Doppelleben

Umlaute!
keine Leseprobe
Ali Emas und Yelena Simc
Doppelprojektion in den Un-Markt
Wie man es schafft, funky die eigenen 'Kapitalismen' zu ver-schreiben
Jörg Heisers Buch Doppelleben über Pop als Musik für Kunst als Kunst des Pop
Vorbemerkung:
Was die Autorinnen im Folgenden schreiben, könnte auch ganz anders und nicht so böse da
stehen, ohne, dass man sich hier davon sogleich distanzieren muss. Was eher den kritisierten
Autor als das besprochene Buch betrifft, so geriert dieser sich mit seinen deskriptiven
Überlegungen sicher ganz als Vermittler und Wisser. Aber das ist auch seine Aufgabe. Das als
"kulturelles Kapital vorzeigen" – wie eine Kollegin einmal angesichts der Kraft der Bücher bemerkte
– zu denunzieren, wäre okay, wenn dieses denn nicht nur vor-gezeigt würde, sondern außerhalb
der Buchreleases auch Diskussion aller Nichtkenner eröffnete. Was bei der hochgradigen
Ausdifferenzierung sowohl der sozialen Positionen als auch des Materials, bei gleichzeitiger
Generalisierung, wohl eher nicht zu erwarten ist
Matze Schmidt
Verschreiben hieße die schriftliche Adressierung eines Stoffes zur Einnahme und, analog zum
Vermalen, das Tünchen von etwaigen Konturen und Valeurs bis zur slicken Losigkeit. Wenn man
in der Kritik nicht mehr vom bürgerlich halluzinierten Werk ausgehen kann, dem singulären Gehalt
am Formatmedium (Buch, Text, Stück, Bild, Glas Wein, Torte), so muss man in der Besprechung
auch vom Umfang der Bedingungen und Verhältnisse auszugehen versuchen, die hier das Buch
als Buch und das Buch als verschriebenem Lesestoff für Gegenantworten ausmacht.
Für den Rezesenten, der partiell von Arbeitslosenhilfe, schlecht bezahlten Lehraufträgen und
anderem Kreativem sein Auskommen bestreitet, spielt der förmlich riechbare und körperlich
werdende soziale Abstand, der Distinkt, hinein in die Besprechung. Sich dem Imperativ des (Zitat)
"'Sei ökonomisch!'" angeblich unterwerfen zu müssen im Betrieb, wie Heiser lamentiert, ist schon
die Verrationalisierung der sprachlosen Verhältnisse, von denen Heiser selbst von fast 20 Jahren
in der Spex 8/97 auf Seite 13 zum Pop noch schrieb, das Kapital bilde Kapillaren bis in die feinsten
Konsumnischen, unter Angabe, es gäbe korrekte und es gäbe beschissene hierarchische
Strukturen.
Nischenkonsum, Nischen im Konsum, oder Konsumnischen?
Es muss also einmal kapitalfreie Warenproduktion (Konsumnischen) und korrekte
Machtaufteilungen (hierarchische Strukturen) gegeben haben.
Wer aber so lamentierte, um die intellektuelle und freilich antikapitalistische Distanz zum
Popfranchise zu markieren, und heute staatliche Großbiennalen beehrt, lag damals falsch mit den
Nischen, wie nun mit seinen im 'System' korrekt angesteuerten hierarchischen Strukturen
persönlich überwundener Beschissenheiten. Wie aber entkam der Buchautor den kapitalistischen
Kapillaren, die sich als böse Krake oder Krebs in die guten, wertfreien Nischen einnisteten? Weder
kann es Konsumnischen, Nischen im Konsum noch Nischenkonsum geben. Konsum ist, egal an
welchem Ort, zuerst Konsum von Ware.
