D a staunt der Schweizer. Die Gemeinde Dallgow-Döberitz in der Nähe von Berlin braucht ein neues Rathaus, um die Verwaltung von bisher drei auf einen Standort zu konzentrieren. Gefragt sind Büros für 40 Mitarbeiter und ein großer Sitzungssaal, insgesamt rund 1800 Quadratmeter Bruttogeschossfläche. Eine überschaubare Aufgabe also, genau richtig für einen offenen Wettbewerb, bei dem sich ein junges Büro den ersten Auftrag sichern könnte. Jedenfalls denkt dies der Schweizer Redakteur. Aber nein. Liest die Gemeinde offener Wettbewerb, hört sie Fremdbestimmung statt Architekturdebatte. Bei einem früheren Verfahren für eine Kindertagesstätte hat sie schlechte Erfahrungen gemacht, die Fachjury hätte ihr einen Entwurf aufgezwungen. Da der Gemeinde Architektur aber am Herzen liegt, will sie kein Verhandlungsverfahren durchführen, bei dem niemand genau weiß, was wie bewertet wird. Die Wettbewerbsprofis von phase1 in Berlin haben darum für die Gemeinde ein Zwitterwesen gezimmert, das sie „Verhandlungsverfahren nach VOF 2009 mit integriertem Entwurfsteil“ nennen. Grundsätzlich folgt dieses den Regeln des Wettbewerbs, im Zentrum steht der Entwurf, nicht der Name der Büros. Die Unterschiede sind dreierlei: Die Teilnehmer müssen nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure honoriert werden. Die Anonymität kann aufgehoben werden, was die Gemeinde löblicherweise nicht getan hat. Und die Zusammensetzung der Jury, die hier „Obergutachtergremium“ heißt, ist frei. Für Dallgow-Döberitz votierten fünf Leute, vom Fach saßen nur drei Personen im Gremium. Eine Diskrepanz, die Bände spricht über das Misstrauen gegenüber den Architekten. Ein guter Fachpreisrichter überstimmt die Sachjuroren nicht, er überzeugt sie. Trotz dieser Vorbehalte: Das Siegerprojekt von Lieb+Lieb Architekten und Lankes Koengeter Architekten überzeugt. Auch die übrigen Teilnehmer sind zufrieden mit dem Verfahren, wie man hört. Und die Regeln von phase1 geben misstrauischen Gemeinden eine Richtschnur vor, die graue Verfahren und Klüngelei verhindert. Dennoch täte die öffentliche Hand besser daran, dem offenen Wettbewerb zu vertrauen, gerade bei kleinen Aufträgen. Der Blick über die Landesgrenze zeigt: Es lohnt sich. (s. Seite 8) Vergabezwitter Andres Herzog Der Austauschredakteur der Schweizer Zeitschrift „Hochparterre“ zieht offene Wett bewerbe neuen Verfahren vor. 2 Neorationalisten, Brutalisten, Organiker, Freaks italomodern 2 Architektur in Oberitalien 1946–1976 Text Dagmar Hoetzel Was für eine Vielfalt! Auch der zweite Band der Brüder Martin und Werner Feiersinger zur Ar chitektur in Oberitalien zwischen 1946 und 1976 begeistert und erfreut. Erstaunlich, dass es noch so viel zu entdecken gibt. Nach dem zunächst überraschenden großen internationalen Echo und Erfolg des ersten Bandes italomodern – er erschien 2011 und war binnen kurzer Zeit vergrif fen, ebenso die Neuauflage – begaben sich die Brüder Feiersinger nochmals auf Entdeckungs reise nach Oberitalien. Sie erweiterten den Ra dius, von Bozen bis Colle di Val d’Elsa, von Triest bis San Remo, von der Küste bis ins Hochgebirge. Vier Jahre und etliche Recherchen und Reisen Wochenschau Links: Woodpecker, Disko thek in Milano Marittima von Filippo Monti, 1967–68 Oben: Kirche in Corte di Cadore von Edoardo Gellner und Carlo Scarpa, 1954–63 Fotos: Werner Feiersinger später präsentieren sie nun in Buch und Ausstel lung