Universität Würzburg 1 Institut für Organische Chemie Einführung – Flüssigkristalline Verbindungen Das Phänomen der Flüssigkristalle wurde bereits 1888 entdeckt, als der österreichische Botaniker Friedrich Reinitzer aus einer Pflanze Cholesterylbenzoat isolierte und untersuchte. Er entdeckte beim Schmelzen dieser Substanz¸ dass sie bei einer Temperatur von 145.5 °C vom kristallinen Zustand in eine milchig-trübe Flüssigkeit überging, welche erst bei 178.5 °C (dem Klärpunkt) schlagartig klar wurde. Der Physiker Otto Lehmann untersuchte die Substanz mit einem Polarisationsmikroskop und stellte fest, dass sich zwischen der flüssigen und festen Phase noch eine Art Zwischenphase befindet, für die er den Namen „flüssige Kristalle“ prägte. Flüssigkristalle sind Flüssigkeiten mit einer Orientierungsfernordnung (anisotrope Fluide), in denen weder eine genau zu charakterisierende Flüssigkeit noch eine kristalline Phase vorliegt, sondern in denen in bestimmten Temperaturbereichen beide Phasen nebeneinander existieren. Daher wird bei der Beschreibung des flüssigkristallinen Zustands häufig der Begriff „Mesophase“ verwendet. Flüssigkristalle verbinden Eigenschaften von Flüssigkeiten wie z.B. das Fließverhalten mit den elektrischen und optischen Eigenschaften von kristallinen Feststoffen. Die Ordnung der Moleküle ist dabei kleiner als in Festkörpern aber dennoch größer als in Flüssigkeiten. Die Molekülgestalt kann u.a. scheiben- oder plattenförmig (diskotisch) oder stäbchenförmig (kalamitisch) sein. Gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts belief sich die Zahl aller bekannten flüssigkristallinen Verbindungen auf ungefähr 80000. Man unterscheidet zwischen zwei großen Klassen, den lyotropen und den thermotropen Flüssigkristallen (siehe Abb. 1). (Daneben gibt es noch barotrope, also druckabhängige Flüssigkristalle) a) Konzentration b) Temperatur Abb. 1 a) Lyotrope und b) thermotrope Flüssigkristalle Universität Würzburg Institut für Organische Chemie 2 Lyotrope flüssigkristalline Phasen bilden sich aus amphiphilen Molekülen (z.B. Salze langkettiger aliphatischer Carbonsäuren (Seifen)) und einem geeignetem Lösungsmittel. Dabei können sich stäbchen- oder scheibenförmige Aggregate bilden. Lyotrope Flüssigkristalle durchlaufen bei Erhöhung der Amphiphilkonzentration die isotrope Lösung, die isotrope Lösung von Kugelmizellen und eine oder mehrere flüssigkristalline Phasen (lamellar, hexagonal oder kubisch) bis hin zu inversen Phasen bei hoher Konzentration. Thermotrope flüssigkristalline Phasen können durch Moleküle gebildet werden, die eine ausgeprägte Formanisometrie aufweisen (sog. Mesogene), wie z.B. bei einer stäbchen-, scheiben- oder bananenförmigen Molekülgestalt. Thermotrope Flüssigkristalle durchlaufen mit steigender Temperatur die kristalline, eine oder mehrere flüssigkristalline, die flüssige und ggf. die gasförmige Phase. Der flüssigkristalline Zustand thermotroper Verbindungen wird entsprechend der auftretenden Ordnungszustände der Moleküle in verschiedene Phasen unterteilt. Im Wesentlichen differenziert man zwischen drei grundlegenden Phasen, der nematischen (griechisch nema: Faden), der smektischen (griechisch smegma: Seife, auf Textur der Seifen zurückzuführen) und der cholesterischen (abgeleitet von den zugrunde liegenden Cholesterolester-Molekülen) Phase. Wie schon erwähnt, ist