Beginn Therapie

Klinik für Forensische Psychiatrie
Zentrum für Kinder- und Jugendforensik
Ambulante Forensische Therapie
Deliktorientierte Therapie bei
minderjährigen Straftäter/innen
lic. phil. Leonardo Vertone
Leitender Psychologe
Fachpsychologe FSP Psychotherapie und Rechtspsychologie
Zentrum für Kinder- und Jugendforensik Zürich
Vorlesung Forensische Psychiatrie
Master-Programm HS 2015
25.11.2015
Formelles zur Vorlesung
Prüfungsrelevanz. Grundlage für die Prüfung sind folgende Quellen:
• Powerpoint-Folien
• C. Bessler (2012) «Deliktorientierte Behandlung von jugendlichen
Straftätern» In Endrass, Rossegger, Urbaniok, Borchard (Hrsg.),
Interventionen bei Gewalt- und Sexualstraftätern: Risk-Management,
Methoden und Konzepte der forensischen Therapie (pp. 311-321). MWV,
Berlin.
Einstiegsdiskussion, Fallbeispiel
Ein 16-jähriger nötigt ein 7-jähriges Mädchen zu
sexuellen Handlungen
Aufgabe für Sie als Jurist/innen (Kleingruppen)
•
•
•
•
Was tun Sie als Jugendanwältin mit ihm?
Wen/was konsultieren Sie über das zu tun?
Soll man den therapieren?
Was gilt es zu therapieren?
Ebenen des Zugangs
Persönliche Meinung:
-
„ich finde das das Schlimmste, man sollte solche Menschen lebenslänglich einsperren!“
Gesellschaftliche, politische Haltung, Norm:
-
„bei Rasern sollte man härter durchgreifen“
„Minderjährige Straftäter sollten härter bestraft werden“
Sexualstraftäter sollten lebenslanges Berufsverbot (mit Kontakt zu Kindern) erhalten
Gesetzliche Vorgaben:
-
Legislative setzt Gesetze fest
Art. XY: „(Mit) Minderjährige(n) Straftäter(n) werden/müssen/soll man …“
 Jurist/-in
- agiert innerhalb Gesetzesrahmen = als Juristen müssen Sie das JStG aufschlagen!
 Deliktorientierte/-r Therapeut/-innen
- behandeln im rechtlichen Rahmen, im Dienst der Deliktprävention
- Es braucht dafür «Inhaltsebene»: Verstehen von Mechanismen „im“ Straftäter
 Verstehen im Dienste der Erkenntnis zum Zwecke der zielführenden (präventiven) Behandlung
 Verstehen nicht, weil man «links und nett» ist., sondern weil es zur Therapie/Prävention nötig ist.
Inhaltsverzeichnis
Theorie
• Gesetzlicher Rahmen (kurz)
• Deliktorientierte Therapie «DoT»




Begriff
Grundsätze
Ablauf; Methoden; Phasen
Drei Prinzipien
• Historie (kurz)
• Besonderheiten der Therapie mit Jugendlichen Straftätern
Praxis
• Prinzip aktualisiertes Risikoassessment und aktualisierte
Therapieplanung
• Eingangsbeispiel
Gesetzlicher Rahmen: Jugendstrafgesetz (JStG)
u.a. Art. 2 JStG:
• Schutz- und Erziehungsstrafrecht, fürsorgerechtlich
• Täterstrafrecht, nicht primär Tatstrafrecht
• Lebens- und Familienverhältnisse und Entwicklung der
Persönlichkeit im Fokus
• Spezialprävention vor Generalprävention
– Die Person soll nicht noch einmal ein Delikt begehen
• Flexible Ausgestaltung der Strafen und Massnahmen
• Förderung der (Wieder-) Eingliederung
• Botschaft: „schliesst sie nicht einfach weg, sondern tut etwas
mit ihnen“ => CH einzigartig in der Welt!
Kapitel Schutzmassnahmen im JStG
Erzieherisch/Sozialarbeiterisch
•
•
•
Art. 12 Aufsicht
Art. 13 Persönliche Betreuung
Art. 15 Unterbringung
Therapeutisch
• Art. 14: Ambulante Behandlung
1 wenn: psychischen Störungen, Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt oder
Suchtstoffen oder in anderer Weise abhängig
2 kann mit anderen Massnahmen (Art. 12, 13, 15) verbunden werden
Begriff und Anerkennung
Deliktorientierte Therapie
• Deliktorientierung = Ausrichtung auf Vermeidung zukünftiger Delikte
• Delikt = noch nicht begangene Straftat, also der Rückfall
• Die Therapie basiert auf dem Riskassessment
– daraus ergeben sich die Interventions-/Behandlungsziele der DoT
– nicht aus dem Leidensdruck des Jugendlichen!
