Naturwerksteine aus Baden-Württemberg

Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4
Naturwerksteinvorkommen
in Baden-Württemberg
4.1Vorbemerkungen
zur Systematik
– Wolfgang Werner –
Für die systematische Beschreibung der Naturwerksteinvorkommen in Baden-Württemberg sind verschiedene
Gliederungen möglich. So können regionale Verbreitung, die Zuordnung zu geologisch-petro­
graphischen
Großgruppen wie Kalksteine, Travertine, Sandsteine,
Granite, kombiniert mit Farbtönen (wie im Internationalen Natursteinlexikon INSK), oder das geologische
Alter als Kriterien dienen. Auch eine Abhandlung nach
geologischen Großeinheiten des Landes – Grundgebirge, Deckgebirge und junge Vulkanmassive – und eine
weitere Untergliederung nach geographischer Lage
wäre praktikabel.
In der täglichen Praxis der Natursteinindustrie, des Architekten, des Steinmetz- oder Steinbildhauers sowie
des Denkmalpflegers oder Restaurators sind jedoch
meist Handelsnamen gebräuchlich. Diese oft phantasievollen und nach Vermarktungsaspekten gewählten
Bezeichnungen sind überwiegend aus Ortsnamen und
auffälligen äußeren Merkmalen zusammengesetzt,
die auf Materialqualität, Bearbeitbarkeit, Farbe oder
Struktur anspielen. Beispiele sind „Maulbronner Favorit“ und „Renfrizhauser Forellensandstein“; beide
beschreiben aber nur Varietäten innerhalb einer Werksteineinheit, in der auch andere Sandsteintypen auftreten. Bezeichnungen wie „Bernstein“- oder „Elfenbeinmarmor“, die auch nur für einzelne Bänke oder
Partien einer bestimmten Farbtönung verwendet wurden, sind für systematische Beschreibungen ebenso
ungeeignet, da sie einerseits recht häufige, nicht charakteristische Farbtöne heranziehen und geologisch
zudem oft falsch und missverständlich sind, z. B. weil
es sich – wie in den genannten Beispielen – nicht um
Marmore (metamorphe Gesteine) sondern um Massenkalksteine handelt.
In der deutschen und internationalen Natursteinindustrie werden meist einige Gesteinsgroßgruppen
zu Gliederungszwecken herangezogen, wie z. B. der
Katalog der seit den 1970er Jahren regelmäßig stattfindenden internationalen Fachmesse für Naturstein
und Natursteinbearbeitung, der „Stone+tec“ in Nürnberg, verdeutlicht (NürnbergMesse GmbH 2011). Das
Warenverzeichnis wird gegliedert in: Granit, Tuff,
Porphyr, Basaltlava, Sandstein, Schiefer, Quarzit,
Marmor, Jura-Marmor, Kalkstein, Solnhofener Plattenkalk, Muschelkalk, Dolomit, Travertin und Sonstige. Man erkennt, dass hier eine Grobgliederung nach
den Gesteinsgroßgruppen Magmatite, Metamorphite und Sedimentgesteine Pate stand. Im Detail sind
dann aber oft traditionelle, systematisch aber falsche
Begriffe anzutreffen. Bei „Granit“ finden sich auch
Gesteine wie der „Rosenheimer Granitmarmor“ (ein
4 Naturwerksteinvorkommen
fossilreicher Kalkstein), bei „Marmor“ treten viele
nicht metamorphe Karbonatgesteine auf, und viele
„Quarzite“ sind Sandsteine mit kieseliger Bindung.
Eine für die Materialauswahl, z. B. für die Renovierung
von Gebäuden grundlegende Gesteinsansprache und
-be­urteilung wird durch diese Divergenzen zwischen
den wissenschaftlichen und den verkaufsorientierten
Bezeichnungen stark erschwert.
Auch in Baden-Württemberg wurden für Werksteinsorten oft nur Ortsnamen verwendet, die – je weiter die Nutzung zurückliegt – außerhalb des engeren
Herkunftsgebiets wenig bekannt sind. Der Begriff
„Schlaitdorfer“ für einen früher bei der schwäbischen
Ortschaft Schlaitdorf nahe Filderstadt abgebauten
Sandstein der Stubensandstein-Schichten ist z. B. nur
den ortskundigen Historikern und Denkmalpflegern
geläufig, die mit der Erhaltung der daraus errichteten
Gebäude befasst sind (vgl. Kap. 4.25.4.2). Der Praktiker kann wenig damit anfangen, zumal der betreffende Steinbruch bei Schlaitdorf schon lange endgültig
ausgebeutet ist und außerdem in diesem Bruch, wie
in allen anderen größeren Gewinnungsstellen in der
Löwenstein-Formation, zahlreiche verschiedene Varietäten auftraten. Der Begriff müsste eigentlich übersetzt werden in: „Gelblichweißer, mittel- bis grobkörniger Keuper-Sand­
stein, der bei Schlaitdorf zur
Zeit der Großaufträge für den Kölner Dom im 19. Jh.
gewonnen wurde, aber auch in der weiteren Umgebung ansteht“. Trotzdem kann der alte Begriff in der
Kommunikation zwischen Eigentümern historischer
Gebäude, an denen er verbaut wurde, und Denkmalpflegern hilfreich sein. In der Literatur oft verwendete historische Bezeichnungen werden deshalb in den
folgenden Kapiteln angegeben. Leider sind aber auch
Bezeichnungen wie „Stubensandstein“ oft selbst keine eindeutigen Be­griffe, weil zur Stubensandstein-Fazies Sandsteine mit recht unterschiedlicher Körnung,
Kornbindung und Farbe zählen; in Bayern heißt dieser Sandstein traditionell „Burgsandstein“. Im Zuge
der europäischen Vereinheitlichung stratigraphischer
Einheiten wurde außerdem die Stubensandstein-Formation im Jahr 1997 in Löwenstein-Formation1 umbenannt; auch viele andere altbekannte Begriffe wurden
zwischenzeitlich angepasst. Auf diese Änderungen
und synonymen Bezeichnungen wird in den Einführungen zu den Kapiteln eingegangen.
Ortsangaben für die große Zahl von Steinbrüchen
im mehrere Hundert Meter mächtigen und über viele
Tausend Quadratkilometer zu Tage tretenden „Buntsandstein“ der Trias und des Perms2 sind so zahlreich,
dass sie für die Gliederung in einem Handbuch nicht
geeignet sind: Nach dem Stand der Rohstoffkartierung des LGRB existieren rund 1000 alte Steinbrüche im Buntsandstein von Schwarzwald und Odenwald. Viele der dort gewonnenen Sandsteine haben
ihre von der Lokalität abgeleitete Bezeichnung, z. B.
Lahrer, Heimbacher, Allmendsberger, Tennenbacher,
Seedorfer, Freudenstädter, Pfinztäler Sandstein usw.
Ähnliches gilt für Steinbrüche im Schilfsandstein
1 Subkommission Perm/Trias der Dt. Stratigraphischen
Kommission, Mitt. E. N itsch
2 Auf die abweichende Gliederung und Bezeichnung der
Stratigraphen wird in Kap. 4.5.1 eingegangen.
147
4.2 Angulatensandstein
Württembergs, im Kalkstein der Schwäbischen Alb
oder im Muschelkalk von der Baar bis Württembergisch Franken und im angrenzenden Mainfranken.
Die traditionellen Begriffe sind also einerseits oft
ungenau oder sie beziehen sich auf wenig bekannte Lokalitäten und sind daher insbesondere für den
Ortsfremden oder den mit der Nutzungsgeschichte
wenig vertrauten Leser unübersichtlich. Die Beispiele zeigen, dass es schwierig ist, eindeutige, zugleich
petrographisch korrekte oder gar selbsterklärende
Begriffe zu finden, die man diesem Handbuch zugrundelegen könnte.
Die Autoren haben sich deshalb für einen Kompromiss
entschieden, der vor allem dem im Vorwort beschriebenen Zweck dieses Buches Rechnung trägt, nämlich
der möglichst breiten Verwendung der Begriffe in Naturstein-Fachkreisen. Wir verwenden daher die heute in Südwestdeutschland gebräuchlichsten Be­griffe,
auch wenn dabei einmal mehr die erdgeschichtlichen
Überbegriffe, ein anderesmal die Lokalitätsbezeichnungen oder die über die Grenzen des Landes bekannten Industriebegriffe im Vordergrund stehen. Synonyme, Gesteinscharakteristika und wichtigste Abbauorte
finden sich in den Kapiteln jeweils am Anfang, so dass
eine Zuordnung zu anderen Gliederungen meist leicht
möglich ist.
Beschrieben werden nachfolgend die in großem Umfang, meist seit vielen Jahrhunderten verbauten Naturwerksteine des heutigen Landes Baden-Württemberg.
Den wechselnden historischen Verhältnissen – mit
unterschiedlicher territorialer Zugehörigkeit – und den
alten Handelsbeziehungen wird dadurch Rechnung
getragen, dass in Kap. 5 beim Blick über die Landesgrenzen auch zahlreiche weitere wichtige Naturwerksteinlagerstätten als Beipiel für ähnliche Vorkommen
behandelt werden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit
werden die wichtigen Naturwerksteintypen des Landes in alphabetischer Reihenfolge behandelt, die der
Nachbarländer nach der geographischen Lage der Länder (im „Uhrzeigersinn“).
Seltene, vornehmlich lokal wichtige oder nur kurzzeitig genutzte Vorkommen werden nicht in eigenen
Kapiteln behandelt. Zu solchen Besonderheiten gehören z. B. die Alabastergipse aus dem auflässigen
Bergwerk Forchtenberg (Hohenlohekreis) und dem
noch zeitweise betriebenen Gipssteinbruch Kayh bei
Herrenberg (Abb. 2.4-4 ) oder der hornblendereiche
Glimmerdiorit von Fröhnd im Wiesental (RG 8213-1),
der bis 1989 gewonnen wurde. Bei der Darstellung
der Naturwerksteinvielfalt in Kap. 2.4.1 oder in den
Übersichten in Kap. 4 werden sie aber zumindest kurz
behandelt. In den Erläuterungen zur Karte der mineralischen Rohstoffe von Baden-Württemberg 1 : 50 000
(KMR 50) und zur Geologischen Karte des Landes im
Maßstab 1 : 25 000 sind zumeist Kurzbeschreibungen
dieser Gesteine zu finden.
