Elmar Tophoven (1923-1989) "Jeder Übersetzer stirbt mit seinem Geheimnis", konnte man Elmar Tophoven Anfang der 70er Jahre oftmals sagen hören. In anderen Berufen tauscht man sich aus, gibt seine Erfahrungen weiter, lernt von einander. Gäbe es doch einen Ort, an dem man mit Kollegen zusammenkommen könnte, möglichst mit Muttersprachlern, Sprachwissenschaftlern, in- und ausländische Kollegen unter einem Dach! Bei den sogenannten Esslinger Gesprächen, die einmal im Jahr stattfanden, hatte sich gezeigt, wie groß das Bedürfnis nach Kontakt und Austausch war, wie ungewohnt aber auch für viele, die Probleme, vor die sie sich gestellt sahen, zu analysieren und über die Schritte, die zu ihrer Lösung geführt hatten, nachzudenken, geschweige denn, die Trouvaillen, die jeder am Schreibtisch macht, festzuhalten. Stimmte es, wenn der Schriftsteller Claude Esteban in seinem Essay Traduire bedauernd feststellte, "dass die Literaturübersetzer seit alters her kaum etwas über ihr Vorgehen, über die Maßstäbe, die sie gewonnen haben und die Kohärenz oder Fragwürdigkeit ihrer Verfahrensweisen mitgeteilt haben? Überall das gleiche kaum unterbrochene Schweigen, die gleiche kleinliche Vorsicht, nur ja nichts von dem durchblicken zu lassen, was das Geheimnis einer erneuten Schöpfung ist". Elmar Tophoven hatte beim Bewältigen sprachspezifischer Probleme bei Samuel Beckett oder Autoren des Nouveau Roman – Robbe-Grillet, Claude Simon, Nathalie Sarraute u.a. – eine Art parallele Buchführung für sich entwickelt, die schließlich zur Aufzeichnung von Hunderten von Beispielen auf Karteikarten führte und den Übersetzungsprozess durchschaubar machte. Er hatte beherzigt, wozu Georges Steiner 1975 in seinem aufsehenerregenden Buch After Babel die Übersetzer anregte: "preserve your drafts, rough papers and successive maquettes ...The unformed fascinates us." Für Tophoven, der seit 1949 in Paris lebte, bot sich die Gelegenheit, sein transparentes Verfahren als Deutsch-Lektor an der Ecole Normale Supérieure und in Zusammenarbeit mit Lektoren des Goethe-Instituts und des DAAD zu erproben. Er reiste zu Vorträgen nach Deutschland und referierte über seine "Beobachtungen vor Wort", "Möglichkeiten literarischer Übersetzung zwischen Intuition und Formalisierung" oder "Hilfe durch die Formel", um nur ein paar Titel seiner Vorträge zu nennen. Der Nachweis über das, "was in den Köpfen der Übersetzer vorgeht" (H.P.Krings, 1986) erwies sich bald von entscheidender Bedeutung, als die Diskussionen um die Gründung eines Europäischen Übersetzerkollegs begannen. Die Stadtväter der kleinen niederrheinischen Stadt Straelen, unweit der holländischen Grenze, Elmar Tophovens Heimatstadt, konnten für das Experiment eines Übersetzerhauses gewonnen werden. Ab 1978 wurden erste Treffen mit Autoren und ausländischen Kollegen in einem kleinen Haus erprobt. Die Ergebnisse der tagelangen Diskussionen hingen anfangs noch vorzeigbar in meterlangen Endlospapierstreifen an der Wäscheleine, bis sie systematisch erfasst und zu Glossaren verarbeitet werden konnten. Fünf Schirmherren förderten von Anfang an die Idee: die Schriftsteller Samuel Beckett, Heinrich Böll und Max Frisch sowie der französische Germanist Robert Minder und der Sprachwissenschaftler Mario Wandruszka. Ihr ideelles Engagement trug dazu bei, die Stadt Straelen bei ihrem gewagten Unternehmen zu stärken und auch das Land NordrheinWestfalen für finanzielle Unterstützung zu gewinnen. So konnten fünf alte Häuser im Stadtkern saniert und durch baut werden, aus denen der großzügige Gesamtbau entstand, der 1985 eröffnet werden konnte. Arles folgte bald darauf dem Straelener Beispiel. Tarazona (Spanien), Procida (Italien) und Norwich (Großbritannien) gründeten ähnliche Wohn- und Arbeitsstätten für Literaturübersetzer. Elmar Tophoven hat einen reichen Fundus an Erkenntnissen aus seinem 35-jährigen Übersetzerleben hinterlassen – handschriftliche Übersetzungsmanuskripte, annotierte Bücher, Tausende von Karteikarten und Bildschirmreflexionen. Möge jede Generation diesen Grundstock an Erfahrungen erweitern, zum eigenen Gewinn und größerer Wertschätzung unseres Berufs. Erika Tophoven Elmar Tophoven (1923-1989) gehörte zu den bedeutendsten Vermittlern französischer Literatur seiner Zeit und zu den engagiertesten Literaturübersetzern in der Bundesrepublik. Er übersetzte – teilweise gemeinsam mit seiner Ehefrau Erika Tophoven – Werke von Autoren wie Samuel Beckett, Alain Robbe-Grillet, Nathalie Sarraute und Claude Simon ins Deutsche. Auf seine Initiative geht die Gründung des Europäischen Übersetzer-Kollegiums in seiner Heimatstadt Straelen zurück.
© Copyright 2024 ExpyDoc