• Riskassessment führt über Deliktfokussierung (“reden über’s
Anlassdelikt”)
• Deliktbezogene Methoden und forensische Merkmale berücksichtigen
 Aktuelles Therapie-“Non-Plus-Ultra” im deutschsprachigen Raum
Ziele einer (deliktorientierten) Behandlung
a) Reduktion der Rückfallwahrscheinlichkeit
–
–
–
–
–
Oberstes Ziel
durch Schwächung, Ausmerzung der Risikofaktoren (/Defizite)
durch Stärkung der protektiven Faktoren (/Fertigkeiten, Ressourcen)
Dient dem Opferschutz
Dient der Folgekostensenkung wg. Vollzugskosten
b) Förderung der Persönlichkeitsentwicklung und der
Funktionsfähigkeit
– Störungsfokussiert («vs.» Deliktorientierung)
– Dient der Folgekostensenkung wg. Eingliederung
– Nicht zum Selbstzweck (dass es dem Täter besser geht), sondern im Dienst der
Deliktprävention!
Leitsatz
„The methods that ‚work‘ ... are those that address the
factors that have played a causal contributory role in
an offending act, and that would place the offender
at risk of reoffending in the future.“
McGuire & Priestley, 1995
Grundsätze wirksamer Interventionen
Schritt 1 jeder Therapie:
Deliktverständnis, Eruierung der Risikofaktoren:
Ebenen
•
•
•
•
generell vs. individuell
Innen vs. aussen
deliktirrelevant vs. deliktrelevant (-begünstigend)
früher deliktbegünstigend vs. zukünftig deliktbegünstigend
generell …
„Pauschalurteile“ greifen oft zu kurz, sind unvollständig, greifen ins Leere,
sind manchmal falsch
•
•
•
•
•
•
der Täter braucht einfach einen Job!
Ihm geht‘s schlecht, deshalb braucht er Zuwendung, dann klappt‘s
Er hat Depressionen, gebt ihm Medikamente
Seine schlechte Kindheit muss aufgearbeitet werden
Hör auf zu kiffen/trinken, dann machst du keine Delikte mehr
Das Kriegstrauma muss bearbeitet werden, dann geht die Aggressivität
weg
• Er missbrauchte den kleinen Bruder, das wird ein gefährlicher
Vergewaltiger
• Der Klient hat Liebeskummer wegen der Freundin, die ihn verlassen hat =>
man muss ihm helfen eine neue Freundin zu finden
• ungeordnetes Sammeln von Informationen
• Beurteilung des Klienten „als Person“, unabhängig vom Delikt
… vs. individuell
Individuelles, detailliertes Verständnis der Persönlichkeit MIT Bezug zum
Delikt führt zu massgeschneiderter Intervention/Behandlung
•
•
•
•
•
•
•
•
Was ging im Täter vor als er das Delikt beging?
Wie fühlte, dachte er, was war seine Grundstimmung?
Wie ging er konkret vor, plante er das Delikt?
Was war das typische des Opfers?
Was hielt seine Handlung aufrecht?
Was hielt ihn (nicht) davon ab, erneut zu delinquieren?
Welche äusseren Umstände waren deliktfördernd?
Welche der Gedanken, Gefühle, Umstände wird er auch zukünftig
antreffen und wie wahrscheinlich machen diese ein weiteres Delikt?
• Wie können wir die Faktoren günstig (deliktmildernd) beeinflussen?
• Wann trifft er sich wo und mit wem?
• Was denkt und fühlt er aktuell?
innen / aussen
Individuelle Risikosituation/-konstellation
innere Faktoren
äussere Faktoren
(Psychologische, Psychiatrische Aspekte)
(Situation)
Gedanken, Gefühle, Werthaltungen,
Psychische Störung, Muster
Gelegenheit, Lebensbedingungen,
Opferverfügbarkeit usw.
Kränkbarkeit, Frustrationsintoleranz,
Emotionsregulation, Impulsivität, dissoziale
Einstellung, „Scheiss-Egal“-Haltung, Depression,
„immer ich“, Tiefer Selbstwert, Sucht,
Haltlosigkeit, Reflexionsfähigkeit, moralische
Haltungen, ADHS, Rechtfertigungen „die
Gesellschaft ist schlecht“, innere Konflikte,
Bindungsstörung, Kontrollbedürfnis, Lustgewinn
usw.
