GABRIELE STRAUB „ a u f r a u s c h e n „ // Gemälde und Collagen Ausstellung im „Alten Pfarrhaus“ in March-Hugstetten vom 19.09.2015 - 10.11.2015 Der erste Gegenstand der Malerei, d.h. ihr Thema, ist die Farbe. Für die Gemälde von Gabriele Straub trifft das in besonderer Weise zu: denn Farbe ist hier zu erleben als ein wirk!iches Gegenüber mit einer Ausstrahlung, die der von Persönlichkeiten nahe kommt. Das leuchtet ein und ist hier auch nachvollziehbar angesichts der gleichzeitigen Anwesenheit von Blau oder kühlem Gelbgrün neben vier Repräsentanten der Farbe Orange. Orange; das spürt man, ist nicht nur eine Farbe. Sie zeigt ihre unterschiedlichen Eigenschaften und Seinsweisen, indem sie mit den Partnern auch das Temperament wechselt. Orange ist eine Mischfarbe aus Gelb und Rot. Das "TURBULENZEN" genannte Bild öffnet den Blick für den Prozess, den es bedeuten kann, wenn sich zwei begegnen, auseinandersetzen, mischen und zuletzt vereinigen. Rot liegt zuunterst, es folgt, so scheint es, Orange und zuletzt, oben auf, Gelb. In der Mitte aber sieht es so aus, als perforiere das Gelb-Orange den dunklen Grund. Er weicht zu einem der Ränder aus, bleibt aber dort wie eine Wolke liegen. All das geschieht in stürmisch-raschen Rhythmen des Farbauftrags. Gelb mochte dabei wohl das Orange dämpfen, hat es aber in seinem Glühen umso mehr angefacht. Ganz anders begegnen sich Orange und Gelb in der "MEDITATION": den Boden dafür gibt hier ein Blau. Es schimmert als Grund noch hervor und erscheint dabei gelegentlich fast grau, und das kann sich in einen Hauch von Violett wandeln. Je nach dem wie das Licht auftrifft, schwebt es dann als leichte Wolke darüber. Dies alles verbindet sich mit einem ruhigen, gleichmäßigen Farbauftrag. Der allerdings läßt dem Auge alle Freiheit und Muße, über das Bild hin zu wandern. Dabei bilden sich unbestimmte Formen und Strukturen heraus. Da sie sich im nächsten Moment vor den Augen auflösen können, bleiben sie auch unbestimmbar. Faktisch bleibt das Angebot an das Auge dabei immer gleich, allein, was der Blick daraus macht, verschiebt sich buchstäblich von Augenblick zu Augenblick. Vielleicht bildet sich in der Mitte des Farbfelds ein Zentrum wie ein Blüte, vielleicht weitet sich ein Tiefenraum, vielleicht spielt ein Schleier aus Weiß über die Fläche hin. Welcher Charakter von Orange oder einer der anderen Farben auch immer hervortritt, er äußert sich, indem die Farbe aufgetragen wird. Das kann geschehen in kleinen, rasch folgenden Schlägen, in aufspringenden Schleifen, in entschiedenen Strichen, in löschenden Gesten, in deckenden Flecken, kurz in Bewegung. Damit kommen Raum und Zeit ins Spiel, der Raum als der den Farben eigene (nicht perspektivische) Tiefenraum und die Zeit, ohne die sich keine Bewegung vollzieht. Dem Malen in der Zeit mag das ebenfalls der Zeit verpflichtete Betrachten antworten. Der Titel dieser Ausstellung heißt „AUFRAUSCHEN“. Er gibt also kein fest bestimmendes Substantiv an, sondern ein seiner Natur nach nicht greifbares Geschehen. Jedes Verb verflüssigt die Sprache, aber "aufrauschen" tut noch einen weiteren Schritt in diese Richtung. Aufrauschen klingt schon als Wort. Es klingt nicht wie etwa ein stabiler Akkord, sondern wie Töne, die sich aufeinander folgend zum Klingen aufbauen und wieder absinken, also wie ein in sich bewegtes Geschehen. Musik. Gesang. Der Titel "SIRENENGESANG" ist einer Serie von kleinen Collagen beigegeben. Sie sind von den Abmessungen her klein, öffnen aber ein weites, unermesslich großes Reich aufquellenden Lebens. Sirenen sind als betörend-gefährliche Wesen bekannt. Odysseus ist ihnen auf seinen Irrfahrten über das Meer begegnet. Sirenen warnen vor Gefahren wie Sturm oder Feuer. Mit nichts davon hat es der Sirenengesang zu tun, den Gabriele Straub uns sehen lässt. Musik sichtbar zu machen ist in der Regel Sache des Tanzes. Hier geschieht es durch Malerei, als die Gabriele Straub auch ihre Collagen verstanden wissen möchte. Wie singen Sirenen? Wer sind sie? Goethe, im zweiten Teil seiner Faust-Dichtung, in der so genannten klassischen Walpurgisnacht lässt seine Sirenen auf Felsen am Meer wohnen und sie im Licht des Mondes erscheinen. Sie sind also Wesen nächtlicher Klarheit, fern ab von der Sonne. Zu Goethes Zeiten galt die Sonne als das Symbol der Aufklärung und des hellen Verstandes. Das wandelbar schimmernde Mondlicht indessen bringt die seltsamsten Gestalten ins Leben. Sie wollen entstehen, nicht aber verstanden werden. Deshalb singen oder flöten die Sirenen und verhüllen ihre Worte in traumverwandte Bilder. Die kleinen Bilder von Gabriele Straub entführen in eine Welt solch traumverwandter Bilder, und sie berühren das Gemüt, wie auch Musik es tun würde. Es gibt von Musik keine Momentaufnahmen, d.h. man kann Musik nicht anhalten, und ebenso wenig will das Auge hier beim Betrachten sich anhalten lassen. es lässt sich locken von Kostbarkeit zu Kostbarkeit, mehr oder weniger klar umrissenen oder sogar geschnittenen Formen, Mustern, Linien. Ein gut geschnittenes Passepartout fasst jede dieser Collagen und legt sie innerhalb des Rahmens fest. Umso beweglicher schweift der Blick, gelockt von allem, was es unter diesen Gesängen zu entdecken gibt. Im vierten Sirenengesang liegt auf Schwarz ein farbiges Gefunkel. Der Blick hebt und senkt sich auf und ab, spielt mit Blumen? Wassertieren? Sternen? Von vielen Farben leuchtet Türkis am intensivsten, sandiges Gelb am häufigsten, Bildungen, die vorbeiziehen, so vertraut wie fremd-verlockend in versunkene Geschichten. Oder: Sirenengesang acht: Der Fluss der Farbe, wohin? Er kommt und geht, die Farbtöne schmiegen sich an einander im leisen Pulsschlag verschiedener, parallel laufender Rhythmen. Da bäumt sich auch einmal einer auf, schwillt an, nimmt zu an Gewicht, Farbe und Umfang, trifft auf eine Spiegelfläche. Begegnet sie ihm oder hat sie ihn entlassen, wie es ein produktiver Urgrund tun würde. Gesang ist ein weiter Begriff. So formal klar umgrenzt, wie es diese Collagen bei alt ihrer poetischen Kraft sind, habe ich beim Betrachten immer wieder an die Liedkunst der Romantik gedacht, insbesondere an die von Schubert und Schumann. Diese Lieder gewinnen, indem sie wiederholt gehört werden, von Mal zu Mal an Reichtum in der Beziehung von Text, Melodie und Partnerschaft des Klaviers. Und nach einer Weile ist klar: in diesen Schätzen liegen für jeden, der sich ihnen widmet, weitere Schönheiten verborgen. Die Lieder allerdings verklingen schnell; denn ihr Maß ist die Zeit. Die Collagen von Gabriele Straub, die Sirenengesänge, stellen sich, obwohl auch sie die Zeit umspielt, dauerhaft jedem Blick, der die Zeit mitbringt, sie sich zu erschließen. Dr. Ulrike Rein, Pforzheim
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