Selbstverständlich stellt dieses Buch eine Momentaufnahme in Bezug auf die Kenntnisse über unsere
vielfältigen Naturwerksteinvorkommen dar. Weitere
Forschungen, auch historischer und lokalgeologischer
Art, sowie die weitere industrielle Nutzung werden
zusätzliche Erkenntnisse erbringen. Das Landesamt
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Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
für Geologie, Rohstoffe und Bergbau (LGRB) ist daher
für alle Hinweise auf weitere Werksteinvorkommen
dankbar, insbesondere wenn sie für eine künftige Nutzung ein interessantes Potenzial aufweisen.
4.2Angulatensandstein
– J ens Wittenbrink –
4.2.1 Übersicht, Bezeichnung und
Verbreitung
Beim Angulatensandstein handelt es sich nicht um
einen einzelnen, mehr oder weniger geschlossenen
Sandsteinkörper, wie es z. B. beim Buntsandstein
(Kap. 4.5) oder bei den Strängen des Schilfsandsteins
(Kap. 4.23) der Fall ist. Vielmehr existieren mehrere Sandsteinhorizonte, die jeweils vergleichsweise
geringe laterale Erstreckung aufweisen. Man müsste daher eigentlich von „den Angulatensandsteinen“
sprechen. Werksteintaugliche und ausreichend mächtige Abschnitte sind z. B. zu finden beim Ebersbacher
Sandstein in der Umgebung von Plochingen, südöstlich Stuttgart, und beim Gmünder Sandstein im Raum
Schwäbisch Gmünd (Abb. 4.2-1). Ein größeres Verbreitungsgebiet besitzt der bei Plochingen in vier Horizonten auftretende Hauptsandstein, dessen unterster
Horizont vom Stuttgarter Raum bis nach Aalen und
Ellwangen reicht.
In den genannten Gebieten wurden aber nicht nur
Sandsteine der Angulatensandstein-Formation abgebaut, sondern auch solche, die aus geologisch-stratigraphischer Sicht der Arietenkalk- und PsilonotentonFormation zugerechnet werden. Hierzu gehören z. B.
der Plochinger Sandstein in der Arietenkalk-Formation
sowie der Ellwanger, Mutlanger und Esslinger Sandstein in der Psilonotenton-Formation (Abb. 4.2-2 und
-3). Die meisten Sandsteinbänke, nämlich der Hauptsandstein und der Gmünder Sandstein, gehören stratigraphisch aber zur Angulatensandstein-Formation
des Unterjuras, früher auch als Schwarzer Jura oder
Lias bezeichnet. In geologischen Arbeiten verwendete
Abkürzungen sind: juAS, früher Lias α2, Hettangium
2. Sie bilden mit den Gesteinen der Psilonotenton(juPT) und Arietenkalk-Formation (juAK, Kap. 4.3) die
unterste Schichtstufe der Schwäbischen Alb von der
Westalb bis zum Ries (Abb. 4.2-1). Die stratigraphische Bezeichnung Angulatensandstein geht auf das
Leitfossil dieser Schichten zurück, der Ammonitenart
Schlotheimia angulata (Abb. 4.2-4). Daher wurden
die Sedimentgesteine der Angulatensandstein- bzw.
Angulatenton-Formation früher als SchlotheimienSchichten bezeichnet.
Lithologisch sind die Sandsteine der o. g. Horizonte
sehr ähnlich, so dass am Hand- oder Werkstück kaum
zu entscheiden ist, aus welchem Niveau der verwendete Sandstein stammt. In der Naturstein­praxis
werden sie daher alle als Angulatensandsteine be­
zeichnet. Im Volksmund sind die Sandsteine aber auch
als „Buchstein“ oder „Malbstein“ bzw. „Malmstein“
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4.2 Angulatensandstein
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Legende:
20
40
60 km
Aufgelassene Steinbrüche im Angulatensandstein
Landesgrenze
Ausstrich des Unterjuras
Gewinnung von Naturwerksteinen
Gewinnung von Natursteinen für den
Verkehrswegebau
Vermutete Gewinnungsstellen von Naturwerksteinen und Natursteinen im Angulatensandstein
und Arietenkalk in der Region Ostwürttemberg
Abb. 4.2-1: Ausstrich des Unterjuras im Vorland der Schwäbischen Alb. Dargestellt sind ferner bekannte Steinbrüche im
Angulatensandstein (Quadrate), Kreissymbole zeigen die in der Region Ostwürttemberg gelegenen alten Steinbrüche im
Angulatensandstein und Arietenkalk, deren genaue Position aufgrund von Verfüllung und Überbauung bislang nicht rekonstruiert werden konnte.
bekannt, da sie in Folge von Verwitterung oftmals in
dünnschichtigen Lagen aufspalten oder mehlig absanden (Frank 1965, Abb. 4.2-5). Bisweilen kommen in
den Sandsteinen rostbraune Bänderungen vor, die auf
eisenhaltige Formationswässer zurückzuführen sind
und dem sonst gleichmäßigem Gestein eine abwechslungsreiche Struktur verleihen (Abb. 4.2-6).
Das in Abb. 4.2-3 dargestellte schematische Profil von
Trinkle (1972) zeigt die Lage der Sandsteinhorizonte
der Angulatensandstein- und Psilonotenton-Formation
im Raum Schwäbisch Gmünd. Die Sandstein- und
Tonsteinschichten der oben genannten Formationen
überlagern den Knollenmergel und die ebenfalls oft
als Naturwerksteine nutzbaren Stubensandsteine des
Keupers (Kap. 4.25). Über den Angulatensandsteinen folgen die Kalksteine der Arietenkalk-Formation,
auf welche im Kap. 4.3 näher eingegangen wird. Im
schematischen geologischen Schnitt sind weiterhin die
schwankenden Mächtigkeiten sowie das häufige Auskeilen einzelner Horizonte zu erkennen, wie z. B. beim
Gmünder Sandstein. Westlich einer Linie Stuttgart–Tübingen–Hechingen nimmt die Anzahl der Sandsteinhorizonte ab. Sie gehen hier in die Tonsteine der Angulatenton-Formation über (Simon 2004). Im Osten setzen
die Angulatensandsteine im Bereich des Impaktkraters
des Nördlinger Rieses aus und treten erst am Hesselberg bei Wassertrüdingen (Mittelfranken) wieder auf.
149
4.2 Angulatensandstein
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Abb. 4.2-2: Schematischer West–Ost gerichteter geologischer Schnitt für den stratigraphischen Abschnitt PsilonotentonFormation bis Arietenkalk-Formation zur Darstellung von Erstreckung und relativer Mächtigkeit der allgemein unter „Angulatensandstein“ zusammengefassten Sandstein-Horizonte im Unterjura von Baden-Württemberg (nach: B loos 1976, Abb. 6).
Die Mächtigkeit der Angulatensandstein-Formation
schwankt zwischen 8 und 12 m. Bei Plochingen erreicht sie einen Maximalwert von 20 m (B loos 1976).
Die darin auftretenden Sandsteinhorizonte sind zwischen 1,5 und 10 m mächtig; die einzelnen Sandsteinbänke selbst sind zwischen 0,2 bis 1,5 m dick (Frank
1965).
4.2.2 Geologisches Alter, Entstehung
Die rund 200 Mio. Jahre alten Angulatensandsteine
gehen auf marine Ablagerungen zurück. Im Unterjura lag das heutige Vorland der Schwäbischen Alb im
Bereich eines Flachmeeres. Die Küstenlinie war ca.
120 km entfernt und befand sich nach B loos (1976) in
der Region von Weißenburg (Mittelfranken). In westliche Richtung nahm die Wassertiefe langsam zu,
wie die Tonsteine der Angulatenton-Formation in der
Westalb zeigen.
Die Feinsande bestehen aus Verwitterungsprodukten, die aus Skandinavien mit der Meeresströmung
antransportiert und in einem breiten Streifen von der
westlichen Ostsee bis zum Bodensee und Allgäu abgelagert wurden. Innerhalb dieses Ablagerungsraums
änderten sich die Sedimentationsbedingungen immer
wieder, weshalb es zu einer Wechselfolge aus Feinsandsteinhorizonten, Tonsteinen, Mergelsteinen und
Kalksteinen kam.
4.2.3 Gesteinsbeschreibung,
technische Eigenschaften und
Verwendung
Die plattigen bis bankigen Sandsteine der Angulatensandstein-Formation sowie der genannten unmittelbar über- und unterlagernden Formationen setzen
150
sich aus Grobsilt- bis Feinsandsteinen, partienweise
auch aus fein geschichteten Kalksandsteinbänken
zusammen. Angewitterte Werksteine spalten oftmals in dünnen Lagen auf (Abb. 4.2-5). Durch die
Oxidation des im karbonatischen Bindemittel enthaltenen Eisens erhält er im Anschnitt bzw. auf Bearbeitungsflächen seine charakteristische gelblichbraune
Färbung. Nach Analysen von B loos (1976) setzt
sich der Sandstein zu 93–99 Vol.-% aus eckigen bis
kantengerundeten, z. T. aus gut gerundeten Quarzkörnern zusammen. Nebengemengteile sind mit 0–6
Vol.-% Feldspäte (vorwiegend Orthoklas). In geringen Mengen treten Muskovit und Biotit, Tonminerale sowie die Schwerminerale Zirkon, Turmalin, Rutil
und Granat auf.
Die Kornbindung der Sandsteine ist karbonatisch, tonig-ferritisch oder kieselig. Die kieselige Bindung tritt
nur im westlichen Teil des Verbreitungsgebiets, z. B.
westlich von Stuttgart, auf. Dagegen ist die Zementierung der Komponenten mit Calcit weiter verbreitet
und kommt in allen Sandsteinhorizonten vor. Nicht
kalkige Sandsteine besitzen zumeist ein tonig-ferritisches Bindemittel. Die Sandsteine sind in der Regel
gelblich-bräunlich gefärbt und zeigen bisweilen Eisenhydroxidflecken bzw. -ringe (Abb. 4.2-7). Im frischen
Zustand sind vor allem die karbonatisch gebundenen
Angulatensandsteine blaugrau bis grau.