Die von Heiser vorausgesetzte Landnahme-Theorie, einer – nach Marx sogenannten (!)
ursprünglichen Akkumulation[1], ist das Missverständnis, Kapital dringe erst ins vormals
unverkäufliche Gemeindeland ein und besetze dann den Konsum. Das Missverständnis vergisst,
dass die Produktion kritischer Kritik in der Nische unter privilegierten Bedingungen stattfindet, nicht
autonom sein kann, weil sie Text unter, wenn auch kleinstkapitalistischen Konditionen, verkaufen
muss. Heiser verlängert in seinem Urteilskraftkapitel die Fantasie einer lediglich korrumpierten
Kunst und ihrer Kritik. Dabei sind die Kapitalverhältnisse, was die Industrienationen angeht, seit
langen ausgereift und freies Land wäre höchstens die Verschiebung der Grenzen der gerade
aktuellen Verwertungsstrukturen.
Er entkommt also zweifach dem Kleinstkapitalismus. Einmal im Text, indem Kontexte, die in sich
zwar frei, aber systemisch gezwungen werden wie ein wildes Tier, angeschrieben werden, als Stoff
der Eigenpositionierung sog. kulturellen Kapitals. Und einmal in der Orientierung am
Staatshaushalt. Trifft damit der "Warhol in dir" auf ihn zu? Sind alle Warholianer, die den Aufsteiger
mit Rebellengeruch (als dem Geruch, welchen das Bürgertum zur Aus-Differenzierung von sich
aus recuperiert) verstanden und erklärt haben, selber nur Rebellen mit Aufsteigergeruch?
Produkt und -ion
Die Systemschranken des Verwaltungssoziologen Niklas Luhmann mögen wankend ein, sie
bestimmen – was früher vielleicht die Kritik an der Einteilung in gesellschaftliche Sektoren entlang
den Produktionsstätten gewesen ist – diese Einteilung offenbar nur nach und fixieren ihre
Mächtigkeit. Was in der Genre-Theorie mit der Ausdeutung dieser Sektoren mit ihren wachsenden
Kulturen (Wirtschaft) und Mainstreams (Märkte) fitzelig wird, kann kleinstteilig und literarisiert
nacherzählt werden. Aber auch die Strukturen der Wissenschaft der Kunst kann erklärt werden, die
symbol-wertschöpfend den gleichmachenden Vergleich sucht, wie Wolfgang Ullrich[2] vor
versammeltem FAZ-Publikum vor zwei, drei Jahren diagnostizierte. Es ist der Schrei
Konkurrierender am Markt der Kunstwissenschaften, die scheinbar ihre Zwänge eben nicht cool
durch-dekliniert, sondern vielleicht sehr post-hegelianisch, Systeme des assoziativen
Gegenüberstellens bauen.
Dieses Gegenüberstellen, der Vergleich, stellt aber doch banal allein das Produkt der Produktion
des künstlerischen Wissenschaftlers dar. D.h. auch, dass, wenn das Produkt fertig ist, sein
Herstellungs-Vorgang abgeschlossen ist, genau dieser nicht mehr ersichtlich ist. Oder, nicht mehr
ersichtlich gemacht wird. Das ist Aufgabe des Vermittlers. Ullrich korrigiert hier die Wissenschaft
lediglich zurück zu einem Neutralitätsgebot ohne Verwertungsabsicht wie am Markt, und
reproduziert damit den eigenen marktfreien, weil subventionierten Markt. Die Ratio soll nicht zur
Berechnung des Werts der absoluten Ware (Kunst) da sein. Sie soll Erkenntnis liefern weg von der
Expertise, hin zur freien bindungslosen Wissenschaft, die es für die bürgerliche Ästhetik aber nie
mehr gegeben haben kann. Den Un-Markt gibt es nicht, oder nur als schein-autonome Institution.
Ullrich erklärt szientistisch-etatistisch am Kapitalverhältnis vorbei, Heiser nimmt es in den Blick, um
darin fungierende Zwecke zu unterscheiden. Es mache etwas aus, wem man sich wie verkaufe. In
der Tat, stimmt der kunstverständige, von Poptheorie vollgesaugte, nach dem 8,50-Stundentag auf
hohem Niveau bloggende Raumpfleger zu.
