Konsolidierung im Kalten Krieg

Karin Moser/Hannes Leidinger
1955–1968
Konsolidierung im Kalten Krieg
Österreich im 20. Jahrhundert – Inhalt und Aufbau der DVD-Box
Unser Geschichtsverständnis wird maßgeblich von Bildern geprägt. Über sie
und den Kontext, in dem sie entstanden sind, gilt es, Bilanz zu ziehen. Zudem
ist unser Bildgedächtnis immer wieder kritisch zu hinterfragen. Überblick
und Neuinterpretation sind daher Voraussetzungen für eine visuelle Zeitgeschichte, die das Filmarchiv Austria mit der DVD-Edition »Österreich im
20. Jahrhundert« bieten will. Die Veröffentlichung vereint dabei alle wesentlichen Filmdokumente zur Entwicklung des Landes – vom Ende der Kaiserzeit
bis zur Gegenwart. Sechs DVDs beleuchten aus innen- und außenpolitischer,
aus wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Sicht unterschiedliche Zeitspannen, die sich nach Ansicht der Gestalter durch einschneidende Ereignisse und
spezifische Problemlagen voneinander unterscheiden.
Am Anfang steht der Ausklang einer Epoche, die späte Donaumonarchie:
Das Fin de Siècle mit all seinen gesellschaftlichen und politischen Umbrüchen,
seinen wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen, seinen nationalen Bewegungen und Zerwürfnissen, die im Ersten Weltkrieg enden, soll durch konservierte und restaurierte Filme, beginnend mit dem Jahr 1896, in Erinnerung
gerufen werden.
Nach dem »Tod des Doppeladlers« im Jahr 1918 werden die Erste Republik und das autoritär-faschistische Regime in der Zwischenkriegszeit
beleuchtet. Eine Konfliktgesellschaft präsentiert sich in Bildern und Gegenbildern. Sie verweisen auf innen- und außenpolitische Kämpfe, auf fehlendes
Demokratiebewusstsein, den ökonomischen Zusammenbruch und soziale
Spannungen, auf den Versuch, an alten Machtpositionen und Denkstrukturen festzuhalten, und den Traum vom vereinten »Großdeutschland«.
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Das schwer Vermittelbare steht nicht zuletzt im Mittelpunkt des dritten Zeitabschnitts. Die Jahre, in denen Österreich dem »Dritten Reich« angehörte,
sind daher nicht allein im Zusammenhang mit dem »Anschluss«, dem Verlauf und den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges zu zeigen. Rassismus
und Antisemitismus, Themen, die in allen Epochen traurige Bedeutung erlangen, werden mit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft zum
kaum visualisierbaren Massenverbrechen: Nur wenige Filmdokumente zeigen Ausgrenzung, Verfolgung und »Ausmerzung« der Andersdenkenden und
»Andersartigen«.
Unter weitgehender Ausblendung der NS-Gräuel pflegt dann im vierten
Teil die junge Zweite Republik unter anderem mithilfe der staatlichen austria
wochenschau das Selbstbild patriotischer Einigkeit. Der Kleinstaat wird nun,
anders als nach 1918, bejaht. Das »Wir-Gefühl« verstärkt sich durch die vier­fache alliierte Besatzung. Die nationale Identität knüpft dabei zum Teil an
den Bildkanon der Dreißigerjahre an.
Eine Kultur-, Tourismus- und Sport-»Großmacht« verdeckt ihre inneren
Widersprüche. Proporz, Sozialpartnerschaft und wirtschaftlicher Aufschwung
erweisen sich in dieser Hinsicht als nützlich. Im fünften Zeitabschnitt geht es
darum ebenso wie um die Entwicklung der neutralen Alpenrepublik vor dem
Hintergrund des Kalten Krieges.
Diese Konsolidierungsphase leitet über zu den Alleinregierungen ab der
Mitte der Sechzigerjahre, zur darauf folgenden Reformphase und verspäteten
Rezeption der Studentenbewegung von 1968.
Die sechste DVD, die das letzte Kapitel der jüngeren österreichischen Vergangenheit behandelt, erschließt dazu auch Filmquellen etwa zur Neupositionierung Österreichs mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Beitritt
zur Europäischen Union.
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die zur Veranschaulichung der Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert verwendeten Filmdokumente ihrer
Provenienz entsprechend quellenkritisch aufbereitet und kontextualisiert
sind. Sie fügen sich in ein gestalterisches Konzept ein, das große politische
Entwicklungslinien in Form von Längsschnitten aufzeigt. Dadurch werden
Kontinuitäten sichtbar, zum Beispiel in der Frage des Antisemitismus, im
weitgehenden Fehlen eines liberalen Gedankenguts und im Hang zu sozial­
kooperativen Systemen. Ebenso treten Brüche und Transformationsprozesse
zutage, etwa beim Übergang vom Großraumdenken zur Kleinstaatsmenta­
lität, von der Mangel- zur Überflussgesellschaft oder von der Industriegläubigkeit der Nachkriegszeit zur ökologischen Bewegung der Siebziger- und
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maifeier der volkspartei im konzerthaus,
maiaufmarsch der sozialisten,
A 1964
A 1964
Achtzigerjahre. Andererseits werden aber auch Zäsuren im Sinne der Ereig­
nisgeschichte berücksichtigt und überdies gesellschaftliche Rahmenbedingungen abgedeckt. Wirtschaft, Tourismus, Kunst, Kultur, Wissenschaft, Bildung, Sport und Technik spielen ebenso eine Rolle wie sozialgeschichtliche
Aspekte, die Problematik der nationalen Selbstdarstellung oder die jeweilige
Sicht auf das Rollenverständnis der Geschlechter.
Jede DVD ist in einzelne große Themenblöcke gegliedert, denen als Orientierungshilfe entsprechende historische Grundinformationen vorangestellt
sind. Der Kurzinhalt der Filmbeiträge ist im Booklet nachzulesen. Es gibt
auch entsprechende filmografische Angaben, die auf die Herkunft sowie das
Entstehungsjahr des Filmdokuments verweisen. Manche Beiträge auf den
DVDs bestehen aus zwei oder mehreren unterschiedlichen Filmdokumenten.
Sie sind durch Zwischentitel sichtbar voneinander getrennt. Darüber hinaus
finden sich auf den einzelnen DVDs Sammlungen mit Kurzbiografien zu den
wichtigsten historischen Persönlichkeiten, die in den ausgewählten Filmaufnahmen zu sehen sind.
1955–1968 – Konsolidierung im Kalten Krieg
Nach dem Abzug der alliierten Besatzungstruppen blieb die unabhängige
Alpenrepublik stabil. Proporz und Sozialpartnerschaft garantierten den inneren Frieden, standen bisweilen aber dem parlamentarischen Leben und
einer gesellschaftlichen Liberalisierung im Weg. Den ökonomischen Aufschwung ermöglichte indes sowohl die Entwicklung im Land als auch eine
gesamteuro­päische Hochkonjunktur. Viele Regierungen, darunter auch die
Große Koalition in Wien, verknüpften in dieser Zeit liberale Marktmecha-
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europas frauen tagen,
A 1965
der österreichische presserat ist gegründet,
A 1961
nismen mit staatlichen Interventionen, um die hohen Wachstumsraten zu
halten. Außenpolitisch wollte sich Österreich währenddessen als internatio­
naler Vermittler zwischen den Großmächten profilieren. Das Bestreben, sich
als neutraler Kleinstaat an den Westen anzulehnen, rief vor dem Hintergrund
des Kalten Krieges allerdings des Öfteren den Widerspruch der Sowjetunion
hervor. Währenddessen suchte man in den USA und in Europa nach alternativen Gesellschaftsmodellen: Massen gingen für die Bürgerrechtsbewegung
und gegen eine Fortsetzung des Vietnamkrieges auf die Straße.
1. Entscheidungsträger
Die Kooperation zwischen den beiden Großparteien (ÖVP und SPÖ) prägte
Österreich sowohl in der Besatzungszeit als auch in den »langen« Fünfzigerjahren. Die »Große Koalition« stand für die Überwindung der Gegensätze
aus der Zwischenkriegszeit. Hinter den Kulissen blieben soziale Dünkel und
weltanschauliche Vorbehalte zwischen den Parteien allerdings bestehen. Österreich wurde weiterhin von einer Lagermentalität geprägt.
Der Verband der Unabhängigen (VdU), in dessen Reihen sich zahlreiche
ehemalige Nationalsozialisten befanden, bildete gegenüber den Regierungs­
parteien nur eine schwache Opposition. Die Reputation des »dritten Lagers«
nahm noch weiter ab, als es zu einem Machtkampf innerhalb der Partei zwi­
schen einem liberaleren und einem deutschnationalen Flügel kam. Letzterer
setzte sich schließlich durch. Als Freiheitliche Partei Österreichs trat die neue
Formation an, die den VdU »beerbte«, bei den Nationalratswahlen 1956
allerdings ein wesentlich schlechteres Ergebnis erreichte als die »Unabhängigen« zuvor. (➔ Film 1, 2)
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Die Staatsführung unter der ÖVP und SPÖ verkörperte ein Gesellschaftsmodell, das in der Praxis dem Postenschacher Tür und Tor öffnete. In der
Personalpolitik dominierte die Protektion. Nicht zuletzt die Eliten rekrutier­
ten sich aus dem Kreis parteinaher und -eigener Kaderschmieden. Burschenschaften, Studenten- und Akademikerverbände bildeten unter der Schirmherrschaft der großen Lager »Karrierebrüderschaften« und Netzwerke der
Macht. In gewisser Weise an den »Ständestaat« anknüpfend, nun aber unter
Einschluss der »Roten«, etablierte sich der Korporatismus auf der organi­
sa­torischen Basis hoher Zentralisation. Einheitlicher Gewerkschaftsbund –
repräsentiert durch die mächtigen Vorsitzenden Johann Böhm und Anton
Benya –, Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Präsidentenkonfe­renz
der Landwirtschaftskammer und Arbeiterkammertag erweiterten ihren
Hand­­lungsspielraum und bezeugten damit den Vormarsch der »Sozialpartner«. Die 1957 gegründete »Paritätische Kommission für Lohn- und
Preis­fragen« hatte bis in die Achtzigerjahre ohne gesetzliche Legitimation eine Schlüsselposition in der Zweiten Republik inne. Ökonomie und
Gesellschaft profitierten davon vielfach, obwohl das politische System der
Zweiten Republik lange Zeit kaum Spielraum für individuelle Freiheiten ließ.