ihre 132 neuen Fundstücke, zusammenge stellt in italomodern 2. Man kann das Buch an jeder beliebigen Stelle aufschlagen, den Blick in der Ausstellung in den Räumen des aut.architektur und tirol in Inns bruck beliebig schweifen lassen, das Auge muss nicht lange suchen, bis es etwas findet, das in teressant ist oder skurril oder eigenwillig oder schön. Es kann eine spezifische Form sein oder ein Detail, ein kühner Materialmix oder eine ge wagte Konstruktion, die Art und Weise, wie ein Gebäude mit der Landschaft korrespondiert oder wie es losgelöst von Zeit und Ort erscheint. Bauwelt 5.2016 Unikate haben die Brüder Feiersinger gesucht: Werner, der Bildhauer und Fotograf mit einem sehr eigenen Blick und Sinn fürs Skulpturale, und Martin, der Architekt, der akribisch Unbekann tes recherchierte. Und darüber hinaus die Grund risse, aufs Wesentliche reduziert, neu zeichnete und schöne, klare Texte verfasste, in denen er nicht nur das Spezielle an jedem Gebäude be schreibt, sondern auch Bezüge herstellt, sowohl zwischen Bauten als auch zwischen Architekten. Alle Gebäude sind im gleichen Hochformat aufgenommen, das unterstreicht das Anliegen der Autoren, keine Wertung abzugeben. So hat ein kleines Biwak in den Bergamasker Alpen von Mario Cereghini in der Sammlung ebenso sei nen Platz gefunden wie die brutalistische Groß struktur der Universität in Urbino von Giancarlo De Carlo. Es tauchen also auch bekannte Archi tekten auf, meist jedoch mit weniger bekannten Gebäuden. So wie eine Kirche, die Edoardo Gell ner gemeinsam mit Carlo Scarpa gebaut hat, sie weist erkennbar die Handschriften der beiden miteinander befreundeten Architekten auf. Aber den Großteil der Zusammenstellung bestreiten diejenigen, deren Namen nicht so geläufig sind. Die frühen Wohnhäuser von Sergio Jaretti und Elio Luzi finden mit einem Augenzwinkern Anlei hen bei Gaudí. Dino Tamburini baute in Triest eine Kirche in Anlehnung an einen dreischiffigen Kirchenbau aus parabolischen Betonschalen, die den Dreierrhythmus aufnehmen. Filippo Monti plante als Herzstück einer Diskothek in Milano Marittima einen Kuppelraum, zusammengesetzt aus 23 Segmenten aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Ico Parisi baute 1965 ein Ferienhaus, dessen knallbunte, mit Rundungen versehene Innenräume die siebziger Jahre vorwegzuneh men scheinen. Es ist ein Überschwang an Formen, Stilen und Typologien, wie er wohl in dieser Fülle nur in Zeiten einer blühenden Wirtschaft, wie sie Oberita lien in den Nachkriegsjahren erlebte, auftreten kann. Und es scheint, dass es die Architektur da nach drängte, sich aus dem Formenkanon des Faschismus zu befreien. In der Breite der Zusam menstellung entsteht so das Bild einer Epoche, die, getragen von einem Fortschrittsglauben, extrem pluralistisch ist und mit einer Experimen tierfreude aufzeigt, was in der Architektur mög lich ist – gerade uns, die wir in einer zunehmend von allen möglichen Verordnungen mehr und mehr regulierten Zeit leben. Man kann ihn förm lich spüren, den Geist des Aufbruchs im Italien der Nachkriegszeit – und man fragt sich, wann italienische Architektur uns wieder einmal so zu begeistern vermag. italomodern 2. Architektur in Oberitalien 1946–1976 aut. architektur und tirol, Lois Welzenbacher Platz 1, 6020 Innsbruck www.aut.cc Bis 20. Februar Vom 23. April bis 19. Juni im Kunst Meran, Lauben 163 Das gleichnamige Buch (Park