Peers, Konflikte Zuhause, fehlende Betreuung
und Kontrolle, Nachts/ im Ausgang/ in Disko/
Alkohol/ Drogen/ pöbelnde Jugendliche, alleine
oder nicht, Beziehung zum Opfer, Freizeit,
Zuhause, schlecht in Schule -> „Drop-Out“ usw.
Deliktrelevant vs. -irrelevant
Klient beging vier Körperverletzungen; kifft seit 5
Jahren; Diagnose Cannabisabhängigkeit
Hat die Cannabisabhängigkeit Relevanz für die deliktorientierte Therapie?
 Plenum, abstimmen!
Klient wurde vom Vater über Jahre körperlich und sexuell
missbraucht. Mit 16 ersticht er den Vater in einem Streit.
Muss er an seiner Aggressivität arbeiten?  Plenum, abstimmen!
Klient hat Vater mit dem Messer bedroht, weil dieser ihn
immer wieder darauf aufmerksam macht, endlich eine Arbeit zu
suchen; hat immer wieder aggressive Impulsdurchbrüche gegen
den Vater. Nun ist er in einer Pflegefamilie.
Muss er an seiner Aggressivität arbeiten?  Plenum, abstimmen!
Früher vs. aktuell (bzw. zukünftig) deliktrelevant
Klient beging vor 2 Jahren zwei
Körperverletzungen, weil er durch
Arbeitslosigkeit unter ständig hoher Frustration
stand, in Drogendealerszene kam und dort im
Rahmen von Deals in Konflikte kam und unter
Drogeneinfluss aggressiv war.
Früher: Fremdaggressivität und Abhängigkeit deliktbegünstigend
Heute: nicht mehr frustriert bzw. arbeitslos, nicht mehr in
Drogendealerszene  keine Fremdaggressivität mehr
Bsp. alle Ebenen
Jugendlicher mit Impulsivität, “kifft”, tötete vor 1 Jahr seinen
Vater.
Tatwaffe: Schwert aus seiner Sammlung. Ist seit jeher ein
“Waffennarr”.
Er hasste seinen Vater seit jeher.
Vater war cholerisch und Alkoholiker, wollte den Sohn kurz vor
der Tat erneut sexuell nötigen.
Der Jugendliche verlor wegen der Tat seine Lehre und ist
aktuell arbeitslos.
Ist neu in einer partnerschaftlichen Beziehung.
Vor der Therapie
Wie findet man die individuellen Faktoren heraus?
(Form/Gefäss: Gutachten oder Therapieabklärung)
0. Studium Akten, Explorationsgespräche, Befunde (Testung,
Psychopathologie)
1. Beschreibung Entwicklung und Persönlichkeit
2. Diagnose
3. Deliktanalyse (Risikofaktoren, Problemverständnis)
4. Einschätzung der Rückfallwahrscheinlichkeit
RISKASSESSMENT!
als Grundlage einer jeden Therapie mit Tätern! Ergibt sich aus 3. (+4.)
„in“ der Therapie: endlich geht‘s los!
Therapiephasen
1. klären (verstehen, kennen, wissen was) -> er auch!
2. trainieren (wissen wie, können)
3. bewältigen („live“ erkennen, anwenden/umsetzen)
1 a) (Auf-) klären 0/4
– Gesetz
– Konsequenzen
• Eigene Person
• andere
1. b) Klären (verstehen, kennen) 1/4
Eruieren der Gedanken/Gefühlen/Körperempfindungen
und/oder psychopathologischen Auffälligkeiten die bei der
Deliktbegehung einer Rolle spiel(t)en
wie geht das?
Dialog/Gespräch
Nachteile: Überforderung der Klienten; „kei Ahnig“-dialoge
bzw. Therapeuten-Monologe (Therapeut „arbeitet“, nicht der
Klient)
Methoden, Instrumente
Storyboard (Comic auf 6 Seiten), Footsteps (chronologischer
Ablauf), Rekonstruktion, Deliktkreis etc.
ff. 1. Klären 2/4
• Erarbeitung eines gemeinsamen Problemverständnisses bzw.
gemeinsame Erarbeitung der individuellen Risikokonstellation
(Risikofaktoren, Deliktmechanismus)
• Auseinandersetzung mit der Straftat („reden über das Delikt“)
• gemeinsames Riskassessment
«Manchmal reicht es, wenn’s die Therapeutin weiss»
ff. 1. Klären 3/4: Deliktanalyse
Querschnitt (Zeitpunkt x in die Breite) &
Längsschnitt (Chronologie, Abfolge, Entwicklung)
Vor der Tat (kf, lf)
• Tathintergrund, -motive, -auslöser, Tageszeit, Ort, Planungsgrad,
Kontakte, Rauschmittel, Stimmung, Motive/Nutzen (was wollte ich
erreichen, was brachte mir die Tat innerpsychisch, finanziell, sozial
usw.)