(➔ Film 3, 4, 5)
Mit der ersten ÖVP-Alleinregierung 1966 wurde der großkoalitionäre
Konsens erstmals brüchig. Für einen Augenblick hielt das Land den Atem
an. Skeptiker zweifelten am Erfolg des »Experimentes« und erinnerten an die
Konflikte der Ersten Republik. Tatsächlich aber fühlten sich Bundeskanzler
Klaus und seine Minister dem Konsensklima der Nachkriegszeit verpflichtet.
(➔ Film 6)
Mit Grete Rehor wurde im Kabinett Klaus II erstmals eine Frau für einen
Ministerposten (soziale Verwaltung) bestellt. Trotzdem waren Frauen von
der Entscheidungsebene nahezu gänzlich ausgespart. Nach wie vor galten
Haushalt und Familie als »ihre Domäne«. Auch die politisch engagierte
Europäische Frauenunion konzentrierte sich immer noch auf traditionell
»weibliche Bereiche« – Familienpolitik, Arbeitsmarkt für den Nachwuchs,
Sozialfürsorge und Kulturaustausch. Obwohl es eine wachsenden Zahl an
weiblichen Mitarbeitern in der Dienstleistungsgesellschaft gab, wurde die
Vorherrschaft der Männer nicht infrage gestellt. (➔ Film 7)
Weit mehr Einfluss hatte die ebenfalls männlich dominierte Presse. Diese
wehrte sich erfolgreich gegen die übliche parteipolitische Postenbesetzung
beim Radio, insbesondere aber beim Fernsehen. Ein 1964 von Journalisten
und Zeitungsherausgebern initiiertes Volksbegehren gegen den Proporz un-
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terschrieben rund 800.000 Österreicher. Ein spannungsgeladenes Verhältnis
zwischen Politik und »vierter Gewalt« entwickelte sich. Die Regierung versuchte Einfluss zu nehmen und fürchtete das Informationsmonopol des ORF.
(➔ Film 8, 9)
Die Filmdokumente
(1) WAHLEN AM FRÜHLINGSSONNTAG
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 20/1959)
A 1959, Ton, s/w, Länge: 1’27’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Nationalratswahlen 1959: Ein Kopf-an-Kopf-Rennen von ÖVP und SPÖ
zei­chnet sich ab. Es herrscht absolutes Gleichgewicht. Eine neue Auflage der
»Großen Koalition« ist zu erwarten.
(2) BUNDESPARTEITAG DER FPÖ
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 25/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 53’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Freiheitliche Partei Österreichs trat als neue Formation an, die den VdU
(Verband der Unabhängigen) »beerbte«. Friedrich Peter wird 1964 neuerlich
zum Bundesparteiobmann der FPÖ gewählt.
(3) MAIFEIER DER VOLKSPARTEI IM KONZERTHAUS
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 19/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 1’12’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Das Lagerdenken macht sich auch in der staatlichen AUSTRIA WOCHENSCHAU bemerkbar. ÖVP und SPÖ werden gleichermaßen mit Beiträgen bedacht. Im Zuge der ÖVP-Maifeiern zeichnet Kanzler Klaus österreichische
Arbeitnehmer aus.
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(4) MAIAUFMARSCH DER SOZIALISTEN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 19/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 1’47’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Maifeiern der SPÖ standen im Jahr 1964 ganz im Zeichen von »75 Jahre
SPÖ«. Die Sozialisten präsentierten sich als moderne Zukunftskraft.
(5) 100. SITZUNG DER PARITÄTISCHEN KOMMISSION
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 51/1966)
A 1966, Ton, s/w, Länge: 45’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die 1957 gegründete »Paritätische Kommission für Lohn- und Preisfragen«
hatte bis in die Achtzigerjahre ohne gesetzliche Legitimation eine Schlüsselposition in der Republik inne. Kanzler Klaus würdigt die Tätigkeit der Organisation.
(6) DAS WAREN DIE WAHLEN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 11/1966)
A 1966, Ton, s/w, Länge: 2’17’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
1966 erlangt die ÖVP die absolute Mehrheit im Nationalrat. In der Folge
wird eine ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus angelobt.
(7) EUROPAS FRAUEN TAGEN
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 40/1965)
A 1965, Ton, s/w, Länge: 41’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Europäische Frauenunion tagt, die Themen zentrieren sich noch immer
auf traditionell »weibliche Bereiche« – Familienpolitik, Arbeitsmarkt für den
Nachwuchs, Sozialfürsorge und Kulturaustausch.
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(8) DER ÖSTERREICHISCHE PRESSERAT IST GEGRÜNDET
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 7/1961)
A 1961, Ton, s/w, Länge: 40’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
1961 wird der österreichische Presserat gegründet. Er soll auf den Schutz der
Rechte der freien Presse achten. Ein 1964 von Journalisten und Zeitungsherausgebern initiiertes Volksbegehren gegen den Proporz bei Radio und Fernsehen unterschrieben 832.352 Österreicher.
(9) 40 JAHRE ÖSTERREICHISCHER RUNDFUNK
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 52/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 43’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Der Österreichische Rundfunk gewann als Meinungsmacher zunehmend an
Bedeutung. 1964 wurde sein 40-jähriges Bestehen mit einem Jubiläumsquiz
gefeiert.
2. Aufschwung
Bundeskanzler Julius Raab und Finanzminister Reinhard Kamitz forcierten
mit Steuersenkungen, dem Ausbau der Infrastruktur und der Liberalisierung
des Außenhandels eine Öffnung hin zur Marktwirtschaft, ohne staatlichen
Eingriffen grundsätzlich eine Absage zu erteilen. Dieser von vielen Ländern
vertretene Wirtschaftskurs sollte liberale Prinzipien mit Lenkungsmechanismen der öffentlichen Hand verbinden. Letztere dienten später, in der Ära
Kreisky, verstärkt der Hebung des Sozialniveaus und der Absicherung der
Vollbeschäftigung
Die Großmächte trugen ebenso ihren Teil zur Stabilisierung der unabhängigen Alpenrepublik bei. Die Sowjetunion verzichtete auf Rohöllieferungen,
zu denen Österreich aufgrund des Staatsvertrags verpflichtet gewesen wäre.
Zeitgleich halfen Weltbank und Vereinigte Staaten von Amerika mit Anleihen
und landwirtschaftlichen Gütern aus. Als die Quellen der Marshallplanhilfe
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staatsbesuch in moskau,
A 1958
die vöest baut riesen ld-tiegel für italien,
A 1963
allmählich versiegten, wirkten sich eigene Produktionskapazitäten und eine
europäische Hochkonjunktur positiv auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung aus. (➔ Film 1)
Das rasante Wirtschaftswachstum der Fünfziger- und Sechzigerjahre beschränkte sich nicht allein auf die »kapitalistischen« Länder des Westens,
sondern schloss auch die Planwirtschaften im Einflussbereich der UdSSR mit
ein. Der durchschnittliche jährliche Anstieg des europäischen Bruttosozialproduktes pro Kopf betrug zwischen 1950 und 1973 4,6 Prozent. Die Wachstumsrate lag in der Bundesrepublik Deutschland während der Fünfzigerjahre
bei 8, in Österreich bei 5,7 Prozent und sank während der darauffolgenden
Dekade auf 5 beziehungsweise 4,8 Prozent.
Als Motor des Aufschwungs fungierte die Industrie. Verstaatliche Unter­
nehmen wie die VOEST in Linz und die Alpine Montan in Donawitz setzten
sich mit der Erfindung des LD-Blasstahlverfahrens international an die Spitze
des technischen Fortschritts. Der österreichische Export wuchs und erhöhte
sich insgesamt zwischen 1953 und 1962 von 13 auf 33 Milliarden Schilling.
Die Expansion der Wirtschaft zeigte sich insbesondere bei der »Verstaatlichten«. Die Ausfuhren der heimischen Eisen- und Stahlproduzenten versechsfachten sich während der Fünfzigerjahre. (➔ Film 2, 3)
Die staatseigenen Betriebe galten als »unsinkbare Schlachtschiffe«, als
Schutz vor Arbeitslosigkeit, aber auch als Spielwiese eines neofeudalen
Parteiproporzes. 1960 herrschte in Österreich beinahe Vollbeschäftigung.
