Haushaltsrede 2016 des Bürgermeisters „Wenn der Wind der Veränderung weht, suchen manche im Hafen Schutz, während andere die Segel setzen.“ Meine sehr geehrten Damen und Herren Ratsmitglieder, sehr verehrte Gäste, bei der Vorbereitung dieser Ratssitzung und auch der Haushaltsrede kam mir dieses Zitat aus der Welt der Seefahrer in den Sinn. Denn wir befinden uns in stürmischen Zeiten: Wir sind derzeit in Europa, in Deutschland und auch hier in Kerpen mit tief greifenden Veränderungen konfrontiert, die in unmittelbarer Wechselwirkung zu einander stehen; beispielhaft sei die Flüchtlingskrise genannt, die uns auch in der heutigen Ratssitzung beschäftigen wird. Sie erfordern einen intensiven gesellschaftlichen und politischen Diskurs auf allen Ebenen. Und sie verlangen uns ab, unter hohem Zeitdruck und auf teilweise sehr unsicherer Datengrundlage weit reichende Entscheidungen zu treffen. Das erfordert Weitsicht und Mut. Seneca würde es mit folgenden Worten ausdrücken: „Man kann keine neuen Ozeane entdecken, hat man nicht den Mut, die Küste aus den Augen zu verlieren.“ Dabei müssen wir die Menschen unbedingt im Rahmen maximal möglicher Transparenz und mit viel Überzeugungskraft mitnehmen; hierfür ist der Bürgerhaushalt ein guter Einstieg. Wir werden es nicht immer Jedem recht machen können, aber wir sollten gemeinsam den Anspruch haben, fair miteinander zu diskutieren und wertschätzend um die besten und gerechtesten Lösungen zu streiten. Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für die Haushaltsplanberatungen, bei denen es darum geht, im Rahmen der Daseinsvorsorge zu entscheiden, nach besten Wissen und Gewissen Ressourcen für die Menschen in Kerpen in den unterschiedlichsten Lebensbereichen zur Verfügung zu stellen und hierbei Zielkonflikte zu meistern. Hier müssen wir bei allen Wünschenswerten immer im Blick halten, im Rahmen der Generationengerechtigkeit nachhaltig zu wirtschaften und unseren Kindern mit Blick auf unsere Infrastruktur und unsere Stadtfinanzen keine verbrannte Erde zu hinterlassen. Oberstes Ziel muss hier sein, den sozialen Frieden, die Lebensqualität und auch die Handlungsfähigkeit der Kolpingstadt Kerpen zu erhalten. Das sollte bei allem Streit um die besten Lösungen unser gemeinsamer innerer Kompass sein. Denn: „Nur wer weiß, wohin er segeln will, setzt die Segel richtig. (Jürg Meier) Meine Damen und Herren, im letzten Jahr standen wir hier und es wurde ein Haushalt eingebracht, in dem die Pflichtigkeit eines Haushaltssicherungskonzeptes Gewißheit werden musste. Dieses müssen wir in diesem Jahr pflichtgemäß fortschreiben. Das Ergebnis vorweg: Der Entwurf sieht für das Jahr 2016 ein Defizit von 20,2 Mio. € vor und das trotz der ebenso notwendigen wie schmerzhaften und daher mutigen Entscheidung, die dieser Stadtrat schon im Dezember 2015 bereits getroffen hat: Der Erhöhung des Hebesatzes der Grundsteuer B von 550 auf 600 Punkte. Ohne diese Entscheidung wäre das Defizit noch um rund 1,2 Mio. € höher ausgefallen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Steuerabteilung ermittelt hat, dass für 75% der Steuerzahler die Erhöhung der Grundsteuer B weniger als 50 € im Jahr ausmacht. Damit will ich aber nicht in Abrede stellen, dass dies nicht nur in Einzelfällen als belastend empfunden werden kann. Die Gründe für das hohe Haushaltsdefizit sind in diesem Jahr sicherlich speziell zu betrachten, aber einige Gründe haben auch schon Generationen von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern vor mir ausgeführt, da verrate ich nichts Neues: Als Flächenkommune hat Kerpen schwer an seiner Infrastruktur zu tragen, die in vielen Stadtteilen vorgehalten werden muss oder soll. Schon die letztjährige Analyse zusammen mit dem Städte- und Gemeindebund hat gezeigt, dass Lösungen in der Reduzierung der Quantität zugunsten der Qualität stecken können. Dieses Modell gilt es in den nächsten Jahren