Vortrag Irene Peil - Du bist wertvoll

Du bist wertvoll
Ein Vortrag von Irene Peil zum 10. Allianz-Frauenfrühstück in Steinbach
Einleitung
Kennen Sie den kleinen Prinzen? Er lebte ganz allein auf einem kleinen Planeten irgendwo
im Weltraum.
Eines Tages entdeckte er, dass auf seinem Planeten eine ihm völlig unbekannte Blume
gewachsen war. Er umhegte sie, bewunderte sie und war fest davon überzeugt, dass er im
Besitz einer einzigartigen Blume sei. Die Rose genoss das sehr und setzte alles daran, ihn in
seiner Meinung zu bestärken. Mit vielen Extrawünschen macht sie ihren Anspruch geltend,
etwas ganz besonderes zu sein, und hält den kleinen Prinzen ganz schön in Atem.
Irgendwann wird das dem kleinen Prinzen jedoch zu viel, und er entschließt sich, seinen
Planeten zu verlassen.
Auf der Erde angekommen entdeckte er eines Morgens einen blühenden Rosengarten.
„Guten Tag“, sagte der kleine Prinz.
„Guten Tag“, sagten die Rosen.
Der kleine Prinz sah sie an. Sie glichen alle seiner Blume. „Wer seid ihr?“ fragte er sie höchst
erstaunt.
„Wir sind Rosen“, sagten die Rosen.
„Ach!“ sagte der kleine Prinz...
Und er fühlte sich sehr unglücklich. Seine Blume hatte ihm erzählt, dass sie auf der ganzen Welt
einzigartig in ihrer Art sei. Und siehe, da waren 5000 davon, alle gleich, in einem einzigen
Garten!
Er sagte sich: Ich glaubte, ich sei reich durch eine einzigartige Blume, und ich besitze nur eine
einfache Rose. Sie und meine drei Vulkane, die mir bis ans Knie reichen und von denen einer
vielleicht für immer erloschen ist, das macht aus mir keinen sehr großen Prinzen... Und er warf
sich ins Gras und weinte.
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Bin ich wertvoll?
Sind wir nicht von uns selbst oft ebenso enttäuscht wie der kleine Prinz? Was ist schon der
Einzelne bei einer Weltbevölkerung von über 7 Mrd. Menschen?
Wer ist überhaupt wertvoll?
Ist nicht der Wert eines Menschen in unserer Gesellschaft an Bedingungen geknüpft, die
erst einmal erfüllt sein müssen?
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Vortrag Irene Peil „Du bist wertvoll“
Bei der Entfaltung des Themas geht es mir um drei Schwerpunkte:
1. Wertmaßstäbe unserer Gesellschaft
2. Wie entsteht das Selbstwertgefühl?
3. Worin besteht mein persönlicher Wert?
1. Wertmaßstäbe unserer Gesellschaft
Ich möchte einige Werte aufzeigen, mit denen meiner Meinung nach in unserer Gesellschaft
der Wert eines Menschen gemessen wird. Die Liste lässt sich sicher noch ergänzen.
1.1 Gesundheit
Hauptsache gesund! Dieser verständliche Wunsch begleitet viele Menschen von der Geburt
bis ins hohe Alter. Natürlich ist es ein Grund großer Freude, wenn ein Baby gesund geboren
wird, sich altersgemäß entwickelt und zu einem gesunden und lebensbejahenden
Menschen heranwächst.
Und es ist auch schön, wenn Menschen im Alter noch fit und vital sind. Gesundheit ist ein
großes Geschenk!
Schwierig wird es dann, wenn aus dem Wunsch ein Maßstab wird, mit dem andere
gemessen werden. Wenn Krankheit als Degradierung angesehen wird, weil man ja dann auf
andere Menschen angewiesen ist und ihnen möglicherweise zur Last fällt. Die Werbung
redet uns ein, dass ein vollwertiger Mensch immer gesund ist. Und geht es mir einmal nicht
gut, dann nehme ich nur eine Tablette – und schon kann ich allen Anforderungen gerecht
werden. Selbst im hohen Alter hat man ja die „Kraft der zwei Herzen“ und leidet weder an
körperlichen Schmerzen noch an Konzentrationsschwierigkeiten.
Aber ist ein Mensch wirklich nur dann etwas wert, wenn er gesund ist?