1961 erreichte man mit einer Arbeitslosenrate von 0,6 Prozent einen Rekordtiefstand. Vor allem der Bau von Wasserkraftwerken, Straßen und Wohnungen war dafür verantwortlich. Die Beschäftigten konnten sich indes über
einen Anstieg der Reallöhne freuen. Das Pro-Kopf-Einkommen wuchs von
1958 bis 1963 um 21 Prozent. (➔ Film 4, 5)
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Bauboom und Mobilisierung begünstigten zudem den Fremdenverkehr.
Die Übernachtungen vervierfachten sich zwischen 1951 und 1966. Mitte
der Sechzigerjahre verzeichnete man rund 64 Millionen Übernachtungen
in Österreich, das – zunächst als Billigland – zu den beliebtesten Destinationen zählte. Freizeit und Urlaub hatten nun auch für die Österreicher an
Bedeutung gewonnen. Seit 1959 galt in der Alpenrepublik die 45-StundenWoche. 1964 führte man den Drei-Wochen-Urlaub ein. Arbeiterkammer und
Gewerkschaftsbund sorgten sich in dieser Phase um die sinnvolle Freizeitgestaltung. Volksbildung, Kulturveranstaltungen, Sport und Hobbys wurden
angepriesen. Speziell den gesundheitlichen Konsequenzen des steigenden
Konsums wandte man sich zu. Immerhin stieg der Alkoholverbrauch enorm.
1937 etwa trank der Österreicher durchschnittlich 37 Liter Bier. 1960 wa­
ren es hingegen 72 Liter. Die verbesserte Versorgungslage manifestierte sich
zudem in einer zunehmenden Zahl übergewichtiger Österreicher. Mit den
Klagen über Gewichtsprobleme avancierten »Diät« und »Fitness« zu Schlüsselbegriffen der Wohlstandsgesellschaft. (➔ Film 6, 7)
Die Filmdokumente
(1) STAATSBESUCH IN MOSKAU
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 30/1958)
A 1958, Ton, s/w, Länge: 2’15’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Eine Regierungsdelegation unter Bundeskanzler Raab trifft 1958 mit der
Kremlführung zusammen. Moskau zeigt Entgegenkommen und verzichtete
auf Rohöllieferungen aus Österreich.
(2) DIE VÖEST BAUT RIESEN LD-TIEGEL FÜR ITALIEN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 15/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 1’23’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die VOEST setzt sich mit der Erfindung des LD-Blasstahlverfahrens international an die Spitze des technischen Fortschritts. Gebaut und exportiert wird
unter anderem für und nach Italien.
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(3) DAS NEUE KALTWALZWERK DER VÖEST
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 22/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 57’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die staatseigenen Betriebe galten als »unsinkbare Schlachtschiffe«. Bundes­
präsident Schärf nimmt ein neues Kaltwalzwerk der VOEST in Betrieb.
(4) 20 JAHRE VERSTAATLICHTE INDUSTRIE
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 20/1966)
A 1966, Ton, s/w, Länge: 58’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
1960 herrschte in Österreich beinahe Vollbeschäftigung. Dafür war unter
anderem die Auftragslage der verstaatlichten Betriebe verantwortlich. Eine
Ausstellung – eröffnet von Bundespräsident Jonas – widmet sich dem fulminanten Wiederaufbau der Verstaatlichten.
(5) ZUM TAG DER FAHNE
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 43/1957)
A 1957, Ton, s/w, Länge: 1’11’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Voller Stolz werden die Leistungen Österreichs im Zuge des Wiederaufbaus
demonstriert. Man verkündet die Hochkonjunktur und das Ende jeder Arbeitslosigkeit.
(6) FREIZEITAUSSTELLUNG »GESTERN–HEUTE–MORGEN«
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 40/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 1’2’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Der Gewerkschaftsbund sorgte sich um die sinnvolle Freizeitgestaltung und
bewarb in einer Ausstellung Volksbildung, Sport, Kulturveranstaltungen,
Bücher und verschiedene Hobbys.
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blumen, frauen, schöne augen,
A 1958
hundert jahre seit erzherzog johann,
A 1959
(7) REISELAND ÖSTERREICH
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 37/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 2’24’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Bauboom und Mobilisierung begünstigten den Fremdenverkehr. Vor allem
der Ausbau neuer Straßen sollte die Reise nach und durch Österreich attraktiver machen.
3. Tradition und Neubeginn
Vor allem in den Fünfziger- und Sechzigerjahren klammerte sich die Zweite
Republik an das »große Erbe«. Wie schon in der Zwischenkriegszeit und
hauptsächlich im »Ständestaat« dominierte die Verklärung einer weiter
zurückliegenden Vergangenheit. Sie überblendete die jüngeren Ereignisse,
den Bürgerkrieg 1934 und die NS-Herrschaft. Ein konservatives Kulturklima
knüpfte an Traditionen der katholischen Barockgroßmacht Österreich an.
Der Habsburgermythos lebte in seiner entpolitisierten Version fort. Dabei
bot sich speziell die Persönlichkeit des Erzherzogs Johann an: Dieser war
nicht selbst Regent gewesen, schien daher von der »höheren Verantwortung«
befreit und der Machtsphäre des Wiener Hofes entrückt. Zudem erinnerte
er als steirischer »Landesvater« an die föderale Struktur und die regionalen
Unterschiede in der Alpenrepublik, konnte gleichzeitig aber auch durch seine
Liebe zur »einfachen« Postmeistertochter als »volksnaher« Kinoheld des sentimentalen Heimatfilms figurieren. (➔ Film 1, 2)
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selbstgeschneiderte kleider,
A 1964
der ball der oberösterreicher und der opernball,
a 1966
Auch andere Helden trugen maßgeblich zur Identitätskonstruktion bei – die
Größen des österreichischen Sports. Mit der Ausrichtung der Olympischen
Winterspiele 1964 in Innsbruck konnte sich die Alpenrepublik auch vor der
Weltöffentlichkeit als Wintersport-Großmacht präsentieren. Die heimischen
»Asse« zeigten sich dabei in Bestform. Mit vier Gold-, fünf Silber- und drei
Bronzemedaillen belegte das Gastgeberland den zweiten Platz in der (inoffiziellen) Nationenwertung. (➔ Film 3)
Während die High Society mittlerweile auch bei Großsportveranstaltungen
wie den Olympischen Spiele zugegen zu sein pflegte, blieb sie auch den traditionellen Festivitäten treu. Tanzveranstaltungen wie der Wiener Opernball
(alljährlicher »Höhepunkt der Saison«), der Ball der Oberösterreicher oder
die Bregenzer und Salzburger Festspiele gehörten, wie schon in der Besatzungszeit, zu den Fixpunkten des Kulturkalenders. Sie wurden Teil der österreichischen Identität und Selbstdarstellung. Vor allem die Veranstaltungen in
der »Mozartstadt« symbolisierten einen elitären, ständisch-gegenreformatorischen Gesellschaftsentwurf im Schatten des Doms und der erz­bischöflichen
»Burg«. Wien pflegte indes weiterhin seinen Ruf als »die Stadt des Walzer­
klangs«. Die Staatsoper wurde zudem von österreichischen Stars mit Welt­ruf
künstlerisch geleitet: Die Nachfolge von Karl Böhm trat Herbert von Karajan
an. Der aus der »Mozartstadt« Salzburg stammende Karajan hatte bereits
große internationale Erfolge gefeiert, als er in der Bundeshauptstadt tätig
wurde und das »klassische Erbe« auch medial besser zu inszenieren begann.
(➔ Film 4, 5, 6)
Konservativ und rückständig gestaltet sich indes das weibliche Rollenbild
in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Nach wie vor hatten sich die Frauen
der gesellschaftlichen Konvention zufolge den Kindern, der Küche und der
Kirche zu widmen. Bestenfalls als »hübscher Aufputz« fand man sie in der
15
massenhysterie beim empfang der beatles,
A 1964
Öffentlichkeit wieder. Noch immer wählten sie vor allem traditionell weib­
liche Berufe. In der Arbeitswelt waren sie zudem benachteiligt. Während der
Fünfziger- und Sechzigerjahre sanken ihre Gehälter im Vergleich zu den Männereinkommen sogar. Reformen, die auch speziell den Frauen mehr und vor
allem gleiche Rechte einräumten, sollten erst im Verlauf der Siebzigerjahre
folgen. (➔ Film 7, 8, 9)
Trotz der allgemein konservativen Grundstimmung in der frühen Zweiten
Republik fehlte es schon in den Fünfzigerjahren keineswegs an Unbehagen
gegenüber geistiger Enge, Traditionalismus, Nostalgie und gleichzeitiger
Tabuisierung einer problematischen Geschichte. In verschiedenen Kunstsparten entstanden Zirkel, die sich gegen Verdrängung und erstarrte Formen zur Wehr setzten. Einzelne Schriftsteller thematisierten die Schrecken
der Vergangenheit, befassten sich mit dem Heimatbegriff und dem Gefühl
der Fremdheit, zweifelten an bisherigen Ausdrucksmitteln und experimen­
tierten mit der Sprache. Die Provokation diente in den Sechzigerjahren manchem Literaten ebenso wie dem Wiener Aktionismus dazu, Konventionen
zu hinterfragen und Erwartungshorizonte zu erschüttern. Den Art-Club hatten vorher, zwischen 1947 und 1959, vor allem fortschrittliche Vertreter der
bildenden Kunst beherrscht. Noch aber wirkten beim Publikum ästhetische
Maßstäbe der NS-Zeit nach. Die »Moderne«, vor 1945 meist als »entartet«
verfolgt, wurde nicht selten herabgewürdigt. Individualismus, Abstraktion
sowie die Rezeption des Expressionismus trafen oft auf Unverständnis und
Intoleranz. Einzig den an die Surrealisten anknüpfenden »Phantastischen Realisten« begegnete man mit größerem Interesse. (➔ Film 10, 11)
Eine »kulturelle Gegenbewegung« machte sich auch bei der Jugend bemerkbar, die sich zunehmend an der vielfach gescholtenen Konsumgesellschaft
amerikanischer Prägung orientierte. Hollywoodfilme, Jeans und Coca-Cola,
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Jazz und Rock ’n’ Roll trugen die Codes der Modernität. Die Ablehnung der
US-Massenkultur durch die Elterngeneration führte zu Konflikten mit der
Jugend, obwohl die »Väter« die westliche Demokratie im Kampf gegen den
»östlichen« Kommunismus und die Wirtschaftshilfe der Vereinigten Staaten
nach dem Zweiten Weltkrieg würdigten. Somit brachten die »langen«, konservativen Fünfzigerjahre einen widersprüchlichen Antiamerikanismus hervor. Trotz Zweifel und Kritik blickten breite Bevölkerungsschichten ebenso
wie elitäre Kunst- und Wissenschaftszirkel nur zu gerne über den »großen
Teich«. (➔ Film 12, 13)
Die Filmdokumente
(1) FESTLICHES ÖSTERREICH
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 23/1959)
A 1959, Ton, s/w, Länge: 1’24’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Fronleichnamsprozessionen am Wiener Kalvarienberg und auf dem Hallstätter See lassen die katholisch-barocke Festkultur Österreichs wieder aufleben.