Books) kostet 48 Euro Links: Handelskammer in Vercelli von Enrico Villani, 1966–72 Unten: Collegi Universitari in Urbino von Giancarlo De Carlo, 1962–83 Fotos: Werner Feiersinger Wer Wo Was Wann 20 Architekturjahre nach ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung wurden die Wie ner Architekten Dieter Hen ke, Marta Schreieck, Rüdiger Lainer, Walter Stelzhammer und Albert Wimmer erneut zu ihren Werken und ihrem Wirken befragt. (Foto Gert Walden: Bezirksstelle der Wirt schaftskammer Niederösterreich von RLP Rüdiger Lainer + Partner in St. Pölten, 2005) Im Herbst war die Ausstellung „Ein Raum für Fünf“ bereits im Architekturzentrum Wien zu sehen (Bauwelt 37.2015), jetzt können die Zeichnungen, Modelle sowie Werk- und Bürofotos der unterschiedlich positionierten Architekten bis zum 3. März auch im Aedes Architekturforum, Christinenstraße 18–19, Berlin, besichtigt werden. Weitere Infos unter www.aedes-arc.de Die 22 Besten Den DAM Preis für Architektur in Deutschland 2015 erhält das Berliner Büro Bruno Fioretti Marquez für die Neuen Meis terhäuser in Dessau, 2014 fertiggestellt (Foto: Chris toph Rokitta). Zur Preisver leihung am 29. Januar um 19 Uhr sprechen unter anderen Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architek turmuseums, sowie Donatella Fioretti und José Gutiérrez Marquez über ihre Arbeit in Dessau. Bis zum 8. Mai sind „Die 22 besten Bauten in/aus Deutschland“, die um den Preis konkurrierten, im Deutschen Architekturmuseum, Schaumainkai 43, in Frankfurt zu sehen. Infos zu Preisver leihung und Ausstellung unter www.dam-online.de Mitreden! Am 1. Februar findet in Stuttgart das 33. BDA Wechsel gespräch zum Thema „Fluchtpunkt – schneller Wohnen“ statt. Rudolf Finsterwalder von Finsterwalder Ar chitekten, Stephanskirchen; Peter Schlaier von Reichel Schlaier Architekten, Stuttgart, und Boris Palmer, Oberbürgermeister der Stadt Tübingen diskutieren über Lösungen für schnell zu errich tende Unterkünfte und zügig organisierbare Gebäude-Um nutzungen (Foto: Finsterwalder Architekten). Die Veran staltung wird von der Bauwelt-Redakteurin Friederike Meyer moderiert. Beginn 19 Uhr, Wechselraum im ZeppelinCarré, Friedrichstraße 5. Alle Infos unter www.wechselraum.de Architects, not Architecture Am 4. Februar geht in Ham burg „Die menschliche Seite von Vorbild-Architekten“ in die 2. Runde. Die drei Hamburger Architekten Julia Erd mann, Volkwin Marg und Jan Störmer werden jeweils einen 20-minütigen Vortrag halten – jedoch nicht über ihr umfangreiches Werk, nicht über ihre Projekte oder Preise, sondern über Menschen und Erfahrungen, die sie zeitle bens geprägt haben. Ein Video der ersten Veranstaltung mit Hinnerk Wehberg, Carsten Roth und Mirjana Markovic ist auf YouTube zu sehen. Die Veranstaltung beginnt um 19 Uhr im Miralles-Saal, Mittelweg 42. Anmeldung erbeten unter www.architectshh02.eventbrite.de Bewerben! Die Zeitschrift Detail und Schüco fördern Ar chitekturstudenten, die aktuell ihr Masterstudium absol vieren oder dieses im April 2016 beginnen. Von April 2016 bis März 2017 soll ein monatlicher Beitrag von 500 Euro den Stipendiaten die Möglichkeit geben, ihr Studium kon zentriert und mit Erfolg zu absolvieren. Studenten der Fachrichtung Architektur können sich bis 15. Februar be werben. Auslobung und Bewerbung unter www.detail.de Bauwelt 5.2016 Wochenschau 3
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