in verschiedenen Themenfeldern zu erproben, hier stecken Einsparpotentiale, die gehoben werden wollen. Die drückenden Soziallasten und hier insbesondere die Jugendhilfekosten waren auch ein ständiger Begleiter der Verantwortlichen im Kerpener Rathaus. Hier lässt sich zumindest ein Licht am Ende des Tunnels erblicken, denn nach Jahren des stetigen Anstiegs scheinen die eingeleiteten Maßnahmen Früchte zu tragen, wenn man sich die Zahlen aus den Jahren seit 2013 anschaut. Zu früh sollte man sich nicht freuen, hinter den Jugendhilfekosten stecken auch ernste gesellschaftliche Problemlagen, die man nicht von heute auf morgen „wegverwalten“ kann, sondern von der Wurzel und systematisch angehen muss. Rückschläge sind nicht auszuschließen, aber wir sind auf einem guten Weg. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jugendamt, die diese nicht leichten Aufgaben mit Herzblut und immensem Arbeitseinsatz erfüllen und immer wieder schwierige Entscheidungen zu treffen haben. War die Jugendhilfe in den letzten Jahren für mich auch als für die Jugend zuständiger Dezernent noch mein Kernthema, so hat ein anderes Thema im letzten Jahr große Teile der Verwaltung und auch mich noch deutlich stärker beschäftigt. Es geht um das Thema „Flüchtlinge“. Das hat auch für den Haushalt Konsequenzen. Die Wirklichkeit nimmt auf die Haushaltsnotlage in Kerpen natürlich keine Rücksicht. Im Vergleich zu anderen geht es uns immer noch sehr gut. Europa, die Bundesrepublik, jede einzelne Kommune steht durch die hohe Zahl an Menschen, die insbesondere aus Afrika und Asien zu uns kommen, vor enormen Herausforderungen, vor allem seit den Sommermonaten des letzten Jahres. Wir kommen in der Ratssitzung noch dazu: Keiner kann genau vorhersehen, wie viele Menschen Kerpen zusätzlich unterzubringen hat, auch das zuständige Bundesamt scheut konkrete Prognosen. Wir „durften“ für die Haushaltsplanung wie auch natürlich für das Management dieser Pflichtaufgabe eigene Szenarien entwickeln, die wiederum Auswirkungen auf zu schaffende und zu beschaffende Wohneinheiten, auf Personalkapazitäten und einzukaufende Sach- und Dienstleistungen haben. Hier ist der Rat über eine Lenkungsgruppe über die Entwicklungen und alle Planungen der Verwaltung informiert. Ich denke, dass ich an dieser Stelle nach den jüngsten Sitzungen der Lenkungsgruppe der Hoffnung Ausdruck verleihen kann, dass wir gemeinsam und konstruktiv das Thema angehen und auch Lösungen finden werden, die unseren Bürgerinnen und Bürgern vermittelbar sind. Das Thema ist komplex und für komplexe Problemstellungen gibt es im Leben keine einfachen Antworten und Lösungen. Das muss uns, aber auch den Bürgerinnen und Bürgern bewusst sein bzw. bewusst gemacht werden. Konkret zu den Zahlen: Zurzeit gehen wir von rund 2.400 Flüchtlingen aus, die im Jahr 2016 neu nach Kerpen kommen werden. Es können auch mehr werden, es können weniger werden. Aber mit dieser Zahl arbeiten wir. Dies führt zu erheblichen Kosten, genau gesagt rechnen wir mit 16,3 Mio. €, die aus dem Kerpener Haushalt zu finanzieren sind für Unterkunftskosten und gesetzliche Leistungen für den Personenkreis der Flüchtlinge. An dieser Stelle sei nochmals betont, dass die Zahlen nur groben Schätzungen unterliegen. Es kann keinesfalls ausgeschlossen werden, dass die Aufwendungen höher oder auch niedriger liegen werden. Das Stellwerk für die Entwicklung liegt nicht in Kerpen, sondern in anderen Teilen des Landes und der Erde. Zugesagt nach dem Stand heute haben Bund und Land zusammen hierfür einen Kostenerstattung bezogen auf das Jahr 2016 von rund 7,1 Mio. €. Mit anderen Worten: Rund 9,2 Mio. € sind nach diesem Szenario derzeit als nicht gedeckt zu betrachten und von Kerpen zu tragen. Es sei eingeräumt, dass Land und Kommunale Spitzenverbände im weiteren Verlauf des Jahres Gespräche vereinbart haben über eine Aufstockung der Kostenerstattung. Verlässliche