Seine Schriften prägen in Leitsystemen und auf Schildern den öffentlichen Raum, erleichtern in Fahrplänen und Landkarten das Entziffern klein gedruckter Informationen und bieten im Buch besten Lesekomfort: Adrian Frutiger. Das Licht der Buchstaben Nach Hans Eduard Meier und Hermann Zapf hat die Typografieszene eine weitere weltweit geschätzte Schriftgestalter-Persönlichkeit verloren: Am 10. September ist im Alter von 87 Jahren Adrian Frutiger gestorben. In seinem über fünfzig Jahre währenden Berufsleben hat er für die unterschiedlichsten Einsatzbereiche Schriften entworfen. Zum Ausgleich entstanden «Urgärten» aus einem Strich, sein Zyklus «Liebe, Leben, Tod» und andere freie Arbeiten. Seine Schriften prägen in Leitsystemen und auf Schildern den öffentlichen Raum, erleichtern in Fahrplänen und Landkarten das Entziffern klein gedruckter Informationen und bieten im Buch besten Lesekomfort – sie sind im besten Sinne unauffällig. «Die gute Schrift ist diejenige, die sich aus dem Bewusstsein des Lesers zurückzieht, um dem Geist des Schreibenden und dem Verstehen des Lesenden alleiniges Werkzeug zu sein.» So hat es Adrian Frutiger in «Denken und Schaffen einer Typographie» (1994) formuliert. Er war zutiefst durchdrungen von der Erkenntnis, dass die Buchstabenformen Sylvia Werfel sich nicht in den Vordergrund drängen sollten; dementsprechend hat er nur zu Beginn seiner Karriere einige wenige auffälligere Schmuck- bzw. Displayschriften entworfen. Sein Hauptbetätigungsfeld waren Alphabete für Mengensatz und Signalisation. Deberny & Peignot Als Adrian Frutiger nach der Schriftsetzerlehre auch seine weiterführende Ausbildung an der Zürcher Kunstgewerbeschule beendet hatte, trug er bereits eine recht genaue Idee von Schriftform und -proportion in sich. Focus 9 Geprägt durch seine beiden Lehrer Alfred Willimann und Walter Käch, wusste er, dass dem weissen Raum in und neben den Buchstaben die höchste Bedeutung zukommt. Zeichnend, schreibend und vergleichend hatte er die historische Entwicklung der Schrift verinnerlicht und in seiner Diplomarbeit am Ende in Holz geschnitten. Exemplare dieser Arbeit verschickte er als Bewerbungsunterlage an verschiedene europäische Schriftgiessereien. Deberny & Peignot in Paris stellten ihn daraufhin ein. Beginn einer einzigartigen Karriere. Président, Phoebus und Ondine – das waren Anfang der 1950er Jahre die ersten Bleisatzschriften, die Frutiger für die Giesserei entwarf, sogenannte Fantasieschriften alle drei. Schon 1953 kam von Rémy Peignot die Anregung zu einer neuen Buchschrift; daraus entstand die Méridien. Charles Peignot, der Vater, beschäftigte sich damals mit einer neuen Satztechnik: Die beiden Franzosen René Higonnet und Louis Moyroud hatten 1949 in den USA ihre Photon genannte elektromechanische Fotosetzmaschine herausgebracht. Für Frankreich übernahm Peignot die Verbreitung; sie kam hier, leicht verändert, unter der Bezeichnung Lumitype auf den Markt. Adrian Frutiger hatte die Aufgabe, die wichtigsten Bleisatzschriften aus dem Programm von Deberny & Peignot für das neue System umzuzeichnen. Neu erschienen seit 1957 für die Lumitype die Meridien und die Univers. Bleisatzversionen folgten. Viel Arbeit jedenfalls für einen Berufseinsteiger. Univers Die Univers und ihr System aus 21 fein aufeinander abgestimmten Schnitten sorgten für Furore. 1957 aktuell in den Typographischen Monatsblättern vorgestellt, erläuterten Ruder, Frutiger und Heuer dann in der TM-Sondernummer 1/1961 auf sechzig (!) Seiten ausführlich ihre Konzeption und Herstellung. Die Schweizer Typo-Szene reagierte bekanntermassen unterschiedlich auf die neue Schrift. Während Ruder in Basel zum Befürworter der Univers wurde, bevorzugten andere – z.B. Gerstner und Weingart sowie die Zürcher Schule – die ebenfalls 1957 erschienene Helvetica oder die altehrwürdige Akzidenz Grotesk. In Deutschland setzte sich die Univers spätestens 1971/72 durch, als Otl Aicher sie zur Corporate Type der Olympischen Sommerspiele in München machte. Frutiger selbst sah das Nebeneinander von Univers und Helvetica gelassen. «Ich nannte die Helvetica immer die Bluejeans-Schrift. Sie ist eine Schrift, mit der man alles Univers – erste Schriftfamilie mit System Frutiger – für Signalisation und fürs Buch Neue Frutiger 1450 – barrierefreies Lesen Avenir Next Pro – konstruiert und human Vectora Pro 55 – für Tabellen und Fahrpläne Herculanum – Type before Gutenberg S W E Z U I PJr o p l k ,h g f y < x v b n m .B0 Méridien und Frutiger Serif sind miteinander verwandt. Méridien und Frutiger Serif sind miteinander verwandt. Méridien und Frutiger Serif sind miteinander verwandt. Méridien