eine bestimmte flüssigkristalline Substanz nicht auf eine einzige dieser Phasen beschränkt. Mit steigender Temperatur kann sie zum Beispiel aus dem festen kristallinen Zustand zunächst in eine smektische und dann in eine nematische Phase übergehen, bevor sie dann am Klärpunkt isotrop wird. • Die nematische Phase achiraler Mesogene ist der einfachste Typ flüssigkristalliner Phasen (Abb. 2). Sie ist am wenigsten geordnet, da lediglich die Längsachsen der Moleküle eine Vorzugsrichtung aufweisen. Diese Orientierungsvorzugsrichtung der Moleküle ist parallel zur optischen Achse angeordnet. Die Moleküle sind in der Längsrichtung frei verschiebbar und können auch um 180° umklappen. • Bei den smektischen Phasen sind die Moleküle auch parallel zueinander angeordnet, allerdings fügen sie sich zu Schichten zusammen, wodurch sich unterschiedliche Modifikationen ergeben (Abb. 3). Dabei kann die Moleküllängsachse senkrecht auf der Schichtebene stehen (smektisch A) oder einen bestimmten Winkel mit ihr bilden (smektisch C). Andere smektische Phasen besitzen eine zusätzliche Ordnung innerhalb der Schichtebenen, z.B. durch Ausbildung einer hexagonalen Struktur (smektisch B). Die Abb. 3 Bezeichnung der unterschiedlichen smektischen Phasen ergibt sich aus der Reihenfolge ihrer Entdeckung. Abb. 2 nematische Phase smektische Phasen (SA und SC) • Cholesterische Flüssigkristalle haben die komplizierteste Struktur (Abb. 4). Zwar sind auch hier die Moleküle in Schichten angeordnet, ihre Längsachsen liegen jedoch in der Schichtebene und ihre Vorzugsrichtung verschiebt sich von Schicht zu Schicht um einen bestimmten Betrag. Wird die Hauptrichtung in jeder Ebene durch einen Pfeil beschrieben, so liegen die Spitzen dieser Pfeile auf einer schraubenförmigen Kurve oder Helix. Abb. 4 cholesterische Phase Universität Würzburg Institut für Organische Chemie 3 Beispiele flüssigkristalliner Verbindungen a) Me Me Me O H H H CN H O Cholesterylbenzoat b) 4-(trans-Pentylcyclohexyl)-benzonitril c) OC4H9 OC4H9 OH C4H9O HO HO C4H9O O OC12H25 OH OC4H9 OC4H9 Hexabutyloxytriphenylen Abb. 5 Dodecyl-ß-D-glucopyranosid Beispiele einiger flüssigkristalliner Verbindungen: a) thermotrop kalamitisch, b) thermotrop diskotisch, c) lyotrop Technische Anwendungen von Flüssigkristallen Die bedeutendsten Anwendungen flüssigkristalliner Verbindungen finden sich in der Optoelektronik. Durch das Anlegen und Variieren von elektrischen Feldern ist es nämlich möglich, die Lichtstreuung sehr dünner Schichten flüssigkristalliner Verbindungen zu steuern. Dabei können sich die Flüssigkristalle parallel oder senkrecht zur leitfähigen Schicht ausrichten. Dies erfolgt reversibel, d.h. die Flüssigkristalle kehren nach dem Abschalten des elektrischen Feldes wieder in ihren Ursprungszustand zurück. Die optische Erkennbarkeit der Orientierung wird mit Polarisationsfiltern erreicht. Flüssigkristallanzeigen (englisch liquid crystal display, kurz LCD) an Messgeräten, elektronischen Geräten, Mobiltelefonen, Digitaluhren und Taschenrechnern arbeiten mit dieser Technik. Die daraus entwickelten TFTBildschirme (englisch thin film transistor) enthalten zur Ansteuerung eine Matrix von Dünnschichttransistoren und stellen die zurzeit dominante Flachbildschirm-Technologie dar. Flüssigkristalle finden darüber hinaus Verwendung als Temperaturindikatoren (insbesondere in der