Zahlen, die man getrost als Ertragspositionen in den städtischen Haushalt aufnehmen kann, vermag ich hieraus nicht abzuleiten. Für das Jahr 2017 sehen die Prognosen schon deutlich besser aus: Hier soll den Kommunen 866 € je Monat je tatsächlich untergebrachter Person zugehen, es wird eine neue Statistik eingeführt und spitz abgerechnet. Anhand der Zahlen, die wir heute kennen, sollten diese Mittel eine Kostendeckung in etwa herstellen können. Hier sei insbesondere die Sondersituation in Manheim betrachtet mit günstigen Unterkünften, aber auch die vom Rat heute und den kommenden Sitzungen zu treffenden Entscheidungen bezüglich neuer Unterkünften genannt. Bis auf den letzten € lassen sich die erforderlichen Maßnahmen nicht kalkulieren. Ich möchte betonen, dass ich hiermit nur eine Aussage über die Höhe der Kostenerstattung ab 2017 treffe. Davon unbenommen stellt die Aufgabenstellung die Verwaltung vor eine große Herausforderung und alle möglichen Folgen und Auswirkungen lassen sich nicht abschätzen oder in € und Cent umrechnen. Auch bleibt nur zu hoffen, dass die Zusagen zur Kostenerstattung sich durch Bund und Land auch wirklich halten lassen: 866 € je Person und Monat sind bei 3.000 Personen und 12 Monaten 31,176 Mio. € Erstattung für das Jahr 2017. Nur für Kerpen. Hiervon gehen wir aus, so lautet die aktuelle Zusage. Bei der Haushaltseinbringung 2017 in Bund und Land gilt es, hierauf zu achten. Das ist wohl als größtes Damoklesschwert für die Kommunen im Land anzusehen. Aber wir sehen uns hier vom Städte- und Gemeindebund als wachsamer Hüter unserer Interessen gut vertreten. Bei diesen schwindelerregenden Summen kann es wenig verwundern, dass die sogenannten Transferaufwendungen mittlerweile rund 49% des gesamten Aufwandvolumens ausmachen. Aber ich möchte zumindest kurz auch auf die anderen Kosten im Haushalt eingehen: Die im Haushaltsplan 2016 nachgewiesenen Personal- und Versorgungsaufwendungen erhöhen sich gegenüber den Haushaltsansätzen für das Jahr 2015 von rund 47,3 Mio. € um rund 2,1 Mio. € auf 49,4 Mio. €. Hintergrund sind neben den im Dezember 2015 vom Rat beschlossenen zusätzlichen Stellen die Tarif- und Besoldungserhöhungen, insbesondere jene im Sozialund Erziehungsdienst. Für die Personalkosten hatte der Rat im letzten Jahr die Budgetierungsregeln verschärft und eine Wiederbesetzungssperre von 6 Monaten eingeführt. Die Unterhaltungsausgaben für (im Wesentlichen) Hoch- und Tiefbaumaßnahmen bleiben in etwa konstant auf dem Vorjahresniveau von rund 4,6 Mio. €. Die größten Einzelpositionen darunter sind in der Unterhaltung von Schulen und KiTas zu finden. Bei der Kreisumlage müssen wir uns wieder auf steigende Aufwendungen einstellen. 2016 beruht diese Steigerung aber zugegebenermaßen darauf, dass sich die Umlagegrundlagen – also Steuererträge und Schlüsselzuweisungen – deutlich stärker zeigten als im Vorjahr. Die Kreisumlage erhöht sich gegenüber dem Haushaltsansatz 2015 von rund 36,2 Mio. € um rund 3,2 Mio. € auf rund 39,4 Mio. € bei einem Umlagesatz von 43,91 v.H. Kommen wir zur Ertragsseite. Hier habe ich zur Grundsteuer B bereits Stellung genommen. Die Gewerbesteuer ist ihrem Ruf als launische Diva der Steuerarten 2015 voll gerecht geworden. Hatten wir 2014 noch einen Einbruch zu verkraften mit einem Absinken auf 23,4 Mio. €, so stand am Jahresende 2015 die stolze Zahl von 43,4 Mio. €. Dies macht es aber auch nicht leicht, gesicherte Zahlen für 2016 anzusetzen. Mit einem Ansatz von 33 Mio. € bewegen wir uns in Höhe des Mittels der beiden Vorjahresergebnisse. Die Entwicklung der Gewerbesteuer hatte die unmittelbare Auswirkung, dass wir weniger Schlüsselzuweisungen im Jahr 2016 erhalten werden, als wir noch 2015 erwartet hatten. Es werden rund 21,5 Mio. € sein, damit ca. 2 Mio. € weniger als wir im letztjährigen Haushaltsplan für 2016 erwartet hatten. Nun zu den Investitionen, die für 2016 in der Planung