Während der Tat
• Tatdynamik (Verhalten, Gefühle, aufrechterhaltende Bedingungen,
Empathie, „ad-hoc-Entscheide“ usw.)
Nach der Tat
• Sicherungsstrategien, Rechtfertigungen, Leugnung, Folgen (für mich,
für das Opfer)
Storyboard Bsp.
Phasen der Deliktbegehung
•…
•…
•…
•…
•…
•…
ff. 1. Klären 4/4
Allgemeine (nicht individuelle) Elemente der Klärung:
• Förderung des Problembewusststeins („Achtung!“)
• Einsicht in Fehlverhalten/-abweichung (Unrecht)
• Modul „Bilanzierung“
- Nachteile des Delikts und weiterer Delikte (langfristig)
- Vorteile, Nutzen: Spannung/Thrill, Selbstwert, Zugehörigkeit, Macht,
Lust usw. (kurzfristig)
- Vorteile einer Verhaltensänderung (langfristig)
- Nachteile/Kosten: Langeweile, Freunde verlieren usw. (kurzfr.)
• Modul „Wissensvermittlung“ (Sexualaufklärung, StGB,
Opferperspektive)
2. Trainieren (können, verändern)
Fertigkeiten erlangen
- Impulskontrolle, Emotionsregulation (TEK)
- Problemlösen (Konflikte lösen, Anforderungen meistern)
- Selbstmanagement (Organisation, Durchhalten, „auf die Reihe kriegen“,
Stärken/Schwächen kennen)
- Soziale Kompetenz (SOK) (Kommunikation, s. durchsetzen,
Bedürfnisse äussern, gut verkaufen, eingehen auf andere u.Ä.)
- Perspektivenübernahme, Empathie
- Einstellungen, Haltungen kritisch überdenken (moralisch
vs. pragmatisch, insbesondere im Hinblick auf das Gesetz)
3. Bewältigen: handeln
• Theorie muss praxisrelevant abrufbar sein!
• Handlungspläne sind das Destillat der deliktorientierten Therapie
• praktische Anwendung:
– Frühzeitig: Vermeidung von Risikosituationen
– „mitten drin“: Vermeidung von Tathandlung
• Auch Handlungspläne sind möglichst individuell.
• Handlungspläne sind klar und einfach formuliert. Sie müssen auch in
Stresssituationen anwendbar sein.
•
Bsp: heut Abend ist ne Party mit Alkohol und Kollege. Ich sage „Nein“, ich berufe
mich den Kollegen gegenüber auf die drohende Gefängnisstrafe, ich höre auf zu
trinken, ich steige aus dem Auto, ich rufe meine Freundin an, Notfall-Telefon, ich
denke an die Folgen für meine Mutter (Top 5-Gedanken), usw.
Zusammenfassung:
Was sollte der Klient am Schluss können?
1. Kennen meiner Risikokonstellation (von Schritt 1: Klärung)
(Zeit, Ort, Begleitung, Stimmung, Rauschmittel, Auslösesituation usw.)
laufend aktualisieren
2. Fertigkeiten gelernt haben (von Schritt 2: Training)
3. Handlungspläne kennen und anwenden (von Schritt 3: Bewältigen)
a) vorzeitig: Was tun, um nicht in Risikosituation zu geraten?
b) während der Situation: Was tun, um die Situation ohne Straftat zu
bewältigen?
Spezialfall forensische Therapien
Forensische Therapien sind Zwangstherapien
•
•
Sicherstellung, dass Klient kommt: „harte Hand“ der
Jugendanwaltschaft
Motivationsaufbau innerhalb der Therapie (notfalls: «wie werde ich am schnellsten
die Therapeutin los»)
•
•
•
•
klare Konsequenzen, falls der Jugendliche sich der Therapie entzieht
oder nicht genügend mitarbeitet.
Rechte & Pflichten in einem Therapie-/Behandlungsvertrag
festgehalten.
Interdisziplinarität & Drittinfo: JUGA, Eltern, Heimleiter, Polizei usw.
„Schön Reden“ genügt nicht. Verhalten in Therapie ist kein
genügender Hinweis für Verhaltensänderung => Handlungsrelevanz!
Dauer, Frequenz (Aufwand) und Abschluss
• Wie lange? Wie intensiv? Wie „tief“? Wie hoch
Frequenz?
• Nach welchen Kriterien ist Aufwand zu betreiben?