Ich denke, dass diejenigen, die mit kranken oder auch mit behinderten Menschen Kontakt
haben, oft darüber ins Staunen kommen, wieviel uns diese Menschen in manchen Dingen
voraus sind, wie sie uns herausfordern und zum Nachdenken bringen, so dass man
manchmal nach einem Krankenbesuch als Beschenkter nach Hause geht.
1.2 Leistung und Erfolg
Bereits im Kindergarten wird für ein Kind die Leistung wichtig. Wer ist der / die Größte,
Schnellste, Beste, Bravste oder Mutigste? Und geschieht dies hier noch spielerisch –
spätestens in der Schule wird es ernst. Ab der dritten Klasse erscheinen im Zeugnis
Zensuren und das Konkurrenzdenken nimmt von Klasse zu Klasse zu.
Unser gesamtes Wirtschaftssystem ist auf Leistung aufgebaut. Nur wer einen guten
Schulabschluss hat, bekommt eine Lehrstelle. Nur wer ein gutes Abiturzeugnis hat, wird zum
Studium der numerus clausus Fächer zugelassen. Nur wer gut ist, behält seinen Arbeitsplatz.
Nur wer gut ist, kann auf der Erfolgsleiter höher kommen, Karriere machen, viel Geld
verdienen, gut Urlaub machen oder sein Traumauto fahren.
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Unser Wirtschaftssystem kann nur durch das Leistungsprinzip bestehen.
Doch als Maßstab für den Wert eines Menschen sind Leistung und Erfolg ungeeignet.
Natürlich ist es wichtig, einen Beruf zu haben, der Freude macht und den Lebensunterhalt
sichert.
Aber haben wir nicht Leistung und Erfolg überbewertet?
Wenn wir nur durch die Leistungsbrille schauen, verlieren wir leicht andere Qualitäten aus
dem Blick. Soziale Kompetenz, Einfühlungsvermögen, Wertschätzung, Aufrichtigkeit – all das
und vieles mehr sind wichtige Eigenschaften, die uns als Menschen ausmachen und die
nicht so leicht zu messen sind wie Erfolg. Wie arm wäre unser Leben ohne Menschen, die
diese Eigenschaften leben. Und wie unmenschlich wäre unsere Gesellschaft, wenn all dies
nicht mehr eingebracht würde.
1.3 Die gesellschaftliche Stellung
Drückt die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft vielleicht den Wert eines Menschen
aus?
Ich weiß nicht, wen Sie auf der Liste in Ihrem Kopf ganz oben oder ganz unten angesiedelt
haben. Wenn wir nur auf das Einkommen schauen, dann gibt es die Oberschicht, die
Mittelschicht und die Unterschicht. Aber eignet sich eine solche Einteilung, um den Wert
eines Menschen zu bestimmen? Dann wären ja der Millionärssohn oder die
Millionärstochter, die in ihrem ganzen Leben nichts weiter tun müssen als das Geld ihrer
Eltern auszugeben, wertvoller als jemand, der sein Leben lang um die eigene Existenz
kämpfen muss. Das kann's doch nicht sein, oder?
1.4 Der gute Staatsbürger
Vielleicht sagen Sie jetzt: Natürlich muss es Ärzte geben und Arbeiter, Manager und
Handwerker. Wichtig ist lediglich, dass jeder Mensch im sozialen Gefüge seinen Platz
einnimmt. Dass er seine Arbeit gut macht, ein ordentlicher Mensch ist, pünktlich seine
Steuern zahlt und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Es kann doch nicht darum
gehen, einen Beruf gegen den anderen auszuspielen. Wichtig ist, dass man überhaupt einen
Beruf hat, seine Pflicht erfüllt und nicht auf Kosten der anderen lebt.
Ja, das ist wichtig, doch bei genauerem Hinsehen merken wir, dass auch dieses Kriterium
nicht der alleinige Maßstab für den Wert eines Menschen sein kann.
Zu leicht landet man hierbei an einem Punkt, wo man doch - und sei es auch nur im
Geheimen - unterscheidet zwischen wertem und unwertem Leben. Da waren wir in
Deutschland in der Vergangenheit schon einmal. Dahin möchten wir doch auf keinen Fall
zurück!
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1.5 Schönheit, Jugend, Hautfarbe...
Die Reihe ließe sich noch beliebig fortsetzen mit Kriterien wie Schönheit, Jugend, Hautfarbe,
Bildung, Herkunft, Mentalität, und dergleichen mehr. Der eine ist „in“ der andere „out“.