Untersuchungen an Angulatensandsteinen aus Steinbrüchen bei Vaihingen, Esslingen, Plochingen und
Frickenhofen bei Gaildorf ergaben Druckfestigkeiten
von 69–75 MPa für karbonatisch bis tonig-ferritisch
gebundene Typen (Frank 1944, 1949). Im Bereich
von Stuttgart-Vaihingen wurde ein Kalksandstein mit
einer Druckfestigkeit von 188–204 MPa gewonnen;
dieser fand als Pflasterstein Verwendung („Vaihinger
Pflasterstein“, Frank 1994b, Ströbel & Wurm 1994).
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4.2 Angulatensandstein
Abb. 4.2-3: Das schematische, geologische West–Ost-Profil (nach T
­ rinkle 1972)
zeigt Verbreitung und Mächtigkeitswechsel der Sandsteinhorizonte nördlich von
Schwäbisch Gmünd. Naturwerksteine
wurden im Mutlanger Sandstein sowie
im Gmünder- und Hauptsandstein gewonnen. Stratigraphisch wird der Mutlanger
Sandstein der Psilonotenton-Formation
und der Gmünder- und Hauptsandstein
der Angulatensandstein-Formation zugerechnet. In der überlagernden Arietenkalk-Formation treten im Raum Schwäbisch Gmünd keine Sandsteine auf.
dem ausgehenden 12. Jahrhundert
stammen dürfte („Pfeilermadonna“,
Abb. 4.2-9). Auch heute wird der
Angulatensandstein noch gelegentlich als Bildhauermaterial genutzt,
so z. B. vom Steinbildhauermeister
Franz H uber in Schwäbisch Gmünd.
Zu diesem Zweck wurden auch verkieselte Sandsteine aus Plochingen abgebaut, die mit 91–132 MPa
ebenfalls recht hohe Druckfestigkeiten besitzen. Die
Rohdichte der untersuchten Angulatensandsteine
schwankt zwischen 2,1 und 2,6 g/cm3.
Angulatensandsteine mit hohen Druckfestigkeiten
wurden im Straßenbau nicht nur als Pflastersteine
sondern auch als Vorlagesteine und Schotter verwendet. Schon die Römer nutzten dieses Material,
um damit Straßen zu befestigen und Mauern für
Kastelle und Stützpunkte zu errichten, wie Grabungen bei Schwäbisch Gmünd belegen. Besonders zwischen dem Mittelalter und dem letzten Jahrhundert
wurden die Angulatensandsteine als Mauersteine
verwendet. Aus ihnen wurden mittelalterliche Stadtmauern, Kirchen und Türme (Abb. 4.2-8) errichtet,
wie vor allem große, steinsichtige Bauwerke in
Schwäbisch Gmünd belegen. Ein weiteres schönes
Beispiel stellt die die Esslinger Burg dar.
Im Mittelalter wurde der Angulatensandstein bisweilen auch für figürliche Arbeiten verwendet. Eine
der frühesten bekannten Steinmetzarbeiten ist die
staufische Madonna, die nach Kissling (2000) aus
Schleifsteine aus Angulatensandstein waren sehr geschätzt und wurden weit über die Grenzen von Württemberg gehandelt. Ferner wurden
Fundamente, Keller, Wohnhäuser,
Schulen und Amtsgebäude aus diesen Feinsandsteinen errichtet. Schöne Beispiele bietet die Umgebung
von Schwäbisch Gmünd und Stuttgart-Vaihingen (Abb. 4.2-10 und -11;
Frank 1994b, Mayer 2010, ­S tröbel
& Wurm 1994). In Stuttgart-Vaihingen sind einige gut erhaltene, steinsichtige Villen aus Angulatensandstein zu finden (Abb. 4.2-11); das
Material ist hier sehr hart und verwitterungsbeständig. Für den Wiederaufbau der Burg Hohenzollern im
19. Jahrhundert wurde Angulatensandstein aus der Umgebung von Hechingen verarbeitet; er fand sowohl für die Fassaden als auch für
die Treppen Verwendung (Schmierer 1995).
4.2.4 Gewinnung und Verarbeitung
Abgebaut wurde der Angulatensandstein in einer Vielzahl von Steinbrüchen entlang der Schwäbischen Alb
(Abb. 4.2-1) sowie westlich von Stuttgart. Zentren der
Gewinnung lagen bei Balingen, Stuttgart-Vaihingen,
Esslingen, Plochingen und in der Umgebung von Schwäbisch Gmünd. Für die Lagerstättenkartei des LGRB von
Nordwürttemberg sowie von Württemberg-Hohenzollern nahmen F. Weidenbach und Mitarbeiter um 1947
sowie A. Schreiner im Zeitraum 1950–52 insgesamt
44 Abbaustellen auf, in denen zu dieser Zeit noch Angulatensandsteine (zeitweise) abgebaut wurden.
Eine aktuelle Auswertung geologischer Karten und
des digitalen Geländemodells (DGM) ergab, dass noch
32 weitere Steinbrüche in der Region Ostwürttemberg auffindbar sind, in denen Sand- und Kalksteine
der Angulatensandstein- und Arietenkalk-Formation
(oft aus den selben Brüchen) gewonnen wurden.
151
4.2 Angulatensandstein
Abb. 4.2-4: Schlotheimia angulata, namensgebender Ammonit für die Angulatensandstein-Formation.
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Abb. 4.2-7: Sockelmauerwerk aus gelblich bis rötlichbraunem, durch Eisenhydroxide gefärbtem Angulatensandstein,
Haus in Herlikofen nordöstlich von Schwäbisch Gmünd.
der Quader aus dem Verband fand das Vorrichten zu
Werksteinblöcken bzw. die Bearbeitung zu Mauersteinen und die Zerkleinerung von Reststücken zu Vorlagesteinen für den Wegebau statt. In der genannten
Lagerstättenkartei sind zwei Steinbrüche aufgeführt,
in denen eine Brecheranlage zur Herstellung von
Schottern vorhanden war. Im Gebiet bei StuttgartVaihingen wurden aus dem dort harten Angulatensandstein Mauer- und Pflastersteine gefertigt. Nach
Ströbel & Wurm (1994) waren die Steinbrüche bei
Stuttgart-Vaihingen im Gewann Heßäcker und beim
Jägerhof am längsten zur Gewinnung von Pflasterund Mauersteinen in Betrieb; der letzte verschwand
um 1977 beim Ausbau der B 14.
Abb. 4.2-5: Mauersteine aus Angulatensandstein im Kellergeschoss eines Hauses in Schwäbisch Gmünd. Durch Verwitterung tritt die feine Schichtung wie Buchseiten hervor.
Diese Feinsandsteine sind daher auch unter dem Namen
„Buchsteine“ bekannt.
Abb. 4.2-6: Brauneisenreicher Angulatensandsteinblock,
gewonnen bei Bauarbeiten im Engelbergtunnel bei Leonberg; Foto im Blocklager des Bildhauerbetriebs der Fa. E.
Schnell, Fridingen a. d. Donau.
Von den somit insgesamt 76 Steinbrüchen waren zur
Zeit der Erhebung durch Weidenbach und Schreiner
noch zehn Steinbrüche, einige nur gelegentlich, in
Betrieb. Beschäftigt waren in dieser Zeit jeweils zwischen einem und acht Arbeitern. Nach dem Lösen
152
4.2.5 Potenzial
Der Angulatensandstein wird heute nirgends mehr
abgebaut, auch für Restaurierungsmaßnahmen steht
zurzeit kein Steinbruch zur Verfügung. Die alten Brüche sind verbrochen und oft mit Abraum bedeckt,
verfüllt oder überbaut. Die im Hangenden der Sandsteinbänke auftretenden Tonsteine führen zu einer geringen Standfestigkeit der Steinbruchwände, so dass
schon wenige Jahre nach der Stilllegung die einst genutzten Sandsteinbänke kaum mehr erkennbar sind.
Gelegentlich treten verwertbare Angulatensandsteinblöcke bei Tunnel- und Straßenbaumaßnahmen oder
in Baugruben auf (Abb. 4.2-6). Rührige Steinmetz- und
Restaurierungsbetriebe sichern sich gerne diese selten
gewordenen Sandsteine als Bildhauermaterial.
Wegen der schlechten Aufschlussverhältnisse können
derzeit keine Aussagen zu Gebieten mit interessanten
Vorräten an Angulatensandsteinen gemacht werden;
Schurf- und Bohrarbeiten wären erforderlich. Einige
der oben genannten fast 80 Steinbrüche würden sich
dafür sicher eignen. Aufgrund der geringen Mächtigkeit der Werksteinhorizonte von oft nur einigen Metern, sind zum Auffinden geeigneter Bereiche zur Wiederaufnahme einer Gewinnung in den meisten Fällen
zahlreiche Kernbohrungen erforderlich. Das Potenzial
im Umfeld der in Abb. 4.2-1 dargestellten Steinbruchgebiete ist bislang nicht geprüft worden.
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4.2 Angulatensandstein
Abb. 4.2-10: Haus in Schwäbisch Gmünd als Beispiel für ein
vollständig aus Angulatensandstein erbautes Wohngebäude.
Abb. 4.2-8: Der 39,9 m hohe Königsturm in Schwäbisch
Gmünd wurde 1350 aus Angulaten- und Stubensandstein
erbaut, wobei Stubensandstein aufgrund der höheren Festigkeit für die Eckpartien und der Angulatensandstein für
das aufgehende Mauerwerk verwendet wurden.
Abb. 4.2-11: In Stuttgart-Vaihingen befindet sich ein weiteres Beispiel für ein Wohnhaus aus Angulatensandstein. Die
Feinsandsteine aus der Region Stuttgart-Vaihingen zeichnen
sich durch ihre hohe Härte und Verwitterungsbeständigkeit
aus und wurden daher nicht nur zum Hausbau sondern auch
als Pflastersteine verwendet.
Abb. 4.2-9: Die aus dem
ausgehenden 12. Jahr­
hun­dert
stammende,
1,3 m ho­
he Staufische
Madonna wurde aus Angulatensandstein hergestellt. Sie befindet sich
heute in der St. Johannis-Kirche (erbaut 1210–
1230) in Schwäbisch
Gmünd.