(2) HUNDERT JAHRE SEIT ERZHERZOG JOHANN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 20/1959)
A 1959, Ton, s/w, Länge: 48’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Landeshauptmann Josef Krainer senior und Bundespräsident Adolf Schärf
gedenken in einer Feier des »guten« Erzherzogs Johann, der »aus der Steiermark ein blühendes und gesegnetes Land gemacht hat«.
(3) IX. OLYMPISCHE WINTERSPIELE INNSBRUCK 1964
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 6/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 3’54’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Innsbruck ist 1964 erstmals Austragungsort der Olympischen Winterspiele. Der
Film zeigt deren Höhepunkte und die Erfolge der österreichischen Sportler.
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(4) DER BALL DER OBERÖSTERREICHER UND DER OPERNBALL
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 9/1966)
A 1966, Ton, s/w, Länge: 1’56’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Tanzveranstaltungen wie der Wiener Opernball und der Ball der Oberösterreicher zählen zu den alljährlichen »Höhepunkten der Saison«.
(5) ÖSTERREICHISCHER FESTSPIELSOMMER
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 31/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 2’12’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Bregenzer und Salzburger Festspiele gehören zu den Fixpunkten des Kulturkalenders. Prominente Persönlichkeiten aus Kultur und Politik eröffnen
den Reigen der Festspiele.
(6) EHRENZEICHEN FÜR HERBERT VON KARAJAN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 26/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 37’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Herbert von Karajan wird das Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft
verliehen. Er hatte bereits große internationale Erfolge gefeiert, als er zum
Staatsopernchef ernannt wurde und das »klassische Erbe« auch medial bes­
ser zu inszenieren begann.
(7) SELBSTGESCHNEIDERTE KLEIDER
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 22/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 1’6’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Das weibliche Rollenbild gestaltet sich weiterhin rückständig. Hausfrauen
präsentieren selbst gestaltete Kleider, die – so der herablassende Kommentar
– vor allem das schwer verdiente Gehalt des Ehemannes schonen sollen.
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(8) GEKNÜPFTE KUNSTWERKE
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 6/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 45’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Noch immer wählten Frauen vor allem traditionell weibliche Berufe. Im Bei­
trag fertigen Knüpferinnen kunstvolle Teppiche. Die Entwürfe stammen von
zwei Salzburger Künstlern.
(9) BLUMEN, FRAUEN, SCHÖNE AUGEN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 35/1958)
A 1958, Ton, s/w, Länge: 1’4’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Liebreizend präsentieren sich die Damen beim Auto-Blumenkorso am
Wörthersee. Sie werden als »schöne Modelle« angepriesen. Die weibliche
Emanzipation lässt noch mehr als ein Jahrzehnt auf sich warten.
(10) WIENS SURREALISTEN IN DER GALERIE »SYNTHESE«
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 27/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 54’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Eine Ausstellung in der Galerie »Synthese« widmet sich den Werken der an
die Surrealisten anknüpfenden »Phantastischen Realisten«. Individualismus,
Abstraktion sowie die Rezeption des Expressionismus treffen aber oft noch
auf Unverständnis und Intoleranz.
(11) GALERIE WULFENGASSE ZEIGT WERKE VON MARIA LASSNIG
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 30/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 44’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Galerie Wulfengasse zeigt Arbeiten der Kärntner Künstlerin Maria Lassnig. 1943 musste Lassnig die Wiener Akademie der bildenden Künste verlassen, da ihre Werke als »entartet« eingestuft wurden.
19
(12) GSCHNAS IN DER SECESSION
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 8/1957)
A 1957, Ton, s/w, Länge: 59’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Jugend orientiert sich zunehmend an der amerikanischen Konsumgesellschaft. Hollywoodfilme, Jeans und Coca-Cola, Jazz und Rock ’n’ Roll gelten
als modern. Beim Künstler-Gschnas spielt Fatty George auf.
(13) MASSENHYSTERIE BEIM EMPFANG DER BEATLES
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 10/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 1’13’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Jugend hat neue Idole, die sich gegen das Establishment stellen. Den
neuen Musikhelden, wie etwa den Beatles, schlägt enthusiastische Begeiste­
rung entgegen. Die ältere Generation und die offiziellen Medien reagieren mit
Ablehnung und Unverständnis.
4. Demokratie und »Altlasten«
Die Zeit nach 1955 war charakterisiert vom Bekenntnis zur Neutralität eines
Kleinstaates, dessen Existenz und Lebensfähigkeit von den Österreichern in
der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts infrage gestellt worden war. Die Wiener Regierung entschied sich dafür, das neue Selbstverständnis entsprechend
im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. 1965 beschloss der Ministerrat,
den »Tag der Fahne« zum Nationalfeiertag zu machen. Damit wurde an den
26. Oktober 1955 erinnert, als nach dem Abzug der letzten Besatzungssoldaten der Nationalrat das Neutralitätsgesetz verabschiedete. (➔ Film 1)
Die österreichischen Regierungen wollten an der europäischen Einigung als
Form der Westintegration teilnehmen. Für sie stellte die westliche Demokratie
die Basis für den erfolgreichen Kampf gegen den »östlichen« Kommunismus
dar. Die demokratische Gesinnung der Bevölkerung zu festigen, war daher ein
zentrales Ziel der Großparteien. ÖVP und SPÖ versuchten indes, unter Ausblendung der Vergangenheit, Konsens zu demonstrieren. Einst war man sich
20
demonstrationen gegen borodajkewycz,
A 1965
verfeindet gegenübergestanden, nun wurde die Verständigung zwischen ÖVP
und SPÖ zum politischen Prinzip der Zweiten Republik erklärt. Vom »Geist
der Lagerstraße«, von der Annäherung früherer Kontrahenten im Schatten
der NS-Diktatur, war die Rede. Entgegenkommen, Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft schufen Rahmenbedingungen zur Konsolidierung Österreichs ab 1945. Der Konsens garantierte den sozialen Frieden, widersprach
jedoch einer liberaleren Gesprächskultur und verhinderte insbesondere eine
offenere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. (➔ Film 2, 3)
Letztere holte das Land unter unterschiedlichsten Voraussetzungen immer
wieder ein. Politisch stellten legitimistische Strömungen seit Langem eine
Randerscheinung dar. Ungeachtet dessen kam es innerhalb einer schon ramponierten Großen Koalition während der Sechzigerjahre zum Streit in der
»Habsburg-Frage«. »Thronprätendent« Otto hatte zwar auf die Herrschafts­
ansprüche verzichtet, die Sozialisten misstrauten ihm aber immer noch und
wollten von seiner Einreise nichts wissen. Die Habsburger verfügen über be-
21
demonstration gegen monarchisten-treffen,
A 1960
trächtlichen Grundbesitz in Österreich. Außerdem sprach man ihnen einige
repräsentative Anwesen, allen voran die Kaiservilla in Bad Ischl, zu. Dennoch
fühlt sich das »Erzhaus« nach wie vor um einen Teil seines Vermögens betrogen. Restitutionsansprüche belasteten daher bis in die jüngste Zeit das Verhältnis zwischen der Republik und dem früheren Herrschergeschlecht. Erst
nach 1966 entspannte sich die Lage. Bruno Kreisky suchte den persönlichen
Ausgleich mit Otto Habsburg. (➔ Film 4, 5)
Mit dem Jahr 1955 wandte sich die Mehrheit der Bevölkerung auch vom
großdeutschen Gedankengut ab. Faschistische Altlasten und rechtes Gedankengut lebten aber weiter, wie der Fall Taras Borodajkewycz bewies. Im
Bildungsressort sah man Mitte der Sechzigerjahre keinen Anlass, gegen die
deutsch-völkischen und antisemitischen Reden des Wiener Hochschullehrers
Borodajkewycz aufzutreten. Das Fernsehen und einige kritische Studenten
mussten sich des Falles annehmen. Demonstrationen folgten, bei denen im
Frühjahr 1965 ein junger Neonazi den Kommunisten und ehemaligen KZHäftling Ernst Kirchweger durch Schläge tödlich verletzte. Der Täter kam
trotzdem mit einer geringen Haftstrafe davon. Brandredner Borodajkewycz
versetzte man nun zwar in den Ruhestand. Nennenswerte finanzielle Einbußen waren für ihn damit aber nicht verbunden. Das Begräbnis Kirchwegers,
an dem Repräsentanten beider Regierungsparteien teilnahmen, galt indes als
Protest gegen den faschistischen Ungeist. Dennoch änderte sich wenig. In allen Lagern tabuisierte man die Mitverantwortung der »Ostmärker« am NSTerror. Zugleich blieben »judenfeindliche« Äußerungen auch weiterhin ein
Merkmal der österreichischen »Volkskultur«. (➔ Film 6)
22
Die Filmdokumente
(1) ZUM ÖSTERREICHISCHEN NATIONALFEIERTAG
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 44/1965)
A 1965, Ton, s/w, Länge: 55’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
1965 wird erstmals der österreichische Nationalfeiertag begangen. Man erinnert sich an den 26. Oktober 1955, als nach dem Abzug der letzten Besatzungssoldaten der Nationalrat das Neutralitätsgesetz verabschiedete.