zerstörungsfreien Werkstoffprüfung). Der temperaturabhängige Farbwechsel cholesterischer Flüssigkristalle lässt sich bei der thermographischen Analyse zum Sichtbarmachen von Temperatur-Feldern auf der Oberfläche beliebiger Gegenstände ausnutzen. In der Thermotopographie lassen cholesterische Mischphasen, auf die Haut aufgetragen, Blutgefäße, Krebsgeschwülste (infolge lokaler Überwärmung) und Abkühlungserscheinungen an den Extremitäten (z.B. infolge Rauchens) deutlich erkennen. Weitere Anwendungen flüssigkristalliner Verbindungen finden sich in der Gaschromatographie (als stationäre Phase) oder der Spektroskopie (als anisotrope Lösungsmittel). Universität Würzburg Institut für Organische Chemie 4 Synthese – Flüssigkristalline Verbindungen Cholesterylbenzoat – aus Cholesterol und Benzoylchlorid Die Reaktivität der Carbonsäurederivate gegenüber Nucleophilen nimmt von den Carbonsäurehalogeniden zum Carboxylation ab. O O O O > R R Cl Carbonsäurechlorid O R1 R Carbonsäureanhydrid OR1 O O ≈ > O > >> NR2 R1 R OH Carbonsäure Carbonsäureester R O Carboxylatanion Carbonsäureamid Abb. 6 Reaktivität von Carbonsäurederivaten Dementsprechend reagieren Carbonsäurehalogenide, wie z.B. Benzoylchlorid, leicht mit allen O- und N-Nucleophilen. Wegen dieser hoher Reaktivität werden Reaktionen von Carbonsäurechloriden mit Alkoholen in der Regel unter Ausschluss von Wasser durchgeführt, da dieses sonst in einer Konkurrenzreaktion als O-Nucleophil mit dem Carbonsäurechlorid zur entsprechenden Carbonsäure abreagieren kann. Die Reaktion von Benzoylchlorid mit Cholesterol liefert einen Ester. Me Me Me O Cl + Me H H Me H Me Pyridin O H H H H H O HO Abb. 7 Umsetzung von Benzoylchlorid mit Cholesterol zu Cholesterylbenzoat Mechanistisch gesehen handelt es sich hierbei um einen Additions-EliminierungsMechanismus, der oft auch als SN2t-Mechanismus bezeichnet wird, da eine nucleophile Substitution 2. Ordnung stattfindet, die über eine tetraedrische Zwischenstufe verläuft. O O Cl + O R H ≅ Cholesterol Cl R O H O N Cl O R tetraedrische Zwischenstufe Cl O O Abb. 8 Mechanismus der Umsetzung von Benzoylchlorid mit Cholesterol R Universität Würzburg 5 Institut für Organische Chemie • Im ersten Schritt greift das Sauerstoffatom des Alkohols (die als Lösungsmittel eingesetzte Base Pyridin ist nämlich nicht stark genug, um den Alkohol Cholesterol effektiv zu deprotonieren) das Carbonylkohlenstoffatom des Säurechlorids an, wobei eine tetraedrische Zwischenstufe gebildet wird. • Diese besitzt ein sehr acides Proton, das durch die schwache Base Pyridin abgespalten wird. Bei dieser als Einhorn-Variante bezeichneten Reaktionsdurchführung dient das Pyridin somit als säurebindendes Mittel und verhindert so eine mögliche Verseifung des gebildeten Esters bei Anwesenheit von Wasser. • Aus der deprotonierten tetraedrischen Zwischenstufe wird ein Chloridion abgespalten, da dieses gegenüber dem Alkoxidion eine viel schwächere Base und damit zugleich eine viel bessere Abgangsgruppe ist. Verhalten von Cholesterylbenzoat beim Schmelzen bzw. Abkühlen der Schmelze Wie bereits erwähnt, schmilzt Cholesterylbenzoat bei 145.5 °C zu einer trüben Flüssigkeit, die erst bei 178.5 °C völlig klar wird. Lässt man nun abkühlen, so tritt zunächst eine violette und blaue Farberscheinung auf, die jedoch rasch verschwindet, worauf die Masse milchig-trüb wird, aber