Veranstaltungsbericht (pdf, 0.26 MB, DE)

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9.Februar2016
GIZ-Reihe „Forschung trifft Praxis“
Globale Wanderungsbewegungen – Herausforderungen und Lösungsansätze der
internationalen Zusammenarbeit
Nicht nur Industrienationen sind Ziel von Migrationsbewegungen. Zum großen Teil
migrieren Menschen zwischen Entwicklungs- und Schwellenländern und auch im eigenen
Land – freiwillig aber auch unfreiwillig. Dabei kann Migration Entwicklung negativ
beeinflussen oder Chancen bringen. In Bonn traf Forschung auf Praxis und diskutierte die
aktuelle Lage in Deutschland und in Marokko mit Kopf und Herz.
Ein kleines Quiz zu Beginn der Veranstaltung führte
in Zahlen und Begriffe ein: nur etwa 22 der
insgesamt 250 Millionen internationalen Migranten
1
weltweit sind Flüchtlinge oder Asylsuchende im
engen völkerrechtlichen Sinn. Eine weit größere
Zahl bilden Binnenmigranten, Arbeitsmigranten,
Binnenvertriebe und Rückkehrer. Es war ein
Aufwärmspiel
Anna Wittenborg (GIZ)
zu
einem
Thema,
das
die
Diskutanten in ihrer täglichen Arbeit als sehr
polarisiert wahrnehmen – Anna Wittenborg bei der
Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH in Marokko und Dr. Steffen
Angenendt bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Deutschland. Moderator Armin
Himmelrath befragte sie dazu. „Im Moment ist es keine fröhliche Wissenschaft“, sagte der
Migrationsforscher und Politikberater Angenendt. „Die Ängste und Befürchtungen sind groß, das
Thema ist in den Medien allgegenwärtig, und die Erwartungen an die Politik, besonders auch an die
Entwicklungszusammenarbeit und an die Durchführungsorganisationen sind zum Teil absurd hoch.“
Als ob die Entwicklungszusammenarbeit auf die Schnelle die Wanderungsursachen oder gar die
Wanderung selbst abschaffen könnten. Mehr Gelassenheit und Sachlichkeit täte der Debatte gut,
meinte der Forscher. Denn letztlich geht es in der Entwicklungszusammenarbeit darum, langfristig die
Lebensperspektiven in den Partnerländern zu verbessern und die Länder so zu stabilisieren, dass
Menschen sich nicht mehr flüchten müssen. Die Journalistenanfragen und der Beratungsbedarf seien
jedenfalls angestiegen, so der Politikberater.
Auch Anna Wittenborg berichtete von einem dynamischen Arbeitsalltag in Marokko, wo sie
2015 die Leitung für das neue Cluster Migration und Local Governance übernommen hat. „Marokko
hat sich von einem klassischen Auswandererland mit einer weltweiten Diaspora hin zu einem Transitund Aufnahmeland für Wanderarbeitern, Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende unter anderem aus
Syrien und Subsahara Afrika entwickelt“, erläuterte Wittenborg die Situation vor Ort.
1
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen
verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
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„Viele schaffen den Sprung nach Europa nicht. Andererseits
kehren Marokkaner aufgrund der Wirtschaftskrisen in Italien oder
Spanien nach langen Jahren zurück in ihre Heimat. Das stellt das
Land vor große Herausforderungen in Sachen Integration“,
schilderte sie weiter. Dabei sei Marokko das einzige Land in
Nordafrika, das diesen Paradigmenwechsel auch mit einer
eigenen, vom königlichen Staatsoberhaupt persönlich beauftragten Migrations- und Asylpolitik anginge. Die GIZ leiste bei
dieser Pionierarbeit Unterstützung. Manchmal setze eine klar
vorgegebene Linie mehr Dynamik frei als verfestigte Strukturen,
kommentierte der Forscher die neue Entschlossenheit in Marokko.
Dr. Steffen Angenendt (SWP)
Doch wie schafft das Land es, die nötigen Strukturen aufzubauen? Und wie genau sieht die
Leistung der GIZ hier aus? „Migration ist ein transversales Thema. Es geht um Integration in den
Arbeitsmarkt, Zugang zu Schulen und Gesundheit und kulturelle Vielfalt. Wir arbeiten hier mit
mehreren Ministerien zusammen, hauptsächlich aber mit dem Migrationsministerium. Auf der
nationalen Ebene hilft die GIZ den Marokkanern ein Asylsystem aufzubauen. Letztlich muss jedoch
der nationale Rahmen lokal realisiert werden. Daher setzen wir da an, wo die Migranten ankommen:
in den Städten und Kommunen“, erklärte Wittenborg. Die GIZ berät die Kommunen zum Umgang mit
den Neuankömmlingen. Gleichzeitig müsse auch der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und
Konflikten vorgebeugt werden. „Die lokale Bevölkerung lebt zu großen Teilen in armen und prekären
Verhältnissen. Es dürfen keine Leistungsangebote für die einen ges chaffen werden, die bei den
anderen Neid erzeugen“, erläuterte Wittenborg. Angenendt pflichtete ihr bei: „Das ist ein wichtiges
entwicklungspolitisches Prinzip: Mache nie etwas für eine isolierte Gruppe, sondern betrachte immer
den Kontext.“ Beide waren sich einig, dass Begegnung und Dialog hier der Schlüssel sind – egal ob in
Deutschland oder Nordafrika. Auch in ihrer Meinung über die Datenlage stimmten beide Vertreter von
Forschung und Praxis überein: man wisse noch viel zu wenig über die Zielgruppen, die zu häufig über
einen Kamm geschert würden. Welche Fähigkeiten und Erwartungen haben Migranten? Welche
Lebensläufe gibt es? Was sind Motivationen zu gehen oder zu bleiben? Hier müssten letztlich auch
die Partnerländer befähigt werden, ihre eigenen Daten besser zu erheben. Angenendt wies darauf hin,
dass die Internationale Organisation für Migration derzeit in Berlin ein neues Institut für migrationsbezogene Daten aufbaue. Die Fakten müssten auch wirksamer in die Öffentlichkeit getragen werden,
betonte Wittenborg. Etwa wie viel Nichtintegration Staaten koste. Oder dass Migranten häufig auch
über eine gute Ausbildung verfügen. Aber auch, welche Beiträge Migranten zur lokalen Wirtschaft
leisten. Die GIZ-Expertin lobte die Arbeit des Mediendienstes Integration, der Journalisten und
Medienschaffenden ausgewogenere Informationen zur Einwanderungsgesellschaft liefere. Denn
schließlich böte Migration auch Chancen: Geldtransfers seien ein weltweites Phänomen, aber auch
die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ländern könnten sich verbessern. „25 Prozent der Migranten
mit regulärem Aufenthaltsstatus in Marokko stammen aus dem Senegal. Marokko will sich stärker in
Westafrika etablieren. Es entstehen neue Korridore, von denen beide Seiten profitieren“, zeigte sich
Wittenborg überzeugt. Und auch Forschung und Praxis profitierten von einer regen Diskussion
miteinander und mit dem Publikum.
Text: Sofia Shabafrouz
Fotos: Deniss Kacs
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