Die große Vielfalt für die sichere Drehzahlüberwachung

Feldebene
Die große Vielfalt
für die sichere
Drehzahlüberwachung
Die technischen Möglichkeiten für die sichere Drehzahlüberwachung sind
vielfältig. Die Anwender können aus einem breiten Spektrum an Syste­
men, Funktionen und Sensorik wählen. Doch welche der Lösungen passt
am besten? Johanna Schüßler, Produktmanagerin bei Bihl+Wiedemann,
gibt einen Überblick.
Ronald Heinze
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Drehzahlüberwachung für Sensoren/Initiatoren mit Modulen von Bihl+Wiedemann
Wenn Bediener oder Wartungsper­
sonal innerhalb einer Maschine tä­
tig sind, sollte diese am besten
ausgeschaltet sein. So war es frü­
her. Es wurden Schutztüren ver­
wendet, die beim Öffnen die Ener­
gieversorgung der Antriebe ab­
schalteten. Doch mit heutigen
hochautomatisierten und optimier­
ten Produktionsprozessen lässt
sich das nicht mehr so einfach rea­
lisieren. Um verschiedene Einstel­
lungen an der Maschine vorzuneh­
men, ist es deshalb häufig erfor­
derlich, dass die Antriebe bei
geöffneter Schutztür verfahren wer­
den können.
Allerdings heißt es im Anhang 1
der Maschinenrichtlinie 2006/42/
EG im Absatz: „1.3.9. Risiko unkon­
trollierter Bewegungen“: Es muss ver­
hindert werden, dass sich aus gleich
welcher Ursache ein stillgesetztes
Maschinenteil ohne Betätigung der
Stellteile aus seiner Ruhestellung
bewegt, oder diese Bewegung darf
keine Gefährdung darstellen.“
Oft reicht eine sichere Drehzahl­
überwachung auch nach den Anfor­
derungen der Maschinenrichtlinie
aus, um nicht immer die gesamte
Anlage bei einem Einricht- und Pro­
bebetrieb oder einer Störungsbe­
seitigung herunterfahren zu müs­
sen. „Die sichere Drehzahlüberwa­
chung von Antrieben wird immer
wichtiger – gerade in Produktions­
abläufen, wo die Abschaltung oft
nicht möglich ist“, bestätigt
J. Schüßler. Anlagen arbeiten deut­
lich effizienter, wenn nur die Bewe­
gung angehalten wird, um einen
Eingriff zu ermöglichen.
Von der Applikation abhängig
Welche Lösung der sicheren Dreh­
zahlüberwachung die beste ist,
hängt von der jeweiligen Applika­
tion ab. Kleine Maschinen haben
oft nicht so hohe Anforderungen an
Bihl+Wiedemann-Produktmanagerin
Dipl.-Ing. (BA) Johanna Schüßler hat
Elektrotechnik mit Fachrichtung
Automatisierungstechnik studiert
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das Sicherheitslevel. Doch es gibt
auch große, verzweigte Anlagen mit
höchsten Sicherheitsanforderun­
gen und komplexen Funktionen.
„Wir stellen ein entsprechendes Lö­
sungsportfolio zur Verfügung, um
alle Anforderungen abzudecken,
und überlassen dabei nichts dem
Zufall“, stellt J. Schüßler heraus.
Dazu gehören unter anderem
Schnittstellen zu allen gängigen
Feldbussystemen, die in der Steue­
rung zur Verfügung stehenden Dia­
gnosedaten sowie die Safety- und
Standard-Signale auf derselben
Leitung. Zudem stehen bis zu 62
sichere Module pro Kopfstation
und die Möglichkeit einer sicheren
Kopplung von bis zu 31 Kopfstatio­
nen über Standard-Ethernet zur
Verfügung – erweiterbar über unge­
schirmte zweiadrige Leitungen.
„Für die sichere Drehzahlüberwa­
chung haben sich zwei Konzepte
etabliert“, erläutert J. Schüßler.
„Der Drehzahlwächter ist im An­
trieb integriert oder die Drehzahl
wird über einen externen Drehzahl­
wächter überwacht. Für die externe
Drehzahlüberwachung können An­
wender wiederum aus unterschied­
lichen Sensoren oder Gebern und
Auswerteeinheiten wählen.“
Sichere Drehzahlwächter errei­
chen bei der Nutzung von zwei
Standardsensoren typischerweise
ein Sicherheitslevel bis SIL2 bzw.
PL d – und bei der Verwendung ei­
nes Standardsensors SIL1 bzw.
