Rot, weiß, rosé? Orange!

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Essen und Trinken
Journal
16. Mai 2015
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Neue Kochbücher
Weinwissen in leicht
verdaulichen Schlucken
Hochglanzfotos von Kellern, Korken und Weinbergen? Fehlanzeige. Als dekorative Auslegeware taugt das Weinbuch der Deutschen Sommelier-Union schon mal nicht. Seine sparsame
Bebilderung besteht aus ebenfalls sehr reduzierten Illustrationen, im Vordergrund steht das
gedruckte Wort. Man muss also schon wirklich
was wissen wollen, wenn man sich das Buch
„Wein? Yes!“ anschafft. Dafür wird der Platz im
Buch optimal genutzt: für Kürzestporträts der Anbauregionen in Deutschland, Europa und der übrigen Weinwelt. Für Rebsortenporträts. Für Antworten auf die Frage,
wie man Wein lagert,
kauft, trinkt. Was Wein
überhaupt ist. Am Ende ist der Leser
schlauer. Und hat eine ganz gute Idee davon, was ein Sommelier macht.
nim
K Wein? Yes!, Umschau Verlag, 180 S.,
29,90 Euro
Sprechen Sie Wein? – Dieses
Wörterbuch hilft weiter
Wer gern über Wein fachsimpelt oder im Urlaub
Wein kauft, der stößt im Ausland schnell an Grenzen. Der eigene Wortschatz reicht meist nicht aus,
um Expertenwissen in einer fremden Sprache
auszutauschen. Gängige Übersetzungshilfen
scheitern zudem an den Fachbegriffen. Die bietet
dieses Weinwörterbuch gleich in fünf Sprachen:
Deutsch, Englisch,
Französisch,
Spanisch,
Italienisch
und
Schwedisch.
Ein
kompakter
Helfer, der einen
kaum irgendwo in
der großen weiten
Weinwelt sprachlos sein lässt. nim
K Weinwörterbuch, List Verlag,
368 S., 19,90 Euro
Kulinarische Reise durch die
deutschen Anbaugebiete
Im besten Sinne bodenständig kommt dieses
Weinkochbuch daher: Die spiralgebundene Rezeptsammlung, herausgegeben vom Deutschen
Weininstitut in Mainz, ist eine kulinarische Reise
durch die 13 deutschen Anbaugebiete. Jedes Kapitel beginnt mit einem Kurzporträt, das die Region aus weintouristischer Sicht vorstellt. Daran
schließt sich jeweils ein viergängiges Menü mit
regionaltypischen Speisen an. Selbstverständlich
gibt's zu jedem Gang immer auch die passende
Weinempfehlung. Die kulinarische Reise führt
von der Rheinischen
Bohnensuppe
bis
zum Schwäbischen
Zwiebelrostbraten –
schöner lässt sich
die Republik nicht
erkunden.
nim
K Kulinarische
Weinreise, Deutsches Weininstitut,
160 S., 12,90 Euro
Rezepte zum Walker-Krimi:
Kochen mit Kommissar Bruno
Wenn Bruno ermittelt, ist die nächste Flasche
Wein meist nicht weit. Der Held aus Martin Walkers Krimireihe ist Polizeichef eines kleinen französischen Dorfes im Périgord. Und wie es sich
für die Genießerregion gehört, ein leidenschaftlicher Koch dazu. Kein Fall kommt ohne Brunos
obligatorischen Gang durch den eigenen Gemüsegarten aus. Seine Ausritte enden regelmäßig mit dem Erlegen des Sonntagsbratens. Seitenlang zelebriert er schwelgerisch Küchenarien.
Nun gibt's das Kochbuch zum Krimi mit allem,
was Bruno heilig ist: Patés, Käse, Geschmortem,
Süßem, Wein und natürlich Trüffeln. Ein kulinarischer Reiseführer
durch den Südwesten Frankreichs, der
sich nicht nur an
Walkers Leserschaft
wendet. Für BrunoFans ist er ein Muss.
nim
K Martin Walker:
Brunos Kochbuch –
Rezepte und Geschichten aus dem
Périgord, Diogenes,
315 S., 28,90 Euro
Rot, weiß,
rosé? Orange!
Unter Experten wird das Geraune um Orange Wine immer
lauter. In aller Munde sind die Exotenweine damit aber noch
lange nicht.