In der Vergleichsmethode von Kunst mit Pop, einem seit dem Aufstieg jugendlicher NachkriegsKaufkraft am äußersten Rand der epochalen Mitte des 20. Jahrhunderts bekannten Doppel,
verfährt Jörg Heiser nicht anders. Seine Erzählung aller kunstverliebten David Bowies und
popangestrengter Bildermacher kann damit nie nur das jeweils gemeinte meinen. Denn über beide
"Sub-Systeme" werden Mittel, Praxen und die Ergebnisse der visuellen Kommunikation and
beyond (die Visualität) tauschbar. Wenn man sie als die Welten anerkennt, deren
institutionswärmebehandelte Grenzziehungen einem weiteren Subsystem, dem Publikum,
einsichtig gemacht werden. Vor allem wenn die Institute nur auseinanderzuhalten sind am Kontext,
den sie selbst in heiliger Antiallianz gegen alle anderen Genrehüter und doch mit ihnen
konfirmieren.
Hybridmotoren sind der (neuste) Schrei
Das "Hybrid", als bereits wieder abgegriffenem Homonym, wird dabei in letzter Zeit auffallend oft
hermeneutisch zur begrifflichen Fassung von jetzt noch konturlosen Kulturen verwendet und gibt
ihre Entwicklung zu vollen ausgewachsenen Kulturen vor, die dabei aber immer rebellisch bleiben
dürfen, weil sie sich nicht stillstellen lassen. Insofern bewegt sich Heiser auf sicherem Terrain der
offenen Mehrfachdeutigkeiten und muss jedoch die Täter der Wer-mit-wem-Krimis der 1960er bis
heute zu fassen kriegen. Zweifel kommen, wenn Genesis P-Orridge von seinen Cut-ups so erzählt,
als sei der Einfluss von Burroughs nur die nachträgliche und aufwertende Zutat. Wo ist das POrridge dann schon Einheitsbrei? Wem erklärt der Wissenschaftler die Hybride zu Motoren der
Ästhetik, die es allein im Plural gibt? Wo stottern sie, wenn er nicht stottert? Erneuert das Hybrid
vielleicht bloß das Fach, wo ein Allgemeinverbindliches, nach dem langen Tot der Epochen-Stile,
die als Style für Foodhunter der Minoritäten wiederkehrten, fehlt?
Wenn Heiser den Kontextwechsel gegen sein Rancier-Zitat des "hyperaktiven Konsumismus"
stellt, kann man ihm recht geben, was die einfache Anprangerung des Konsums angeht. Doch wird
Kontext nicht da zirkelhaft, wo Übergeordnetheit lanciert wird, deren Aufbrechen die
Kontextwechsler versucht haben wollten und aber die "Verwebungen" ihres Bias nie verließen?
Wenn Andrew Megson (Genesis) einer musikalisch-schauspielerischen Familienbindung zwar
entkommt, diese aber in seiner Flugbahn nur bestätigt, kann dann mit Kontext wiederum nur die
Szene gemeint sein, die in Heisers Konklusion der zu kapitalistischen Faktoren
heruntergerechneten "unternehmerischen Werte" eben diese positiv taxiert?
Wo endet der hier welcher Kontext? Ist es die Definition einer Branchentransaktion, die über
stetige Neudefinition des Partners ihre Kriterien-Grenzen beständig optimiert? Heiser wirft diese
Fragen so affirm auf, dass die übergreifenden und immer wieder zum Ausgang zurückgleitenden
Transfers der kulturellen "Vermögen" (diese Übersetzung von Bourdieus kulturellem "Kapital" wäre
eventuell genauer) ja nicht einfach so bloß aufgefunden werden.
Heiser erzählt immer von gelungenen Clashs des Popmusikischen mit dem Kunstischen, oder von
misslungenen, die gerade deshalb zur Hyper-Anekdote für die neue Kulturschreibung werden. Alva
Noto mag für die De:Bug einmal den Dancefloor zum avantgardistischen Formfloor gemacht haben
und Erwartungshaltung (Form statt Dance) unterlaufen haben. Fürs selbstreflexive Hollywood
produziert er nun auch "Original Music" (The Revenent). Wir können keinen Unterschied zu den
Erfolgsgeschichten etwa um den ehemals "schizoaffektiv gestörten" Pianisten David Helfgott
erkennen, der nach der Therapie durch partnerschaftliche Liebe mit seiner "inneren Musik" auf die
Bühne zurückgeht, keinen zur "Ballet Revolucion" mit rotem Stern und den Nr.1-Hits von Rihanna.