PL c. J. Schüßler beschreibt hierfür
ein Beispiel: „Durch Nutzung der
Zentrifugalkraft trennen Zentrifu­
gal-Separatoren Flüssigkeitsgemi­
sche oder Feststoffe aus Flüssig­
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Safety-Basis-Monitor mit ­USB-Schnittstelle (links)
und mit Ethernet-Schnittstelle (rechts)
keiten. Dabei wird im Inneren der
Zentrifuge eine große Masse zum
Rotieren gebracht. Läuft diese mit
einer zu hohen Drehzahl, kann die
Mechanik der enormen Kraft nicht
standhalten – mit Folgen für die
Maschinen und gegebenenfalls
auch für Personen. Eine sichere
Drehzahlüberwachung hilft hier,
schwere Unfälle zu vermeiden.“
Wie muss man sich hier die tech­
nische Umsetzung der Drehzahl­
überwachung vorstellen? „Zur Er­
fassung der Drehzahl montiert man
meistens induktive Näherungs­
schalter an der Maschine“, erklärt
J. Schüßler. „Die Sensoren werden
dabei so angebracht, dass sie bei­
spielsweise eine an der Motorwelle
sitzende Scheibe mit Aussparun­
gen detektieren. Die so erzeugten
Impulse können in einem Drehzahl­
wächter als Frequenz ausgewertet
werden. Wird die konfigurierte ma­
ximale Frequenz überschritten,
schaltet der Drehzahlwächter ent­
weder die Energiezufuhr des An­
triebs ab oder er löst über den Um­
richter einen sicheren Halt aus.“
Die Sicherheitsfunktion nach
EN 61800-5-2 ist definiert als Safe
Torque Off (STO).
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Drehzahlüberwachung mit den Drehzahlwächtern von
Bihl+Wiedemann für Sinus/Cosinus-, HTL-, ­
SSI- und TTL-Drehgeber
Drehgeber
zur Drehzahlerfassung
Der Einsatz von Drehgebern zur
Drehzahlerfassung gehört zu den
bekanntesten Verfahren. Die hohe
Auflösung des Drehgebers bietet
eine äußerst hohe Funktionalität.
Sichere Drehzahlwächter für Dreh­
geber können unterschiedliche Si­
cherheitsfunktionen realisieren
und erreichen dabei Sicherheitsle­
vel bis SIL3 bzw. PL e. Die Anwen­
der profitieren dabei von einem
breiten Spektrum an Drehgebern
für die unterschiedlichen Anforde­
rungen. Unterschieden wird zwi­
schen Inkrementalgebern zur Er­
fassung der Geschwindigkeit und
Absolutwertgebern zur Erfassung
der Position.
J. Schüßler hat auch hier ein
Beispiel: „Bei der Getränkeabfül­
lung wird mit unterschiedlichen
Behältern in unterschiedlichen
Größen gearbeitet – Glas- und
PET-Flaschen oder Dosen. Das ist
auch der Grund, warum viele Her­
steller Abfüllanlagen mit Blick auf
eine variable Einstellung konzipie­
ren. Dazu zählen Reinigungs-, Be­
füllungs- und Etikettierungsma­
schinen. Während des Einrichtens
der Maschine und des Umstellens
der Mechanik auf andere Behälter
benötigen die Antriebe Energie.
Nur so können Inbetriebnehmer
und Anlagenbediener die Achsen
bewegen. Dazu muss die Drehzahl
der Antriebe reduziert und sicher
überwacht werden.“ Zusätzlich ist
ein Zustimmtaster oder Tipptaster
zu betätigen. Mehr Bewegung darf
nicht sein. Auch im Tippbetrieb
sind beim betätigten Taster nur
begrenzte Bewegungen erlaubt.
„Um die Achse weiter bewegen zu
können, muss der Taster erneut
betätigt werden“, schließt sie an.
Weitere Beispiele für Applikatio­
nen zur sicheren Positionsüberwa­
chung sind Krananlagen, Regalbe­
diengeräte oder fahrerlose Trans­
portsysteme.
Zur Erfassung der Geschwindig­
keit oder der Position sind Drehge­
ber im Antrieb integriert oder wer­
den an der Achse montiert. Häufig
setzen die Unternehmen auch
schon drehzahlgeregelte Antriebe
zur exakten Regelung der Ge­
schwindigkeit oder der Position
ein. In diesem Fall wird das Dreh­
gebersignal zwischen Drehgeber
und Umrichter mithilfe von Adap­
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Drehzahlüberwachung für Drehgeber
tern „abgegriffen“. Wird kein Um­
richter eingesetzt, kann das Dreh­
gebersignal direkt am externen
Drehzahlwächter angeschlossen
und das Signal sicher ausgewertet
werden. In Kombination mit einem
sicherheitszertifizierten Drehgeber
ist ein Sicherheitslevel bis SIL3
bzw. PL e möglich. Aber auch mit
nicht sicheren Drehgebern errei­
chen sichere Drehzahlwächter ein
gewisses Sicherheitslevel. Das
hängt allerdings vom strukturellen
Aufbau, wie etwa der zweikanali­
gen Überwachung einer Achse mit
zwei Standard-Drehgebern, ab.