(2) VOLLVERSAMMLUNG DES BUNDESJUGENDRINGES
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 49/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 45’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Alle demokratischen Jugendverbände treffen im Haus der Begegnung zusammen. Bei der Vollversammlung des Bundesjugendringes wird – über alle ideologischen Grenzen hinweg – Konsens demonstriert.
(3) UNSER EFTA-PARTNER ENGLAND
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 42/1960)
A 1960, Ton, s/w, Länge: 2’7’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die staatliche Wochenschau präsentiert die Vorzüge der Demokratie am Beispiel
Großbritannien. Jeder nimmt am politischen Entscheidungsprozess teil. Die
Rede- und Meinungsfreiheit wird im Hyde Park auf die Probe gestellt.
(4) PARLAMENTSDEBATTE UM HABSBURG
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 25/1966)
A 1966, Ton, s/w, Länge: 1’45’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
In den Sechzigerjahren bricht in der Großen Koalition ein Streit hinsichtlich
der Rückkehr Otto Habsburgs nach Österreich aus. Im Parlament wird über
die Frage debattiert und abgestimmt.
23
(5) DEMONSTRATION GEGEN MONARCHISTEN-TREFFEN
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 48/1960)
A 1960, Ton, s/w, Länge: 1’29’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
Vor dem Wiener Konzerthaus demonstrieren demokratisch gesinnte Bürger
gegen eine monarchistische Veranstaltung anlässlich des Geburtstags von
Otto Habsburg. Der Thronprätendent nimmt zu seinen Vermögensforderungen an die Republik Stellung.
(6) DEMONSTRATIONEN GEGEN BORODAJKEWYCZ
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 14/1965)
A 1965, Ton, s/w, Länge: 1’24’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die »völkischen« und antisemitischen Reden des Hochschullehrers Taras
Borodajkewycz veranlassen kritische Studenten, auf die Straße zu gehen. Die
Anhänger Borodajkewyczs veranstalten Gegendemonstrationen. Gewalttätige Auseinandersetzungen folgen.
5. Aktive Neutralität
Österreich war seit 1955 ein neutraler Staat. Die einseitige und durch die
Signatarmächte des Staatsvertrags nicht garantierte Neutralitätserklärung
entsprach allerdings nur bedingt dem Schweizer Modell. Anders als die Eid­
genossen, die erst seit 2002 den Vereinten Nationen angehören, entschloss
sich die Alpenrepublik zu diesem Schritt schon im Dezember 1955. Österreich beteiligte sich seither an mehreren Friedensaktionen und entsandte im
Rahmen von UN-Truppenverbänden eigene Kontingente in verschiedene
Krisenregionen. Das Land bekannte sich später speziell unter Bruno Kreisky
zu einer »aktiven Neutralitätspolitik«. (➔ Film 1)
Trotz der Neutralitätserklärung rechneten die Vereinigten Staaten von
Amerika Österreich im Ernstfall zu ihren Verbündeten. Washington stellte
Ausrüstungsgegenstände und finanzielle Mittel für das Bundesheer zur Verfügung. Die Entscheidungsträger in Wien bekundeten gleichzeitig ihr Interesse
an der Westintegration der Alpenrepublik. Unter solchen Bedingungen be­
24
die neue weltkraft: mensch und atom,
A 1957
österreich mitglied des europarates,
A 1956
schloss der Nationalrat im März 1956 den Beitritt zum Europarat. Ein Jahr
später unterschrieb Österreich außerdem die Europäische Konvention zum
Schutz der Menschenrechte. (➔ Film 2)
Die 1951 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
(EGKS), die unter der Bezeichnung »Montanunion« Bekanntheit erlangte,
stellte einen aus Belgien, der BRD, Frankreich, Italien, Luxemburg und den
Niederlanden bestehenden Wirtschaftsblock dar. Österreichs Regierungs­
parteien waren sich in der Haltung gegenüber der »Union« nicht einig. Die
Volkspartei strebte den Beitritt an, die Sozialisten rieten zur Vorsicht. Wie von
der SPÖ befürchtet, erhob der Kreml mit Blick auf den Staatsvertrag und die
Neutralitätserklärung Einspruch gegen die vertragliche Bindung an die EGKS.
Deren Mitgliedsländer schlossen sich indes mit der Bildung der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) noch enger zusammen. Sie erklärten sich
zum Verzicht auf einen Teil ihrer Souveränitätsrechte bereit und planten auch
in Kriegszeiten eine Kooperation. Die neutrale Alpenrepublik sah sich unter
solchen Umständen gezwungen, nach Alternativen Ausschau zu halten.
Mit der Mitgliedschaft bei der 1960 geschaffenen Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) waren keine außerökonomischen Verpflichtungen
verbunden. Die EFTA, der neben Österreich unter anderen die Schweiz,
Großbritannien und die skandinavischen Länder angehörten, wurde jedoch
lediglich als Not- und Übergangslösung empfunden. Den Löwenanteil der
österreichischen Exporte nahmen die benachbarten Absatzmärkte in Italien
und der BRD auf. Ausfuhren nach Nordeuropa oder in die Schweiz konnten
den Handel mit dem EWG-Raum nicht kompensieren. Selbst die Engländer sahen langfristig keinen Nutzen in der von ihr initiierten EFTA. Schon
1961 bekundete London Interesse an einer Aufnahme in die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft. (➔ Film 3, 4)
25
Österreich suchte aber auch seine neuen internationalen Kontakte zu nutzen
und mit Unterstützung der UNO ureigenste Interesse voranzutreiben, allen
voran eine Autonomie-Regelung für Südtirol. International und speziell im
europäischen Kontext fand das Südtirolproblem Beachtung. Wünsche der
lokalen Bevölkerung nach einer Rückkehr zu Österreich wurden nicht zur
Kenntnis genommen. Autonomieversprechen blieben uneingelöst. Die Alpenrepublik brachte die Angelegenheit vor die UNO, die diesbezüglich 1960 eine
Resolution verabschiedete. Die Bildung von Kommissionen sowie Verhand­
lungen zur Klärung der Lage verliefen vor dem Hintergrund italienischen
und »deutschen« beziehungsweise deutschnationalen Terrors. Das extrem
belastete Verhältnis zwischen Rom und Wien führte zu Verzögerungen bei
der Erfüllung des 1969 vereinbarten »Südtirol-Pakets«. Erst 1992 gab Österreich eine Streitbeilegungserklärung ab. Heute räumen Experten allerdings
ein, dass kaum eine europäische Minderheit jene Privilegien genießt, die den
Deutschsprachigen in der Region Bozen-Trient zugestanden worden sind.
(➔ Film 5, 6, 7)
Nach 1945 war Österreich zunehmend bestrebt, seinen internationalen
Status zu unterstreichen. Global agierende Organisationen sollten dazu angehalten werden, in Wien einen Standort zu eröffnen. Der Umstand, dass
die Atombehörde (IAEA) eine Zweigstelle in der Bundeshauptstadt eröffnete,
wurde zu einer Zeit, als die nukleare Kraft noch als hoffnungsvolle Energieform galt, stolz zelebriert. Erst nach und nach wurden bisher positiv besetzte
Begriffe wie Industrie, Technik und Atomkraft kritisch hinterfragt. Das Miss­
trauen gegenüber der nuklearen Kraft wuchs, die atomare Zerstörungsgewalt
erzeugte zusehends Angst. (➔ Film 8, 9)
Die Filmdokumente
(1) DER UNO-GENERALSEKRETÄR AM BALLHAUSPLATZ
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 29/1956)
A 1956, Ton, s/w, Länge: 48’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Der UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld trifft mit Bundespräsident
Schärf zusammen. Der Beitritt Österreichs zur UNO und seine Folgen werden
besprochen.
26
(2) ÖSTERREICH MITGLIED DES EUROPARATES
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 18/1956)
A 1956, Ton, s/w, Länge: 50’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky führen die Delegation Öster­
reichs in Straßburg an. Österreich ist nun vollwertiges Mitglied des Euro­pa­
rates.