Kurzfassung: Der unterjurassische Angulatensandstein ist ein gelblichbrauner, bankiger bis plattiger
Grobsilt- bis Feinsandstein, der im Vorland der
Schwäbischen Alb von Stuttgart bis Ellwangen in
verschiedenen Horizonten auftritt. Nicht alle der
1,5 bis 10 m mächtigen Sandsteinhorizonte gehören der stratigraphischen AngulatensandsteinFormation an. Es wurden auch Feinsandsteine der
Arietenkalk- bzw. Psilonotenton-Formation gewonnen. Die Sandsteine wurden für Mauerwerk
von der Römerzeit über das Mittelalter bis in die
Neuzeit genutzt. Im 19. und 20. Jahrhundert verwendete man insbesondere die harten Sandsteine
aus dem Raum Stuttgart als Pflaster- und Vorlagesteine. Heute ist kein Steinbruch im Angulatensandstein in Betrieb. Wichtige Bauwerke: Reste
römischer Wachtürme und Stützpunkte im Raum
Aalen–­
Schwäbisch Gmünd, Königsturm, Stadtmauer, Kirchen und Häuser in Schwäbisch Gmünd
und Umgebung, Burg Esslingen und Burg Hohenzollern bei ­Hechingen.
153
4.3 Arietenkalk
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Die Mächtigkeit der Sedimentgesteine der Arietenkalk-Formation beträgt meist nur 3–7 m, im Großraum
Stuttgart nimmt sie auf 17–19 m zu. Die für Bau- und
Werksteine nutzbaren Abschnitte sind meist nur 1,4–
3,3 m mächtig, im Schnitt 2,3 m (R eyer 1927).
4.3Arietenkalk
– B irgit Kimmig & J ens Wittenbrink –
4.3.1 Übersicht, Bezeichnung und
Verbreitung
Die Bezeichnung „Arietenkalk-Formation“ geht auf Ammoniten der Gattung Arietites zurück, welche in großer
Zahl und oft beachtlicher Größe in den Kalksteinen dieser Formation auftreten können (Abb. 4.3-2). Die Kalksteine sind reich an Schalenresten und Echinodermen­
bruch­stücken. Die Muschel Gryphaea arcuata kommt
auf der Ostalb teilweise so massenhaft vor, dass sie
als gesteinsbildend bezeichnet werden kann (Abb. 4.33 und -4). Darauf ist der Name „Gryphäenkalk“ oder
„Gryphitenkalk“ zurückzuführen. Im Volksmund wird
der Kalkstein aufgrund der Ammoniten und Muscheln
auch „Schneckenfels“ oder „Uhrenfels“ genannt; bei
Gmünd führt er den Namen „Liasfels“ (Reyer 1927).
Der Arietenkalk besaß im Austrichbereich der nach
ihm benannten geologischen Formation über Jahrhunderte hinweg vor allem als Bau- und Pflasterstein
Bedeutung. In über 100 Steinbrüchen wurde er gebrochen. Großformatige Werksteinblöcke sind aus
ihm nur selten zu gewinnen. Heute wird er nirgends
mehr abgebaut.
Die Sedimentgesteine der Arietenkalk-Formation
(juAK) erstrecken sich in Baden-Württemberg von
Donaueschingen im Südwesten bis Aalen im Nordosten. Zwischen Donaueschingen, Balingen und
Reutlingen ist die Ausstrichbreite relativ gering,
nimmt in östliche Richtung dann aber deutlich zu.
Über Nürtingen, Göppingen und Schwäbisch Gmünd
erreicht sie aufgrund der söhligen Lagerung ca.
20 km und nimmt bei Aalen schließlich wieder ab
(Abb. 4.3-1). Östlich von Aalen wird der Arietenkalkstein zunehmend sandiger, was zu einem mittel- bis
grobkörnigen Kalksandstein führt, der als Gryphäensandstein im Raum Aalen-Ellwangen eine eigene
Formation bildet.
r
a
ck
Mit Beginn des Unterjuras breitete sich in Süddeutschland das Meer aus. Zu den unterlagernden tonig-sandigen Gesteinen der Angulatensandstein-Formation (Kap.
4.2) besteht meist keine scharfe Grenze. Die Basis der
Arietenkalk-Formation bildet die so genannte Kupferfelsbank, welche beispielsweise am Südwestufer des
Echaztals bei Betzingen (bei Metzingen) einige Zeit
gebrochen wurde (Schmidt 1981). Gelegentlich in der
Arietenkalk-Formation auftretende Grobsandschichten
weisen auf Küsten­nähe hin.
4.3.3Gesteinsbeschrei
bung, technische
Eigenschaften und
Verwendung
Heilbronn
er
ch
Ko
st
Jag
Ne
4.3.2 Geologisches Alter, Entstehung
rr
Mu
z
En
Pforzheim
Rems
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km
60 km
Die Arietenkalk-Formation besteht
aus grauen, fossilreichen Kalksteinen und zwischengeschalteten Mergelsteinen, teilweise können auch bituminöse Lagen eingeschaltet sein.
Im angewitterten Zustand ist er
gelblichgrau. Der Arietenkalk wurde
oft zusammen mit dem unterlagernden Angulatensandstein (Kap. 4.2)
abgebaut.
Nach Frank (1949) wurden die Arietenkalke im Albvorland überwiegend für Straßenbausteine verwendet. Örtlich wurden sie aber auch
zum Bau von Hausmauern und rohen
Aufgelassene Steinbrüche im Arietenkalkstein
Landesgrenze
Gewinnung von Naturwerksteinen
Ausstrich des Unterjuras
Gewinnung von Naturwerksteinen und
Natursteinen (Wegebau)
Gewinnung von Natursteinen (Wegebau)
Gewinnung von Kalkstein zur Herstellung
von Kalkprodukten (Branntkalk)
Abb. 4.3-1: Verbreitung des Unterjuras im
Gebiet der Schwäbischen Alb. Die zahlreichen Steinbrüche (Stand 2012) in dieser geologischen Einheit belegen, dass
der Arietenkalk an vielen Stellen genutzt
wurde.
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4.3 Arietenkalk
Abb. 4.3-2: Ammoniten der Gattung Arietites, verbaut in einer Mauer bei Kleindeinbach (links), sowie das in Wetzgau gefundene Exemplar, heute Sammlung Museum im Prediger, sind namensgebend für die Kalksteine der Arietenkalk-Formation.
Feldmauern genutzt. Bei Trossingen, Spaichingen und
Göppingen wurden sie zum Kalkbrennen gewonnen.
Auch Reyer (1927) berichtet von der Herstellung von
schwarzem Kalk, von Straßenschotter und Pflastersteinen. Beim Abbau von Arietenkalk zusammen mit
dem Angulatensandstein in der Umgebung von Vaihingen (Reyer 1927) wurden von oben nach unten drei
brauchbare Felsen von den Pflasterern unterschieden
und mit folgenden Namen belegt: Straßenschotterfels,
Galle und Pflastersteinfels. Bei der Galle handelt es
sich um einen sehr harten, dichten und festen Kalkstein mit Echinodermen- und Muschelschalenresten.
Nach Mayer (2010) erhielten die drei Hauptbänke des
Arietenkalks im Raum Schwäbisch Gmünd von den
Steinbrechern die Namen Dreispälter (Gryphäenbank),
Schneckenfels sowie unterer und oberer Schneller.
Das Brechen der Steine war ursprünglich den Landwirten vorbehalten, die dadurch im Winter eine Betätigung und Einkommen hatten. Die gebrochenen
und bearbeiteten Kalksteine wurden zu Mauern, z. T.
mit eingesetzten Ammoniten, verbaut, wie sie heute
noch in Schwäbisch Gmünd-Kleindeinbach (Abb. 4.35) und Oberbettingen zu finden sind. Die Schulhofumfassungsmauer der Klösterleschule in Schwäbisch
Gmünd zeigt, welche Massen an Fossilien im Arietenkalk erhalten sein können. Die Kalksteine des Arietenkalks wurden weiterhin als Sockelgemäuer von
Privathäusern in Straßdorf, Herlikofen (Abb. ­
4.3-6)
und in Schwäbisch Gmünd verbaut.
Abb. 4.3-3: Zusammenschwemmung von Muscheln der Art
Gryphaea arcuata auf einer Schichtfläche im Arietenkalkstein, Natursteinmauer in Hangendeinbach nordwestlich
von Schwäbisch Gmünd.
Abb. 4.3-4: Schnitt senkrecht zur Schichtung durch einen
Arietenkalksteinblock aus Oberbettringen, südöstlich von
Schwäbisch Gmünd. Hier treten die Muscheln der Art Gryphaea arcuata in großen Mengen gesteinsbildend auf, weshalb der Arietenkalk auch als Gryphäenkalk bezeichnet wird.
Bereits die Römer nutzten den Arietenkalk als Baustoff für Straßen, Mauerwerke ihrer Stützpunkte und
Befestigungen am Limes. Zwischen den Ortschaften
Mögglingen und Heuchlingen wurden nach Mayer
(2010) bei der Untersuchung eines Grabhügels Reste
eines Kalkofens entdeckt, der in unmittelbarer Nähe
des Limes lag. Daher ist anzunehmen, dass dieser römischen Ursprungs ist. Die Wände des Ofens wurden
aus Arietenkalk gemauert. Das Kalkbrennen setzt sich
bis in die Neuzeit fort, wie das Dünger-Kalkwerk von
Göggingen und das Kalkwerk von Mögglingen aus den
20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts belegen. Danach konnte der Arietenkalk nicht länger mit
den in weit größeren Mengen angebotenen Oberjurakalksteinen konkurrieren. Weiterhin wurde der Kalk
schon in geschichtlicher Zeit zum Weißeln von Wänden verwendet.
Einer der Hauptverwendungszwecke des Arietenkalks
nach 1945 war der Straßen- und Wegebau. In der Region um Schwäbisch Gmünd wurden die Gesteine in
den Steinbrüchen bei Straßdorf, Wetzgau, Bettringen
und Herlikofen gewonnen. Kalksteine, welche nach
155
4.3 Arietenkalk
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Abb. 4.3-5: Gartenmauer in Kleindeinbach, nordwestlich
von Schwäbisch Gmünd, aus Arietenkalk als Beispiel für die
Verwendung als Mauerquader.