Ziel ist,
…begrenzte Ressourcen möglichst effizient einzusetzen
…Aufwand und Ertrag richtig abzustimmen
(nicht zu viel und nicht zu wenig intervenieren)
Drei Prinzipien zur Orientierung 1/5
Forensisch-therapeutische Interventionen sind
abgestimmt, in…
…Intensität auf die Höhe des Rückfallrisikos:
„Risk principle“ (Risikoprinzip)  wie gefährlich ist er?
…Inhalten auf die individuelle Art des Rückfallrisikos:
„Needs principle“ (Bedürfnisprinzip)  was braucht er genau?
…Vorgehen auf Lernstil/Fähigkeiten/Motivation:
„Responsivity principle“ (Ansprechbarkeit)  wie kann man ihn
erreichen?
Risk principle (Risikoprinzip) 2/5
Die Intensität der Intervention richtet sich nach…
Rückfallwahrscheinlichkeit
(Einschätzung durch Forensiker)
x
bedrohtes Rechtsgut (“erwarteter Schaden”)
(normative Einschätzung durch Juristen, Gesellschaft)
=
Gefährlichkeit
Bsp. Risk principle 3/5
Prinzip
-
•
•
•
•
Fall 1: Breitgefächerte deliktbegünstigende Probleme, schwere
Straftaten zu erwarten  Intensive Intervention
Fall 2: Geringes Rückfallrisiko, keine weitere Senkung möglich,
bedrohtes Gut tragbar für Gesellschaft  wenig/keine Intervention
Also: Nicht mit dem Bagatelldieb mit tiefem Risiko “ewig” therapieren.
Den “schweren” Intensivstraftäter mehr als nur 1x monatlich sehen
Motiviertes Mädchen (Bagatelldiebstahl), kommt freiwillig zu den
Terminen, “läuft gut”  Weitermachen? Nein
Unangenehmer, renitenter “Querulant”, schwer dissozial, verweigert
sich, “schwierige Beeinflussbarkeit”  Abbrechen? Nein
Was machen wir mit dem “Vatermörder”? 0 x 100 = 0!
Needs-Principle (Bedürfnis-Prinzip) 4/5
Grundsatz
Es wird bei denjenigen Faktoren interveniert, die mit dem
Rückfallrisiko der Klienten zusammenhängen. Ziel ist es, durch
Veränderung rückfallrelevanter Faktoren die
Rückfallwahrscheinlichkeit zu senken.
Bei anderen deliktirrelevanten Probleme kann Vermittlung
empfohlen werden:
• keine Lehre? => RAV, BiZZ
• Alkohol? => Spezialisierte Klinik
• Mutter gestorben? => niedergelassener Psychotherapeut
• ADHS? => je nach dem…!
Responsitivityprinciple (Ansprechbarkeit) 5/5
Grundsatz
Die Vermittlung der ausgewählten Themen wird an den Denkund Lernstil und an die Motivation des Klienten angepasst
Ziel ist
… dass der Straffällige von der Intervention profitiert: konkret statt
abstrakt, praktische Übungen; zuschneidern der Intervention
auf den Klienten
… ihn dort “abholen” wo er steht, was er kann, was ihm nützt
Therapiemotivation jugendforensischer Patienten
ich muss
 ich komme, dann hab ich Ruhe
 „nützt‘s nüt, schadt‘s nüt“
 es erleichtert mich
 es hat was mit Deliktprävention zu tun
 ich kann profitieren
ich gehe gestärkt daraus hervor
Die Bedeutung von Drittinformationen
„Realitätscheck“
• Info Jugendanwaltschaft
– Neuester Stand zum Opfer, zur Länge des Rayonverbotes, zur Sanktion,
zum Stand des Verfahrens, Urteil
– Neue Delikte?
– Sozialarbeit und Familienbegleitung: Info zu Lehrstelle, Eltern, Schule,
Freundin, Eindruck usw.
• Miteinbezug Eltern (Vater, Mutter, Stiefmutter)
– (Sozial-) Verhalten Zuhause
• Lehrer
• Lehrmeister
Historie der Therap. Arbeit mit Straffälligen
Entwicklung ab den 70ern:
„Nothing works!“ => „..it could work...“ => „What works!“ => „What works,
how, with whom and under which conditions?“
Junges Wissenschaftsgebiet:
Forensik jung, doTherapie jünger, doTherapie Minderjähriger noch jünger!