Und auch keinen zum mit dem Green World Ambassador ausgezeichneten ehemaligen Künstler,
der in Sichtweite des Fraunhofer-Instituts erneuerbare Energieanwendungen designt.
Sich an das Richtige richtig verkaufen, also eben doch nicht mit Warhol falsch im Richtigen oder
umgekehrt, ist – meta-betrachtet – Heisers Rat. Und so wandert die Kritik an der
Selbstvermarktung wieder zurück an die Smartness. Arbeite bei den Coolen! Denn wo fängt die
gute Popmusik an und hört die schlechte Kunst auf? In den Anschauungen ihrer Profiteure? In der
Definitionsmacht eines Peter Weibel (einem Mit-Herausgeber der Reihe "Fundus" bei Philo Fine
Arts)?
Mit der Marxkeule offen statt verholen pädagogisierend gesagt, kann man sich dazu die Fussnote
um den Vermittler aus der sogenannte[n] ursprüngliche[n] Akkumulation ansehen:
"In Frankreich wird der Régisseur, der Verwalter und Eintreiber der Leistungen an den Feudalherrn
wahrend des früheren Mittelalters, bald ein homme d'affaires <Geschäftsmann>, der sich durch
Erpressung, Prellerei usw. zum Kapitalisten hinaufschwindelt. [...] Es zeigt sich schon hier, wie in
allen Sphären des gesellschaftlichen Lebens der Löwenanteil dem Vermittler zufällt."
Der Vermittler von symbolischem Wissen wäre damit immer schmarotzender Teil der
Akkumulation, der sich als Mittelsmensch aber nicht als solcher begreifen kann, genau da, wo er
die Akkumulation disst, also unbegriffen oberflächlich denunziert, ohne sie attackieren zu können.
Damit koppelt sich bei Heiser als Vermittler und Co-Chefredakteur das Thema zum eigentlichen
Titel, quasi: "Doppelprojektion. Kritik und Selbstvermarktung". Links der niedere Pop, hochdifferenziert als Lustpotential und nun geadelt mit rechts die hohe Kunst der Korrektur und
Alternative wiederum auspreisbar massentauglich. Mit seiner an ihm selbst vorgeführten "Rolle"
demonstriert Heiser Kapitalismuskritik reiner Inkonsequenz und erhöht zugleich den moralischen
Druck, gefälligst politisch bzw. inhaltlich korrekte Jobs im Kulturbetrieb zu finden, nämlich kritische.
Oder prekäre?
Dieser korrekte "Geist" ums Subjekt bleibt nur an der ersten Person der "Akteure" kleben. Er wird
unter dem Label des "unternehmerischen Selbst von Kreativen" in der Soziologie erforscht.[3] Da
ist die Rede vom "'defizitären' Unternehmer" und von Kulturschaffenden. Soziologie folgt den
fixierenden beruflichen Einteilungen und grenzt ein, was kreativ und was nicht kreativ sein kann
anhand von "Wirtschaftlichkeit", an dem sie einen inneren Strukturwandel beobachtet.
Strukturwandel bedeute aber immer Erneuerungen der Verwertung, wenn diese notwendig
erscheinen. Man kann also behaupten, dass sich zwar Kunst und Popmusik gegenseitig erneuern.
Diese beiden aneinander machten die kulturellen 'Kapitalismen', genauer Kapitalumschlagplätze
der "Muße" resp. Kulturindustrie aus, wo sich am Detail wichtigster Figuren Pop als Musik für
Kunst als Kunst zur Rekonvaleszenz einer neuen Summa machen lässt.
Aber Bryan Ferry trägt Anzug, Blixa Bargeld hat es zu etwas gebracht. Nein, falsch. Der Anzug
kam zu Ferry zurück, Bargeld zahlt mit dem Berlin Underground.