Abb. 4.3-6: Detailaufnahme aus einer Arietenkalkmauer bei
Herlikofen mit Schalen der Auster Gryphaea arcuata.
der Sprengung gerade Seiten aufwiesen, fanden
Verwendung als Mauer und Sockelsteine, der Rest
als Vorlagesteine. Sie bildeten das Grundgerüst der
Straßen und Wege und wurden mit einer Schicht
aus Hartsteinschotter bei höherwertigen Straßen
und Splitt im Fall von Wegen bedeckt. Anfang der
fünfziger Jahre ging die Nachfrage nach Arietenkalk
zurück, er wurde durch härtere Gesteine ersetzt
(Mayer 2010). In Schwäbisch Gmünd wurde er beispielsweise 1960 zum letzten Mal für Vorlagesteine
genutzt. Nach Wagenplast & Werner (2001) wurden die Arietenkalkbrüche nach der Einführung der
Asphalt- und Betondecken im Straßenbau aufgegeben und verfüllt.
terial verwendet (Frank 1949, Eisenhut 2002). Meist
sind die ehemaligen Steinbrüche heute verfüllt, so z. B.
bei Filderstadt (S imon 2004). In Trossingen wurde
­Arietenkalk zu Schwarzkalk gebrannt (Frank 1944).
Untersuchungen der Druckfestigkeiten an Gesteinen
aus dem Steinbruch der Fa. Albert Brenner aus Vaihingen a. d. F. ergaben nach R eyer (1927) Werte von
142–171 MPa sowie ein spezifisches Gewicht von
2,69–2,70 ­g/­cm3. Frank (1949) gibt Druckfestigkeiten
von 118–165 MPa an. Somit gehören die ­Arietenkalke
aus Vaihingen a. d. F. zu den widerstandsfähigen
Werksteinen, weshalb sie früher gerne als Pflastersteine genutzt wurden. Wegen der meist geringen
Quadergröße konnten die Arietenkalke nur selten für
größere Werkstücke wie Treppenstufen oder für Ornamente verwendet werden.
4.3.4 Gewinnung und Verarbeitung
Der Arietenkalk wurde überall entlang seines Ausstrichs am Fuß der Schwäbischen Alb zur Gewinnung
von Straßenbau- und Bausteinen gewonnen, oft zusammen mit dem unterlagernden Angulatensandstein
(Abb. 4.3-1). Wegen der geringen Mächtigkeit der
Kalksteinserie von 3–5 m waren die Steinbrüche stets
von geringer Ausdehnung und Höhe (Wagenplast &
Werner 2001).
Nördlich von Vaihingen a. d. F. wurden die Kalksteine
in zahlreichen Brüchen bis in die 1920er Jahre abgebaut und zu Pflastersteinen verarbeitet (Frank 1949,
Ströbel & Wurm 1994). Überall zwischen Trossingen
– Balingen und Göppingen – Gmünd – Aalen – Ellwangen wurde der Arietenkalk für den örtlichen Bedarf als
Bau-, Pflaster- und Vorlagestein sowie als Schotterma-
156
In der Lagerstättenkartei des LGRB von Nordwürttemberg und Württemberg-Hohenzollern (Weidenbach
1947, Schreiner 1950–52) sind insgesamt 107 Betriebe zu finden, die Arietenkalk gewannen und verarbeiteten. Von diesen Gewinnungsstellen waren im
Zeitraum 1947–1952 noch 18 in ständigem und 42 in
gelegentlichem Betrieb. Die verbleibenden 47 Gewinnungsstellen waren zum Zeitpunkt der Erhebung bereits außer Betrieb oder schon länger aufgelassen. Die
Mehrzahl der Steinbruchbetriebe beschäftigte nur ein
bis zwei Arbeiter. Wenige hatten 6–18 Beschäftigte.
Die Kalksteine wurden von Hand gebrochen und dann
in Form gehauen bzw. zu Schotter zerkleinert. Über
die Verarbeitungstechnik in den meisten Steinbrüchen
liegen keine Informationen vor; in der genannten Lagerstättenkartei von Weidenbach (1947) und Schrei ner (1950–52) sind nur drei Steinbruchbetriebe aufgeführt, die einen maschinellen Brecher besaßen.
4.3.5Potenzial
Der Arietenkalk wird in Baden-Württemberg etwa
seit den 1950er Jahren nicht mehr abgebaut. Steinbrüche, die für einen Abbau von Arietenkalk z. B. für
Restaurierungszwecke genutzt werden könnten, sind
derzeit nicht bekannt, zumal die meisten alten Brüche verfüllt und überbaut sind. Die übrigen Steinbrüche sind verbrochen, was auf die geringe Standfestigkeit der Steinbruchwände und die überlagernden
Ton- und Tonmergelsteine der Obtususton-Formation
(juOT) zurückzuführen ist. Die heute hauptsächlich im
Garten- und Landschaftsbau genutzten Arietenkalke
stammen aus neuen Aufschlüssen des Straßenbaus
oder sonstigen Bauprojekten.
Wie bei den Angulatensandsteinen liegen aufgrund
der schlechten Aufschlussverhältnisse keine Informationen zu Gebieten mit bauwürdigen Arietenkalksteinvorkommen vor. Es ist aber nicht auszuschließen,
dass von den 107 in der Lagerstättenkartei des LGRB
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
erfassten Steinbrüchen einige ein Potenzial für eine
Gewinnung von Arietenkalk aufweisen. Aufgrund der
geringen Mächtigkeit von 3–5 m bietet sich ein kombinerter Abbau mit den ebenfalls gering mächtigen
Feinsandsteinen der Angulatensandstein-Formation
an. Zur Auffindung nutzbarer Bereiche sind allerdings
umfangreiche Erkundungsarbeiten mittels Schürfen
und Kernbohrungen notwendig. Eine Untersuchung
in der Umgebung der stillgelegten Gewinnungsstellen
hat bisher nicht stattgefunden.
4.4 Böttinger Marmor
(A)
Kurzfassung: Der Arietenkalk, ein grauer bis gelblichgrauer, fossilreicher Kalkstein mit eingeschalteten Mergelsteinen, weist ein unterjurassisches
Alter auf. Im Vorland der Schwäbischen Alb erreicht er Mächtigkeiten von 3–7 m und im Raum
Stuttgart bis 19 m. Durchschnittlich sind aber
nur 2–3 m der Abfolge nutzbar. Da der Arietenkalk die Angulatensandsteine unmittelbar überlagert, fand zumeist eine gemeinsame Gewinnung
beider Gesteine statt. In über 100 Steinbrüchen,
von denen heute keiner mehr in Betrieb ist, wurde
Arietenkalk als Mauerstein für Hausfundamente
und insbesondere als Pflaster- und Vorlagestein
für den Straßenbau gewonnen. Weiterhin war er
ein wichtiger Rohstoff für die Herstellung von gebranntem Kalk. Historische Bauwerke aus Arietenkalk sind wahrscheinlich nicht erhalten. In der
Region um Schwäbisch Gmünd sind aber noch
häufig Hausfundamente und Mauern aus Arietenkalk zu finden.
4.4
Böttinger Marmor
(B)
– Wolfgang Werner –
4.4.1 Übersicht, Bezeichnung
und Verbreitung
Der Böttinger Marmor, ein Thermalsinterkalkstein,
gehört zu den auffälligsten und ungewöhnlichsten
Naturwerksteinen Baden-Württembergs. Die polierfähige, dunkelrot und gelblichweiß gebänderte Varietät
wird als „Böttinger Bandmarmor“ oder „Bändermarmor“ bezeichnet (Abb. 4.4-1 und -2). Weil der Begriff
„Marmor“ metamorphe Karbonatgesteine bezeichnet,
ist er für den Böttinger Thermalsinter geologisch natürlich nicht korrekt; er geht im vorliegenden Fall auf
die marmorartige Bänderung und gute Polierfähigkeit
des Kalksteins zurück. Dieser sog. Bändermarmor war
besonders im 18. und 19. Jahrhundert als repräsentativer Dekorationsstein begehrt (Kap. 4.4.3). Randlich
zum diesem tritt der horizontal gelagerte oder auch
30–40° von der Thermenspalte einfallende, unregelmäßige „Wilde Marmor“ auf, der im 20. Jh. ebenfalls
Gegen­stand des Abbaus war. Da er den wertvolleren
Bändermarmor umgibt, wird er auch als „Mantelmarmor“ bezeichnet. Die Gewinnung beider Varietäten
wurde Anfang der 1960er Jahre mangels Nachfrage
nach roten Terrazzokörnungen eingestellt.
Abb. 4.4-1: (A) Böttinger Marmor, wegen der rindenartigen
Ablagerung der Thermalsinter auch als Böttinger Bandmarmor bezeichnet. Hämatitreiche, dunkelrote Lagen wechseln
mit hellrosa und fast weißen Lagen ab, die wenige Eisenoxide enthalten. Bildhöhe ca. 10 cm. (B) Böttinger Bandmarmor
mit strahligen Pseudomorphosen von Calcit nach Aragonit
in den hellen Lagen. Handstückbreite 10 cm.
Das Vorkommen liegt im Randbereich eines Tuffschlotes. Die beiden Steinbrüche, in denen er gewonnen
wurde, befinden sich am Rand der östlich von Münsingen gelegenen Ortschaft Böttingen (Kreis Reutlingen,
TK 25 Nr. 7523 Münsingen) auf der Mittleren Schwäbischen Alb (Abb. 4.4-3).
Der Böttinger Tuffschlot ist Teil des Uracher Vulkangebiets, das sich noch heute durch deutlich erhöhten
157
4.4 Böttinger Marmor
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
18. Jh. Abgebaut wurde der Travertin mindestens in
zwei Steinbrüchen, wovon der nordwestliche „Alte
Bruch“ schon seit langem aufgefüllt und überbaut
ist. Der südlich davon gelegene, 140 m lange „Neue
Bruch“ reicht von R 3540 955 / H 5364 053 bis
R 3541 069 / H 5363 963. Dieser Spaltenabbau ist
noch zugänglich und als Naturdenkmal geschützt.
