5 Sportartspezifische Aspekte 5.1 Sportspielarten ohne Gegnerkontakt 5.1.1 Badminton Norbert Möllers Grundlagen In dieser Arbeit werden badmintonspezifische Schlagbewegungen in ihrem funktionellen Zusammenhang dargestellt mit den mechanischen Belastungen der aktiven und passiven Strukturen der Schulter und des Schultergürtels. Davon abgeleitet werden akute Verletzungen und chronische Überlastungen dieser Strukturen. Badminton hat sich in den letzten 20 Jahren endgültig zu einer rasanten Sportart entwickelt, in der die Spitzensportler nahezu sechs bis acht Stunden täglich trainieren, insbesondere auch durch die Aufnahme von Badminton in das Programm der Olympischen Spiele seit 1992. Deshalb betreiben die nationalen Sportverbände – in Deutschland der Deutsche Badminton Verband (DBaV) und seine Landesverbände – in den Schulen und den Vereinen eine systematische Talentsuche. Damit beginnen häufig bereits Kinder in einem Alter von sechs bis acht Jahren mit einem mehrfachen wöchentlichen Training. Ein jugendlicher Leistungsspieler von 20 Jahren hat also nicht selten ein Leistungs- training von zwölf und mehr Jahren und entsprechende Wettkämpfe hinter sich. Das Sportgerät erscheint auf den ersten Blick grazil und harmlos. Der Schläger wiegt ca. 95 g, der Federball 5 g. Und dennoch werden beim Badminton mit bis zu 400 km/Std. die höchsten Ballgeschwindigkeiten von allen Rückschlagsportarten gemessen. Verletzungsmechanismen Am häufigsten treten Beschwerden im subacromialen Raum auf. Eine Bursitis subacromialis kann sehr akut nach einem Wettkampfwochenende mit massiven Schmerzen zum Arzt führen. Auch zeigen sich gelegentlich Verkalkungen im Ansatz der Supraspinatussehne am Tuberculum majus (Tendinitis calcarea). Diese Verkalkung kann akut einbrechen in die darüber liegende Bursa subacromialis (Bursitis calcarea), die bezüglich ihrer Lage und Größe völlig unterschiedlich sein kann. Nicht selten findet sich bei der klinischen Untersuchung von Badmintonspielern auch ein Druckschmerz im proximalen Verlauf des M. biceps brachii und über seinem Verlauf in der Rinne zwischen Tuberculum majus und minus, im sogenannten Sulcus intertubercularis (Tendinitis und Tendovaginitis der langen Bizepssehne). Häufig projizieren sich die Schmerzen auf das Schultereckgelenk (Reizung des ACG) mit lokalem Druckschmerz und Schwellung. Lokale Infiltrationen und konsequente Physiotherapie bei gleichzeitiger Trainings- und Wettkampfpause von Grim, Engelhardt: Die Sportlerschulter. ISBN: 978-3-7945-3052-6. © Schattauer GmbH 174 5 Sportartspezifische Aspekte mindestens vier Wochen führen häufig bereits zu einer deutlichen Befundbesserung. Lediglich bei Therapieresistenz sollte eine operative Revision mit Entfernung des Discus und/oder des lateralen Claviculaendes in Erwägung gezogen werden. Unmittelbare Ursache für die Schädigung des Discus articularis sind die häufigen und schnellkräftigen Rotationsbewegungen des horizontal abduzierten Armes, wie sie typisch sind für die badmintonspezifischen Schläge seitlich vom Kopf und auch bei Unterhandschlägen. Die Überkopfschläge mit ihren großen Ausholbewegungen (▶ Abb. 5-1) belasten das eigentliche Schultergelenk besonders in seinen ventralen Anteilen. Der Humeruskopf verschiebt sich dabei nach ventral gegen die Gelenkkapsel und über den ventralen Anteil des Labrum glenoidale. Durch die rezidivierende Mikrotraumatisierung kann eine anteroinferiore Instabilität mit und ohne Kapsel-Labrum-Läsion entstehen. Gefährdet sind bei der Ausholbewegung und der nachfolgenden Schlagbewegung durch die entstehenden Traktions- und Scherbelastungen aber auch die cranialen Labrum-Abschnitte. Eine Verletzung dieser Strukturen führt