sind: Neben den bedeutenden Maßnahmen in Manheim-Neu und der Erftlagune, die 2016 fortgesetzt werden, stehen folgende größere Einzelmaßnahmen auf der Investitionsliste 2016: Für die Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge steht ein hoher einstelliger Millionenbetrag (9,4 Mio.) im Entwurf ebenso wie für noch genau zu beschließende Einzelmaßnahmen im KiTa-Bereich – die Kämmerei hat mangels konkreter abgeschlossener Beschlusslage zunächst Ansätze von 2,6 Mio. € und Verpflichtungsermächtigungen von 2 Mio. € aufgenommen. Ferner werden am Schloss Türnich 1,445 Mio. € investiert, wofür allerdings Fördermittel vorgesehen ist. Die Maßnahme ist insgesamt kostenneutral für den Haushalt der Kolpingstadt auszugestalten. Beim Thema Fördermittel komme ich zu verschiedenen Maßnahmen, für die weiterhin Förderanträge gestellt wurden, aber noch keine Entscheidung feststeht. Mittel für ein Integrationszentrum in Sindorf und Sportplatzbau sind als Merkposten im Haushalt vorgesehen. Zugute kommt uns in den nächsten Jahren auch der Topf des Kommunalinvestitonsförderungsgesetzes, aus dem Kerpen rund 2,7 Mio. € erhält, die u.a. für Bildungsinfrastruktur oder Einrichtungen der frühkindlichen Infrastruktur verwendet werden dürfen. Insgesamt werden sich die Investitionen in Höhe von 23,2 Mio. € nicht allein durch Drittmittel finanzieren lassen. Etwas mehr als die Hälfte – rund 12,6 Mio. € - muss durch die Aufnahme von Investitionskrediten gedeckt werden. Hierfür stehen für ausgewählte Maßnahmen allerdings geförderte Sonderkontingente zu günstigen Konditionen zur Verfügung. Aber wehe, wehe, wehe, wenn ich auf das Ende sehe… Wir haben im Haushaltssicherungskonzept bis 2025 die Aufgabe, für den Ergebnishaushalt die schwarze Null zu erreichen. Mit jedem Jahr rückt das Pflichtjahr der Zielerreichung ein Stück näher. Günstige Entwicklungen und Berechnungen aus Vorjahren können sich sehr schnell als Seifenblasen herausstellen. Das Land hat für die Fortschreibung Berechnungsregeln aufgestellt und gibt uns mit den Orientierungsdaten Richtgrößen an die Hand, so z.B. die schwerlich zu erreichende Steigerungsrate von nur 1% beim Personalaufwand. Die Berechnungen der Kämmerei haben ergeben: Sollten wir diese Margen einhalten, sollten wir bei den von uns zu beeinflussenden Bereichen Disziplin walten lassen, sollten wir durch Bund und Land per Saldo nahezu freigestellt werden von den Kosten der Flüchtlingsunterbringung wie dies versprochen wird, sollte hiervon zudem auch keine übermäßige Aufdimensionierung unsere übrigen Infrastruktur ausgehen, sollten wir 2019 die Erftlagune als großen Verlustbringer in den zu gründenden Stadtwerken aufgehen lassen, dann wäre eine schwarze Null bereits 2020 rein rechnerisch darstellbar. Als Puffer und kleinen Wermutstropfen hat die Kämmerei einen Hebesatzerhöhung um 20 Punkte auf 620 von Hundert im Jahr 2019 eingerechnet. Das war auch schon im letzten Jahr im Haushaltssicherungskonzept so vorgesehen gewesen. An dieser Stelle sei auch noch einmal auf den Bürgerhaushalt 2016 hingewiesen. Auf der Internetplattform sind schon über 300 Rückmeldungen eingegangen, die Vorschläge erhalten eine Bewertung und eine Auswahl davon wird Ihnen vorgelegt. Es ist nun ehrenvolle Aufgabe des Stadtrates, diesen Haushaltsplanentwurf nicht nur zu prüfen und zu überarbeiten, sondern ihm auch die persönliche Handschrift des Rates zu verpassen. Es sind noch einige Entscheidungen zu treffen, die das vorgelegte Zahlenwerk verändern können. Hierfür wünsche ich uns allen eine glückliche Hand und einen kühlen Kopf. Wie gesagt: Wir befinden uns in stürmischen Zeiten. Die Wikinger sagen: „Über den Wind können wir nicht bestimmen, aber wir können die Segel richten.“ Lassen Sie uns dies gemeinsam tun, denn wir alle sitzen im selben Boot. Kerpen gelingt gemeinsam! Dieter Spürck Bürgermeister
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