Predigt über 5. Mose 28,3ff Gesegnet bist du in der Stadt, und

Predigt über 5. Mose 28,3ff
Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du auf dem Feld. Gesegnet ist
die Frucht deines Leibes, die Frucht deines Bodens und die Frucht deines
Viehs, der Nachwuchs deiner Rinder und der Zuwachs deiner Schafe.
Gesegnet ist dein Korb und dein Backtrog. Gesegnet bist du, wenn du kommst,
und gesegnet bist du, wenn du gehst. Der HERR wird dir sein reiches Schatzhaus, den Himmel, auftun und deinem Land Regen geben zu seiner Zeit und
alle Arbeit deiner Hände segnen.
Schön, liebe Kirchentagsgemeinde, diese Segensworte aus dem fünften Buch
Mose, Kapitel 28. Aber gelten sie wirklich mir und Ihnen und Ihnen?
Ich zum Beispiel halte weder Rinder noch Schafe. Wir bewirtschaften zwar einen
Garten, aber unser Brot backen wir nicht selber. Nur ein Teil der Segenssprüche
betrifft mich, so wie ich lebe. Aber was soll´s! Diese Worte spannen doch so etwas
wie ein großes Zelt auf, in dem viele Platz finden. Viele unterschiedliche Menschen.
Solche aus der Stadt, und solche vom Land. Bäuerinnen und Bauern – und all die
anderen. Früher gab es wenig „andere“. Heute sind wir, die wir nicht direkt von der
Landwirtschaft leben, die große Mehrheit in unserem Land.
Aber auf die Mehrheitsverhältnisse kommt hier nicht an, vielmehr darauf:
Miteinander wird uns Gottes Segen zugesprochen – „Stadtpflanzen“ und „Landeiern“.
Gemeinsam hören wir die Segensworte, denn: „Keiner kann allein Segen sich
bewahren.“
Interessant ist die Verbindung von Segen und Regen: Aus dem „Schatzhaus“ des
Himmels kommt Regen „zu seiner Zeit“. Wir würden das wohl kaum so formulieren.
Regen, gar ein Gewitter heute Abend wäre nicht eben das, was wir uns wünschen.
Regen kann unsere Pläne stören, kein Zweifel. Zuviel Regen hat verheerende
Auswirkungen. Zu wenig aber auch.
Vor allem mit Zeiten der Dürre haben die Menschen im Land der Bibel ihre
Erfahrungen gemacht. Darum liegen für sie Regen und Segen ganz eng beieinander,
sprechen sie davon, dass der Segen „fließt“. Hören wir noch einmal, wie Paulus in
der Apostelgeschichte die Abfolge von Gottes Wohltaten beschreibt: „Er hat euch
Regen gesandt vom Himmel herab und Zeiten der Ernte, er hat euch gesättigt mit
Speise und euer Herz erfüllt mit Freude.“
Regen bringt Freude. Klingt paradox für alle, die eine Unternehmung im Freien
planen. Die Böden und die Bauern in Nord-württemberg, in Hohenlohe und Franken
hätten sich über mehr Regen in diesem Frühjahr aber sehr wohl gefreut. Damit nicht
wieder das eintritt, was ein Buch von Bauerntöchtern humorvoll so auf den Punkt
bringt: „Immer regnet´s zur falschen Zeit.“ Weniger spaßig: wenn auf ein trockenes
Frühjahr ein nasser Sommer folgt. Noch schlimmer: Überflutungen wie vor zwei
Jahren, Hagelunwetter, die Äcker, Weinberge, Obstbäume übel zurichten. Oder die
nicht enden wollende trockene Hitze 2003.
Bisweilen fällt die Erntebilanz im Herbst eines turbulenten Wetterjahres
überraschend gut aus. Manchmal fragt man sich aber auch: Wo bleibt Gottes Segen?
Anscheinend fließt er nicht kontinuierlich.
Früher neigte man dazu, Unwetter als Strafe Gottes zu interpretieren. Die
mancherorts noch begangenen Hagelfeiertage wie die Erntebittgottesdienste in
Württemberg waren in ihrem Ursprung Bußgottesdienste. Das spielt heute kaum
mehr eine Rolle – aus guten theologischen Gründen.
Trotzdem: Der Abschnitt aus dem fünften Buch Mose ist für solche
Interpretationen durchaus offen. Er bindet den Segen an das Halten von Gottes
Geboten: „Und alle diese Segnungen werden über dich kommen und werden dich
erreichen, wenn du auf die Stimme des HERRN, deines Gottes hörst.“ Umgekehrt
folgen für den Fall des Ungehorsams gegen Gott lange Fluch-ankündigungen. Da
muss ich schlucken. Sollte Gottes Segen an Bedingungen geknüpft sein, an unser
Wohlverhalten? Ist eine Straf- und Fluchtheologie nicht verheerend in ihren
Wirkungen und widerspricht allem, wofür Jesus steht? Können, ja müssen wir uns
Gottes Segen erarbeiten, verdienen?