zu einer SLAP-Läsion. Sie bedarf bei dieser Gruppe der »Überkopf«-Sportler häufig einer operativen Rekonstruktion. Der gleiche Schädigungsmechanismus liegt auch einer Läsion der RM zugrunde, wobei in den meisten Fällen die Supraspinatussehne im Sinne eines posterosuperioren Impingements betroffen ist. Es kann hierbei zu partiellen gelenkseitigen Einrissen, aber auch zu kompletten Rupturen der Supraspinatussehne kommen. Myotendinosen können sämtliche Muskeln des Schultergürtels betreffen, also auch Muskeln, die unter Alltagsbedingungen selten schmerzhaft sind, so z. B. der M. infra spinatus auf der Rückseite des Schulterblat- tes (Außenrotation), M. subscapularis auf der Vorderfläche der Scapula (Innenrotation), M. teres major und minor, die den Humeruskopf nach unten ziehen und bei der Rotation unterstützen (IRO und ARO). Die entsprechenden Muskelfunktionstests gegen Widerstand geben darüber Aufschluss. Auch die zwischen den Schulterblättern gelegenen Muskeln (M. rhomboideus major und minor), die die Scapula mit den Dornfortsätzen der Wirbelsäule verbinden, führen zu Ansatztendinosen am medialen Scapularand und an den Dornfortsätzen. Diese interscapulären Muskeln sind dann auch Ursache für teilweise akut und sehr schmerzhaft auftretende Blockierungen der Costotransversalgelenke (CTG) an der mittleren BWS ca. zwei Querfinger seitlich der Dornfortsätze. Sie lassen sich chirotherapeutisch und mit evtl. zusätzlicher Gabe von Antiphlogistika für max. drei bis fünf Tage gut beseitigen. Nicht vergessen werden sollte der M. serratus anterior, der zusammen mit der interscapulären Muskulatur die Scapula auf dem dorsalen Thorax fixiert und verschiebt. Die zackenartigen Ansätze an den lateralen Rippen in Höhe der vorderen Axillarfalte sind dann bei Überlastung druckschmerzhaft verhärtet. Chronische Beschwerden sind: • Instabilitäten • Läsion Labrum glenoidale • Läsion Discus articularis Folgende Verletzungen kommen vor: • Bursitis subacromialis (calcarea) • Tendinitis supraspinatus (calcarea) • Läsion Discus articularis im ACG • ACG-Reizung • Instabilität (ventral und caudal) • SLAP-Läsion • Hill-Sachs-Läsion, Bankart-Läsion • Labrumläsion Grim, Engelhardt: Die Sportlerschulter. ISBN: 978-3-7945-3052-6. © Schattauer GmbH 5.1 Sportspielarten ohne Gegnerkontakt 175 • Tendovaginitis Bizepssehne • Ansatztendinose Bizeps am Tuberculum supraglenoidale und am Coracoid • Ansatztendinose medialer und lateraler Scapularand • Ruptur der RM Sportartspezifische Belastung und Beanspruchung Badmintonspezifische Schläge Die Schläge werden mit der Vorhand und der Rückhand ausgeführt. Entscheidend für die Belastung von Schulter und Schultergürtel ist aber die Höhe des Schlagarmes, insbesondere des Oberarmes, zum Zeitpunkt des eigentlichen Schlages in Bezug auf den Rumpf. Demzufolge lassen sich folgende Schläge unterscheiden: • Schläge über dem Kopf • Schläge seitlich vom Kopf • Schläge links vom Kopf (beim Rechtshänder) • Unterhandschläge (in Höhe der Gürtellinie oder tiefer) Abb. 5-2 Rückführung des Schlägers (© Sven Heise) Die eigentliche Schlagbewegung lässt sich ebenfalls in mehrere Phasen unterscheiden: • Ausholbewegung • Beschleunigungsphase (in einer Bewegungsschleife) • Schlag und Ausschwungbewegung Rückführung des Schlägers, um die Bewegungsschleife zur Beschleunigung des Schlägerkopfs zu vergrößern. Wie dramatisch eine Ausholbewegung auch aussehen kann, zeigt Abbildung 5-3. Entsprechend diesen Schlägen sollen die belasteten anatomischen Strukturen näher betrachtet werden. Abbildung 5-1 zeigt eine typische Ausholbewegung: Der Schlagarm wird erhoben und außenrotiert. Die Schlagschulter ist ein wenig zurückgeführt. Der Ellbogen ist ca. 90 