ist in Bild 4 dargestellt. Bei der Betrachtung von animierten Eigenschwingungen wird auch sofort die Funktion der f-Löcher sichtbar: Die längliche Form be- günstigt bestimmte Schwingungsformen, und die Rundungen an beiden Enden minimieren die auftretenden Spannungen im Holz, damit wiederum ist für eine hohe Lebensdauer gesorgt. Autoren Dr. Peter Steinhäuser VT GmbH Mühlentalstr. 136 CH-8200 Schaffhausen [email protected] Bild 4: Diese Eigenform findet bei 263 Hz statt. Der Korpus schwingt in einer Auf/Ab Bewegung. Diese Frequenz stellt einen für den Kontrabass etwa mittelhohen Ton (nahe c2) dar. Die Farbskala gibt ein relatives Mass der auftretenden Spannungen. Die Rundungen der f-Löcher reduzieren diese auf elegante Weise. Anwenderbericht 17
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