Machen wir uns zunächst bewusst, was Segen eigentlich bedeutet. Allgemein
gesagt steht Segen für alles Gute, was von Gott kommt und unser Leben ermöglicht,
fördert, schützt. Der Segen ist das Gute, das Gott seiner Schöpfung, nicht nur uns
Menschen, zukommen lässt. Durch die das Leben erst möglich machenden
Rhythmen der Natur zum Beispiel: Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und
Winter, Tag und Nacht.
Die segensreiche Ordnung der Natur kommt nicht nur denen zugute, die sich an
Gott und seine Gebote halten. „Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute
und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Sagt Jesus in der Bergpredigt.
Keine Rede von Dürre oder Hagel als Strafe Gottes. Das Gute, das Gott seinen
Geschöpfen zukommen lässt, können wir uns nicht verdienen. Aber wir sind dazu
berufen, segensreich mitzuarbeiten in seiner Schöpfung.
„Bebauen und bewahren“ – so die klassische Formulierung. „Saat und Ernte“ ist ja
auch nicht einfach ein Rhythmus der Natur, dazu braucht es uns Menschen. Segen
fließt nicht zuletzt da, wo Gott in und durch uns Menschen wirkt, gewissermaßen
indirekt. Erntesegen: Die Arbeit der Bäuerinnen und Bauern ist von Erfolg gekrönt.
Der Segen, der in der Kirche wächst durch die Musik, die Seelsorge, den
Gottesdienst. Wir können auch füreinander, für andere Menschen zum Segen
werden.
Wenn wir Segen so verstehen, spielt es durchaus eine Rolle, wie wir Menschen
uns verhalten: Lassen wir den Segen fließen oder blockieren wir ihn? Wollen wir ihn
nur für uns genießen, oder sind wir bereit mit anderen zu teilen? „Keiner kann allein
Segen sich bewahren.“
Segen fließt, wo Gott und wir Menschen kooperieren, wo er unserer Arbeit
Gelingen schenkt, wo wir uns in Dienst nehmen lassen, um Gutes zu tun. Letztlich
bleibt aber Gottes Segen für unsere Arbeit unverfügbar und hängt nicht nur an
unseren Bemühungen oder an der Qualität unserer Arbeit. Warum es bis-weilen zur
falschen Zeit regnet und trocken ist, das bleibt ein Geheimnis und lässt sich nicht mit
einer Lohn-und-Strafe-Theologie verrechnen. Überlegen wir nur einmal, wer die
Hauptfolgen der schon stattfindenden und noch zu erwartenden Klimaveränderungen
zu tragen hat: Auch Landwirte und Wengerter bei uns – viel mehr aber die Menschen
in armen Ländern, die viel weniger klimaschädliche Gase in die Luft pusten.
Segen im Sinne von Glück, Gelingen, Erfolg ist eine Bestätigung unseres Tuns,
aber kein Lohn, auf den wir Anspruch erheben könnten. Erst recht ist es uns nicht
erlaubt, aus Unglück, Misserfolg oder Krankheit zu schließen, dass Gott uns oder
einen Mitmenschen damit strafe für irgendwelche Sünden.
Denn Segen kann sich im Gelingen zeigen, ist aber zugleich weit mehr als Glück
und Erfolg. Segen heißt, dass Gott uns im Guten zugewandt ist, dass er mit uns geht
auf unseren Wegen. Eine Urform des Segens ist der Reisesegen: „Der HERR behüte
deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit.“ Der Segen wird uns
zugesprochen, ohne Bedingungen. Er gilt auch und gerade dann, wenn unser Weg
durch ein finsteres Tal führt. Der Segen als Gottes Geleit hängt nicht an meinem
Wohl-verhalten. Er muss mir immer wieder zugesprochen werden. Ich kann ihn mir
nicht selber sagen, höchstens Gott darum bitten.
So lassen wir uns diese Worte zusprechen – uns als Gemeinde für diesen Abend,
jeder und jede sich persönlich: „Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du
auf dem Feld.“
Stadt und Feld, Stadt und Land, Stadt und Dorf – das wurde und wird ja oft als
Gegensatz betrachtet und extrem gegensätzlich bewertet, nicht selten klischeehaft.
„Stadtluft macht frei“, die Stadt als Inbegriff von Leben und Kultur – oder: die Stadt
steht für Menschenmassen, Verkehrschaos, Hektik, gilt als „Sünden-pfuhl“. Dagegen
das Dorf: „Landlust“ – oder: Mief und Enge? Uralte Klischees, die aber in Büchern
und Hochglanzmagazinen derzeit fröhlich wieder auferstehen.
Romantische Verklärung des Landlebens. Der Sämann aus Jesu Gleichnis, der
mit ausladender Handbewegung den Samen auswirft, wunderbar gemalt durch
Vincent van Gogh. Weit weg von dem, wie Landwirte heute die Saat ausbringen.
