Predigt (Lätare 2016)

Predigt zu 2 Kor 1,3–7
Predigtlesung aus dem Zweiten Korintherbrief, Kapitel 1, Verse 3–7 (Variante)
Gesegnet ist der Gott und Vater unseres Herrn Jesus, des Gesalbten,
der Vater der Erbarmungen und Gott jeden Trostes,
der uns tröstet über jede unserer Betrübnisse
damit wir trösten können, die in irgendeiner Betrübnis sind
mit dem Trost, mit dem wir selbst getröstet wurden von Gott,
denn wie die Leiden des Gesalbten überfließen auf uns,
so fließt durch den Gesalbten auch unser Trost über.
Wenn wir aber betrübt werden
dann wegen eueres Trostes und euerer Rettung;
wenn wir getröstet werden,
dann wegen eueres Trostes, der die Geduld bewirkt für dieselben Leiden,
die auch wir erleiden.
Und unsere Hoffnung ist fest für euch,
in dem Wissen, daß ihr ebenso
wie ihr an den Leiden teilnehmt, auch an den Tröstungen teilnehmt.
Vorbemerkungen zum Sonntag Laetare
Ein römischer Frühlingsbrauch, im Mittelalter vom römischen Bischof aufgenommen, hat diesem Sonntag sein
Gepräge gegeben, dem mittleren Fastensonntag. Jeder Sonntag ist ein Osterfest, dieser hat zwei Perspektiven
darauf: Ein Osterfest, während wir auf Ostern zugehen. Aber das gilt ja immer für Ostern: Wir leben davon, daß
Jesus schon auferweckt worden ist, während wir noch immer Sterben erleben und Sterben vor uns haben. In dieser
Umgebung von Tod, lobt Paulus den auferweckenden Gott.
Ist das Vertröstung? Ja, für die, die solche Hoffnung tapfer ausschlagen. Wir brechen aber dem Vorwurf, der
billigen Vertröstung, die Spitze ab, wo wir diese Hoffnung auf unsere Gegenwart als Lebenskraft wirken lassen.
Unsere Hoffnung sollte eine politische Dimension bekommen: Wir widersprechen der Logik des Todes, die den
Krieg in Syrien nutzt um ihre Machtspiele zu spielen zwischen Rußland und den USA, der Türkei, dem Iran und
wer sonst noch sein Gebräu darauf kochen mag. Was können wir dagegen tun? Wir sind mit unserem Widerspruch
vor allem hilflos. Lassen wir also die Menschen dort sterben, auf der Flucht sterben, bei uns sterben? Wir können
wenig tun: schlichte irdische Lebensmöglichkeiten bieten. Vielleicht kommt auch auf uns Verzicht zu. Wäre das
schlimm?
Im Faust, Erster Teil, in der Szene Vor dem Tor, kurz vor dem Osterspaziergang, läßt Johann Wolfgang von Goethe,
Bürger sagen:
Andrer Bürger.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.
Dritter Bürger.
Herr Nachbar, ja! So lass ich’s auch geschehn:
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beim alten.
Und wo es zu Hause nicht beim alten zu bleiben droht, bekommen Bürger die Wut und gehen auf die Straße.
Brauchen diese Menschen Trost gegen ihre Verlustängste? Oder sind sie einfach nicht bei Troste?
Für unser Leben gilt ohnehin: Wir leiden Verluste, ständig, große und kleine: an Lebenszeit, an Lebenskraft,
an Menschen, die uns begleiten. Wir gewinnen neu: an Erfahrung, an Ruhe, an Kraft die wir aus Ruhepausen
schöpfen, an neuen Begegnungen.
Paulus sagt es drei Kapitel hinter unserem heutigen Predigtabschnitt (2Kr 4,16):
Darum werden wir nicht müde; sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der
innere von Tag zu Tag erneuert.
Trösten ist gefährlich. Nur eine der Gefahren: Wir können im falschen Moment mit dem falschen Spruch aus
dem falschen Munde kommen. Trost ist ein Wagnis, ein notwendiges Wagnis: Trost wächst auch aus gewährter
Gemeinschaft und er geschieht auch mit Worten.
Ich habe heute von Trost zu predigen. Aber ich kann nicht wissen, wer welchen Trost gerade nötig braucht. So
bleibt die Predigt auf einer betrachtenden Ebene. Trost auf Vorrat, wenn es das denn gibt.
Der Apostel beginnt seinen Lobgesang vom Trost mit den gleichen Worten, mit denen Lukas den Zacharias beginnen läßt, mit einer hymnischen Formel, die im Tempel beheimatet war, und in der Synagoge beheimatet ist,
die wir in das Morgenlob der Kirche aufgenommen haben (Lk 1,68):
Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk …
Übrigens: Was wir gewohnt sind als Gelobt zu hören, heißt auf hebräisch Gesegnet. Ja, was die deutschen Übersetzer in zwei unterschiedliche Bewegungen aufspalten, ist im Hebräischen Segnen in beide Richtungen zwischen
Himmel und Erde. Hier wird der Gott des Trostes angesprochen, wie ihn uns das letzte Jesaja-Kapitel vorstellt (Jes
66,13): Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet, und An Jerusalem sollt/werdet ihr getröstet werden.
Und wir beziehen es auch auf uns als Heiden, als Vertrauende von außerhalb Israels, denen zugerufen wird (Jes
66,10): Freut euch mit Jerusalem, alle die um sie getrauert haben.
Was ist Trost?