Durchschauen wir, dass wir bei all diesen Kriterien nur die Oberfläche berühren? Merken wir
überhaupt, dass wir Menschen ihren Wert absprechen, indem wir sie in Kategorie 1 oder
Kategorie 2 einteilen, und sei es auch nur im Geheimen?
Laut Grundgesetz die Würde des Menschen unantastbar. Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt. Niemand darf wegen seines
Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens,
seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Es hört sich so einfach an, und ist doch schwer zu leben.
Wie kommt es, dass trotzdem Unterschiede gemacht werden?
Wie kommt es, dass manche Menschen vor Selbstbewusstsein strotzen und andere in
Minderwertigkeitsgefühlen versinken?
Woher kommt die Spannung, dass ich mich manchmal richtig gut fühle und ein anderes Mal
total unterlegen und winzig?
Wodurch wird das Bild, das ich von mir selbst und von anderen Menschen habe, geprägt?
Woher kommen die Klassifizierungen in meinem Kopf? Ich bin doch mit beteiligt, wenn
Menschen in bestimmte Schubladen gesteckt werden. Ich entscheide doch mit, welche
Wertmaßstäbe für mich gelten.
Wird mir mein Selbstbewusstsein von anderen Menschen aufgedrückt? Bin ich nicht auch
selber daran beteiligt?
Damit kommen wir zum zweiten Bereich unseres Themas:
2. Wie entsteht das Selbstwertgefühl?
Diese Frage kann mit einem einzigen Satz beantwortet werden: es wird erlernt!
Die Psychologin Lotte Schenk-Danzinger (2) beschreibt auf den ersten Seiten ihrer
„Entwicklungspsychologie“ zwölf Merkmale, die den Menschen im Vergleich zu allen
übrigen Lebewesen charakterisieren. Sie kommt zu der Erkenntnis, dass wir Menschen
Lernwesen sind. Alle Merkmale, die das Menschsein ausmachen werden erlernt:
der aufrechte Gang die Sprache
die Bindungsfähigkeit das Gewissen
die Fähigkeit zu werten und Wertordnungen aufzubauen und das Selbstbewusstsein.
Wir Menschen haben nicht nur die primären Bedürfnisse nach Nahrung, Flüssigkeit und
sexueller Befriedigung, sonder wir haben von Anfang an auch sekundäre Bedürfnisse, und
zwar nach Sicherheit, Geborgenheit und Selbstverwirklichung.
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Das bedeutet, dass der Wunsch wertvoll zu sein, uns als Menschen ausmacht. Es ist eine
Sache, die von der Schöpfung her in uns Menschen liegt.
Ein weiteres Beispiel:
Friedrich II. Von Hohenstaufen, deutscher Kaiser im 13. Jahrhundert,
(1212-1250 hochgebildet, staatsmännisch, künstlerisch und wirtschaftlich bedeutend, König
von Jerusalem und Sitz auf Palermo, gewann Jerusalem durch Vertrag im 5. Kreuzzug)
wollte herausfinden, was die Ursache der Menschheit sei: ob es deutsch, hebräisch,
französisch oder englisch ist oder vielleicht lateinisch. Er befahl deshalb, dass mit einer
Gruppe von Säuglingen nicht gesprochen werden sollte. Sie bekamen Essen und Kleidung,
aber es fand keine Kommunikation statt. Er hat keine Antwort auf seine Frage bekommen,
denn das Experiment endete tragisch: alle Kinder starben.
Niemand auf dieser Welt ist lebensfähig ohne Zuwendung und Zuneigung. „Es ist nicht gut,
dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe schaffen als sein Gegenüber“ (Genesis
2,18). Dieser Satz aus der Bibel ist nicht ein Wort an Ehepaare, sondern er beschreibt, was
Menschsein ist. Es macht mich als Menschen aus, dass ich nicht nur Hunger und Durst
empfinde, sondern auch das Bedürfnis habe nach Liebe, Geborgenheit und Anerkennung.
Jeder Mensch braucht Bezugspersonen, die ihm diese Anerkennung geben. Die ihm
Gegenüber sind, ihn bestätigen und kritisieren, ihn ernstnehmen als Person. Erst durch ein
DU werde ich ein ICH. Dieser Prozess beginnt mit dem ersten Lebenstag und dauert ein
ganzes Leben lang an. Dabei wechseln die Bezugspersonen. Im Kleinkindalter sind es in der
Regel die Eltern, in der Pubertät sucht man sich bewusst Vorbilder außerhalb der Familie.