Wegen akuter Einsturzgefahr der alten Bruchwände,
besonders im Bereich der senkrecht stehenden und
in Platten aufspaltenden Bändermarmore, ist der
inte­ressante Aufschluss jedoch nicht für die Öffentlichkeit freigegeben.
Abb. 4.4-2: In der Schichtung gesägter Bandmarmor am
Kriegerdenkmal in Münsingen-Böttingen; durch die unregelmäßigen welligen oder „höckerförmigen“ Ablagerungen
der Sinter (vgl. Abb. 4.4-1 A und B) entstehen im Anschnitt
abwechslungsreiche konzentrische und wolkige Strukturen.
Bildbreite ca. 15 cm.
Wärmefluss auszeichnet (Haenel 1982). Auch aus
anderen Gebieten dieses Uracher oder Urach-Kirchheimer-Vulkangebiets, das auch als „Schwäbischer
Vulkan“ bezeichnet wird, wird über Sinterkalke berich­
tet, die auf Thermalwässer
zurückgehen, welche mit
dem jungen Vul­kanismus in
Verbindung stehen. Der bei
Laichingen nahe Blaubeu­
ren auftretende ver­schie­­
denfarbige, oft pisoli­thi­sche
Sinterkalk („Erbsenstein“)
bildet im Bereich des Laichinger Tuff­schlotes „Sinterkuppeln und Sinterterrassen, die sich auf den
Schlottuff legten und diesen mit Kalk versinterten“
(Gwinner 1989: 17). Es
treten dort auch horizontal
gelagerte Sinterkalkbänke
auf, die an Weißjura-Kalksteine grenzen. Wirtschaftli­
che Bedeutung haben aber
nur die Thermalsinter bzw.
Travertine von Böttingen
erreicht.
Die dunkelgrauen vulka­ni­
schen Tuffe des ­
Uracher
Vul­kangebiets spiel­­ten we­
gen ihrer wasserstauenden
Eigenschaften im sonst
überwiegend trockenen
Karst­gebiet der Schwäbischen Alb eine große Rolle für die Besiedlungsgeschichte – so auch in
Böttingen. Infolge dieser
Besiedlung eines solch
fruchtbaren Fleckens wurde der Thermalsinter vermutlich zuerst entdeckt.
Reguläre Gewinnung erfolgte wohl aber erst im
158
4.4.2 Geologisches Alter, Entstehung
Die räumliche Bindung des Travertinvorkommens
an den Randbereich des Böttinger Tuffschlotes
legt einen genetischen Zusammenhang zwischen
Vulkanismus und hydrothermaler Tätigkeit nahe.
Schon Q uenstedt formulierte in seinem Begleitwort
zum geologischen Blatt Blaubeuren (1872): „Wahrscheinlich mochten zur Tertiärzeit heiße Quellen
nach Art heutiger Sprudel die merkwürdige Bildung
­veranlassen“.
Abb. 4.4-3: Vereinfachte geologische Karte für das Gebiet um Münsingen-Böttingen mit
Darstellung der Tuffschlote und der daran gebundenen Vorkommen von Thermalsintern
sowie der bekannten Steinbrüche im Böttinger Marmor.
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4.4 Böttinger Marmor
Abb. 4.4-4: Geologische Detailkarte (nach: W. Maier 1935) für den südöstlichen, sog. Neuen Bruch. Sie zeigt, wie im Tagebau um 1934/35 Spalten- und Wallsinter verteilt waren. Randlich geht der Wallsinter in Tuffe über; die zentrale Spalte
war offensichtlich teilweise verlehmt. Große Blöcke von Oberjura-Kalksteinen, die beim Vulkanausbruch mitgerissen worden
waren, lagen im Tuff und im Thermalsinter.
Nach ­Aigner (1975) ist das Travertinvorkommen beiderseits der Spalte von Basalttuffen und nicht von
Oberjurakalksteinen umgeben. Er erkannte in der (seit
2006 durch einen Hangrutsch verschütteten) Nordwestecke des Steinbruchs, dass sich verlehmter Tuff
und horizontal gelagerter Wilder Marmor verzahnen
bzw. übereinander geschichtet auftreten können.
Beim Böttinger Tuffschlot handelt es sich um ein
Zeugnis eines heftigen explosiven Vulkanismus, der
im weiten Umfeld von Urach zur Bildung zahlreicher
Sprengkrater (Maare) führte. Die herausgeschleuderten basaltischen Tuffe sind zusammen mit großen
Mengen an Nebengesteinsbruchstücken wieder in den
Krater zurück gestürzt, es handelt sich also um eine
vulkanische Schlotfüllung (Abb. 4.4-6). Nur wenige
Hundert Meter weiter südöstlich der Steinbrüche befindet sich eine kleinere, in NNE–SSW-Richtung gestreckte Intrusionsspalte. Nebengesteine beider Tuffvorkommen sind Massenkalke des höheren Oberjuras.
Die geologische Situation ist in Abb. 4.4-3 bis 4.4-5
dargestellt.
Der Böttinger Thermalsinter verdankt seine Entstehung kalkhaltigen, warmen Quellen, die vor etwa
14 Mio. Jahren (Jungtertiär: Untermiozän) im Gefolge vulkanischer Aktivität zu Tage traten (B erckhemer
1923, Aigner 1975, Rosendahl et al. 2003). Nahe
am Austrittspunkt der warmen Quellen bzw. Geysire
kam es zur Bildung der Kalksinter, so wie es rezent
im Yellowstone Vulkangebiet oder auf Island beob-
achtet werden kann (Abb. 4.4-7 und -8). Im Unterschied zu den kalkreichen Wässern, die zur Bildung
von Quelltuffen und Seekalken beitragen (Kap. 4.8
und 4.12), sind die Wässer, die zur Travertinbildung
führen, stärker mineralisiert (mehr als 1 g/l), enhalten
gelöste freie Kohlensäure und sind höher temperiert.
Zahlreiche in den Sintern des Mantelmarmors eingebettete Tier- und Pflanzenfossilien erlauben eine Vorstellung davon, wie die Landschaft zur Zeit der Geysire
ausgesehen haben mag. Nach Hofmann (1933) fand die
Thermalsinterbildung inmitten eines Waldgebiets mit
Eichen, Weiden, Ulmen, Buchen, Lorbeer- und Mandelbäumen statt (Abb. 4.4-5). Hier lebten zahlreiche Tiere
wie Insekten, Frösche, Eidechsen, Fledermäuse und
Rotwild (Rosendahl et al. 2003). Der sicher sehr heftige und auf eine weite Umgebung zerstörerisch wirkende Maarvulkanismus muss also schon einige Zeit
zurückgelegen haben, als der Böttinger Thermalsinterkalkstein in einer üppigen Waldlandschaft entstand.
Der Nachweis des faserigen Karbonatminerals Aragonit, das später zu Calcit umgebildet wurde, zeigt, dass
die aufsteigenden Wässer wärmer als 29°C gewesen
sein müssen (Aigner 1975); Pseudomorphosen von
Calcit nach Aragonit sind in den hellen Bändern oft gut
erkennbar (Abb. 4.4-1B). So genannte Erbsensteine
(Pisolithe), bestehend aus mm bis cm großen runden
Kalkkörnern, belegen, dass das warme Wasser mit hoher Strömungsenergie turbulent ausgetreten sein muss,
so wie es für Geysire typisch ist. Die hydrothermale
159
4.4 Böttinger Marmor
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Aktivität war ganz offensichtlich
im Randbereich des Tuffschlotes
von Böttingen besonders intensiv,
während von den anderen, über
600 Tuffschloten des Uracher
Vulkangebiets
(“Schwäbischer
Vulkan“) nur sehr unbedeutende
Thermal­sintervorkommen bekannt
sind. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass viele, besonders
am Albtrauf gelegene Sinterbildungen, bereits der Erosion zum Opfer
gefallen sind. SE von Böttingen
zwischen dem Gewann Krumme
Äcker und dem Linsenberg wurden
beispielsweise noch zwei kleine
Sintervorkommen nachgewiesen,
die an eine spaltenartige Intrusion
gebunden sind (Abb. 4.4-3).
Ein häufig diskutiertes Phänomen
ist, dass der steil stehende Bändermarmor (Abb. 4.4-5, Abb. 4.49 und -10) nicht in den horizontal
gelagerten bis 45° einfallenden
Mantelmarmor oder Wilden Marmor übergeht, sondern dass zwischen beiden scharfe Diskordanzen bestehen. Am Nordwest-Ende
des Steinbruchs ist zu erkennen,
dass zwei fast senkrechte Spalten
den hier 35–45° nach Südwest
und West einfallenden Mantelmarmor durchschlagen und dass der
Mantelmarmor mit zunehmender
Entfernung von der Hauptspalte
mürber und toniger wird, weshalb auch der Abbau von Terrazzomaterial im Wilden Marmor auf
einen schmalen Bereich begrenzt
wurde (Abb. 4.4-11 und -12).
Folgende Beobachtungen im heutigen Aufschluss, Berichte früherer
Autoren und allgemeine Überlegungen zu Thermalsinterablagerungen sind zur Erklärung der Entstehung des Böttinger Marmors von
Bedeutung:
Abb. 4.4-5: Schematische Schnitte durch den Böttinger Tuffschlot zur Darstellung
des im Text erläuterten Entstehungsmodells für die Thermalsinter. Es wird deutlich, dass sich der wallartig abgelagerte „Wilde Marmor“ mit umgelagerten, abgeschwemmten Tuffen lateral verzahnt. Die jüngere Thermenspalte, in welcher der
„Bändermarmor“ entstand, durchschlägt den Wallmarmor.
- Der Wallsinter, der die Thermenspalte beidseitig
umgibt, verzahnt sich und wechsellagert mit verlehmten (d. h. tonigen) vulkanischen Tuffen.
- Der Wallsinter enthält eine große Zahl von Fossilien, die auf eine üppige Waldlandschaft hinweisen.
- Anhand der Fossilführung ist zu erkennen, dass
dieser Sinter schichtig an der Oberfläche abgelagert wurde.
- Thermalsinter und umgelagertes vulkanisches Material wurden gleichzeitig in einem Zeitraum abgelagert, in dem der explosive Maarvulkanismus
schon lange beendet war (üppige Waldlandschaft).