Sicher hat jed von uns einen Begriff von Trost. Drei von den heutigen Lesungen auf dem Weg zu uns berührte
Sprachen zeigen unterschiedliche Aspekte davon. Das was die Griechen als Etymon, als die Wahrheit des Wortes,
suchten, enthält nur einen Teil der Wahrheit, weist nur auch einen Aspekt des Begriffes:
• Das deutsche Wort hängt mit dem uns geläufigen (Ver)trauen zusammen.
• Das hebräische Wort zeigt den Stimmungswechsel an.
• Das griechische Wort spricht vom Kontakt mit Menschen.
Diese drei Dinge bieten Trost. Sie gehören in unserem Begriff von Trost zusammen. Sie bilden eine einfache
Reihe:
• Ein Mensch spricht uns an, will uns aufmuntern.
• Die Begegnung, besonders die Zuwendung, kann unsere Stimmung bessern.
• Wir fassen wieder Vertrauen. Das Leben geht nicht nur weiter, weil es muß, sondern weil wir wieder Zutrauen gewinnen, der Verlust, den wir betrauern erhält ein Gegengewicht in dem Gewinn menschlicher
Gemeinschaft.
Überschuß an Trost
In Pauli dankender Logik gibt es Trost im Überschuß: Als Bote des Trostes bietet Paulus schon dadurch Trost, daß
er selbst leidet – etwa wie das Sprichwort sagt: Geteiltes Leid ist halbes Leid – darauf will ja auch der Begriff des
Mitleides hinaus. Aber auch eigene Trosterfahrung kann weitergereicht werden. Und die ist ihrerseits im Überfluß
vorhanden. So gewinnt der Trost das Übergewicht.
Trost ist das Gegenwort zu Trauer. Trauer ist das Tragen von Verlust, ein Ertragen von Leere. Und Verlust ist auch
und vor allem ein Verlust von Vertrautem und damit ein Verlust an Vertrauen, an Zutrauen …
1 Vertrauen
Und daher hängt das deutsche Wort Trost mit Vertrauen zusammen. Es besagt, daß wieder Zutrauen gewonnen
werden soll, daß wir wieder Vertrauen fassen dürfen.
Wir brauchen Vertrauen. Sonst können wir uns nicht orientieren, nicht zurechtfinden im Leben. Trostlosigkeit ist
das Bild für Wüste, zerstörte, leblose Landschaft, unbewegt, starr.
Trost ist Heimat, auch neugewonnene Heimat, eine Landschaft, in der wir uns orientieren können, die Wege bietet,
die wir gehen können.
2 Beistand
Von der griechischen Bedeutung Beistand haben manche vielleicht schon in der Bestimmung des Heiligen Geistes
gehört, die wir zugleich als Tröster und Beistand wiedergeben können.
Eine Weisheit lautet: Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selber sagen. Nun, manchmal können wir uns
auch hilfreiche Worte wiederholen. Aber auch diese scheinen mir meist Erinnerungen an einen Zuspruch zu sein,
der uns von außen erreicht hat.
In das Bild vom Leben, das aus Erstarrung löst, von dem Schock befreit, in dem uns der Verlust einfrieren ließ,
gehört die Begegnung mit Menschen. Gehört Verbindung mit dem Leben anderer: Manchmal sind es formelhafte Worte, manchmal ist es wortlose Nähe, manchmal ist es eine Berührung, manchmal ist es das Abwarten in
Reichweite. Jeder Moment der Trauer hat sein eigenes Maß.
Das entscheidende Zeichen aber ist: da wartet jemand auf dich. Da ist jemand für dich da.
3 Stimmungswandel
Der Ausdruck Trost finden setzt eine Suchbewegung voraus. Sich trösten lassen erfordert eine Bereitschaft. Diese
Bereitschaft wächst allmählich. Trösten ist mit Geduld verbunden. – Und auch über dieses Wort ist mehr zu sagen,
z. B. daß es auch aushalten bedeutet. – Trost erfahren, Trost auf sich wirken zu lassen ist ein Prozeß des Umstimmens.1 Wir lassen uns lösen aus der Starre, wir nehmen Leben um uns wieder wahr, wir lassen uns ansprechen von
Menschen, wir fassen Vertrauen zu diesem Leben, das um uns herum stattfindet, das auch uns umfassen möchte.
Wir lassen zu, daß wir weich werden, uns einfügen in den Fluß des Lebens, in den Überfluß, der auch uns wieder
erreicht. Wir lassen uns umstimmen, neu stimmen, einstimmen, stimmen wieder ein in den Klang des Lebens.
Der Himmel ändert sich
Wieso kann Paulus sagen, daß Gott selbst ein Gott des Trostes ist?
Weil die Bibel keinen starren unwandelbaren Gott kennt, wie es manchen richtig scheint. Wie wir schon von der
Bewegung des Segnens feststellten, so ist es auch mit dem trösten: In der biblischen Sprache läßt Gott sich trösten
und tröstet sich selbst. Die deutschen Übersetzer verstecken das hinter dem Wort Reue, In unserer deutschsprachigen Bibel läßt sich Gott gereuen, das Böse, daß er zu tun gedroht hatte – etwa gegen Ninive. Dahinter steckt
das Wort für trösten, sich umstimmen lassen.
Und wenn der Himmel das kann – sollten wir es nicht auch können, gemeinsam mit Ihm?
1
Vgl. Ernst Jenni: Das hebräische Piʻel. Syntaktisch-semasiologische Untersuchung einer Verbalform in Alten Testament. Zürich:
EVZ-Verlag, 1968, S. 247, interessanterweise den Verben des Redens und der Lautäußerung (S. 246) zugeordnet