Wer gute Freunde hat, die positiv zu ihm stehen und auch konstruktive Kritik üben können,
der hat gute Chancen, sich selber zu finden und seine eigenen Begabungen und Grenzen zu
erfahren.
Psychologen haben festgestellt, dass wir Menschen nach vier verschiedenen
Lebensanschauungen unser Leben leben. Thomas A. Harris (3) hat dies in einem Buch
veröffentlicht, das den Titel trägt: „Ich bin o.k. - Du bist o.k.“ Weil in deutschen Ohren „o.k.“
anders als in Amerika so nach „perfekt“ klingt, hat Friedhelm Sticht es durch „wertvoll“
ersetzt. Ich habe seine Formulierung übernommen, weil sie den Sachverhalt genau trifft.
Sehen wir uns jetzt einmal an, wie das Selbstwertgefühl erlernt wird:
Da kommt so ein niedliches Baby zur Welt und wird von seinen liebevollen Eltern liebkost,
gefüttert, gewickelt, gehegt und gepflegt. So haben wir alle einmal angefangen und wir
haben erlebt, dass unsere Bedürfnisse gestillt wurden, dass wir geliebt und angenommen
waren.
Ziemlich bald erlebt ein Baby aber auch, dass auch die liebevollsten Eltern seine
Bedürfnisse nicht hundertprozentig stillen können.Das Kind wird größer und erlebt, dass
auch Erwartungen da sind, die es zu erfüllen gilt. Und irgendwann erlebt es auch, dass es
diese Erwartungen gar nicht zufriedenstellend erfüllen kann. Erhält das Kind viel positive
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Zuwendung ( Anerkennung, Ermutigung), so empfängt es damit zugleich auch die Botschaft:
„Du bist wertvoll“. Erfährt das Kind viel negative Zuwendung (Abwertung, Missbilligung,
Schläge), so erhält es damit die Botschaft: „Du bist nicht wertvoll“. Aus aller Zuwendung, die
ein Kind von seinen
Bezugspersonen erlebt, werden Lebenseinstellungen entwickelt, die ein ganzes Leben lang
prägend sind, falls sie nicht verändert werden.
2.1 Ich bin nicht wertvoll – Du bist wertvoll
Jedes Kind – auch wenn es noch so liebevolle Eltern hat – erlebt im Kleinkindalter seine
eigene Unterlegenheit gegenüber der Überlegenheit seiner Eltern. In dieser frühen
Lebensphase, in der der Blick für die Realität noch gar nicht richtig entwickelt ist, haben
sich die meisten Menschen für die Lebenshaltung: „Ich bin nicht wertvoll – die großen
Erwachsenen sind wertvoll“ entschieden. Und jede Missbilligung der Eltern, jede Ablehnung,
die gefühlsmäßig erfahren wird, verstärkt diese Haltung.
Das Schlimme daran ist, dass aufgrund dieser getroffenen Entscheidung die positiven
Zuwendungen viel schwächer wahrgenommen und gewichtet werden. Oft werden sie
übersehen und ganz schnell vergessen. Im Gedächtnis bleibt nur das, was die einmal
getroffene Entscheidung bestärkt. Und es ist uns natürlich nicht bewusst, dass unsere
Lebenshaltung auf einer Entscheidung beruht, die wir als kleines Kind einmal getroffen
haben, und dass es längst an der Zeit wäre, diese Entscheidung einmal an der Realität zu
überprüfen und zu korrigieren.
Viele Menschen quälen sich deshalb mit Minderwertigkeitsgefühlen herum und fühlen sich
ständig als Verlierer. Aus diesem Grund fassen sie auch jede Kritik als persönliche
Herabsetzung auf, die sie immer tiefer in ihr „nicht-wertvoll-sein-Gefühl“ hineinstößt. Um
sich nicht vollkommen wertlos zu fühlen, müssen sie viel Zeit und Kraft darauf verwenden,
um die Kluft zu „höher-stehenden Menschen“ in irgendeiner Form zu verkleinern.
Dazu werden unterschiedliche Wege eingeschlagen:
Ein Weg besteht darin, dass man dafür sorgt, dass andere Menschen nicht zu gut werden. Es
wird nach Fehlern gesucht, die auch immer gefunden werden, denn niemand ist fehlerlos.