F
rüher war das Leben simpel,
auch für Weintrinker. Mangels
Auswahl führte die Antwort auf
die Frage „Rot oder weiß?“ oft schon
zum Ziel. Wer unsicher war oder auch
nur unentschieden, wählte gern was
dazwischen und entschied sich für Rosé. Beim Sekt ist die Farbe derzeit
groß in Mode. Ambitionierte Weintrinker setzen indes auf einen neuen
Trend: Orange. In Weinforen und auf
Fachmessen sind die sogenannten
Orange Wines schon länger angesagt.
Nun kommt der Begriff auch immer
mehr Nichtexperten zu Ohren. Zeit zu
prüfen, was sich dahinter verbirgt.
Genau genommen – tja, so ist das
oft mit der Mode – ein alter Hut: eine
jahrtausendealte Weinbereitungsmethode, deren Ursprung im heutigen
Georgien/Armenien liegt. Dabei werden weiße Trauben nicht erst gepresst, sondern mitsamt der Haut als
Maische vergoren, wie das sonst nur
bei Rotwein üblich ist. Das Ergebnis
ist orangefarbener Weißwein. Manchmal. Denn längst nicht alle OrangeWeine sind auch orange. Der Farbton
hängt von der Länge des Gärprozesses ab, weil der Wein seine Farbe aus
der Beerenhaut zieht. Je kürzer der
Kontakt, desto weniger Farbe. Darum
ist Weißwein weiß, Rotwein rot, Roséwein eben weniger rot. Auf der Maische vergorener Weißwein wird orange, ocker, bisweilen auch tiefgelb.
Immer mehr Winzer experimentieren mit diesem Verfahren. Oft jedoch,
ohne das Ergebnis Orange Wine zu
nennen. Zu groß ist die Furcht, als
Trendjäger oder gar militanter Naturweinverfechter abgestempelt zu werden. „Es ist ein Experiment, um zu lernen, wie weit wir beim Weißwein mit
dem Traubenkontakt gehen können“,
erklärt Winzer Kai Schätzel aus dem
rheinhessischen Nierstein seinen maischevergorenen Weißwein, der nicht
orangefarben ist und konsequenterweise „Orange, but white“ (orange,
aber weiß) heißt. Überhaupt scheiden
sich am Begriff Orange Wine die Geister, weil er nicht klar definiert ist.
Kleinster gemeinsamer Nenner ist die
beschriebene Maischegärung. Daneben gibt es Winzer, die ihren Wein
nicht filtrieren, keinen Schwefel zur
Stabilisierung zufügen und ihn auf antike Art in riesigen Amphoren gären
und reifen lassen, die sie mitunter sogar in der Erde vergraben. Orange
Weine können, müssen aber keine Naturweine sein. Deren Erzeuger lehnen
Chemie und Technik im Weinberg ab,
auch den Einsatz von Hefen, Zucker,
Schwefel und Filtertechnik. Im Keller
überlassen sie den Wein ganz sich
selbst. Das Ergebnis sieht aus wie naturtrüber Apfelsaft, ist ungeschönt und
nicht konserviert. Was die Gefahr
birgt, dass der Wein „kippt“, sämtliche
Launen der Natur und jeden Fehler im
Umgang riech- und schmeckbar macht.
So oder so: Geschmacklich spalten
die neuen Weine alten Typs. Wer zum
ersten Mal die Nase über eine frisch
entkorkte Flasche Orange Wine hält,
erleidet einen Kulturschock, weil der
Wein mit jeglicher Trinkerfahrung
bricht. Das Geschmacksbild an Nase
und Gaumen will einfach nicht zum
optischen Eindruck passen: ein Weißwein, der gar nicht wie Weißwein
schmeckt. Wie dann? „Einfach anders.
Vielschichtig, mit Tanninen wie beim
Rotwein“, erklärt der Weinmacher
und Blogger Dirk Würtz, der für das
Rheingauer Weingut Balthasar Ress
schon seit zehn Jahren mit Maischegärung bei verschiedenen weißen
Rebsorten experimentiert. „Wenn's
klappt, sind solche Weine unglaublich
komplex und wunderbare Essensbegleiter“, schwärmt Würtz. Und räumt
ein: „Bisher haben die wenigsten Weine, die ich so produziert habe, Spaß
gemacht.“ Oft sind die Ergebnisse dieses Ausprobierens im Keller grenzwertig, weil der größtmögliche Rückzug des Winzers aus der Weinbereitung jede Menge Risiken birgt. Läuft
bei den komplexen mikrobiologischen
Vorgängen während der Gärung etwas schief, riecht der Wein später
nach faulen Eiern, Kellermuff oder
Herrenklo. Geht's gut, überrascht er
durch opulente, tiefgründige Aromen.