- Im Niveau des Steinbruchs zeigen die Diskordanzen zwischen Spalten- und Wallsinter, dass beide
Varietäten an dieser Stelle nicht gleichzeitig entstanden; der bereits bestehende Wallsinter wurde
160
von neu aufgerissenen Spalten durchschlagen, in
denen sich der Bändermarmor bildete.
- Das nach außen gerichtete Einfallen der Sinterschichten lässt vermuten, dass um die Austrittsspalte eine wallartige Erhöhung von Sintern entstanden war (Modell in Abb. 4.4-5).
- Wellenartige Strukturen im Wilden Marmor zeigen
an, dass dieser Travertin durch herabrieselndes
bzw. beidseitig über die Wälle ablaufendes Wasser
gebildet wurde.
Danach ist folgende Entstehung wahrscheinlich:
Nach der Bildung des Tuffschlotes reißen während
eines Erdbebens Spalten auf, die warmen Wässern
den Aufstieg ermöglichen. Beim Durchwandern der
mächtigen Karbonatgesteinsfolge des Oberjuras
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Abb. 4.4-6: Diatrembrekzie eines Tuffschlotes des sog.
Schwäbischen Vulkans im Uracher Vulkangebiet. In den
dunklen, basaltischen Tuffen schwimmen kantige, von der
Wucht der Explosion mitgerissene Blöcke aus OberjuraKalksteinen; die Wandung des Tuffschlotes ist (links im Bild)
am Rand eines alten Steinbruchs an der Neuffener Steige zu
erkennen. Ganz ähnlich muss man sich den Böttinger Tuffschlot unterhalb der heutigen Landoberfläche vorstellen.
nehmen die CO2-reichen Thermalwässer aus diesen
Calciumkarbonat auf. Die basaltischen Tuffe liefern
den Großteil des Eisens für den Hämatit des Sinters (B erckhemer 1921). Während des schrittweisen
Wachstums des Sinterwalls werden in Folge von
Niederschlägen und durch die herausgeschleuderten
Wässer des Geysirs umgebende Aschentuffe abgetragen und in Richtung Thermalspalte gespült; dort
werden sie zusammen mit frisch entstandenen Sintern abgelagert (die Wässer müssen an anderer Stelle einen Ablauf gefunden haben, da sonst ein See
entstanden wäre). Im Tuffschlot bereits vorhandene
Kalksteinbrocken geraten so auch in die Sinter. Bei
weiteren Beben reißen neue Spalten auf, die den bereits verfestigten Wallsinter durchschlagen. Die alte
Förderspalte wird dabei erweitert, so dass lokal einige Meter breite gebänderte Sinter ohne Fossilinhalt
entstehen. Daher ist kein harmonisches Umbiegen
der Sinterschichten an der Spalte zu erkennen.
Nach Abschluss der hydrothermalen Aktivität setzt
die Abtragung der jüngsten Sinterschichten ein. Besonders starke Erosionsphasen waren sicher die
Warmzeiten des Pleistozäns. Das heutige Aufschluss-
4.4 Böttinger Marmor
Abb. 4.4-7: Geysir Strokkur in Südisland; derartige Ausbrüche thermaler Wässer sind auch für die miozänzeitlichen,
vulkanischen Quellen von Böttingen zu postulieren.
Abb. 4.4-8: Thermalsinterablagerungen des neben dem
Strokkur gelegenen Großen Geysirs im Heißwassertal Haukadalur, Südisland.
niveau liegt also unterhalb der miozänzeitlichen Landoberfläche. Ein Modell dieses Entstehungsprozesses
zeigt Abb. 4.4-5.
4.4.3 Gesteinsbeschreibung,
technische Eigenschaften und
Verwendung
Abgebaut wurde bei Böttingen am Sternenberg einer­
seits der rot und weiß gebänderte Travertin der etwa
senkrecht stehenden Thermenspalte und der bis
161
4.4 Böttinger Marmor
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Abb. 4.4-9: Am Rand des sog. Neuen Steinbruchs von Böttingen stehen noch dicke Platten von Bändermarmor an.
Bildbreite etwa 0,8 m.
Abb. 4.4-11: Frischer Ausbruch im Wallsinter, der hier steil
nach Südwesten einfällt. Bildbreite 2,5 m.
etwa 4 m mächtige Bändermarmor (Abb. 4.4-9 und
-10). Schreiner (LGRB-Archiv), der 1951 den Abbau
noch erlebt hat, beschreibt diesen als harten, grobkristallinen, weiß-rosa farbenen Sinterkalk mit kräftig rosa farbenen und dunkelroten Bändern. Auffällig
ist die scharfe Trennung von weißen bzw. gelblichweißen Lagen und tiefroten, eisenreichen Lagen im
Bändermarmor. B erckhemer (1921) geht davon aus,
dass nach der erst gemeinsamen Ausfällung von Kalk
und kolloidalem Eisenhydroxid (Rotocker) „durch das
Zusammentreten der Karbonatteilchen zu Kristallen
Entmischung stattfand“. Der Bändermarmor besteht
aus feinen, engverzahnten Calcitkristallen in dichter
Packung, die im Bereich der Bänder noch feiner und
mit Eisenhydroxiden vermengt sind. Daneben tritt gelegentlich Aragonit auf.
Außerdem wurde der Wilde Marmor genutzt, ein
überwiegend mürber, kavernöser Sinterkalk gelbroter,
rotvioletter bis hellrosa Färbung, der beiderseits der
senkrechten Thermenspalte entstand (Abb. 4.4-12).
Der Wilde Marmor besteht aus einer Wechsellagerung von roten und weißen, 1–10 cm breiten Bändern
von kavernösem Travertin mit harten Kalksteinkernen, ockerbraunen Kalksanden und porös-tuffigen
Lagen. Letztgenannte ähneln stark den Quelltuffen
(Kap. 4.12). Der Wilde Marmor enthält, wie erwähnt,
zahlreiche Fossilien, Brekzien älterer Travertine, ganze Weißjurablöcke und Einschwemmungen von Tuffen, bietet also in der Tat ein recht uneinheitliches,
„wildes“ Bild. Die enthaltenen Travertinlagen weisen
zahlreiche kleine Hohlräume auf, sind aber wegen der
überwiegend guten Verzahnung der Calcitkristalle oft
fest. Beide Travertintypen zusammen waren auf einer
Breite von 6–10 m nutzbar (A. Schreiner 1951, LGRBArchiv).
Daneben existiert als Folge der Verwitterung und Verkarstung der Sinterkalke ein tief roter, eisenreicher
Grus. Teile der Spalte waren nicht mehr mit Kalksinter
ausgefüllt worden, und junge Klüfte entlang der Spalte führten zu weiteren Wegsamkeiten für Tageswässer, so dass der gebänderte Travertin nicht selten mit
rotem Karstlehm durchzogen ist (Abb. 4.4-4).
Daten über die technischen Eigenschaften des Thermalinterkalksteins liegen nicht vor. Zumindest der
Bändertravertin der zentralen Quellspalte dürfte in
seinen physikalischen Eigenschaften mit dem Cannstatter Travertin unmittelbar vergleichbar sein, worauf auch die Verwendungsbeispiele hinweisen. Bei
B erckhemer (1921) veröffentlichte chemische Analysen zeigen, dass der Bändermarmor aus fast reinem
Calciumkarbonat besteht, daneben treten je nach
Intensität der Rotfärbung 0,2 bis 1,9 % Eisenoxide
hinzu.
Abb. 4.4-10: In der zentralen Thermenspalte sind auf senkrechten Grenzflächen im Böttinger Marmor verschiedenartige Sinterstrukturen zu erkennen. Bildbreite etwa 1 m.
162
Verwendung: Angeboten wurde der Böttinger Marmor in
der dunkelroten und der hellen Varietät (Abb. 4.4‑13 A
und -13 B). Große, kompakte Blöcke von Bänder­
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4.4 Böttinger Marmor
tem und 1932 erweitertem klassizistischem Prachtbau
(Abb. 4.25-8). Die zweite Qualität diente zur Fertigung
von Randsteinen, Pflastersteinen, Abdeckplatten,
Türschwellen und Treppenstufen. Der Wilde Marmor
wurde als einfaches Baumaterial wie Mauersteine, vor
allem aber für die Herstellung von Terrazzosplitt genutzt. Für die Terrazzoproduktion, zu der das Gestein
zu 8–10 mm großen Körnern zerkleinert wurde, war
besonders der rote Travertin begehrt (Abb. 4.4-12).
4.4.4 Gewinnung und Verarbeitung
Abb. 4.4-12: Böttinger Wallmarmor mit charakteristischer
Färbung und typisch wechselnder Porosität: er wurde vor
allem für Terrazzokörnungen verwendet. Bildhöhe 7 cm.
Der Abbau erfolgte hintereinander in zwei getrennten
Steinbrüchen, dem Alten Bruch und dem weiter im
SE gelegenen Neuen Bruch. Zwischen beiden ist eine
Scheibe der Lagerstätte stehen geblieben, weshalb
hier die Füllung der Thermalspalte auf ihrer ganzen
Breite noch erhalten ist. Der erste Steinbruch wurde verfüllt und überbaut. Der noch zugängliche Neue
Bruch ist etwa 30 m tief, 20–30 m breit und erstreckt
sich über etwa 130 m in NW–SE-Richtung. Hier sind
im Randbereich der Spalte die gebänderten Varietäten
noch teilweise erhalten (Abb. 4.4-9).
marmor wurden für Wandplatten, Säulen, Balustraden
und Gesimse verwendet, kleinere für Schalen, Vasen
und verschiedene Schmuckgegenstände wie Dosen,
Schatullen und Teller (Abb. 4.4-14 bis -16). Schöne Beispiele für die Verwendung als Ornamentstein sind die
Säulen und Wandverkleidungen im Stuttgarter Neuen
Schloss und die beiden, ca. 80 cm hohen Prunkvasen
am Nordwestportal der Neuen Aula der Universität
Tübingen (Abb. 4.4-15 und -16), einem in den Jahren
1841–1846 aus Stuben- und Schilf­sandstein errichte-
Über die Geschichte der Gewinnung und der Verarbeitung dieses Travertins berichten R eyer (1927) und
Griesinger (in: Rosendahl et al. 2003). Die Blütezeit
des Abbaus ist mit dem Bau des Stuttgarter Neuen
Schlosses 1746–1807 verbunden, für das Herzog
K arl Eugen (1737–1793) vor allem einheimisches
Material verwenden wollte. Um 1750 soll der gebänderte, bearbeitungsfähige Travertin zufällig beim Bau
eines Wohnhauses in Böttingen, heute Bereich Steigstraße 11, entdeckt worden sein. Im Jahr 1756 erwarb
(A)
(B)
Abb. 4.4-13: (A) Musterplatte der Fa. Rupp & Moeller, Karlsruhe, von dunkelrotem Böttinger Marmor. (B) Musterplatte der
hellen Varietät. Sammlung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Berlin-Spandau.