Das verhilft dann zu dem Gefühl: „Der/die ist ja auch nicht besser!“ Leider ist die
Befriedigung nur von kurzer Dauer, und man muss sich wieder neu auf Fehlersuche
begeben. Merken Sie, wie viel Kraft und Einsatz man braucht, um mit dieser „Nicht-wertvollLebenshaltung“ einigermaßen über die Runden zu kommen?
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Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Mangel, den ich bei mir selbst empfinde,
aufzufüllen durch Geld, Besitz, eine gute Position, Konsumgütern und dergleichen mehr.
„Mein Haus, mein Pferd, mein Boot!“ Ich bin zwar nicht wertvoll, aber ich habe wertvollen
Schmuck, ein wertvolles Auto, den besseren Job, die braveren Kinder ... immer nach dem
Motto: „Meins ist besser als deins!“ Ihr merkt schon, das funktioniert in unserer
Konsumgesellschaft hervorragend, und wird durch die Werbung kräftig gefördert.
Problematisch dabei ist nur, dass die anderen so schnell aufholen und man sich immer
wieder neue Sachen einfallen lassen muss. Das Ganze schraubt sich immer höher, aber das
Leeregefühl wird nicht gesättigt.
Eine dritte Möglichkeit, die mit der zweiten eng zusammenhängt, ist die Lebenshaltung: „Ich
bin wertvoll, wenn...“
...wenn ich perfekt bin!
...wenn ich mich anstrenge!
...wenn ich mich beeile!
...wenn ich es den anderen recht mache! ...wenn ich stark bin!
...wenn ich immer für die anderen sorge!
Diese sogenannten Antreiber funktionieren hundertprozentig und führen zu einem total
überzogenen Anspruch an sich selbst, dem man nie gerecht werden kann. Und jedes
Versagen stößt den Menschen wieder neu in sein „nicht wertvoll-sein-Gefühl hinein, denn
diese Bedingungen sind nie und von keinem Menschen zu erfüllen.
2.2 Ich bin wertvoll – Du bist nicht wertvoll
Das Gefühl, nicht wertvoll zu sein, kann durch verschiedene Umstände so groß sein, dass es
nicht mehr ertragen werden kann. Denn jeder Mensch möchte wertvoll sein. Der Wunsch,
geliebt und anerkannt zu sein, ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Erlebt das Kind von
seinen Bezugspersonen nur Ablehnung, ja sogar körperliche Misshandlung, dann kann das
„nicht-wertvoll-sein Gefühl“ kippen und es kommt zu der Lebenshaltung: „Ich bin schon
wertvoll – aber du bist es nicht! Du bist schuld, dass es mir schlecht geht! Lass mich bloß in
Ruhe, dann geht es mir gut!“
Diese Haltung ermöglicht es mir dann, den anderen, der mich ständig verletzt, zu verachten,
und bis zur Kriminalität ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Wichtig bin dann nur ich
selbst, und der andere nur dann, wenn er für meine Zwecke nützlich ist! So wird der andere
schließlich zum Objekt mit dem ich tun und lassen kann, was ich will.
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2.3 Ich bin nicht wertvoll – Du bist nicht wertvoll
Diese Lebenshaltung entwickeln Kinder, die von ihren Bezugspersonen ständigen
Wechselbädern der Gefühle ausgesetzt werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die
Mutter Alkoholikerin ist. Ist die Mutter betrunken, wird das Kind weder gefüttert noch
gewickelt, und dieses Verhalten signalisiert dem Kind: „Du bist nicht wertvoll!“ Ist die
Mutter dann wieder nüchtern und sieht ihr Kind im Dreck liegen, dann wird das Kind
gedrückt und geküsst und aus lauter Schuldgefühlen heraus überbemuttert. Damit weiß das
Kind nicht umzugehen. Wiederholen sich diese Situationen ständig, nimmt das Kind die
Lebenseinstellung an: „Ich bin nicht wertvoll – aber du bist es auch nicht!“
2.4. Ich bin wertvoll – Du bist wertvoll
Dies ist die Lebenshaltung eines Erwachsenen mit einem gesunden Selbstwertgefühl. Es
sind Menschen, die erlebt haben, dass auf ihre Bedürfnisse angemessen eingegangen
wurde. Sie haben echte Liebe erlebt in einer verlässlichen Beziehung, und deshalb
verachten sie weder sich selbst noch ihre Mitmenschen. Sie haben als Kinder in
verschiedenen Situationen die Erfahrung machen können, dass sie wertvoll sind. Ihre Eltern
haben ihnen etwas zugetraut ohne sie zu überfordern, es wurden zwar nicht alle Wünsche
erfüllt, aber sie haben erlebt, dass ihre Bedürfnisse ernst genommen wurden.Deshalb sind
sie auch in der Lage, die Bedürfnisse, Gefühle und Meinungen ihrer Mitmenschen zu
akzeptieren und zu tolerieren. Sie haben begriffen, dass sie selber keineswegs perfekt sind,
aber deshalb noch lange nicht weniger wert sind als andere.