 Therapieprogramme aus Erwachsenenbereich adaptiert 
Prinzipien mehrheitlich deckungsgleich
aber…
Besonderheiten Therapie bei Minderjährigen 1/2
Minderjährige sind keine „kleinen Erwachsenen“:
• Entwicklungsperspektive: Pubertät, Identitätsfindung, Selbstwert,
Spannungssuche, Zugehörigkeit, Orientierung, „über die Grenze gehen
Teil der Findung“, Autonomie vs. Bindung an Eltern
• „Tummelfeld“: sexuell, beruflich, Peers, Weiblichkeit/Männlichkeit,
Platz in der Gesellschaft, Freizeit
• Beeinflussbarkeit erhöht (Steuerung tiefer)
- Ungünstig: Weniger gefestigte Persönlichkeit => Peers
- Günstig: Weniger verfestigte Kriminalität => „Wilde Jugendjahre“
- Günstig beeinflussbar durch Bezugspersonen/Betreuerinnen
• Turning Points: U-Haft, 18J., Lehre usw.
• Einfluss Eltern grösser
• Mehr Psychoedukation/Belehren: Sex, Strafgesetz, Sinn von Normen,
Konsequenzen des Handelns
Besonderheiten Therapie bei Minderjährigen 2/2
• Einbezug der Schnelllebigkeit (Auf und ab, Turning
Points, Beeinflussbarkeit, 1 Jahr für
Pubertierenden „nicht = 1 Jahr für Erwachsene)
• Mehr Psychoedukation/Belehren: Sexualität,
Strafgesetz, Sinn von Normen, Konsequenzen des
Handelns
• Einbezug Eltern, Umfeld
• Mehr Orientierung: „bei der Hand nehmen“
Anwendung der Theorie
Praxisbeispiels unter Berücksichtigung der
Besonderheiten der Therapie mit Jugendlichen
Straftätern
 Prinzip aktualisiertes Risikoassessment und aktualisierte Therapieplanung
Prinzip:
Aktualisierte Risikoanalyse und
Therapieplanung
in der ambulanten deliktorientierten
Behandlung jugendlicher Straftäter
Prinzip
Eine jede (deliktorientierte) Behandlung von
(jugendlichen) Straftätern basiert auf einer
Risikoanalyse
Deliktrelevanz
erheblich
männlich, 15 J.
2013
Beginn
Therapie
Berufung
Eröffnung
Sommerferien
Gutachten
Ende
Anlassdelikt
vers. Tötung
Gutachten
Beginn
Vordelikte
Raubserie
Strafuntersuchung
gering
Verhaftung
mässig
t
16 J.
2014
17 J.
2015
Deliktrelevanz
erheblich
RA 1
RA 2
Vordelikte
Raubserie
Anlassdelikt
vers. Tötung
RA 3
RA 4
männlich, 15 J.
2013
Beginn
Therapie
Berufung
Eröffnung
Sommerferien
Gutachten
Ende
Gutachten
Beginn
Strafuntersuchung
gering
Verhaftung
mässig
t
16 J.
2014
17 J.
2015
Deliktrelevanz
erheblich
RA 2
RA 1
RA 3
RA 4
RF Jugendbande
RF Dissozialität
RF Perspektivenlosigkeit
männlich, 15 J.
2013
Beginn
Therapie
Berufung
Eröffnung
Sommerferien
Gutachten
Ende
Anlassdelikt
vers. Tötung
Gutachten
Beginn
Vordelikte
Raubserie
Strafuntersuchung
gering
RF Narzissmus
Verhaftung
mässig
t
16 J.
2014
17 J.
2015
erheblich
Körperverletzung
/ reaktiv
Raub / gezielt
Deliktrelevanz
RA 2
RA 1
RA 3
RA 4
RF Jugendbande
RF Dissozialität
RF Perspektivenlosigkeit
männlich, 15 J.
2013
Beginn
Therapie
Berufung
Eröffnung
Anlassdelikt
vers. Tötung
Sommerferien
Vordelikte
Raubserie
Gutachten
Ende
gering
Gutachten
Beginn
RF Kiffen
RF ADHS
Strafuntersuchung
RF Narzissmus
Verhaftung
mässig
t
16 J.
2014
17 J.
2015
erheblich
Körperverletzung
/ reaktiv
Raub / gezielt Adolescence-limited
Deliktrelevanz
RA 2
RA 1
RA 3
RA 4
RF Jugendbande
RF Dissozialität
RF Perspektivenlosigkeit
männlich, 15 J.
2013
Beginn
Therapie
Berufung
Eröffnung
Anlassdelikt
vers. Tötung
Sommerferien
Vordelikte
Raubserie
Gutachten
Ende
gering
Gutachten
Beginn
RF Kiffen
RF ADHS
Strafuntersuchung
RF Narzissmus
Verhaftung
mässig
t
16 J.
2014
17 J.
2015
erheblich
Körperverletzung
/ reaktiv
Raub / gezielt Adolescence-limited
Deliktrelevanz
RA 2
RA 1
RA 3
RA 4
RF Jugendbande
RF Dissozialität
RF Perspektivenlosigkeit
männlich, 15 J.