(3) AM HORIZONT: EUROPA!
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 6/1957)
A 1957, Ton, s/w, Länge: 53’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) –
die Niederlande, Luxemburg, Belgien, BRD, Frankreich und Italien – treffen
zu Beratungen in Brüssel zusammen.
(4) EFTA-GIPFELKONFERENZ IN WIEN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 22/1965)
A 1965, Ton, s/w, Länge: 2’48’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die Mitglieder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) – Öster­
reich, die Schweiz, Großbritannien und die skandinavischen Länder – treffen
in Wien zu einer Gipfelkonferenz zusammen. Es wird über weiterführende
Kooperationen mit der EWG beraten.
(5) AUSSENMINISTER KREISKY ÜBER SÜDTIROL
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 41/1960)
A 1960, Ton, s/w, Länge: 2’38’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Das Südtirolproblem findet international Beachtung. Außenminister Kreisky
trägt die Problematik der UNO vor.
27
(6) TRAUERFEIER IN SÜDTIROL
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 27/1961)
A 1961, Ton, s/w, Länge: 1’7’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
Nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Autonomie-Abkommen für
Südtirol kommt es zu mehreren Sprengstoffattentaten. Am 19. Juni 1961
werden zwei Südtiroler von einer italienischen Patrouille erschossen. In
Südtirol findet eine Trauerfeier statt.
(7) MINISTER KREISKY VOR DEM POLITISCHEN AUSSCHUSS
DER UNO
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 44/1960)
A 1960, Ton, s/w, Länge: 1’50’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
In einer emotionalen Rede setzt sich Außenminister Bruno Kreisky vor der
UNO für die Rechte der Südtiroler ein. Er spricht von einem Volk, das schon
seit Jahrzehnten »Opfer einer historischen Ungerechtigkeit« sei.
(8) UNTERSCHRIFT AUF DEN ATOM-VERTRAG
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 50/1957)
A 1957, Ton, s/w, Länge: 41’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Nach 1945 war man bestrebt, den internationalen Status Österreichs zu unterstreichen. 1957 wird mit Stolz ein Vertrag unterfertigt, der Wien zu einem
Sitz der Atombehörde (IAEA) macht.
(9) DIE NEUE WELTKRAFT: MENSCH UND ATOM
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 40/1957)
A 1957, Ton, s/w, Länge: 57’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die atomare Zerstörungsgewalt erzeugt zunehmend Angst. Die friedliche
Nutzung der nuklearen Kraft wird noch propagiert, aber das Misstrauen
wächst.
28
6. Zwischen Ost und West
Bereits der Name »Österreich« enthält eine politisch-weltanschauliche Dimension. Das Land hatte sich als »Bollwerk gegen den Orient« verstan­den
und darin nicht selten sogar seine »geschichtliche Mission« gesehen. In gewisser Weise lebten solche Vorstellungen nach 1955 weiter. Die Alpenre­publik
grenzte sich vom »Ostblock« ab und begriff sich als »Außenposten der freien
Welt« im Schatten des »Eisernen Vorhangs«. Österreichs Haltung im OstWest-Konflikt wurde nur ein Jahr nach dem Abzug der alliierten Truppen
auf die Probe gestellt. 1956 leitete Moskau eine »Entstalinisierung« ein,
die in den kommunistischen Ländern zu Forderungen nach einer Liberali­
sierung führten. In Ungarn gipfelten die Änderungswünsche, Kundgebungen
und Unruhen in einem »Volksaufstand«, der von sowjetischen Truppen niedergeschlagen wurde. Österreich lehnte diesen »Panzerkommunismus« verhältnismäßig unverblümt ab, plädierte für das Ende der Kampfhandlungen
im Nachbarland und für die Achtung der ungarischen Freiheitsrechte. Die
unverkennbaren Bestrebungen der Alpenrepublik, vor der Weltöffentlichkeit
als Teil der westlichen Wertegemeinschaft zu gelten, drückten sich auch in
der Tatsache aus, dass die Grenzen für die magyarischen Flüchtlinge durch­
lässig blieben. 180.000 Kinder, Frauen und Männer trafen im Spätherbst
1956 in den österreichischen Auffanglagern ein. Aus der Bevölkerung schlug
ihnen eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegen. Die humanitären Maßnahmen wurden von einem Ministerkomitee koordiniert. Bundeskanzler Julius
Raab stellte bei dieser Gelegenheit den Antrag, die Vereinigten Staaten von
Amerika um zehn Millionen Schillinge aus dem Sonderkonto der Marshallplanhilfe zu ersuchen. (➔ Film 1, 2, 3)
Der Kalte Krieg nahm indes noch größere Dimensionen an – er wurde
auf den Weltraum ausgeweitet. Als es der Sowjetunion am 4. Oktober 1957
erstmals gelang, den Erdsatelliten Sputnik I erfolgreich zu starten, bedeutete dies einen schweren Rückschlag für die amerikanische Wissenschaft. Die
UdSSR lag im Kampf um die Weltraumforschung voran. Gerüchte, dass der
Sputnik geheime Waffen transportierte und mittels des Satelliten Infrarotaufnahmen von den USA gemacht würden, beunruhigten die Amerikaner. Im
Februar 1958 konnte ein US-Satellit erfolgreich gestartet werden. Doch das
sowjetische Material war belastbarer und technisch ausgereifter. (➔ Film 4)
Österreich beobachtete die Entwicklung der Auseinandersetzungen zwi­
schen den Blöcken keineswegs neutral, man war eindeutig westlich orientiert.
Trotzdem verstand sich die Alpenrepublik offiziell als Brücke, als Ort der
29
sonderbericht der austria wochenschau: ungarn,
A 1956
Begegnung zwischen Ost und West. Bei alledem schwang das Bedürfnis eines
Kleinstaates nach internationaler Anerkennung mit. Tatsächlich blickte die
Welt Anfang Juni 1961 auf Österreich, als sich der Ministerpräsident der
UdSSR, Nikita S. Chruschtschow, und der Präsident der Vereinigten Staaten
von Amerika, John F. Kennedy, in Wien trafen. Eine Entspannung der Lage
brachte das Wiener Gipfeltreffen allerdings nicht. (➔ Film 5)
Nur zwei Monate später wurde mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen. In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 versperrten Volkspolizei, Betriebskampfgruppen und Nationale Volksarmee die Berliner Sektorengrenze
mit Stacheldrahtverhauen und Steinwällen. In den darauffolgenden Wochen
wurde zwischen Ost- und West-Berlin eine 46 Kilometer lange Mauer errichtet. Im Westen war man fassungslos. Im Osten wurde der Mauerbau von der
Propagandamaschinerie als »antifaschistischer Schutzwall« bejubelt. Über
28 Jahre sollte die Berliner Mauer Teil einer innerdeutschen Grenze sein. Die
Errichtung dieser Grenzanlage stellte einen neuen Höhepunkt im Verlauf des
Kalten Krieges dar. Die DDR-Führung wollte vor allem den Flüchtlingsstrom
in den Westsektor unterbinden. Doch weiterhin versuchten DDR-Bürger, die
Mauer zu überwinden. Mindestens 235 Menschen wurden im Zuge einer
Fluchtaktion an der Berliner Mauer getötet. (➔ Film 6, 7)
Der Höhepunkt der Ost-West-Krise war allerdings noch nicht erreicht.
Auch in den Fragen der Atomtests und der Abrüstung zeichnete sich keine
Einigung ab. Vielmehr war der Friede durch eine der gefährlichsten Konfrontationen des Kalten Krieges bedroht. Die Stationierung sowjetischer Raketen
auf Kuba führte im Herbst 1962 zu einem schweren Konflikt. Dieser wurde
von den Supermächten offiziell im Jänner des darauffolgenden Jahres durch
eine gemeinsame Note an den UN-Generalsekretär beendet. (➔ Film 8)
30
Der charismatische junge US-Präsident John F. Kennedy kam indes im November 1963 bei einem Schussattentat ums Leben. Als Todesschütze wurde
Lee Harvey Oswald verhaftet, der als Sympathisant der Sowjetunion galt.
Die tatsächlichen Hintergründe der Tat sind bis heute nicht völlig geklärt.
(➔ Film 9)
1968 folgte neuerlich eine traurige Machtdemonstration des Ostens. Der
»Prager Frühling« wurde durch die Streitkräfte des Warschauer Paktes niedergeschlagen. Die tschechoslowakische kommunistische Partei unter der
Führung Alexander Dubčeks engagierte sich für ein Liberalisierungs- und
Demokratisierungsprogramm. Die Idee eines »Sozialismus mit menschlichem
Antlitz« wurde allerdings mit dem Überfall von fünf Warschauer Paktstaaten
auf die Tschechoslowakei unterbunden. An eindeutigen Stellungnahmen zur
tschechischen Liberalisierungsbewegung fehlte es in Österreich nicht. Die
austria wochenschau griff die Argumentation tschechischer Demonstranten
auf, die das militärische Einschreiten Moskaus und seiner Verbündeten mit
dem Gewaltpotenzial des Nationalsozialismus verglichen. Weniger couragiert
zeigte sich, gemessen am Jahr 1956, die Wiener Regierung. Sie verurteilte die
Vorgänge in der ČSSR verspätet und dachte aus Angst vor sowjetischen Repressalien sogar daran, die Grenzen für Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei
zu schließen. (➔ Film 10)
Die Filmdokumente
(1) SONDERBERICHT DER AUSTRIA WOCHENSCHAU: UNGARN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 45/1956)
A 1956, Ton, s/w, Länge: 9’15’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die »Entstalinisierungswelle« Moskaus führt zu Liberalisierungswünschen
in den kommunistischen Ländern. In Ungarn bricht ein »Volksaufstand« los,
der von sowjetischen Truppen niedergeschlagen wird.
