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Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Medienkulturwissenschaft
Tinder:
Das Ende romantischer Liebe?
Essay basierend auf dem Thema der Vorlesung
„Computer Mediated Communication“
Eingereicht bei:
Juniorprofessor Friedemann Vogel
Eingereicht von:
Lotta Schweikert
[email protected]
Tinder: Das Ende romantischer Liebe?
Schon jahrelang Single und „der richtige“ Partner will Ihnen einfach nicht über den Weg laufen?
Vielleicht ist Ihre Traumbeziehung, der perfekte Partner, gerade in Ihrer Nähe und nur einen Klick
auf dem Smartphone entfernt. Was sich anhört wie eine technologische Utopie, haben uns Justin
Mateen und Sean Rad im Jahr 2012 einen Schritt näher gebracht.
Mit einer mobilen Dating-App, die spielerisch aufgebaut und kinderleicht zu bedienen ist. Sie trägt
den Namen „tinder“ (zu dt.: Zunder). Die Namensgebung und das an einer Flamme orientierte Logo
spielen auf den Funken an, der überspringen soll, wenn sich zwei Nutzer verbinden. Dann leuchtet
der Spruch „It's a match!“ auf, und die Flamme einer neuen Liebe ist bereit, aufzulodern.
Aber wie genau funktioniert diese App eigentlich; auf welchem Konzept basiert sie?
Kritiker verurteilen das Prinzip dieser und weiterer Online-Dating-Programme und bezeichnen es
als oberflächlich. Eine Autorin des Online-Magazins Vice, das bekannt für schockierende und
kritische Reportagen ist, schließt aus persönlicher Erfahrung, dass sich dank Tinder „im echten
Leben niemand mehr Mühe“ (Bogner 2014) gebe. Sie stellt die These auf: „2014 hat uns Tinder alle
zu emotionalen Krüppeln gemacht“ (Bogner 2014).
Hat Bogner Recht? Gehen an mobilen Dating-Apps wie Tinder unsere romantischen und sozialen
Beziehungen zugrunde?
Funktionsweise der App
„You're shown a succession of user photographs, along with people's first name, age, and distance
from you at the moment. There may be, at most, a line or two of personal description […]. You
swipe left to reject and move on to the next photo, or swipe right to express a liking, at which point
you message the other or "keep playing," in the app's game-like jargon.” (Bleyer 2014, S. 36)
So beschreibt die Autorin Jennifer Bleyer das grundlegende Funktionsprinzip von Tinder in ihrem
Artikel „Love the one you're near“. Damit spielt sie vor allem auf die geografische Nähe an, die bei
der Nutzung von Tinder entscheidend für die Eingrenzung potenzieller Partner ist.
Durch die GPS-Funktion des Smartphones eines Nutzers wird jeweils ein Signal ausgesandt, um
von anderen Nutzern der App gefunden zu werden.
Der Nutzer entscheidet im Menü unter dem Punkt „Entdeckungs-Präferenzen“ darüber, Personen
welchen Alters und Geschlechts ihm angezeigt werden. Er bestimmt dabei auch den Radius, in
welchem nach potenziellen Partnern gesucht werden soll. Dieser lässt sich von 0 auf maximal 161
km Entfernung erweitern. Die Altersgrenze beginnt ab 18 Jahren.
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Die App ist sehr einfach aufgebaut. Beim Öffnen befindet man sich sofort in einer Kartei, in der
Bilder visuell so dargestellt sind, dass sie wie Karten übereinander liegen und nacheinander
angezeigt werden.
Man kann so Nutzer nach Attraktivität beurteilen und „[e]infach durch Wischgesten nach rechts
oder links Personen 'mögen' oder 'ablehnen'.“ (offizielle Beschreibung der App im Google Play/App
Store, 5.2.2015). Die Bilder erhalten dann einen Stempel mit „NOPE“ oder „LIKE“ und
verschwinden aus dem Sichtfeld.
Die Nutzer, deren Profil man mit „NOPE“ abgelehnt hat, wird man mit größter Wahrscheinlichkeit
nicht wieder sehen. Denn selbst wenn diese einen „geliked“ haben, kommt kein Chat-Kontakt
zustande. Dies geschieht nur, wenn man selbst den anderen liked und „wenn du jemand anderem
auch gefällst, hast du einen Match!“ (off. App-Beschreibung). Nach der neuesten Aktualisierung
(am 4.2.2015) ist es jetzt auch möglich, durch den „Undo“-Button die versehentliche Ablehnung
eines Nutzers rückgängig zu machen.
Es gibt neben der Kartei unter dem Punkt „tinder“ und dem Menü zusätzlich das Chat-Feld
(symbolisiert durch zwei Sprechblasen) und die Funktion „Momente“, bei der man Fotos (ähnlich
wie bei Snapchat) mit seinen Matches teilen kann.