und Frutiger Serif sind miteinander verwandt. (jeweils oben die Méridien, unten die umfassend ausgebaute Frutiger Serif) D 10Focus Lebensbaum Lebensbaum machen kann», meinte er. «Sie war für mich sogar ein Vorbild. Es ist rein gar nichts Gekünsteltes an ihr. An der Univers schon.» Dass die Univers nicht ganz so neutral und statisch wirkt wie ihre Schweizer Kollegin, liegt an den kaum wahrnehmbaren Strichstärkenunterschieden und an einigen formalen Details. Lesefreundlichkeit, Rhythmus und Charakter zeichnen sie aus – wesentliches Merkmal aller Schriften Frutigers. Weiterentwicklung Die Auseinandersetzung mit immer wieder neuer Technik begleitete den bis 1992 in Frankreich lebenden Schweizer Schriftgestalter sein ganzes Leben lang. Stets war er in vorderster Front aktiv mit dabei. So schuf er in den 1960ern mit der OCR-B eine maschinenlesbare, aber auch für Menschen noch angenehme Schrift, die 1973 Welt-Standard wurde, und suchte Anfang der 1980er Jahre mit Breughel und Icone der CRT-Technik ein Schnippchen zu schlagen. Blei- und Fotosatz, IBM Composer und Leuchttafel-Signalisation, riesige Dimensionen und Kleingedrucktes – Adrian Frutiger hat für die verschiedensten Systeme und für ganz unterschiedliche Materialien Schriften entwickelt, immer mit dem Ziel, unabhängig von den technischen Bedingungen gut lesbare Schriften zu entwerfen. Die tiefgehende Beschäftigung mit dem jeweils anliegenden Problem, sein Wissen, seine Intuition und nicht zuletzt seine Wesensart machten ihn zum weltweit geschätzten Berater in allen Schriftfragen, führten ihn sogar bis nach Indien, wo er die Erneuerung der Devana- gari entscheidend mit beeinflusste. «Zusammenarbeit ist ganz wichtig», sagt er denn auch. «Die Ingenieure brauchten mich als Schiedsrichter, der ihnen sagt, was brauchbar ist und was nicht. Gemeinsam mit ihnen habe ich versucht, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen – wie etwa bei der OCR-B.» Mit seinen Schöpfungen deckt Adrian Frutiger die Schriften-Klassifikation vollständig ab. Antiqua-Versionen von klassisch bis klassizistisch und serifenbetont sind darunter, auch Versalschriften mit handschriftlichem Charakter wie Herculanum, Pompeijana und Rusticana aus der Linotype-Serie «Type before Gutenberg». Den Schwerpunkt bilden aber die Serifenlosen. Seine erste machte ihn zum «Mr. Univers»; aus der Signalisationsschrift für den Pariser Flughafen Roissy wurde die beliebte Frutiger. Mit der Avenir schuf er seine Version einer (scheinbar) konstruierten Sans Serif – eine seiner Lieblingsschriften, wie er einmal verriet. Die Vectora orientiert sich am Stil der American Gothic; sie eignet sich wegen ihrer grossen Mittelhöhe und der offenen, klaren Ziffern besonders gut für Kleingedrucktes und Tabellen. Seine Schriften in Anwendung zu sehen, hat ihn immer besonders gefreut, auch wenn es beispielsweise «nur» um ein Telefonbuch ging. Zitat: «Es geht mir nicht um spektakuläre, öffentlichkeitswirksame Aktionen. Es geht mir vielmehr um die Verwendbarkeit von Schrift im Alltag. Schrift ist eben kein rein ästhetisches Problem.» Ausgleich Wer sich so ins Detail vertieft, braucht einen Ausgleich: «Meine freien Arbeiten waren ein notwendiger Gegenpol, damit ich nicht in der Routine des Schriftzeichnens verloren ging. Mich verlangte schon früh danach, auch andere Zeichnungen zu machen – nicht Schrift, sondern diese Menschenbäume zum Beispiel oder meine Urgärten.» Frutiger schuf so einen ganz persönlichen, eigenen grafischen Kosmos. Bis zuletzt überarbeitete Adrian Frutiger zusammen mit Akira Kobayashi, dem Linotype Type Director (jetzt Monotype), einige seiner Klassiker, darunter auch die Avenir. Die 2008 erschienene Frutiger Serif basiert auf der Méridien, die 2013 von Kobayashi fertiggestellte Neue Frutiger 1450 ist die erste Schrift, die auf Grundlage der neuen Verordnung über barrierefreies Lesen entstand. In vielen Büchern hat Adrian Frutiger seine Anschauungen publiziert. Als ein Meilenstein der Schriftpräsentation gilt die von Heidrun Osterer, Philipp Stamm und der Schweizerischen Stiftung für Schrift und Typographie herausgegebene Monographie «Adrian Frutiger Schriften. Das Gesamtwerk». Basierend auf Gesprächen mit Adrian Frutiger und weiterer Recherche seitens der Herausgeber, ist hier die Entstehung all seiner Schriften nachgezeichnet, ergänzt durch Vergleiche und technische Erläuterungen. Erschienen 2008, liegt inzwischen die zweite Auflage als Studienausgabe vor. Hier und in seinen eigenen Büchern kann man Adrian Frutiger nachspüren; wirklich lebendig bleibt er in seinen Schriften.
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