"Ein wichtiges Buch, ein notwendiges Buch"
Wir sind uns im Klaren, dass der Versuch einer solchen, wenn auch höchst unzureichenden,
Buchkritik oder kleinen Theoriekritik nicht karriereförderlich ist und im Netz der Prominenz
machenden Stimmen verloren geht, zudem als renitent gelten kann. Eine erste Version wurde von
einer links-libertären Zeitung als journalistisch unzureichend abgelehnt, für eine konservativ-linke
Zeitung kam sie im Kalender zu spät. In der Hierarchie versendeter Rezensionsexemplare bleibt
daher nur die Publikation auf eigene Faust. Dennoch ist das Buch zu wichtig, um es nur zu
bestätigen. Jörg Heisers Leistung lesen wir auch weniger in der dezidierten Könnerschaft eines
anti-autodidaktischen Hochgebildeten, die Verknüpfungen gesellschaftlicher Subsysteme
herzustellen und sie strukturell zu koppeln. Wir lesen sie gar nicht. Wir lesen die gegenseitige
Revitalisierung von Pop und Kunst, gegen die Vermutung der Cultural Studies, es gäbe autogene
und Kapital nur repräsentierende Kulturen, als Symptom des, besondern im Europäischen Raum
unter Erneuerungszwang stehenden Kapitalismus. Hier im Sektor ideellen Konsums qua Kultur –
für Ideologie und "radikal praktische" Umsetzungen, sprich Posten.
Die kulturellen Sektoren Pop(musik) wie Kunst(pop) sind in ihrer Gegenseitigkeit selbst die
Sektoren, welche einer anderen Art von Konvergenz zufallen, die im Begriff des Spektakel bisher
gut zusammengefasst worden ist. Spektakel meinte eben nicht die medialen Formen von
Kulturindustrie. Es meinte die Integration der als kulturell verstandenen sozialen Verkehrsformen
und der mehrwertproduktiven Verfahren. Die universitäre Branche der Reflektion folgt diesem
Trend. Für Audi mögen Jean Michel Jarre und Laurie Anderson Werbeträger sein, mit denen die
Zukunft der Musiken verhandelt werde (Imperativ "Horch"!).
Tatsächlich ist Audi große Popkunst. Hybrides Agieren sanktioniert hier nur. Nicht trotz, sondern
weil Heiser dem "ArtMag by DeutscheBank" sagen kann, Popmusik hätte einst eine
klassennivelliert codierte Funktion gehabt. Sie hatte diese für ihn jedoch nur für die Art Schools,
aus denen der Pop einer Working Class hervorgegangen sei. Doppel heißt hier Wirtschaftsmotor.
Working Class ist als hip erkannte Figur hip ergo angepasst-rebellisch. Pop muss der Kunst die
Sophistication entnehmen für die Verbesserung ihres eventuell kapitalträchtigen Gebrauchswerts.
Dass er die britischen Kunstschulen als posh anspricht ist bezeichnend. Es ist die indirekte
Ansage, dass der deutsche Markt hier besser, demographischer verfahren könne, indem man aus
den Fehlern der Popnation London lerne.
Pop wird in seinem Ursprung einem stilisierten Ausweg der Arbeiter aus der Fabrikkarriere
zugeschlagen. Dass Pop mit der gestiegenen Kaufkraft, dem erweiterten Absatzmarkt entstand
und bis heute einen wichtigen "Wirtschaftsfaktor" ausmacht, bleibt nicht unbeachtet. Im Gegenteil
ist das die Ausgangslage für das Buch. Es ist eben nicht so, dass die Popmusiker oder Künstler
"ihre" Kunst, "ihre" Musik verlieren würden, wenn sie an die Theater mit Spielplan gehen, wie
Kristof Schreuf behauptet.[4] Sie hatten nie "eigene", die Bedürfnisse richtig befriedigende Musik,
und werden sie – auf der Suche nach dem Uneingelösten – darum auch immer als notwendig
'falsche' verkaufen. Wohlgemerkt ist sie nicht in der Form falsch, sie ist es aus den Verhältnissen
der Produktion, deren Struktur sie vorfindet und wie "Universal Tellerwäscher" (Die Sterne)
wissentlich und in zittrig ängstlich-freudiger Erwartung ihre Majorvertrags einst bespielten.
