Rezension Nauz. Gedichte und Bilder Von Dr. Eleonore de Felip Roberta Dapunt: Nauz. Gedichte und Bilder [Ladinisch und deutsch]. Aus dem Ladinischen von Alma Vallazza. Mit 34 Fotos und 17 Gedichten. Wien, Bozen: Folio 2012 (Transfer Bibliothek; 113), 73 S. Dapunts auf Ladinisch verfasster, von Alma Vallazza ins Deutsche übertragener Gedichtzyklus versteht sich als Lobgesang auf die um ihr Überleben kämpfende ladinische Bauernwelt. Die Autorin, selbst Bäuerin in Abtei im Südtiroler Gadertal, hat ihren Gedichten 30 Schwarzweiß-Fotos mitgegeben, von denen eines den gekreuzigten Christus zeigt. Alle anderen beschränken sich mit obsessiver Genauigkeit auf ein einziges Motiv: auf die Passion eines Schweins, vom Augenblick des Todeskampfs über seine Aufhängung an einem Eisenhaken bis hin zur schrittweisen gnadenlosen Zerstückelung seines Körpers. Womit wir bei der allerersten Frage sind, die sich beim Lesen und Betrachten des Gedichtbands aufdrängt: Warum wählt die Autorin zur Illustrierung ihrer Welt aus den vielen darstellungswürdigen Aspekten gerade diesen einen und nur diesen aus? Warum legt sie ihr Buch so an, dass der unvorbereitete Leser schon beim Durchblättern verstört bleiben muss? Warum schockiert sie ihn so, dass er für die anschließende Lektüre enorme emotionelle Hürden zu überwinden hat? Dies ist keine gute Strategie für ein Buch. Das Buch beginnt mit einer äußerst detaillierten Schilderung des qualvollen Todeskampfs. Sie s hließt it de Sätze : „So oh e ir sei e Todeska pf ei – gedankenlos, aus Notwendigkeit und Absicht. Wir sind. Nicht mehr und nicht weniger, wir passen uns an. Das ist die hiesige Wahrheit, die der Nase für wenige Minuten im Jahr den Geruch eines entlassenen Herzens gewährt. Üppig gedeckt ist unsere Tafel, wiederkäuen werden wir das u estattete Tier.“ Vo de A passu gs ersu he ei er spür ar se si le , spür ar sprachbegabten Frau an die Gepflogenheiten ihres Berufsstandes handelt auch das Buch. Dort, wo die Anpassung eine emotionell glückliche ist, sind auch stimmige Gedichte entstanden: über die Geburt eines Tieres, über die Verbundenheit mit ihrem Land, über das Glück, einen festen Ort auf dieser Welt zu haben, von dem man im Unterschied zu Tausenden Anderen nicht vertrieben werden kann. Dapunts Lyrik, die sich eines traditionellen, einfachen sprachlichen Repertoires bedient, trifft den Ton einer bäuerlichen Welt. Auch die als Gebete formulierten Monologe sind der stimmige Ausdruck eines von tiefer Religiosität getragenen Lebens. Doch schon an diesen Gebeten spürt man den Riss, der sich durchs gesamte Buch zieht; sie sind der Ausdruck innerer Zweifel und Qualen, sie inszenieren sich als Hilferufe zur Bewältigung schlafloser Nächte, täglicher Plackereien und anstehender Schlachttage. Sie signalisieren den irritierenden Widerspruch zwischen bewusst gewollter und gescheiterter Anpassung. 1 Als künstlerisch hochproblematisch müssen vollends jene Texte bezeichnet werden, die auf unsinnige Weise die Zerrissenheit des lyrischen Ichs in einem Ton gefassten Bedauerns aufzuheben versuchen. So fi de si h i Gedi ht „Blüte “ folge de Verse: „Ko her, ko s ho her, S h ei . Ich entlasse dich in diesen Morgen, in den aufgehenden Tod. Und du äugst heiter auf den Boden, wo jetzt nichts blüht. Nichts, nur der weiße Schnee fängt dein strähniges Blut auf. Blüte si d es zur Weih a htszeit.