Es fällt auf, wie wenige Funktionen und komplizierte Unterpunkte es gibt. Außerdem ist die
gesamte App
auf
rein
optische
Reize
ausgelegt
und
erfordert
wenig
Lese-
oder
Einarbeitungsaufwand für neue Benutzer. Alle Menüpunkte sind als Bilder-Icons gestaltet und man
erhält kaum schriftlichen Input beim Nutzen der Kartei. Name, Alter und, in Zahlen angegeben, die
gemeinsamen Freunde und Interessen, basierend auf entnommenen Facebook-Informationen bei der
Anmeldung, sind ebenfalls mit minimalistischen Symbolen dargestellt.
Beim Klick auf das Bild einer Person, kann man diese genauer einsehen. Außerdem sind mehrere
Bilder und eine Kurz-Biografie sichtbar, falls der andere Nutzer das eingestellt hat.
Oberflächlichkeit von Tinder
Anhand solch spärlicher Informationen soll der Nutzer nun entscheiden, ob eine Person zu ihm
passt oder nicht. Man kann also argumentieren, dass Tinder sehr oberflächlich ist. Laut einer Studie,
durchgeführt von Studenten an der Indiana University, bekommt man mit gutem Aussehen am
meisten Aufmerksamkeit. 72% der Befragten entschieden nach Aussehen, 17% nach einer schlauen
Gesprächseröffnung und nur 11% dem Humor der Person (JOHN 2014) , ob sie ein Match attraktiv
fanden. Es ist offensichtlich, dass es bei Tinder, vor allen anderen Dingen, um körperliche Attribute
und das Äußere geht. Das lässt sich teilweise sicher durch die Ursprünge der App erklären. Denn
schon vor Tinder gab es mobile Dating-Apps, die auf geografischer Nähe basierten.
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„Proximity is a helpful parameter for those interested mainly in casual sex, the original purpose of
mobile dating. It all began with Grindr, a geosocial app for gay men. Launched in 2007 and still
largely used for hook ups […], Grindr claims six million gay users worldwide” (Bleyer 2014, S.
36–37), konstatiert Bleyer.
Grindr wird vor allem für Gelegenheitssex ohne das Anstreben einer festen Beziehung genutzt.
Viele sehen nun Tinder, da auch namentlich sehr ähnlich, als eher heterosexuell orientierten Ableger
von Grindr und projizieren das negative Bild von der einen auf die andere App.
Tinder sei nicht nur oberflächlich, die Menschen würden auch zu Produkten degradiert, indem man
sie in der Bildkartei derart katalogisiere: "Meeting through a vast and dehumanized marketplace
[…] encourages people to see each other more as products less as people, and not to afford each
other common courtesy, let alone the focused attention it takes to forge a real, intimate connection."
(Bleyer 2014, S. 37)
Kennenlernen im „Real Life“
Jemanden auf Tinder kennenzulernen ist demnach als oberflächlich anzusehen. Aber wie
oberflächlich ist es eigentlich, auf konventionellem Wege jemanden kennenzulernen? Ich bin der
Meinung: Genauso sehr.
Stellen wir uns eine Situation vor, in der eine Person von einer anderen angesprochen wird, weil
diese sie attraktiv findet. Ein Punkt dabei ist zunächst, dass man sehr oft von Menschen
angesprochen wird, die man nicht attraktiv findet oder für die man sich nicht interessiert. Auf
Tinder werden solche Unannehmlichkeiten von vornherein ausgeschlossen.
Sei es nun in der Straßenbahn, in einer Bar oder einem Café – Der Ansprechende beurteilt ebenso
stark nach dem Aussehen, wie die Person, die das Bild eines anderen auf Tinder mit „LIKE“
stempelt.
Bevor der Ansprechende die Person seines Interesses in ein Gespräch verwickelt, weiß er sogar
noch weniger von ihr, als es auf Tinder der Fall wäre. Weder Name, noch Alter oder gemeinsame
Interessen sind ihm bekannt: Er konzentriert sich ausschließlich aufs Äußere. Erst in der
Kennenlernsituation, im folgenden Gespräch, erfährt er diese Informationen und kann auch durch
die Körpersprache und Attitüde mehr über die Person erfahren.
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Mängel der Chat-Kommunikation
Das stellt natürlich einen entscheidenden Vorteil gegenüber einer digitalen Bekanntschaft dar. Es
kann im Gespräch sofort geprüft und bestätigt werden, dass es sich um eine reale Person handelt.
Bei Tinder ist das nur begrenzt möglich, auch wenn man sich mit Facebook verbinden muss, da man
ein sogenanntes „Fake-Profil“, also eine falsche Identität, erstellen kann.
Man merkt außerdem schnell, wie gut man sich versteht.
„Da […] die Kommunikationspartner nicht in einem gemeinsamen Raum interagieren, können der
akustische und der taktile Kanal in der Regel nicht in Anspruch genommen werden“ (Pecksen 2009,
S. 40) wenn man im Chat kommuniziert. Das bedeutet, es fallen Augenkontakt, Gestik und viele
Emotionen weg, die normalerweise durch Stimmlage oder Aussprache vermittelt werden.
Der Chat-Kontakt kann demnach, im Gegensatz zum Gespräch, entfremdet oder unpersönlich
wirken. Da der Tinder-Nutzer ja auch in gewisser Weise anonym bleibt, weil er nur wenig über sich
preisgibt oder eine falsche Identität annimmt, kommt es auf Tinder oft auch zu negativen
Erfahrungen: Unangenehme, verbale sexuelle Belästigung, Beleidigungen oder unhöfliche
Umgangsformen.