Dies Lebenshaltung ist keineswegs das Vorrecht einer Elitegruppe, die das Glück hatte, unter
optimalen Bedingungen aufzuwachsen. Jeder Mensch kann seine als Kind getroffene
Entscheidung als falsch entlarven und durch eine neue Entscheidung ersetzen. Wir ändern
bei ganz alltäglichen Dingen unsere Meinung. Warum sollten wir es nicht auch bei
lebenswichtigen Dingen tun?
Was hindert uns daran, die Erkenntnis zuzulassen, dass niemand von uns verlangt, dass wir
nach dem Muster leben sollen: „Ich bin nicht wertvoll – Du bist wertvoll“ ? Im Gegenteil: Ist
nicht jeder aufgefordert sein Leben in dieser vierten Möglichkeit zu leben? Die Bibel
formuliert es so: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Und wir versuchen so oft, den
Nächsten mehr zu lieben als uns selbst, und merken gar nicht, dass diese vermeintliche
Liebe nur ein aufpolieren unserer „Nicht-wertvoll-Haltung“ ist. Und wenn es dann nicht
funktioniert, sind wir von uns selbst enttäuscht, und kommen erst recht nicht heraus.
Ich will es noch einmal bewusst machen:
Bis zum Ende des 2. Lebensjahres oder irgendwann während des 3. Lebensjahres hat das
Kind sich für eine der drei ersten Grundanschauungen entschieden. Sobald das geschehen
ist, bleibt es bei dieser Lebenshaltung, die alle seine Handlungsweisen bestimmt. Die ersten
drei Haltungen beruhen auf Gefühlen. Es sind Folgerungen, die das kleine Kind aus dem
Verhalten seiner Bezugspersonen zieht.
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Die 4. Lebensanschauung beruht auf einer bewussten Entscheidung, die ein Mensch
irgendwann in seinem Leben trifft. Sie wird gewonnen durch Denken und
Einsatzbereitschaft. Wir werden in keine Lebensanschauung hineingedrängt, sondern
entscheiden uns irgendwann in unserem Leben dafür. Und das ist unsere große Chance,
denn als erwachsene Menschen können wir uns bewusst machen, dass unsere kindliche
Entscheidung gar nicht der vollen Realität entspricht. Deshalb können wir sie als falsch und
unzulänglich entlarven und korrigieren.
3. Worin besteht mein persönlicher Wert?
Wie komme ich dazu, dass ich aus tiefstem Herzen und ohne mir selbst etwas vorzumachen
sagen kann: Ich bin wertvoll - Du bist wertvoll ?
Ich möchte noch einmal erinnern an das, was ich zu Beginn des 2. Teils schon einmal
formuliert habe: Es macht uns erst zu Menschen, dass wir den Wunsch und das Bedürfnis
haben, wertvoll zu sein. Niemand hat sich das in einer schlaflosen Nacht ausgedacht, sonder
wir sind als Lebewesen erschaffen worden, die auf Beziehung angelegt sind. Gerade an dem
Punkt wird uns schmerzlich bewusst, dass uns das Paradies verloren gegangen ist. Denn das,
was wir am nötigsten brauche, ist am stärksten gefährdet. Wie viele Menschen leiden ihr
Leben lang darunter, dass ihnen diese Beziehung gefehlt hat.
Das Konzept war anders. In den Schöpfungsberichten des Alten Testaments wird
beschrieben, dass Gott die Menschen als sein Gegenüber geschaffen hat. In Beziehung mit
Gott zu leben ist die Bestimmung der Menschen. Doch nachdem das Paradies verloren war,
war auch die Beziehung der Menschen untereinander gestört und gefährdet.
König David wusste sich zutiefst von Gott geliebt. Er dichtete in Psalm 139 folgendes: Du
hast mich gebildet im Mutterleib.
Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.
Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war
und alle Tage waren in dein Buch geschrieben,
die noch werden sollten und von denen noch keiner da war. Ich danke dir dafür, dass ich
wunderbar gemacht bin! Sie sind Gottes wunderbares Geschöpf und nach seinem Bild
erschaffen. Das macht Sie zu einem wertvollen Menschen. Egal in welche Familie Sie
hineingeboren wurden, welcher Nationalität Sie angehören, ob Sie arm oder reich sind --allein die Tatsache, dass Sie Gottes geliebtes Geschöpf sind, macht Sie zu einem wertvollen
Menschen. Und noch eine gute Nachricht: Die Liebe Gottes ist nicht an Bedingungen
geknüpft, wie das vielleicht manchmal bei unseren Eltern erlebt haben: wenn du brav bist,
dann hab ich dich auch lieb! Gottes Liebe gilt allen Menschen ohne jede Vorbedingung. Das
hat Gott selber so entschieden! Das können Sie in der Bibel nachlesen.
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Ein weiteres Beispiel aus der Bibel:
Im Exil in Babylon befindet sich ein jämmerliches Grüppchen Israeliten. Sie sind aus ihrer
Heimat verschleppt worden in das Großreich Babylonien. Sie genießen zwar eine gewisse
Unabhängigkeit und wirtschaftlich geht es ihnen auch nicht schlecht. Doch
Hoffnungslosigkeit prägt ihr Leben. Ihre religiösen Führer sind im Gefängnis, sie selbst sind
der Willkür der Eroberer ausgeliefert. Sie haben nicht nur ihre Heimat verloren, sondern
sind auch weit weg vom Tempel in Jerusalem. Tempel gab es in Babylon jede Menge, aber
keiner davon war das Haus, dem Gottes Zusage galt: „Hier bin ich für euch da!“ Alles keine
Helden, sondern Leute, die Heimweh hatten, sich verloren fühlten, eingeschüchtert waren
und an ihrer Identität zweifelten. Sie hatten geglaubt, Gottes auserwähltes Volk zu sein, aber
die Situation sah nicht danach aus.
Völlig unbeteiligt waren sie an ihrer Situation nicht, denn ihre Könige hatten taktiert und
Bündnisse geschlossen statt Gott nach seinem Willen zu fragen. Die Meinung der
Nachbarvölker war ihnen wichtiger als der Wille ihres Gottes. Jetzt leben sie in einem
Ghetto als Außenseiter, die vom mitleidigen Lächeln bis zum beißenden Spott alles
gewohnt sind.
Ihre Situation ist vergleichbar mit jemandem, der entführt worden ist und irgendwo
gefangen gehalten wird, aber keiner will für ihn das Lösegeld bezahlen. Völlig uninteressant
und wertlos. Keinen roten Cent wert.
In diese Situation hinein schickt Gott einen Boten und lässt den Menschen sagen: Ihr seid
nicht vergessen! Ihr seid in meinen Augen wertvoll und ich habe euch lieb! Und das werdet
ihr daran merken, dass ich das Lösegeld für euch bezahle! Ganze Völker werde ich bezahlen
lassen für das, was sie euch angetan haben. Ihr werdet wieder in eure Heimat zurückkehren.
Ihr werdet den zerstörten Tempel wieder aufbauen. Ihr seid nicht vergessen, ich habe euch
freigekauft. Ihr gehört zu mir! Die Rettungstruppe ist schon auf dem Weg zu euch! (4)
Claus Westermann (5, ATD) formuliert: „An eine kleine, armselige und unbedeutende Gruppe
entwurzelter Menschen ergeht die Zusage: Ihr, gerade ihr seid es, denen ich meine Liebe
zugewandt habe. Ihr – so wie ihr seid – seid mir teuer und wert. Und das sagt der Herr aller
Mächte und Gewalten, alles Geschehens und alles Geschaffenen.“
Gott sucht sich die Menschen, denen er seine Liebe zeigt, nicht nach irgendwelchen
Kriterien aus, sondern seine Liebe ist ohne Vorbedingungen und ohne Vorleistung für jeden
da!
„Du bist wertvoll in meinen Augen und ich habe dich lieb.“ Jesaja 43, 4
Die Liebe Gottes ist mit der Befreiung der Menschen aus Babylonien nicht erschöpft. Seine
Liebe zu uns Menschen ist so groß, dass er immer wieder Brücken zu uns geschlagen hat.