Aber auch Jesu Gleichnis selber will keine Agrarromantik präsentieren – nüchtern
zählt es auf, wo überall etwas verloren geht. Und trotzdem lohnt sich das Säen,
wächst reichlich Frucht.
Romantische Verklärung des Landlebens. Der Stadtmensch Dietrich Bonhoeffer
neigte zeitweise dazu. Andererseits stellte er vor gut siebzig Jahren nüchtern fest,
das stille, abgeschiedene Leben auf dem Dorf entspreche nicht mehr der Realität.
Heute erst recht nicht mehr, auch wenn es immer noch Orte gibt, in denen die
digitale Kommunikation deutlich langsamer läuft als in den Ballungsgebieten.
Dagegen: die Stadt als Moloch, der alles und alle verschlingt. Auch hierfür gibt es
ein eindrückliches biblisches Bild – den Turmbau zu Babel. Doch kennzeichnend für
die großen Hoffnungsvisionen der Bibel ist nicht der Gegensatz zwischen der bösen
Stadt und dem idealen Landleben. Das Reich Gottes er-scheint als Stadt – das „neue
Jerusalem“. In dieser Stadt wohnt Gott – aber nicht in einem prächtigen Tempel,
vielmehr nah bei den Menschen in einer Hütte, einem Zelt. In diese Stadt ist der
Garten des Paradieses mit seiner Wasserfülle und den reichlich Frucht tragenden
Bäumen integriert.
In die Stadt strömen Menschen – „damit wir klug werden“. Diese Tage nach
Stuttgart, dereinst nach Jerusalem, um sich von Gott den Weg des Friedens zeigen
zu lassen. „Schwerter zu Pflugscharen, Wurfspieße zu Winzermessern“ – in diesem
großartigen Hoffnungsbild begegnen sich Stadt und Land, und die Technik kommt
dem Land zugute. Sie dient dem Leben statt dem Töten. Brot und Wein, Essen und
Genießen. Gottes Segen für die, die dafür arbeiten, und für die, die ihre Produkte
kaufen: „Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du auf dem Feld.“
Begegnung von Stadt und Land, keine romantische Verklärung des Landlebens und
der Landwirtschaft.
Die gibt es aber heute noch, genauso, dass Großstädter und Leute auf dem Dorf
mitleidig auf die Lebensweise der jeweils anderen herabschauen. Was dabei vielfach
auf Unverständnis stößt: Die Landwirtschaft heute ist Teil der modernen,
technisierten Gesellschaft und nicht ihr ideales Gegenbild.
Auch hier wird mit Schlagworten hantiert: „Wir haben es satt“ – weil die
„industrialisierte Landwirtschaft“ mit ihrer „Massentier-haltung“ als Fehlentwicklung
gesehen wird, die der Umwelt und den Tieren schweren Schaden zufüge. Dagegen:
„Wir machen euch satt“ – weil gute und preisgünstige Lebensmittel nur mit moderner
Landwirtschaft zu erzeugen seien.
Es ist klar: Klischees und Schlagworte helfen nicht weiter. Das Evangelische
Bauernwerk in Württemberg hat schon vor fast dreißig Jahren die „Stadt-LandPartnerschaft“ ins Leben gerufen, um Erzeuger von Lebensmitteln und Verbraucher
ins Gespräch zu bringen. Heute ist dieser Dialog nötiger denn je, weil die Landwirte
noch weniger geworden sind, weil die Diskussion speziell um Tierhaltung und
Tierwohl an Schärfe zugelegt hat. Es gibt viel zu reden – über wirtschaftliche
Zwänge, ein Schwindel erregendes Größenwachstum von Betrieben und Ställen,
über problematische Hochleistungszucht, aber auch über preisgünstige Lebensmittel
und „Essen im Eimer“. Es gibt viel zu reden und manches zu ändern – miteinander,
nicht an-einander vorbei oder gegeneinander.
„Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du auf dem Feld.“ Machen wir
uns bewusst, dass wir in einem – zumindest äußerlich gesehen – gesegneten
Landstrich leben. Nicht zuletzt hier, wo wir die Großstadt und die Weinberge
miteinander im Blick haben – ein wirklich schönes Bild. So lassen sich in unseren
Städten wie in den ländlichen Gebieten viele schöne Plätze finden, an denen es gut
ist zu sein und zu leben.
Miteinander leben wir in einem schönen Land, und, ob es uns bewusst ist oder
nicht, wir sind und bleiben aufeinander an-gewiesen. Stadt und Land, Landwirte und
Verbraucher. Miteinander sind wir gefragt, wie wir mit den Gaben der Schöpfung
verantwortlich umgehen, ob wir Gottes Segen fließen lassen oder blockieren, indem
wir ihn nur für uns beanspruchen. Miteinander sind wir schließlich angewiesen auf
Gottes Segen und darauf, dass er uns immer wieder zugesprochen wird:
„Gesegnet bist du in der Stadt, und gesegnet bist du auf dem Feld. Gesegnet bist
du, wenn du kommst, und gesegnet bist du, wenn du gehst.“ Amen.