Bei computerbasierter Kommunikation gibt es eine geringere Hemmschwelle für respektloses
Verhalten, als bei einem Treffen von Angesicht zu Angesicht.
Es ist nicht nur viel einfacher, jemanden zu beleidigen oder zu beschimpfen, den man nicht kennt
und dem man dabei nicht in die Augen sehen muss.
Nein, allgemein jemand Fremden zu kontaktieren, erfolgt übers Internet und über Tinder viel
leichter, als im „real life“, ins Besondere dann, wenn ein romantisches Interesse mitspielt. Für
Menschen, die im echten Leben eher schüchtern sind und kaum den Mut aufbringen, jemanden auf
der Straße anzusprechen, ist Internet-Dating ein wahr gewordener Traum. Man kann viel offener
sein, sich genau überlegen, was man wann schreibt, ohne schlagfertig oder direkt sein zu müssen.
Wenn eine Person, die man angeschrieben hat, nicht antwortet, verletzt das nicht so sehr wie ein
Korb, den man von der Person mit Worten ins Gesicht gesagt bekäme.
Entfremdung von Menschlichkeit durch perfekte Konstruktionen
Diese Distanz zu anderen Menschen, die auf Tinder zum Vorteil wird, kann aber auch schnell ins
Gegenteil umschlagen. Nicht nur durch den genannten respektlosen Umgang mit anderen
Menschen, sondern man geht auch das Risiko ein, abgestumpft zu werden. Abgestumpft gegen die
echten Gefühle, Bedürfnisse und Gedanken von echten Menschen. Denn sind nicht diese Bilder,
diese Profile, diese Namen, mit denen wir uns virtuell auf Tinder unterhalten, nur Konstrukte?
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Sie sind Konstrukte die wir uns selbst geschaffen haben - besser, schöner, schlauer und lustiger, als
die nicht so perfekte Person, die vielleicht dahinter steht. Genauso, wie wir uns im social media
auch nicht so zeigen, wie wir manchmal wirklich sind. Ungeschminkt, mit ungekämmten Haaren
oder schlechter Haut, ohne strahlendes Lächeln, mit mieser Laune, in Jogginghose, im Regen, beim
Waschen im Waschsalon. Auf Tinder sieht man hingegen nur unsere beste Seite, die größte Vielfalt,
die spannendsten Details aus unserem Leben.
Romantische Liebe geht nicht verloren
Wenn wir Dating-Apps wie Tinder nutzen wollen, um schnell und ohne viele Mühen neue
Menschen kennen zu lernen, dann müssen wir das immer im Hinterkopf behalten; den Menschen
hinter dem Profil sehen. Und das gelingt uns am besten, wenn wir so wenig wie möglich chatten
und die Person so bald wie möglich persönlich treffen, um uns mit ihr zu unterhalten.
Dann weiß man nämlich meist sofort, ob zwischen den beiden Nutzern der App wirklich ein Funken
übergesprungen ist und sich daraus eine richtige romantische Beziehung entwickeln kann, oder ob
es vielleicht oberflächlich gesehen passt, aber menschlich rein gar nicht. Die beiden Nutzer werden
in dem Moment nämlich wieder zu dem, was sie schon immer waren: Menschen.
Wenn man das reine Kennenlernen durch Tinder ersetzt, ist das meiner Meinung nach nicht
verwerflich. Es existiert trotzdem noch romantische Liebe zwischen echten Menschen, die sich
gegenseitig respektieren und sich umeinander bemühen. Zwar bleibt ein kleines Manko dabei, dass
man seinen Eltern und Freunden keine filmreife „Kennenlern-Geschichte“ erzählen kann; jedoch
gibt es in einer Liebesbeziehung durch Tinder trotzdem Romantik. Eine Beziehung, die auf Tinder
basiert, kann also durchaus funktionieren und gut sein. Vorausgesetzt beide Partner verbannen die
App von ihrem Smartphone und schalten es am besten auch hin und wieder mal aus, um
miteinander zu sprechen.
Literaturverzeichnis
Bleyer, Jennifer (2014): LOVE THE ONE YOU'RE NEAR. In: Psychology Today. Jul/Aug, Vol. 47
Issue 4,, S. 36–38.
Bogner, Verena (2014): 2014 hat uns Tinder alle zu emotionalen Krüppeln gemacht. In: Vice 2014,
19.12.2014. Online verfügbar unter http://www.vice.com/alps/read/tinder-emotionale-krueppel-829,
zuletzt geprüft am 04.02.2015.
JOHN (2014): Study reveals surprising statistics behind Tinder hookups. Online verfügbar unter
http://thechive.com/2014/11/19/study-reveals-surprising-statistics-behind-tinder-hookups-10photos/, zuletzt geprüft am 14.02.2015.
Pecksen, Wibke (2009): Instant Messaging. Kommunikationsform zwischen Mündlichkeit und
Schriftlichkeit. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.
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