flüssig bleibt. Beim weiteren Abkühlen tritt dann abermals die violette und blaue Farberscheinung auf und gleich darauf erstarrt die Substanz zu einer weißen kristallinen Masse. Abb. 9 Vom Klärpunkt zum Schmelzpunkt (Cholesterylbenzoat) Die beim Schmelzen (ebenso wie beim Abkühlen der Schmelze) von Cholesterylbenzoat beobachtete Trübung resultiert daraus, dass Cholesterylbenzoat wie alle flüssigkristallinen Verbindungen beim Schmelzen nicht sofort von der anisotrop-kristalline Phase in die isotropflüssigen Phase übergeht, sondern zunächst eine anisotrop-flüssige Phase ausbildet, bei der zwar kein Kristallgitter mehr vorliegt, die Moleküle aber noch eine Vorzugsrichtung aufweisen. Diese Fernordnung erstreckt sich in den Flüssigkristallen meist nur über kleine Volumenbereiche von der Größenordnung der Lichtwellenlänge, was zu einer starken Lichtstreuung und damit Trübung führt. Das Auftreten der Farberscheinungen beim Abkühlen von Cholesterylbenzoat hängt ebenfalls mit der Ordnung der Moleküle in der flüssigkristallinen Phase, die cholesterische Strukturen aufweist, zusammen. So hatte Vorländer bereits 1914 gefunden, dass die extrem starke optische Drehung und die farbige Reflexion von circular polarisiertem Licht und damit die zweite beobachtete Farberscheinung beim Abkühlen eine Folge der optischen Aktivität der Moleküle in der cholesterischen Phase ist. Für die erste Farberscheinung wurde hingegen der Begriff der „Blauen Phasen“ geprägt. Carbonsäurester des Cholesterols (und andere nematogene, optisch aktive Verbindungen mit kleiner Helixganghöhe) gehen nämlich beim Abkühlen aus ihrer isotropen Schmelze nicht unmittelbar in die cholesterische Flüssigkristallphase über, sondern durchlaufen direkt unterhalb des Klärpunktes innerhalb eines sehr kleinen Temperaturbereichs von oft weniger als einem Grad eine oder mehrere thermodynamisch stabile Phasen, die sogenannten „Blauen Phasen“. Diese „Blauen Phasen“ sind im Polarisationsmikroskop nur schwer auszumachen Universität Würzburg 6 Institut für Organische Chemie und erhielten ihren Namen aufgrund der Tatsache, dass sie eine Selektivreflexion von circularpolarisiertem Licht wie cholesterische Phasen zeigen, die bei vielen Cholesterylestern im blauen Spektralbereich liegt. Cholesterylbenzoat ist somit ein Beispiel für einen Temperaturindikator von denen bisher ca. 15000 bekannt sind. Diese Stoffe zeigen bei substanzspezifischen Temperaturen die verschiedensten Farben, was auch eine wichtige Rolle in ihrer Verwendung für Displays spielt. Weiterführende Literatur: • L. Mathelitsch, R. Repnik, Z. Bradac, M. Vilfan, S. Kralj, Phys. Unserer Zeit 2003, 34, 134-139. • R. Eidenschink, Chem. Unserer Zeit 1984, 18, 168-176 • J. Kopitzke, J.H.Wendorff, Chem. Unserer Zeit 2000, 34, 4-16. • F. Reinitzer, Monatsh. Chem. 1888, 9, 421. • O. Lehmann, Z. Phys. Chem. 1889, 4, 462-472. • V. Vill, kumulative Habilitationsschrift, Quantifizierungen von Struktur-EigenschaftsBeziehungen flüssiger Kristalle, Hamburg, 1997. • Giesselmann, Frank: Flüssigkristalle, http://www.ipc.unistuttgart.de/~giesselm/AG_Giesselmann/Forschung/Fluessigkristalle/Fluessigkristalle.html • Blume, Rüdiger: Flüssigkristalle, http://dc2.uni-bielefeld.de/dc2/tip/07_00.htm • H. Stegermeyer, H. Kelker, Nachr. Chem. Tech. Lab. 1988, 36, 360-364.
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