“ Bei allem Verständnis für den schweren Stand einer Bäuerin: aber Verse dieser Art sind ganz und gar inakzeptabel. Sie tragen das Signum einer gefährlichen Ästhetisierung des Tötens und einer unerträglichen Verkitschung des Leids. Zur Autori sagt der Klappe text: „Sie ähert si h it große Respekt de Ereig is u d macht so den Akt des Tötens, der gesellschaftlich verdrängt wird, sichtbar als einen Vorgang der Tradition und seit alters her wichtigen Teil des äuerli he Ü erle e s.“ We , frage wir uns, gilt der Respekt der Autorin, welchem abstrakten Konzept von Tradition? Traditionen sind wertvoll und förderungswürdig, wenn sie ihre lebensbejahenden, stärkenden, humanisierenden Aspekte bewahren, wenn sie aber auch im Sinne eines Erkennens der Zeichen der Zeit die Kraft haben, selbstschädigende Praktiken loszulassen. Selbstschädigend ist das Abschlachten eines Tieres deshalb, weil es die Seele des Schlächters verletzt und weil es, wenn es am Hof Kinder gibt, auch die Seelen der Kinder verletzt, die den Eltern beim Schlachten zuschauen. Das menschliche Töten eines Tieres ist kein Naturgesetz, das mit stiller Gefasstheit hingenommen werden soll, sondern ein bewusster Gewaltakt. Welchem Kunstverständnis, fragen wir uns weiter, hängen die Verfasser des Klappentexts an? Sie stehen ein für eine falsch verstandene Freiheit von Kunst. Dies zeigt sich am deutlichsten am Bildzyklus. Gesetzt den Fall, anstelle des Schweins würde ein Mensch fotografiert werden, in den Augenblicken seiner Ermordung, im Zustand seiner äußersten Erniedrigung, und weiter dabei, in aller Detailliertheit, wie sein Schlächter in seinen Eingeweiden wühlt, wie er ihn vierteilt etc. Ein Aufschrei ginge durch alle Medien. Fotografien dieser Art würden alle Grenzen der Pietät verletzen. Es ist nicht einzusehen und nicht hinzunehmen, warum dies bei einem Tier ethisch und ästhetisch erlaubt und sogar gutgeheißen werden soll. Das Verstörende an diesem Bildzyklus ist die Haltung, die sich darin offenbart: ein Tier als bloßes Nutzungsobjekt zu sehen. Die Bilder wirken auf den Betrachter verstörend. Dass die Autorin unter die Bilder den Gekreuzigten stellt und damit dessen Martyrium und das des Schweins auf dieselbe Ebene hebt, macht das Ganze nicht besser, denn: wenn darin das Mitleid mit dem Schwein ausgedrückt werden soll, so steht der Bilddiskurs in krassem Gegensatz zum Textdiskurs. Wenn es aber um eine rein bildliche Affinität zwischen den beiden Gekreuzigten gehen soll, so ist diese Verbindung zynisch. 2 Wir hoffen aufrichtig, dass die Autorin ihre Sensibilität und ihre Sprachbegabung zukünftig auf konstruktivere Weise einsetzt: in empörten Gedichten z.B., die eine wohlhabende Gesellschaft anklagen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch immer ihre Bauern dazu zu zwingt, Tiere töten zu müssen, um physisch zu überleben (dieser Eindruck entsteht zumindest bei der Lektüre). In einer engagierten Lyrik, die sich für kollektive Maßnahmen einsetzt, die das Überleben der Menschheit sichern ohne die Opferung von Tieren. Oder mit den Strategien der parodistischen Verarbeitung, indem z.B. ein Szenario entworfen wird, in welchem eine Schweinefamilie im Namen des Überlebens und der Tradition jährlich rituell einen Menschen tötet. Die tragische Absurdität des Geschehens käme sehr viel wirkungsvoller zum Ausdruck. 3
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