163
4.4 Böttinger Marmor
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
Abb. 4.4-14: Kriegerdenkmal in Münsingen-Böttingen aus
Bandmarmor, errichtet Anfang der 1920er Jahre.
Abb. 4.4-15: Vase aus Böttinger Bändermarmor am Nordwestausgang der Neuen Aula der Universität Tübingen.
das herzogliche Kameralamt Münsingen die Grundstücke, ließ das Haus gegen Entschädigung abbrechen
und begann mit dem Abbau für die Ausstattung des
Stuttgarter Neuen Schlosses. Dort wurde er in den
Jahren 1760–1762 in Form von Säulen und Wandverkleidungen in Prunksälen und Treppenaufgängen verbaut (Abb. 4.4-16). Danach scheint der Abbau aber
wenig ergiebig gewesen zu sein, nur lokale Mauerer
und Pflasterhersteller nutzten den Steinbruch weiter.
Im Jahr 1872 wird der Steinbruch vom Kameralamt
schließlich verkauft.
4 t. Der Bauunternehmer und Böttinger Bürgermeister
Friedrich Mang übernahm 1926 den Bruch. Er führte
technische Modernisierungen durch und begann den
Wilden Marmor zusammen mit den bei den Sägearbeiten anfallenden Reststücken von Bändermarmor in
einer Brechanlage zu zerkleinern und zu Terrazzokörnung zu verarbeiten.
Die Fam. Starzmann betrieb in der Zweiten Hälfte
des 19. Jh. den Abbau zur Gewinnung von Travertin für Randsteine, Pflastersteine, Abdeckplatten,
Türschwellen und Treppenstufen. Dieser Alte Bruch
wurde nach vielen Jahren des Stillstands im Jahr
1911 eingeebnet und überbaut. 1920 wurde der Neue
Bruch eröffnet, wobei der Gemeinderatsbeschluss,
wonach ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des
Ersten Weltkrieges aus Böttinger Marmor errichtet
werden soll (Abb. 4.4-14), ausschlaggebend gewesen
sein mag (Griesinger in: Rosendahl et al. 2003). Im
Zeitraum 1920–1926 betrieb die Fa. Rupp & Möller
aus Karlsruhe den Steinbruch zur Gewinnung von
Bandmarmor, aus dem Wandplatten, Schalen, Vasen
und verschiedene Schmuckgegenstände hergestellt
wurden (Abb. 4.4-13). Im Jahr 1924 installierte diese
Firma einen Schwerlastkran, mit dem bis 10 t schwere
Blöcke aus dem immer tiefer werdenden Bruch gehoben werden konnten. Die meisten großen Blöcke
erreichten nach R eyer (1927) etwa 1,5 m3, also etwa
164
Bereits in den 1930er Jahren führten geowissenschaftliche Vereinigungen wie die Deutsche Geologische Gesellschaft und die Oberrheinische Geologische
Vereinigung Exkursionen nach Böttingen durch, vor
allem weil der Kalksinter zahlreiche sehr gut erhaltene
Tier- und Pflanzenfossilien aufweist, welche Einblicke
in die Lebenswelt des Tertiärs gewährten. Gemeinsam mit dem damaligen Landesamt für Landeskunde
und Heimatschutz wurde im Jahr 1934 ein Teil des
Steinbruchs in die Liste der staatlich geschützten Naturdenkmale aufgenommen1. 1939 soll sich der Abbau entlang der Spalte auf einer Länge von ca. 500 m
erstreckt haben. An der Sohle des Steinbruchs befand sich in dieser Zeit ein nach NW gerichteter, mit
Stahlbögen ausgebauter Stollen mit Grubenbahn; offensichtlich fand also auch jenseits der heute erkennbaren Steinbruchgrenzen (Abb. 4.4-3) Travertinabbau
statt. Mit dem Kriegsausbruch 1939 wurden die Arbeiten vorerst eingestellt.
1http://themenpark-umwelt.baden-wuerttemberg.de/
servlet/is/18832/
Naturwerksteine aus Baden -Württemberg
4.4 Böttinger Marmor
den beiden Steinbrüchen
und aus zahlreichen Baugruben in Böttingen von
den Bauern auf die Äcker
ausgebracht und weitflächig verteilt wurden.
Wie groß die Vorräte an
Böttinger Bändermarmor in
der lateralen Erstreckung
der alten Steinbrüche und
vor allem zur Tiefe hin sind,
ist gänzlich unbekannt und
müsste durch Schrägbohrungen erkundet werden.
In jedem Fall ist wegen des
Umfangs des 200-jährigen
Abbaus und der Bindung
der schmalen Thermalsinterspalte an einen kleinen
Tuffschlot nicht mit größeAbb. 4.4-16: Böttinger Marmor im Stuttgarter Neuen Schloss.
ren Vorräten zu rechnen,
zumal ein nicht unbeträchtlicher Teil des ursprünglich
Mit Genehmigung der französischen Militärregierung
gebildeten Vorkommens schon lange vor dem Abbau
nahm Friedrich Mang 1947 den Abbau wieder auf, jeerosiv abgetragen worden sein dürfte.
doch bestand in dieser Zeit nur Bedarf an kostengünsEin besonders dem Wilden Marmor von Böttingen
tigem Baumaterial, weshalb nur mehr Terrazzo­
splitt
ähnliches Gestein findet sich im Riedöschinger Traproduziert wurde (Griesinger in: Rosendahl et al.
vertin (Kap. 4.22), der allerdings seit 1995 auch nicht
2003). Das Marmor- und Terrazzowerk Friedrich Mang
mehr gewonnen wird. Dort stehen aber noch leichter
betrieb um 1951 den Steinbruch mit 8–10 Mann, die
erreichbare Vorräte an gebänderten Thermalsintern
mit Bohren und Sprengen den Travertin abbauten, dazur Verfügung.
nach zerkleinerten und aus dem Splitt Terrazzoplatten
herstellten. In großem Umfang wurde dieser „Travertinsplitt“ auch an andere Terrazzowerke in SüdKurzfassung: Der als „Böttinger Marmor“ bezeichdeutschland verkauft (A. Schreiner, LGRB-Archiv).
nete Thermalsinterkalkstein bzw. Travertin entDer Abbau reichte damals 15 m tief, wovon 6–10 m
stand in der jüngeren Erdgeschichte im Randbenutzbar waren. Schreiner beschreibt den in dieser
reich eines Tuffschlotes des Uracher Vulkangebiets
Zeit abgebauten Travertin als harten, grobkristallinen,
(„Schwäbischer Vulkan“). Die aufsteigenden warweiß-rosa farbenen Sinterkalk mit rosa farbenen und
men Wässer füllten eine steil stehende Thermaldunkelroten Bändern, z. T. war er porös-tuffig, z. T. zu
spalte mit Karbonatsintern aus. An der Oberfläche
tiefrotem Grus verwittert. Für die Terrazzoproduktion
bildeten sich um den geysirartigen Austritt terraswurde das Gestein zu 8–10 mm großen Körnern zersen- und kissenartige Sinterablagerungen, die wekleinert. Anfang der 1960er Jahre ließ das Interesse
gen ihrer unregelmäßigen Struktur und Kornbinan Terrazzo nach. Eine letzte Gewinnung von Bändung als „Wilder Marmor“ bezeichnet werden. Die
dermarmor fand Anfang der 1960er Jahre statt, um
als „Bändermarmor“ bekannte rot/weiß gestreifte,
Material für die Renovierung des Stuttgarter Neuen
polierfähige Varietät war im 18. bis 20. Jh. als reSchlosses zu erhalten. 1964 wurde der Abbau gänzpräsentativer Dekorationsstein begehrt. Der Wilde
lich eingestellt.
Marmor wurde vor allem für Terrazzo verwendet.
Die Gewinnung beider Varietäten wurde Anfang
der 1960er Jahre mangels Nachfrage nach den
4.4.5Potenzial
auffälligen Bandmarmoren und nach roten Terrazzokörnungen eingestellt. Aus dem Böttinger
Ein dem Böttinger Marmor vergleichbarer Travertin
Bändermarmor wurden Wandplatten, Säulen, Basteht in Deutschland nirgends in Abbau. Für künftilustraden, Gesimse, Schalen, Vasen und Schmuckge Restaurierungsmaßnahmen bliebe nur die teilweigegenstände wie Dosen, Schatullen und Teller herse Wiederinbetriebnahme des Neuen Steinbruchs in
gestellt. Berühmtestes Verwendungsbeispiel sind
Münsingen-Böttingen. Nach den Erkundungsarbeiten
die Säulen und Wandverkleidungen im Stuttgarter
von B erckhemer (1923) erstreckt sich das TravertinNeuen Schloss. Das oberflächennahe Vorkommen
vorkommen in Oberflächennähe in einer etwa 400 m
ist weitgehend ausgebeutet, kleinere Mengen für
langen, bogenförmigen Struktur, die im Randbereich
Renovierungszwecke können aus dem noch zudes Tuffschlots entstand. Nach den obigen Beschreigänglichen Steinbruch östlich von Böttingen aber
bungen soll der Abbau aber mindestes 500 m lang geentnommen werden. Die zur Tiefe zu erwartende
wesen sein. Eine genaue Abgrenzung des TravertinFortsetzung des Travertinvorkommens müsste mitvorkommens kann durch Oberflächenkartierung heute
tels Schrägbohrungen erkundet werden.
nicht mehr vorgenommen werden, da Sinterkalke aus
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