Das Recruiting läuft
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Heiser funky als nonkonformistischer Konformer
argumentiert und gegen entfremdende Kapitalverhältnisse weniger entfremdende zum Rezept
macht. Boris Groys hat diesen Charakter des Intellektuellen im Pop beschrieben, jedoch nur
habituell. Geht es doch darum, zusammen mit dem Mäzen, das Antibürgerliche (Nonkonforme)
auszuwerten, was sich wiederum im Salär niederschlägt.[5] Heisers System-non-Konformismus ist
deshalb funky, weil er es vermag zugleich zünftig, also in eigener Sache für die Branche, als auch
begehrenswert genug für ihre Überwindung, funky also zu reden. Unangepasstheit kann als Motor
des Narrativs der Zufluchts-, Avantgarde- und Selbstaufhebungs-Kritik des Doppels Pop und Kunst
gelten, welches dringend benötigt wird. Frieze London, dem Magazin an dem Heiser beteiligt ist,
wird immerhin ebenso von der Deutschen Bank bezahlt. Der Kreis zum Konzerneigenen
Kunstmagazin, in dem Heiser die Arbeiterklasse Englands anspricht, schließt sich insofern er
damit von der Arbeiterklasse Deutschlands wie selbstredend nicht spricht, um sie umsomehr zu
meinen. Welche Auswirkungen die Milliardenverluste der genannten Bank auf diese
Arbeiterklassen haben werden, kann nur erahnt werden.
Peter Weibel, Mitherausgeber der Fundus-Reihe in der Heisers Buch erschien, wies 1989 in einem
Aufsatz [6] auf veraltetes bürgerliches Besitzdenken hin und, dass in der Kunst des Immaterellen,
der Zeichen, sozial produziert werde (also besitzlos?). Der Ausstieg aus der bürgerlichen Kunst
wäre so nicht zu machen, wenn das Soziale genuiner Bereich der Kunst würde. Pop-Kunst, dem
unschlagbaren, Zeichen produzierenden Crossover, fiele alles zu, was die Machtfrage stellt, so
Weibel. Damit zerstört er die alte und rettet er die neue Kunst ebenso wie auch einen universellen
Zeichen-Apparat, seine Profession. Was die ganz nicht Pop und Kunst seiende Raumpflegerin nur
interessiert, wenn sie des Professors Raum der De-Entfremdung (Büro) als Objekt des zu
erledigenden Jobs begreift.
Jörg Heiser
Doppelleben
Kunst und Popmusik
FUNDUS Band 219
608 Seiten, gebunden mit Lesebändchen
ISBN: 978-3-86572-691-9
€ 28,00
___________________________________
[1] Karl Marx. "Die sogenannte ursprüngliche Akkumulation". _Das Kapital_.
http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_741.htm. [05.01.2016]
[2] Prof. Dr. Wolfgang Ullrich - Wertschöpfungszwänge. Beobachtungen zum Umgang mit Kunst.
https://www.youtube.com/watch?v=y1aehhpPRwk. [05.01.2016]
[3] Z.B. https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/sag/mitarbeiterinnen/dr-phil-alexandramanske/publikationsliste. [05.01.2016]
[4] Kristof Schreuf. "Die Musik wird fehlen". http://jungle-world.com/artikel/2016/01/53286.html
[5] Vgl. Boris Groys. "Der Pop-Geschmack". in: Walter Grasskamp, Michaela Krützen, Stephan
Schmitt (Hg.): Was ist Pop?. Frankfurt a.M.: Fischer, 2004.
[6] Peter Weibel. "Der Ausstieg aus der Kunst als höchste Form der Kunst". Kunstforum
International. Ästhetik des Immateriellen. 1989. S. 60-75.