Immer wieder sucht Gott die Beziehung zu uns. Seinen einzigen Sohn schickt er auf die
Erde, damit er die zerbrochene Beziehung zwischen Gott und uns wieder herstellt. Und das
kommt Jesus teuer zu stehen, denn er setzt sein Leben für uns ein. Weil Jesus aus Liebe zu
uns sein Leben gelassen hat, und alles, was uns von Gott trennt auf sich genommen hat,
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darum ist die Beziehung zu Gott wieder intakt und wir haben in Gott wieder das Gegenüber,
nach dem wir uns aus tiefstem Herzen sehnen.
Das macht unseren Wert als Menschen aus: Gott hat uns teuer bezahlt! Keiner ist ein
Schnäppchen vom Wühltisch, sondern jeder Mensch ist eine Maßanfertigung Gottes, die mit
Geld überhaupt nicht zu bezahlen ist. Ein Unikat von unschätzbarem Wert.
Helmut Thielicke hat den Satz geprägt:
„Gott liebt uns nicht, weil wir so wertvoll wären, sondern wir sind so wertvoll, weil Gott uns
liebt!“
Mein Selbstwertgefühl ist nicht davon abhängig, ob ich alles richtig mache. Sondern weil
Gott mich liebt wie ich bin, kann auch ich mich so lieben, wie ich bin. Ich muss nicht mehr
verzweifelt mein Versagen vertuschen, sondern kann dazu stehen, weil ich weiß, dass Gott
zu mir steht und mich trotz allem liebt und festhält.
Weil ich Gottes Barmherzigkeit an mir erfahren habe, kann auch ich anderen gegenüber
barmherzig sein. Weil Gott mich mit meiner Unvollkommenheit liebt, kann auch ich meine
Mitmenschen mit ihrer Unvollkommenheit akzeptieren.
Du bist wertvoll, weil Gott dich liebt – und ich bin es auch!
Schluss
Ich möchte noch einmal den Bogen spannen zu dem Rosengarten, in dem sich der kleine
Prinz auf den Boden warf und weinte. Noch während er weint, kommt der Fuchs. Die beiden
freunden sich an und als die Zeit des Abschieds kommt, sagt der Fuchs:
„Geh die Rosen wieder anschauen. Du wirst begreifen, dass die deine einzig ist in der Welt. Du
wirst wiederkommen und ich werde dir ein Geheimnis schenken.“
Der kleine Prinz ging die Rosen wiederzusehen.
„Ihr gleicht meiner Rose gar nicht, ihr seid noch nichts“, sagte er zu ihnen.
„Niemand hat euch vertraut gemacht. Ihr seid, wie mein Fuchs war. Der war nichts als ein Fuchs
wie hunderttausend andere. Aber ich habe ihn zu meinem Freund gemacht, und jetzt ist er einzig
in der Welt.“
Und die Rosen waren sehr beschämt.
„Ihr seid schön, aber ihr seid leer“, sagte er noch. „Man kann für euch nicht sterben. Gewiss, ein
Irgendwer, der vorübergeht, könnte meinen, meine Rose ähnle euch. Aber in sich selbst ist sie
wichtiger als ihr alle, da sie es ist, die ich unter den Glassturz gestellt habe. Da sie es ist, deren
Raupen ich getötet habe (außer der zwei oder drei um der Schmetterlinge willen). Da sie es ist,
die ich klagen oder sich rühmen gehört habe oder auch manchmal schweigen. Da es meine Rose
ist.“
Und er kam zu dem Fuchs zurück:
„Adieu“, sagte er. ...
„Adieu“, sagte der Fuchs. Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: man sieht nur mit em Herzen
gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
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„Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu
merken.
„Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, macht deine Rose so wichtig.“
„Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe...“. Sagte der kleine Prinz, um es sich zu merken. (1, S. 72)
Gott hat seine ganze Liebe in die Beziehung zu uns investiert und das macht uns so
wertvoll.
Du bist wertvoll – und ich bin es auch! So ist das!
Schönen Dank fürs Zuhören!
Literaturverzeichnis:
1 Antoine de Saint-Exupéry, Der Kleine Prinz, Karl Rauch Verlag Düsseldorf, 1984
2 Lotte Schenk-Danzinger, Entwicklungspsychologie, Wien 1972, 6. Auflage
3 Thomas A. Harris, Ich bin o.k. Du bist o.k., Rowohlt TB, Reinbek bei Hamburg, 1975 4 Gute
Nachricht Bibel, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart, 1997: Jesaja 43
5 Claus Westermann, Das Buch Jesaja, ATD, Bd 19, Göttingen 1970
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