2013
Beginn
Therapie
Berufung
Eröffnung
Anlassdelikt
vers. Tötung
Sommerferien
Vordelikte
Raubserie
Gutachten
Ende
gering
Gutachten
Beginn
RF Kiffen
RF ADHS
Strafuntersuchung
RF Narzissmus
Verhaftung
mässig
t
16 J.
2014
17 J.
2015
Therapieplanung
Deliktrelevanz
erheblich
Raub / gezielt
Adolescence-limited
RA 2
RA 1
Körperverletzung
/ reaktiv
RA 3
RA 4
RF Jugendbande
RF Dissozialität
RF Perspektivenlosigkeit
RF Narzissmus
männlich, 15 J.
2013
Berufung
Eröffnung
Anlassdelikt
vers. Tötung
Sommerferien
Vordelikte
Raubserie
Gutachten
Ende
gering
Beginn
Therapie
Gutachten
Beginn
RF Kiffen
RF ADHS
Verhaftung
Beginn
Therapie
Strafuntersuchung
mässig
Beginn
Therapie
t
16 J.
2014
17 J.
2015
Fallbeispiel „Nic“, 16 J. Schweizer
•
•
•
•
•
•
•
•
Straftat: Sexuelle Nötigung in Mittäterschaft an 7-jährigem
Nachbarmädchen
Aktuell: Lehre nach Sek-B Abschluss; lebt neu beim Vater
Sanktionen: Rayonverbot, Kontaktverbot
Therapieabklärung/Gutachten
Diagnosen: Persönlichkeit: emotionale Entwicklungsrückstände (schlechte
Emotionsregulation, schnell frustriert, erhöhte Kränkbarkeit, deutliche
narzisstische Anteile) schränken Funktionsfähigkeit ein
Rückfallwahrscheinlichkeit: kurzfristig gering-mittel, mittelfristig ohne
Intervention höher
Schutzmassnahmen: Ambulant, Behandlung (Deliktorientierte
Einzeltherapie) & Persönliche Betreuung (Familienbegleitung, Vater)
Biographie
• Kränkungserlebnisse
Kv verlässt Familie, schwache Position der Mutter, Probleme mit
Mietwohnung, Behandlung in Schule
• Rachsucht, schlechtes Bewältigungsstrategien bei Frust
• Breites Spektrum Freizeitaktivitäten
• Orientierung an Schwächeren
Mittäter bester Freund, leicht behindert
Schwarm der kleinen Mädchen im Häuserblock
wesentlich (>3 Jahre) jüngere Freundin
Deliktanalyse (Riskassessment)
•
•
•
•
im Vorfeld des Deliktes: Schwänzen wg. ungerechter Behandlung, Kündigung der
Wohnung der Mutter am Vortag, Pornokonsum mit Mittäter, Opfer „verliebt“
unmittelbar davor: Freizeit, mit Mittäter, Mädchen macht „Spruch“ über Mittäter
„spontaner“ Entscheid
während: „qualifiziert“, heftig: in Keller, abgeschlossen, differenzierte Tatelemente,
Penetrationsversuche, „das Mädchen hat nicht nein gesagt, d.h. dass es wollte“
danach: Leugnen, Schuld dem Kollegen und dem Opfer abschieben
• Fazit: Deliktmechanismus, zentrale Risikofaktoren:
Pornokonsum + sexueller Druck + schlechter Umgang mit
Frust, Kränkbarkeit (EmoReg) + Aufschaukelung mit Kolleg +
Gelegenheit + Selbstwerterhöhung + Verzerrung + kein
konsequenzenorientiertes Denken + Fokus auf eigene
Bedürfnisse
=
Delikt
Risikoprinzip (1/2)
Rückfallwahrscheinlichkeit
kurzfristig gering-mittel, langfristig höher
Günstig: keine Devianz (keine Pädophilie), engere Beziehung zum Opfer, Strafsensibel,
Prosoziale Werthaltungen, Basisrate
Ungünstig: „Heftigkeit“, dissoziale Elemente in Handlung, Orientierung an Schwächeren,
„Rachsucht“
x
Bedrohtes Gut (Norm)
hoch
= ~mittel-hoch
Risikoprinzip (2/2)
• Bedeutung für die Massnahme
– ambulanter Rahmen reicht aus
• Bedeutung für die Therapie
– Damoklesschwert Rückfall
– „Alarmbereitschaft“ (bei schlechter Kooperation/Entwicklung)
• Fazit:
• Nicht zuviel:
– keine radikalen Massnahmen empfehlen (Heim): kontraproduktiv für
Eingliederung
– nicht zweimal pro Woche: Ressourcen (Geld, Personal)
• Nicht zuwenig:
– dranbleiben, du kommst nicht „davon“!
