Mit dem Rollstuhl auf die Berge

Mit dem Rollstuhl auf die Berge
„BARRIEREFREI Austria“ bietet individualisierte Pauschalreisen nach Österreich im
Baukastensystem mit Bahnanreise • Start mit fünf touristischen Regionen
Die Deutsche Bahn (DB) hat gemeinsam mit den Kooperationspartnern von „BARRIEREFREI Austria“ Mobilitätspakete entwickelt, die sowohl die An- und Abreise mit möglicher Ein-, Um- und Ausstiegshilfe, die Anschlussmobilität am Urlaubsort und die
Übernachtung, als auch ein mögliches Ausflugs- und Kulturprogramm beinhalten. Die
Reiseangebote richten sich vorzugsweise an Rollstuhlfahrer sowie seh- und hörbehinderte Personen, aber auch an ältere Menschen sowie Familien mit kleinen Kindern.
Fünf Ferienregionen in Tirol sind derzeit Partner: das Ferienland Kufstein, Ellmau am
Wilden Kaiser, die Naturpark & Gletscherregion Kaunertal, Kitzbühel Tourismus sowie
Innsbruck und seine Feriendörfer.
Christoph Rieker ist ein leidenschaftlicher Bergfan. Seit der Kindheit erwanderte und erkletterte er unzählige Gipfel. Mit 19 dann der schlimme Motorradunfall. Querschnittslähmung.
Rollstuhl. Aber auf die Berge will der heute 37-Jährige auch jetzt nicht verzichten.
Es war Zufall, dass es ihn in die Heimat des Tiroler Fernseh-„Bergdoktors“ zog. Im Internet
stieß er auf eine angeblich „barrierefreie“ Wohnung in Ellmau am Wilden Kaiser, passend für
seine fünfköpfige Familie. Doch Stufen, kein Sitz in der Dusche, Küchen-Arbeitsflächen, die
nicht unterfahrbar waren, oder Spiegel, die zu hoch hängen, trüben ein wenig die Urlaubsfreude. Christoph Rieker weiß aus langjähriger Erfahrung: „Es sind nicht nur die großen Hürden, sondern oft kleine Unzulänglichkeiten, die Menschen mit Handicap das Leben erschweren können.“
In Ellmau zu Hause ist Kornelia Grundmann (61). Die Wiesbadener Architektin ist wegen
ihrer fortgeschrittenen Multiple Sklerose (MS) auf den Rollstuhl angewiesen. Fachwissen und
persönliche Erfahrung setzt sie inzwischen ein, „damit Leben und Reisen in Österreich für
Menschen mit Mobilitätseinschränkungen erleichtert wird.“ Sie gründete „gabana“ – eine
Agentur für barrierefreies und nachhaltiges Management. Als Botschafterin und Beraterin für
Barrierefreiheit besucht sie Hoteliers, Tourismusverbände und Ausflugsveranstalter. Sie entwickelt gemeinsam mit der DB und der ÖBB Reisen nach einem Baukastensystem für Rollstuhlfahrer, Familien mit Kinderwagen, gehbehinderte und ältere Menschen. Und sie sagt
immer wieder: „Der Abbau von Hindernissen bietet letztlich auch allen anderen Gästen mehr
Komfort.“
„Der Focus des Kooperationsprojektes „BARRIEREFREI Austria“ liegt auf der Förderung
eines Tourismusangebotes für alle“, so Ellen Engel-Kuhn, Leiterin Kontaktstelle für Behindertenangelegenheiten bei der Deutschen Bahn (DB), „wir wollen es ermöglichen, dass
Menschen mit und ohne Mobilitätseinschränkungen gemeinsam verreisen und auf Erlebnistouren gehen können.“ Die unternehmungslustigen und sportlichen Eheleute Rieker (37 und
38 Jahre) mit ihren drei Kindern (5, 9 und 10 Jahre) erweisen sich dabei als ideale Testgruppe.
Die Anreise mit der Bahn aus Baden-Württemberg, organisiert von der MobilitätsserviceZentrale der DB, verlief „völlig problemlos“, so Rieker. In Kufstein hilft ihm der Servicemitarbeiter der ÖBB Martin Rohm mit dem Hublift beim Ausstieg. Bahnsteige und Eingangshalle
haben Aufzüge, vor dem Gebäude wartet ein Kleinbus mit Rampe und Sicherungstechnik für
Rollstühle und „normale“ Sitze. Kornelia Grundmann: „Schon ab acht Teilnehmern organisieren wir Erlebnistouren.“
Rieker besuchte eine Reihe von Tiroler Hotels, Restaurants und Berggasthöfen, schaute sich
barrierefreie Zimmer an, genoss den Service in Gaststuben und Berghütten. In vielen Fällen
hat Kornelia Grundmann die erforderlichen Umbauten im Haus mitgeplant. „Natürlich muss
man erst einmal investieren“, sagt sie, „aber die Ausgaben amortisieren sich oft schneller als
gedacht.“ So suchen neben Privatreisenden auch Firmen für ihre Seminare und Events nach
Unterkünften für Angestellte mit und ohne Handicap.