Grad gebeugt. Die Spielerin hält mit ihrer Hand den Schläger in leichter Radial abduktion. Abbildung 5-2 zeigt die weite Schläge über dem Kopf Der Schlägerkopf trifft den Ball möglichst hoch und direkt über dem Kopf (▶ Abb. 5-4). Dies ist nur möglich bei maximal angehobenem Arm. Das Schulterblatt wird dabei zur Seite angehoben und gleichzeitig ca. 20 Grad nach außen rotiert. Das geht natürlich nur, wenn die medial am Schulterblatt ansetzende interscapuläre Muskulatur gut dehnfähig ist. Gleichzeitig sind die Heber der Scapula aktiv. Abb. 5-1 Typische Ausholbewegung mit erhobenem und nach außen rotiertem Schlagarm (© Sven Heise) Grim, Engelhardt: Die Sportlerschulter. ISBN: 978-3-7945-3052-6. © Schattauer GmbH 176 5 Sportartspezifische Aspekte Schläge seitlich vom Kopf Der Arm befindet sich in seitlicher Abduktion von ca. 90 Grad mit einer Variation von ca. ± 15 Grad (▶ Abb. 5-5). Das Schulterblatt ist dabei nicht verdreht. Der subacromiale Raum ist dadurch relativ eng. Bei der nachfolgenden Innenrotation zum eigentlichen Schlag kommt es also zu einer sehr raschen und massiven Verschiebung der Weichteile über dem Schultergelenk (M. supraspinatus und Bursa subacromialis) gegenüber dem Unterrand des Acromions. Abbildung 5-6 zeigt, dass auch bei den Schlägen seitlich vom Kopf der Schlag durch eine maximale Außenrotation im Schultergelenk eingeleitet wird. Schläge links vom Kopf Schläge links vom Kopf (▶ Abb. 5-7) vermeiden den Return des Federballes durch einen Rückhandschlag. Abb. 5-3 Extreme Ausholbewegung (© Sven Heise) Abb. 5-6 Der Schlag seitlich vom Kopf wird durch maximale Außenrotation im Schultergelenk eingeleitet (© Sven Heise) Abb. 5-4 Überkopfschlag (© Sven Heise) Abb. 5-5 Schlag seitlich vom Kopf (© Sven Heise) Abb. 5-7 Schlag links vom Kopf (© Sven Heise) Grim, Engelhardt: Die Sportlerschulter. ISBN: 978-3-7945-3052-6. © Schattauer GmbH 5.1 Sportspielarten ohne Gegnerkontakt Der Schlag mit der Rückhand hat einige Nachteile. Er ist technisch schwieriger. Deshalb können die meisten Spieler mit der Rückhand nicht so viel Kraft entwickeln (außerdem sind die Extensoren des Unterarmes schwächer als die Flexoren). Der Rückhandball ist also langsamer. Zudem könnte der Spieler den obigen Ball als Rückhandball nur erreichen, wenn er sich mit dem Rücken zur Schlagrichtung dreht. Er verliert also für einen kurzen Zeitraum die Übersicht über das Spielfeld. Für das Schultergelenk bedeuten diese Schläge links vom Kopf eine extreme Anhebung und Außendrehung der Scapula (▶ Abb. 5-8). Unterhandschläge Unterhandschläge (▶ Abb. 5-9) kommen überwiegend in der Abwehr vor. Ungünstig ist, dass der Ball angehoben werden muss, um über das 1,55 m hohe Netz zu kommen. Somit ist ein direkter Schlag ins gegnerische Feld nicht möglich. Unterhandschläge sind sowohl mit der Vorhand als auch mit der Rückhand möglich. Bei der Rückhandabwehr muss der Schläger einwärts gedreht werden. Bei der Vorhandabwehr durch einen Unterhandschlag muss der Schläger und damit das Schultergelenk auswärts gedreht werden, um den Schlag einzuleiten. Dass die Rückhand auch eine dramatische Schlagbewegung nicht nur für die Schulter, sondern für den ganzen Körper sein kann, zeigt Abbildung 5-10. 177 Abb. 5-8 Extreme Anhebung und Außendrehung der Scapula (© Sven Heise) Abb. 5-9 Unterhandschlag (© Sven Heise) Literatur Literatur zu diesem Kapitel finden Sie im Anhang und unter www.schattauer.de/3052 Abb. 5-10 Rückhandschlag: Die Schlagbewegung beansprucht nicht nur die Schulter stark, sondern auch den gesamten Körper (© Sven Heise) Grim, Engelhardt: Die Sportlerschulter. ISBN: 978-3-7945-3052-6. © Schattauer GmbH
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