– Keine Kurzintervention
Bedürfnisprinzip, Deliktrelevanz
woran arbeiten wir? Themen und Ziele? Welches sind relevante
Risikofaktoren?
Sexualentwicklung
•
Sex. Druck
•
Pornos
nachmachen
Kogn. Verzerrungen
•
Opferempathie
•
Einfluss Mittäter
•
Ausmass
•
Konsequenzen
Risiko kennen
•
-situationen
•
-faktoren
•
Strategien
„Frustbewältigung“
•
EMOREG
•
Rachsucht
•
Problemlösen
•
Soziale Kompetenz
Oberstes Ziel:
Kein
Rückfall
Angst vor Spinnen
Essverhalten
Schlafstörungen
Lehrstellensuche
Persönlichkeitsreifung
•
Selbstwert
•
Kränkbarkeit
Soziale „Probleme“
Streit mit Stiefmutter
Streit zwischen Kv und Km
Probleme mit Lehrmeister
Therapieziele und Vorgehen gemäss
Riskassessment (1/2: individuell)
• Pornokonsum => Angemessenes Mass finden, Erkennen, dass Risikofaktor;
wissen über angemessene Anbahnung zu Sex
• Sexueller Druck => Angemessenes Ausleben von Sexualität
• Frustrationsintolerant, Kränkbarkeit => EMOREG, Strategien zur
Problemlösung (Kommunikation)
• Rolle des Kollegen => Kontakt meiden, als Risikofaktor erkennen, eigener
Anteil eingestehen
• Selbstwert, Reifung => Begleiten
• Risikokonstellation „schlechte Phase“ + Frusterlebnis + kein Sex, aber Lust
+ Gelegenheit (verliebtes Mädchen, Raum) + Einfluss Kollege => kennen,
erkennen
• Handlungsstrategien
– vorher: Dialog mit Familie, Besprechung mit Therapeut
– während: Ausstieg, Top-5-Gedanken, Konsequenzen im Kopf
Therapieziele und Vorgehen gemäss
Riskassessment (2/2: generell)
«geht bei allen»:
• Gelegenheit => Erkennen, dass Risikosituation
• Opferempathie , Perspektivenübernahme
• Konsequenz orientiertes Denken
• Rechtfertigungen => Diskussion, Konfrontation
• strafrechtliches Ausmass => Psychoedukation
Therapeutenverhalten gegenüber dem Pat.
•
•
•
•
Konfrontativ vs. Supportiv
Verständnisvoll für Anforderungen
In der Sache hart vs. Respektvoll
Konfrontation mit Defiziten, dysfunktionalen
Haltungen
• Selbstwertgefühl stärken (prosozial)
=> Anspruchsvoller Kommunikationsstil;
Auseinandersetzung mit eigener Haltung und
Gefühlen
Ansprechbarkeits-Prinzip
„kann die gesprächslastige Therapie den Pat. erreichen?“
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•
•
•
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
Kognitiv/Intellektuell fit
Klient hatte ausreichende Introspektions- und
Verbalisierungsfähigkeit
kann abstrahieren
versteht Sinn von Rollenspielen
„hört sich gerne reden“
Ja!
Indiv. Deliktkreis „Nic“
• Pornographiekonsum
• „sexueller Druck“
• Kränkungserlebnisse
(Mutter, Lehrerin, Mädchen)
• Gelegenheit
• (Loyalität zum) Kollegen
• negative Gefühle,
• Kognitive Verzerrungen
Gedanken
• Aufschaukeln
• ich will auch mal
mächtig sein
•Kognitive Verzerrungen
•Fantasien
• Minimalisieren
• Rechtfertigen
• Leugnung
• Selbstbewusstsein stärken
• „Ich tu‘s nie wieder“
• Besserungsversprechen
• Abspalten/ war‘s nicht
• Überlegenheitsgefühl
•„Gedankenlos“
•Fantasien verdrängen
• inadäquate Gedanken, Fantasien
• Vorbereitungsentscheidungen
• Vorbereitung, Planen
• eingeengte Wahrnehmung
• eingeengte Gefühle
• Ausblenden eigener Probleme
• Rechtfertigung
• Wut, Ärger
• Kognitive Verzerrungen
Diskussion
Vielen Dank für die
Aufmerksamkeit und für‘s
Mitmachen