Nicht nur schwarze Quadrate 1 Mit ihm gelang der Durchbruch zur Gegenstandslosigkeit: Das Quadrat in der Kunst E VA LU D W I G - G LÜ C K 2 3 Es zählt zu den radikalsten Bilder der Kunstgeschichte: Das schwarze Quadrat des ukrainischen Künstlers Kasimir Malewitsch, erstmals ausgestellt 1915 in Sankt Petersburg (Abb.1). Das Bild legte den Grundstein für die späteren Kunstrichtungen des Konstruktivismus und Suprematismus. Deren Streben nach strenger Gegenstandslosigkeit fasste Malewitsch in folgende Worte: „Als ich 1913 den verzweifelten Versuch unternahm, die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien, stellte ich ein Gemälde aus, das nicht mehr war als ein schwarzes Quadrat auf einem weißen Grundfeld ... Es war kein leeres Quadrat, das ich ausstellte, sondern vielmehr die Empfindung der Gegenstandslosigkeit.“ Durch die Hängung in der oberen Raumecke – in einem orthodoxen Haus der Ikone vorbehalten – lud der Künstler sein Werk mit spiritueller Bedeutung auf. Nicht zu Unrecht wird es bis heute als „Ikone der Moderne“ bezeichnet. Für die russischen Avantgardekünstler markierte das Werk den Durchbruch zur gegenstandslosen Kunst, die in ihren Anfängen mit der russischen Revolution ideologisch eng verbunden war. In der neuen kommunistischen Herrschaft sahen die russischen Intellektuellen einen Wegbereiter für eine neue Kunst. Obwohl sich nach der Machtübernahme Stalins die funktionale Kunst des Sozialistischen Realismus durchsetzte und Malewitsch Ausstellungs- und Publikationsverbot erhielt, wirkt der Einfluss seines Werks und der seiner Zeitgenossen bis ins 21. Jahrhundert. Einige von Malewitschs Wegbegleitern waren ebenfalls führende Köpfe der russischen Avantgarde, beispielsweise El Lissitzky (Abb. 2), Wassily Kandinsky, Alexander Rodtschenko oder Wladimir Tatlin, die sich im Institut für Künstlerische Kultur in Moskau trafen, das ab 1920 von Kandinsky geleitet wurde. Rodtschenko entwickelte gra- 12 mundus 2/15 Kuns tge s c h ic h te fische und bildhauerische Raumskulpturen, in denen er mit Linien und geometrischen Strukturen, etwa dem Quadrat, arbeitete. In eine ähnliche Richtung ging die sogenannte „Maschinenkunst“ Tatlins (Abb. 3), der daran arbeitete, die Ästhetik der Technik hervorzuheben und sich so von einem bürgerlichen und romantischen Kunstverständnis abzugrenzen. Beide Künstler waren zentrale Figuren der zweiten Phase der russischen Avantgarde, des Konstruktivismus. Mit ihrer Betonung des technisch-funktionalen, der standardisierten und geometrischen Formen und des einfachen Materials beeinflussten sie später den Minimalismus. 1921 präsentierte Rodtschenko sein Triptychon Reine Farbe Rot, Reine Farbe Gelb, Reine Farbe Blau, drei monochrome rechteckige Leinwände (Abb. 4) und proklamierte dazu im Rückblick 1939 das Ende der Malerei: „Ich habe die Malerei zu ihrem logischen Ende gebracht … es soll keine Darstellung mehr geben.“ Im Jahr 1960 bezog sich der französische Künstler Yves Klein mit seinem rechteckigen Triptychon Rot-GoldBlau auf diese Arbeit. Der russische Konstruktivismus beeinflusste in den 1920er und 1930er Jahren Künstlervereinigungen wie das Bauhaus in Deutschland, De Stijl in den Niederlanden und die Konkrete Kunst in der Schweiz. Ziel war eine auf mathematischen und geometrischen Grundlagen beruhende Kunst, die nicht von der Realität ausgeht und diese abstrahiert, sondern ausschließlich ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, wie es Kandinsky ausdrückte: „Die neue Kunst hat den Grundsatz in den Vordergrund gestellt, dass Kunst nur sich selbst zum Inhalt haben kann. So finden wir denn in ihr nicht die Idee von irgendetwas, sondern nur die Idee von der Kunst selbst, von ihrem Selbstinhalt. Die ureigene Idee der Kunst ist ihre Gegenstandslosigkeit.“ Kandinsky war bis 1933 Lehrer am Bauhaus und entwickelte in dieser Zeit die markanten geometrischen Strukturen seiner Bilder (Abb. 5). Ebenfalls am Bauhaus tätig war der Künstler Josef Albers, der zusammen mit Victor Vasarely (Abb. 6) die Op-Art begründete, die mit geometrischen Formen und optischen Täuschungen arbeitete. Die bekannteste Serie von Albers ist seine Hommage an das Quadrat, in der er unterschiedlich gefärbte Quadrate ineinander schachtelte (S. 16). Ein weiterer Ver-treter der Op-Art, der in seinen Rauminstallationen 4 5 1 Kasimir Malewitsch Schwarzes Quadrat auf weißem Grund 1915 2 El Lissitzky Proun 1925 3 Wladimir Tatlin Counter-Relief 1914 / 15 4 Alexander Rodtschenko Reine Farbe Rot, Reine Farbe Gelb, Reine Farbe Blau 1921. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 5 Wassily Kandinsky Komposition VIII 1923 6 Victor Vasarely Pavo 1978. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 6 mundus 2/15 13 Ku n s tge s c h ic h te 7 u oft mit Quadratmustern arbeitete, ist der italienische Künstler Gianni Colombo (Abb. 7). Die niederländische De Stijl-Gruppe wurde 1917 zwei Jahre vor dem Bauhaus gegründet. Zu ihren Mitgliedern gehörten Theo van Doesburg (Abb. 8) und Piet Mondrian (S. 66). In enger inhaltlicher Parallele zum Bauhaus verfolgte die Gruppe das Ziel, eine neue, ungegenständliche Formensprache zu entwickeln. Im Werk beider Künstler spielten quadratische und rechteckige Formen eine dominante Rolle. Mondrian entwickelte ab den 1920er Jahren seine überaus bekannten und vielfach in der Popkultur zitierten geometrischen Bilder aus schwarzen Linien und rechteckigen Flächen in den Grundfarben Rot, Blau und Gelb. Die 8 Gruppe De Stijl begann sich ab Mitte der 1920er Jahre aufzulösen. Im Jahr 1933 wurde das Bauhaus von den Nationalsozialisten geschlossen. Nichtsdestotrotz verlor die Idee der konstruktivistischen, geometrischen Kunst mit dem Quadrat als zentralem Bezugspunkt auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nichts von ihrer Kraft. So gab es in den 1950er und 1960er Jahren eine konstruktivistische Bewegung in Großbritannien mit Victor Pasmore (Abb. 9) als einem wichtigen Vertreter. Beuys-Schüler wie Imi Knoebel und Blinky Palermo (Abb. 10) begeisterten sich in den 1960er Jahren für Malewitschs Texte über eine gegenstandlose Kunst. Amerikanische Minimalkünstler wie Donald Judd (Abb. 11), Sol LeWitt (Abb.12), Richard Serra oder 10 9 14 mundus 2/15 11 Kuns tge s c h ic h te 12 Ad Reinhardt arbeiteten mit der Vervielfachung quadratischer Formen, optischen Täuschungen und Rauminstallationen. Mit Ironie und Witz näherte sich der Künstler Sigmar Polke Malewitschs „Ikone der Moderne“ an. Er schrieb auf ein quadratisches Bild, dessen Ecke er schwarz malte: Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen! (Abb. 13). Im Jahr 2007 wurde schließlich in Hamburg eine Ausstellung zur Hommage an Malewitsch gezeigt, die seinen Einfluss in der Kunst nachzeichnete. Für Aufregung sorgte hier die Realisation des Werks Hamburg Cube des Künstlers Gregor Schneider vor der Kunsthalle (Abb. 14), das an das zentrale Heiligtum des Islams, die Kaaba in Mekka, erinnerte. Auch im 21. Jahrhundert können also schwarze Quadrate noch immer die Gemüter der Kunstwelt erhitzen. 14 7 Gianni Colombo Spazio Elastico 1967 / 68 8 Theo van Doesburg Counter Composition V 1924 9 Victor Pasmore Abstract in White, Green, Black, Blue, Red, Grey and Pink 1963. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 10 Blinky Palermo Coney Island II 1975. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 11 Donald Judd Untitled 1968. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 12 Sol LeWitt Maquette for One, Two, Three 1979. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 13 Sigmar Polke Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen! 1969. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 14 Hamburg Cube von Gregor Schneider neben der Kunsthalle in Hamburg. © VG Bild-Kunst, Bonn 2015 4. Fachkongress für Businessfrauen Foto: © Shutterstock Emotion – Energie – Erfolg Die renommierte Begegnungsplattform bietet Managerinnen, Unternehmerinnen und Freiberuflerinnen Know-how für mehr Erfolg im Business. Programm-Highlights: 13 Erfolgstipps für Businessfrauen. Wie eine Businessfrau zur Marke wird. Erfolg durch Abenteuer. Resilienz lernen. Die Bedeutung Ihrer Stimme für Ihre Wirkung. Top-Managerinnen als Role-Models berichten, wie sie wurden, was sie sind. Samstag, 24. Oktober 2015 von 9.00 bis 19.00 Uhr mundus 2/15 15 im Novotel München, Willy-Brandt-Platz 1, 81829 München-Riem Infos/Anmeldung: www.WOMANs.de/fachkongress
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