Dem Hype in den Medien fehlt derzeit noch ein trinkendes Gegenüber,
sagt Würtz. In aller Munde sind Orange-Weine schon mangels Masse nicht.
Doch diese Exoten loten die Möglichkeiten des Weinmachens aus, eröffnen
neue Erfahrungshorizonte und zeigen,
dass die Weinwelt an den derzeit gültigen Geschmacksgrenzen noch nicht
zu Ende ist. Das ist verstörend und aufregend zugleich. Vor allem aber ist es
eins: gegen den Mainstream.
N I C O LE MI E D I N G
Für Neugierige und Abenteurer
Um Orange Wine zu genießen, braucht
es Zeit und eine gewisse Aufgeschlossenheit. Denn die Weine sind alles andere als typisch und entfalten ihr Aroma oft erst, nachdem sie ausreichend
Luft zum Atmen hatten. Wie bei Rotwein empfiehlt es sich, die Weine zu
dekantieren und nicht zu kalt zu trinken. In eine Schublade passen diese
Exoten schon allein deshalb nicht, weil
sie aus unterschiedlichen Rebsorten
und Anbaugebieten stammen, auch
die Herstellungsmethoden variieren.
Da hilft nur: Kopf aus, Mund und Nase
weit auf – einfach ausprobieren.
„Jesus“ Riesling trocken 2011
Goldgelbe Farbe, moussiert fast wie
Sekt, im Glas ähnelt der Lagenriesling
aus dem Winkeler Jesuitengarten naturtrübem Apfelsaft. Zwei Jahre im
Barrique haben ihm Würze und Kraft
gegeben. In der Nase mostig, am Gaumen bitzelt's, dann überrascht der
Wein trotz seiner Herbe mit Fruchtaromen – Apfel, Pfirsich, kandierte
Früchte. Opulent-würzig mit Nussund Kräuternoten. Passt gut zu Sushi
oder Carpaccio, kurz gebratenem
Fleisch/Fisch und asiatischer Küche
(Weingut Ankermühle, Oestrich-Winkel/Rheingau, 21,80 Euro).
„QuerKopf“ Silvaner 2013
Strahlend klares Goldgelb, riecht erdig-wild nach Spontanvergärung. Die
penibel selektierten, vollreifen Beeren
stammen aus den Steillagen Rothenberg und Hipping und wachsen im Roten Hang an 35 bis 80 Jahre alten Reben. Mitsamt Stielen wurden sie beim
Einmaischen sacht mit Füßen getreten
und durften dann acht Monate lang in
einer portugiesischen Tonamphore
liegen, bevor sie von Hand gepresst
wurden und für weitere zwei Monate
in einen Edelstahltank umzogen. Heraus kam ein Silvaner, der alles andere
ist als der gern gepriesene sommerliche Spargelbegleiter: ein charaktervoller Wein mit breitem Körper, herbem Duft nach frischem Heu, Kräutern
und Wiesenblumen. Hinzu kommen
Apfel- und Birnenaromen. Schmeckt
Weinreich,
25 Euro).
wie ein Spaziergang durch die morgenfeuchte Sommerwiese – üppig bei
nur 10,5 Volumenprozent Alkohol
(Weingut Schätzel, Nierstein/Rheinhessen, 32 Euro).
„Savagnin“ Traminer 2012
Eindeutig orange und schon deshalb
eine Überraschung. In der Nase, passend zum Bernstein, Honig, Kräuter,
Orangenschale, kandierte Früchte. Die
Trauben reiften im Binger Berg, Plateaulage Böllenstück, an fast 30 Jahre
alten Reben. Zehn Tage lang spontan
auf der Maische vergoren, wurde der
Most, ohne zu pressen, abgezogen und
für zwölf Monate in alten Barriquefässern sich selbst überlassen. Dieses
Vorgehen hat dem Gewürztraminer
neben viel Würze eine feine Säure und
ausreichend, aber angenehm Gerbstoff
mitgegeben. Macht sich ausgezeichnet
zu mediterraner Sommerküche wie
Paella, Calamares, Muscheln und italienischen oder asiatischen Nudelgerichten (Weingut Espenhof, Flonheim/Rheinhessen, 21 Euro).