31
prager frühling,
A 1968
32
(2) UNGARNS SEHNSUCHT NACH FREIHEIT
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU 1956)
A 1956, Ton, s/w, Länge: 6’45’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
Ein audiovisuelles Dokument des Kalten Krieges: Die Ungarnberichterstattung der amerikanischen FOX TÖNENDEN WOCHENSCHAU setzt auf
dramatische Bilder. Die Gewalt des sowjetischen Militärs wird ins Zentrum
stellt. Der Kommentar ist parteiisch.
(3) ZUM TAG DER FAHNE
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 43/1957)
A 1957, Ton, s/w, Länge: 1’31’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
180.000 Kinder, Frauen und Männer treffen im Spätherbst 1956 in den österreichischen Auffanglagern ein. Aus der Bevölkerung schlägt ihnen eine
Welle der Hilfsbereitschaft entgegen.
(4) SATELLITEN-POLITIK
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 42/1957)
A 1957, Ton, s/w, Länge: 1’36’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Als es der Sowjetunion am 4. Oktober 1957 erstmals gelingt, den Erdsatelliten Sputnik I erfolgreich zu starten, bedeutete dies einen schweren Rückschlag für die amerikanische Wissenschaft. Die UdSSR liegt im Kampf um
die Weltraumforschung voran.
(5) BLITZKRIEG UM DEN FRIEDEN DER WELT
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 24/1961)
A 1961, Ton, s/w, Länge: 5’32’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Anfang Juni 1961 blickt die Welt auf Österreich: Nikita S. Chruschtschow
und John F. Kennedy treffen einander in Wien. Der »Zweier-Gipfel« bringt
allerdings keine konkreten Ergebnisse.
33
blitzkrieg um den frieden der welt,
A 1961
(6) EIN JAHR DANACH … BERLIN EIN WELTPROBLEM
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 33/1962)
A 1962, Ton, s/w, Länge: 2’41’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
In der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 versperrten Volkspolizei, Betriebs­
kampfgruppen und Nationale Volksarmee die Berliner Sektorengrenze mit
Stacheldrahtverhauen und Steinwällen. Der Bau der Berliner Mauer beginnt.
(7) JAHRESTAG DER BERLINER SCHANDMAUER
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 34/1962)
A 1962, Ton, s/w, Länge: 1’46’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Über 28 Jahre sollte die Berliner Mauer Teil einer innerdeutschen Grenze sein.
Der Flüchtlingsstrom in den Westsektor riss nie ab. Mindestens 235 Menschen wurden im Zuge einer Fluchtaktion an der Berliner Mauer getötet.
(8) AN DER WELTKATASTROPHE VORBEI
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 2/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 53’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Im Herbst 1962 führt die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba zu
einer schweren Krise. Beide Seiten planen militärische Aktionen, selbst an
den Einsatz von Atomwaffen wird gedacht. Letztlich siegt die Vernunft, die
UdSSR und die USA lenken ein.
34
(9) J.F. KENNEDY TOT
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 48/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 6’6’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Minutiös werden die letzten Lebensminuten John F. Kennedys nachgezeichnet. Ein Mythos wird geboren.
(10) PRAGER FRÜHLING
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 35/1968, WELTJOURNAL Nr. 37/1968)
A 1968, Ton, s/w, Länge: 6’32’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Der Prager Frühling wird durch eine militärische Aktion des Warschauer Paktes gewaltsam beendet. Die austria wochenschau vergleicht das militärische
Einschreiten Moskaus und seiner Verbündeten mit dem Gewaltpotenzial des
Nationalsozialismus.
7. Aufbruch und Rebellion
1968 – ein Jahr der Krisen, des Aufbruchs und der Rebellion. Die amerikani­
sche Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement) war an ihrem Höhe­
punkt angelangt. Sie kämpfte für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner
und stellte sich gegen die Rassentrennung, die alle öffentlichen Einrichtungen betraf. Ihr populärster Protagonist Martin Luther King rief zum zivilen
Ungehorsam gegen die gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung auf. Den
Höhepunkt der Bürgerrechtsbewegung bildete der Marsch auf Washington,
an dem 250.000 Menschen teilnahmen. Im April 1968 fiel Martin Luther
King einem Attentat zum Opfer. Das Verbrechen löste in zahlreichen Städten
Rassenunruhen und Krawalle aus, in deren Folge 39 Menschen ums Leben
kamen, 2.000 verletzt und 10.000 Personen verhaftet wurden. (➔ Film 1)
Im gleichen Jahr mobilisierten sich die Massen gegen den Kriegseinsatz
der USA in Vietnam. Der Vietnamkrieg begann bereits in den Fünfzigerjahren als Bürgerkrieg. Aufgrund der Unterstützung Nordvietnams durch die
UdSSR und China sowie Südvietnams durch die USA entwickelte sich daraus ein klassischer Stellvertreterkrieg der Großmächte. Die Tet-Offensive
der nordvietnamesischen Armee und des Vietcongs im Jänner 1968 kam für
35
die US-Armee völlig überraschend. Der kurzfristige Rückzug amerikanischer
Truppen und die Berichte über die US-Kriegsverbrechen in My Lai führten zu
einem Umschwung der öffentlichen Meinung in den Staaten. Der Einsatz in
Vietnam wurde zunehmend kritisch hinterfragt und abgelehnt. Die Proteste
nahmen zu. (➔ Film 2)
Im Frühjahr 1968 etwa hielten Studenten fünf Gebäude der Columbia
University in New York eine Woche lang besetzt. Der Entwurf für eine neue
Sporthalle, der offensichtlich getrennte Zugänge für schwarze und weiße Studenten vorsah, empörte viele Studenten und Aktivisten. Man schloss sich
gegen den geplanten Neubau sowie gegen Regierungsbeamte und Offiziere,
die am Universitätsgelände Soldaten für den Einsatz in Vietnam rekrutieren
wollten, zusammen. Die Besetzung der Universität wurde durch die New
Yorker Polizei gewaltsam beendet. (➔ Film 3)
Auch in Berlin kam es bereits im Februar 1968 zu Studentenprotesten gegen den Vietnamkrieg. Nachdem im April Rudi Dutschke, Vorstandsmitglied
des Sozialistischen Studentenbundes, von einem Hilfsarbeiter, dem rechtsextreme Tendenzen nachgesagt wurden, niedergeschossen worden war, brachen
großangelegte Protestkundgebungen los. Es kam zu teilweise blutigen Aus­
einandersetzungen mit der Polizei. Die Tat wurde vor allem der Berichter­
stattung des Axel-Springer-Konzerns angelastet. (➔ Film 4)
Im Mai 1968 schlugen Frankreichs Studenten los. Die rigide Hausordnung
und die kalte Architektur der Universitätsanlage in Nanterre provozierte im
Mai 1968 heftige Studentenproteste, die zur Schließung des Komplexes führ­
ten. Aus Solidarität schlossen sich die Pariser Studenten den Protesten an und
besetzten die Sorbonne, die daraufhin polizeilich geräumt und geschlossen
wurde. Um die 570 Personen wurden verhaftet. Im Quartier Latin errichteten die Studenten Barrikaden. Es kam zu Straßenschlachten mit der Polizei.
Die französischen Gewerkschaften solidarisierten sich mit den Studenten und
riefen zum Generalstreik auf. Gemeinsam demonstrierte man gegen härtere
Arbeitszeitregelungen und forderte eine Erhöhung des Mindestlohns. Fabriken wurden besetzt, acht Millionen Franzosen befanden sich im Streik. Das
Land war lahmgelegt. Die Regierung schien handlungsunfähig. Präsident de
Gaulle löste das Parlament auf und drohte mit der Verhängung des Ausnahmezustands. Die Streikfront der Studenten bröckelte, die Arbeiter kehrten in
die Fabriken zurück. Ende Juni gewannen die Konservativen bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit. (➔ Film 5, 6)
Die Vorgänge im Mai 1968 in Paris waren Vorbild für die Aktionen österreichischer Studentinnen und Studenten. Ende Mai besetzten sie die Univer-
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studentenunruhen in der deutschen bundesrepublik,
A 1968
sität Wien, hissten die Rote Fahne und hielten Diskussionsveranstaltungen
ab. Der Unmut richtete sich unter anderem gegen überfüllte Hörsäle, eine
Desorganisation des Studiums und gegen veraltete Studienordnungen, die
teilweise noch in der Monarchie erlassen worden waren. Zudem sollte das
Entscheidungsmonopol der Professoren zugunsten eines pluralen Entscheidungssystems fallen. (➔ Film 7)
Für den »Höhepunkt« des öffentlichen Aufsehens sorgte die Aktion
»Kunst und Revolution«, besser bekannt als »Uni-Ferkelei« im Hörsaal 1
des Neuen Institutsgebäudes. Aktionskünstler wie Otto Muehl, Günter Brus,
Peter Weibel oder Valie Export versuchten die bürgerliche Konvention vielseitig zu brechen, um auf den konservativ-reaktionären Zustand der Gesellschaft hinzuweisen. Kleider fielen, es wurde onaniert und die Notdurft
verrichtet, während man die Bundeshymne sang. Über Otto Muehl wurden
einige Wochen Untersuchungshaft verhängt. Günter Brus wurde wegen »Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit« zu sechs Monaten Gefängnis
verurteilt. Durch seine Flucht nach Berlin entzog er sich 1969 der Haft, später
wurde die Haft- in eine Geldstrafe umgewandelt. Heute gilt diese Aktion als
abschließender und zentraler Moment des Wiener Aktionismus.