Im Antrieb integrierte sichere
Drehzahlüberwachung
Die im Antrieb integrierte sichere
Drehzahlüberwachung kommt vor
allem dann zum Einsatz, wenn be­
reits leistungsfähige Antriebe und
eine sichere SPS eingesetzt wer­
den. Als Applikationen können hier
der Sieb- und der Offsetdruck ge­
nannt werden. Druckmaschinen
zum Bedrucken von Hohlkörpern
wie Flaschen oder Tuben müssen
exakt arbeiten. Beim Einrichtbe­
trieb mit geöffneter Klappe wird
die sichere Drehzahlüberwachung
im Antrieb aktiviert und Verlet­
zungsgefahren werden minimiert.
Außerdem werden hochpräzise
und leistungsfähige Antriebe mit
sicherer Überwachung auch bei
Bearbeitungsmaschinen verwen­
det. Bei diesen Applikationen ist
der Drehgeber im Antrieb integriert
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Safety-Gateway und Frequenzumrichter mit integriertem Drehzahlwächter, verbunden über einen sicheren Feldbus
und direkt mit dem Umrichter ver­
bunden. Mit den Safety-Gateways
von Bihl+Wiedemann lässt sich
die Drehzahl unkompliziert direkt
im Antrieb sicher überwachen,
zum Beispiel im Zusammenspiel
Kurzinfo: Sichere Drehzahlüberwachung,
aber wie?
Die kostengünstigste und einfachste Methode, eine Bewegung zu erfas­
sen, ist die Verwendung induktiver Näherungsschalter oder optischer Sen­
soren. Damit sind in den meisten Fällen Sicherheitslevel von SIL2 bzw.
PL d möglich.
Bei höheren Anforderungen sind Drehgeber gefragt. Allerdings ist eine
sichere Drehzahlüberwachung mit externen Drehzahlwächtern teilweise
mit aufwendiger Installationstechnik verbunden. Für den Z
­ ugriff auf ein
Drehgeber-Signal zwischen Geber und Frequenzumrichter werden Adapter
oder T-Stücke benötigt. Beim Einsatz von ­leistungsfähigen Antrieben für
komplexe Regelungs- oder Positionierungsaufgaben bietet sich die Dreh­
zahlüberwachung im Antrieb an.
Die Vorteile der externen Drehzahlüberwachung gegenüber einer inte­
grierten Drehzahlüberwachung im Antrieb liegen eindeutig in der Unabhän­
gigkeit vom Antriebs- und Steuerungshersteller – und in den meist günsti­
geren Kosten, zum Beispiel bei vielen Achsen.
Dagegen sind bei Antrieben mit integrierter Drehzahlüberwachung und
Anbindung an einen sicheren Feldbus normalerweise auch der Feldbus
und der Hersteller der übergeordneten sicheren Steuerung festgelegt. Das
hat zur Folge, dass die Einführung der sicheren Drehzahlüberwachung oft
die Umstellung der gesamten Sicherheitstechnik der Maschine oder sogar
der kompletten Anlage mit sich bringt.
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mit CIP Safety über Sercos bzw.
Ethernet/IP oder Profisafe über
Profibus bzw. Profinet.
Offen für die Welt
der Automatisierung
Wie so oft gilt auch bei der siche­
ren Drehzahlüberwachung: Die Ap­
plikation bestimmt die Lösung.
„Bei uns kann der Anwender aus
einem breiten Spektrum an Syste­
men, Funktionen und Sensorik
wählen“, nennt J. Schüßler als Vor­
teil. Den Drehzahlwächtern von
Bihl+Wiedemann steht die ganze
Welt der Automatisierung offen.
Denn alle Drehzahlwächter der
Mannheimer, egal ob die Drehzahl
direkt im Gateway oder im Modul
überwacht wird, lassen sich über
die Gateways an praktisch alle gän­
gigen Feldbussysteme anschlie­
ßen. Externe Drehzahlwächter las­
sen sich einfacher in die bestehen­
de Technik integrieren. Da viele
dieser „Wächter“ zwei Achsen in ei­
nem Gerät überwachen können, ist
diese Lösung zur Überwachung vie­
ler Achsen häufig auch die günsti­
gere.
www.bihl-wiedemann.de
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