„François“ Sauvignon Blanc 2012
Kräftiges, klares Goldgelb, in der Nase
zunächst sehr verhalten. Dieser Wein
braucht viel Luft, dann offenbart er ungeheuer komplexe Aromen. Birne,
Sauerkirsche, Heu, ein ganzer Strauß
von Mittelmeer- und Wiesenkräutern.
Am Gaumen leicht pfeffrig, grüner
Paprika, ein Hauch Pflaume. Macht
Spaß und hat enormes Alterungspotenzial – falls Sie eine der produzierten
400 Flaschen ergattert haben. Die sind
nämlich schon weg, vom nächsten
Jahrgang 2013 wird's ab September
650 Flaschen geben (Weingut Braunewell, Essenheim/Rheinhessen, 18,50
Euro).
„Orange“ Weißburgunder (60%)
Chardonnay (40%) 2013
Hier ist der Name Programm: eindeutig nicht mehr gelb, trüb, klärt sich allmählich im Glas. Die Cuvée duftet erst
kaum, dann steigen exotische Fruchtaromen (Ananas, Mango, Grapefruit)
aus dem Glas empor. Die sehr reifen
Trauben aus den ältesten Lagen des
Weinguts wurden von Hand gelesen
und ausgewählt. Die angequetschten
Beeren wurden über zwei Wochen in
offenen Bütten vergoren. Daraus ist ein
gehaltvoller, voluminöser Wein mit
viel Schmelz geworden, der nach Essen schreit: Er kann ausgezeichnet
Kontra geben, Salz und Würze spielend vertragen, geht mit Fisch, Meeresfrüchten, Kurzgebratenem eine
ideale Partnerschaft ein (Weingut
Bechtheim/Rheinhessen,
„Orpheus“ Weißburgunder 2013
Dieser Naturwein kommt – wie sein
Namensvetter aus der antiken Sage –
aus der Unterwelt: Nach der Handlese
wurden die Beeren von den Stielen befreit und nach antikem Vorbild in einer
1000 Liter fassenden georgischen Tonamphore vergoren. Im sogenannten
Kvevri wurde der biodynamisch erzeugte Wein eingegraben, für zwölf
Monate sich selbst überlassen und
dann unfiltriert in Flaschen gefüllt. Auf
den Tisch kommt ein Wein, der sich in
kein gängiges Geschmacksmuster
pressen lässt: salzig, erdig, mit herben
Noten, hinzu kommen Früchte. Aber
welche? Birne, Quitte, Trockenobst
vielleicht. Dazu Würze und Nüsse.
Kein Getränk, das zum lauen Sommerabend auf der Terrasse passt. Aber
eines, das viel Gesprächsstoff bietet
und sich Schluck für Schluck immer
tiefer ergründen lässt (Weingut
Schmitt, Flörsheim-Dalsheim/Rheinhessen, 28,50 Euro).
Pinot Blanc trocken 2012
Glasklar, brillante Bernsteinfarbe, ein
Juwel im Glas. Am Rand tanzen ein
paar CO2-Perlen und bleiben da. In die
Nase steigt klar der Duft von Honig
und getrockneten Früchten: Pflaumen,
Rosinen. Dem Gaumen schmeichelt
der Wein wie ein fluffiges Federkissen,
in das man sich gern fallen lässt. Dieser
trockene Weißwein zeigt sein Aromenspektrum in einer Breite, wie man
das sonst von edelsüßen Weißen oder
Sherry kennt. Die deutlich schmeckbare Säure und Salzigkeit gibt dieser
Fülle an Geschmack den nötigen Halt.
Hinzu kommen 14,5 Volumenprozent
Alkohol – viel Wumms auch hier. Wegen des Umhauerpotenzials sollte man
sich diesem Wein vorsichtig nähern.
Wer sich nicht abschrecken lässt, erlebt einen spannungsreichen Abend,
dem erst der Sonnenaufgang ein Ende
setzt (Weingut Balthasar Ress, Hattenheim/Rheingau, 21 Euro).
nim