Die staatliche Kinowochenschau betrachtete die »68er-Bewegung« hingegen als Faschingsscherz, als »Hippie-Gschnasfest«. Protestaktionen wurden
schlicht ausgespart. Tatsächlich verlief das Jahr 1968 in Österreich ruhiger
als etwa in der BRD und in Frankreich. Kritik am bestehenden Bildungssystem und kleinere Konflikte innerhalb der »Linken« führten zu Protesten mit
vorläufig begrenzter Wirkung. Erst in den Siebzigerjahren folgte mit einer
zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Liberalisierung und dem
Ent­stehen einer Zivilgesellschaft eine verspätete österreichische Rezeption
der »Ideen von 1968«. (➔ Film 8)
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der marsch auf
washington,
A 1963
der marsch auf
washington,
A 1963
vietnamkrise auf dem
höhepunkt,
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A 1964
Die Filmdokumente
(1) DER MARSCH AUF WASHINGTON
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 36/1963)
A 1963, Ton, s/w, Länge: 2’23’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Der Marsch auf Washington, an dem 250.000 Menschen teilnehmen, stellt
den Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung dar. Martin Luther King hält seine berühmte Rede »I have a dream«.
(2) VIETNAMKRISE AUF DEM HÖHEPUNKT
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 33/1964)
A 1964, Ton, s/w, Länge: 5’34’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Der Vietnamkrieg, der sich seit den Fünfzigerjahren zu einem Ost-West-Kon­
flikt entwickelt hat, wird in den USA zunehmend abgelehnt. Die Wochenschau zeigt einen einseitigen Blick auf das Geschehen. Präsident Johnsons
Rede wird unkommentiert wiedergegeben.
(3) STUDENTENUNRUHEN IN NEW YORK
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 20/1968)
A 1968, Ton, s/w, Länge: 39’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
Im Frühjahr 1968 halten Studenten fünf Gebäude der Columbia University
in New York eine Woche lang besetzt. Ihr Protest richtet sich gegen die Rassentrennung und den Vietnamkrieg. Die Polizei greift gewaltsam ein.
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studentenunruhen in paris,
A 1968
(4) STUDENTENUNRUHEN IN DER DEUTSCHEN BUNDESREPUBLIK
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 17/1968)
A 1968, Ton, s/w, Länge: 3’30’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
In Berlin folgen auf Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg großangelegte
Protestaktionen anlässlich des Attentats auf Rudi Dutschke, dem Vorstands­
mitglied des Sozialistischen Studentenbundes. Es kommt zu teilweise blutigen
Auseinandersetzungen mit der Polizei.
(5) STUDENTENUNRUHEN IN PARIS
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 20/1968)
A 1968, Ton, s/w, Länge: 1’16’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
Im Mai 1968 besetzen Pariser Studenten die Sorbonne, die daraufhin polizei­
lich geräumt und geschlossen wird. Um die 570 Personen werden verhaftet.
Im Quartier Latin errichten die Studenten Barrikaden. Es folgen Straßenschlachten mit der Polizei.
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(6) CHAOS DURCH GENERALSTREIK
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 22/1968)
A 1968, Ton, s/w, Länge: 2’12’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
Generalstreik in Frankreich: Gewerkschaften und Studenten demonstrieren
gegen härtere Arbeitszeitregelungen und fordern eine Erhöhung des Min­
destlohns. Indes beginnt man nach den Straßenschlachten mit den Aufräumungsarbeiten.
(7) STUDENTEN UND MITTELSCHÜLER DEMONSTRIEREN
(Aus: VON WOCHE ZU WOCHE, 1.6.1968)
A 1968, Ton, s/w, Länge: 3’13’’
PRODUKTION: ORF
Ein Filmdokument aus dem Historischen Archiv des ORF
Nach dem Vorbild der Pariser Studenten besetzen die österreichischen Hochschüler im Mai 1968 die Universität Wien, hissen die Rote Fahne und halten
Diskussionsveranstaltungen ab. Teddy Podgorski interviewt leitende Kräfte
der Studentenbewegung.
(8) GSCHNASFEST – HIPPIES SO LANG DER FASCHING DAUERT!
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 6/1968)
A 1968, Ton, Farbe, Länge: 1’14’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die österreichische Kinowochenschau betrachtet die »68er-Bewegung« als
Faschingsscherz, als »Hippie-Gschnasfest«. Fröhliche Blumenkinder und
Beat-Musik stehen hier für die Generation 1968.
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8. Das Schlüsseljahr 1955
1955 wird zu dem Schlüsseljahr der Zweiten Republik. Die Unterzeichnung
des Staatsvertrages, das Wiedererlangen der Souveränität und die Neutra­
litätserklärung sind Pfeiler des österreichischen Selbstverständnisses. Die
»Stunde Null« hat begonnen. Was unmittelbar davor war, wird verdrängt.
Die demokratische Gesinnung baut auf dem Jahr 1955 auf. Kultur- und traditionsgeschichtliche und damit auch weitgehend restaurative Elemente grei­
fen hingegen auf die Monarchie zurück, was vor allem im Historien- und
Heimatfilm zum Tragen kommt.
Schon in den zeitgenössischen audiovisuellen Quellen wird der Mythos
des Befreiungsjahres 1955 (und bezeichnenderweise eben nicht des Jahres
1945) geprägt. Euphorisch wird der Weg zum Staatsvertrag und vor allem
der Abzug der alliierten Mächte zelebriert. Nun scheint die unliebsame Vergangenheit – die tragische Entwicklung der Ersten Republik und das Dritte
Reich – filmisch und staatspolitisch vorerst abgeschlossen.
Neben dem Material der staatlichen austria wochenschau wird nun auch
erstmals der Staatsvertragsfilm der amerikanischen fox tönenden wochenschau veröffentlicht. Die Aufnahmen beinhalten neues Quellenmaterial.
Leopold Figl und Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow geben im Originalton Stellungnahmen zur Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrages
ab. Es ist die einzige audiovisuelle Quelle, die anlässlich des Staatsvertrages
O-Töne der beiden Staatsmänner wiedergibt. (➔ Film 1 bis 5)
Die Filmdokumente
(1) DIE BOTSCHAFTERKONFERENZ HAT BEGONNEN
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 19/1955)
A 1955, Ton, Farbe, Länge: 32’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Auf der Botschafterkonferenz, die im Mai 1955 in Wien stattfindet, werden
letzte schwierige Fragenkomplexe diskutiert. Ein euphorisches Stimmungsbild der Tagung übermittelt der Beitrag der austria wochenschau. Der Staatsvertrag ist bereits zum Greifen nahe.
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wachablöse
– zum letzen mal?, A 1955
(2) WACHABLÖSE – ZUM LETZEN MAL?
(Aus: WELTJOURNAL Nr. 19/1955)
A 1955, Ton, Farbe, Länge: 1’10’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Allmonatlich wechselt das Kommando in der internationalen Zone im ers­
ten Wiener Gemeindebezirk. Im Mai 1955 findet die Wachablöse zum allerletzten Mal statt. Unzählige Zuschauer drängen sich, um dem militärischen
Schauspiel noch einmal beizuwohnen.
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(3) ÖSTERREICH IST FREI!
(Aus: FOX TÖNENDE WOCHENSCHAU Nr. 21/1955)
A 1955, Ton, s/w, Länge: 4’40’’
PRODUKTION: Otto Pammer-Filmproduktion
Die Unterzeichnung des Staatsvertrages wird von der amerikanischen
feierlich in Szene gesetzt. Leopold Figl und
Wjatsches­law Michailowitsch Molotow geben im Originalton Stellungnahmen zur Unterzeichnung des Staatsvertrages ab.
fox tönenden wochenschau
(4) DIE HISTORISCHE STUNDE
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 31/1955)
A 1955, Ton, Farbe, Länge: 3’51’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Die letzte Sitzung des Alliierten Rates findet statt. Unter dem begeisterten
Ansturm unzähliger Zuschauer wird eine großangelegte alliierte Parade abgehalten.
(5) RÜCKBLICK 1955
(Aus: AUSTRIA WOCHENSCHAU Nr. 1/1956)
A 1956, Ton, Farbe, Länge: 2’31’’
PRODUKTION: Austria Wochenschau GesmbH
Nochmals passieren die wichtigsten Stationen der Staatsvertragsunterzeichnung Revue. Die letzten Kriegsgefangenen kehren zurück. Der ökonomische
Aufschwung macht sich bemerkbar. Burgtheater und Staatsoper erstrahlen
in neuem Glanz.
9. Biografien
Auf der DVD finden Sie außerdem Angaben zu Nikita S. Chruschtschow,
Leopold Figl, John Fitzgerald Kennedy, Martin Luther King, Theodor Kör­
ner, Bruno Kreisky, Friedrich Peter, Bruno Pittermann, Julius Raab und Adolf
Schärf.
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40 jahre österreichischer rundfunk,
1964
45
geknüpfte kunstwerke,
ix.
1963
olympische winterspiele innsbruck,
46
1964