Der Druck auf die gastronomischen und touristischen Betriebe werde wachsen, mahnt Kornelia Grundmann. Denn ab Januar 2016 drohen in Österreich auch Anbietern touristischer
Leistungen Strafen, wenn sich ein behinderter Mensch diskriminiert fühlt: „Die Beweislast,
dass keine Barrierefreiheit möglich ist, liegt dann nicht beim Gast, sondern beim Betrieb.“
Auch Bergbahnen und Ausflugsziele haben sich z. B. auf Rollstuhlfahrer eingerichtet. So
können an die Kabinen der Gondelbahn aufs Kitzbüheler Horn (1996 Meter) Rampen angelegt werden. In Gipfelnähe sind Aussichtsplattformen, Restaurant oder behindertengerechte
Toilette über Aufzüge und Schrägen problemlos erreichbar. Christoph Rieker, der vor seinem folgenschweren Unfall noch 4000er in den Berner Alpen erklomm, ist zugleich wehmütig
und begeistert: „Es ist eine andere Art Bergerlebnis gegenüber früher. Aber es ist toll, dass
ich trotz Rollstuhl hier oben sein kann!“
Mit seinem Rollstuhl ist er auch schon über Wirtschafts-, Wald- und Wanderwege ins Tal
zurück gefahren. „Manchmal mussten meine Frau und die Kinder schieben oder bremsen.“
Gleich mehrere starke Männer halfen ihm in Ellmau bei der Verwirklichung eines lang gehegten Traums: Gleitschirmfliegen. Als er schließlich mit einem Fluglehrer am Tandemschirm
zwischen Himmel und Erde schwebte, seien ihm „Gefühle und Erinnerungen an die Zeit oh-
ne Einschränkungen“ aufgekommen: „Ich bin so dankbar, dass ich das nun erneut erleben
durfte.“
Besichtigungen, Kultur, Shopping – Kufstein ist wegen seiner hügeligen Lage eine besondere Herausforderung. Abgesenkte Bordsteinkanten, gepflasterte Schrägen neben Stufen,
ebene Zugänge zu Restaurants und Außenterrassen oder Aufzüge helfen bei der Überwindung vieler Hürden. So sind auf der mittelalterlichen Festung hoch über der Stadt Veranstaltungsbereich, Restauration und viele Museumsabteilungen mit Rollstuhl, Rollator oder Kinderwagen erreichbar. Stefan Graf vom Tourismusverband Ferienland Kufstein: „Es gibt Barrieren bei Städtebau, Denkmalschutz und in der Natur, die werden sich niemals beseitigen
lassen. Aber wir schaffen mit Geld und guten Ideen Möglichkeiten, um sie zu überwinden.“
Ein besonderes Familienerlebnis für die Riekers ist der Besuch im Raritäten-Zoo von Ebbs
bei Kufstein. Die Kinder freuen sich über frei herumtobende Berberaffen, Riesenschildkröten
zum Anfassen oder die Streicheltiere. Und sie finden es schön, dass Papa ihnen auf den
barrierefreien Wegen überall hin folgen kann. Christoph Rieker: „Erlebnisse gemeinsam mit
der Familie, Bewegung in der Natur, gut essen und trinken, zuverlässige Übernachtungsangebote und nicht zuletzt rollstuhlgerechte Toiletten – das sind für mich heute die wichtigsten
Voraussetzungen für einen gelungenen Urlaub. Mehr brauche ich nicht.“
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Weitere Informationen zum Kooperationsprojekt „BARRIEREFREI Austria“ unter
www.bahn.de/reiseziele-barrierefrei. Alle Angebote für diese Reisen können auch telefonisch
über die Mobilitätsservice-Zentrale der DB als zentraler und kompetenter Ansprechpartner
unter der Telefonnummer 0180 6 512 512 gebucht werden (20 ct/Anruf aus dem Festnetz,
Tarif bei Mobilfunk max. 60 ct/Anruf).