BKK und Selbsthilfe 2015 Selbsthilfe im Betrieb ERFAHRUNGEN HERAUSFORDERUNGEN CHANCEN IMPRESSUM VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, Herausgeber: BKK Dachverband e. V. Franz Knieps I Vorstand Mauerstraße 85 I 10117 Berlin Text und Gestaltung: BBGK Berliner Botschaft Gesellschaft für Kommunikation www.berliner-botschaft.de Bildnachweis: Titelbild: © 68/Image Source/Ocean/Corbis S. 3: BKK Dachverband e. V. Redaktion: Petra Schröer, Dr. Dagmar Siewerts (V. i. S. d. P.) BKK Dachverband Stand: Dezember 2015 BKK® und das BKK Logo sind registrierte Schutzmarken des BKK Dachverbandes. die Selbsthilfe hat sich zu einem unverzichtbaren Bestandteil unseres Gesundheitssystems entwickelt. Dies ist all jenen Menschen zu verdanken, die die Selbsthilfe einst auf den Weg gebracht haben und natürlich denen, die sich heute im gesamten Bundesgebiet in rund 100.000 gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen engagieren. Sie setzen sich aktiv mit den Schwierigkeiten und Einschränkungen auseinander, die mit ihrer chronischen Erkrankung oder ihrer Behinderung einhergehen. Damit helfen sie sich und anderen. Gerade weil der Austausch mit Gleichbetroffenen auf Augenhöhe stattfindet, aktiviert er individuelle Ressourcen und stärkt den mündigen Patienten. Seit mehr als 25 Jahren engagieren sich die Betriebskrankenkassen in der Selbsthilfeförderung. Ich bin froh, dass wir dadurch viele wichtige Projekte mit auf den Weg bringen konnten. Das werden wir auch weiterhin tun. Und weil die Betriebskrankenkassen traditionell stark in der Arbeitswelt verankert sind, wollen wir mit dafür Sorge tragen, dass wichtige Impulse und Erfahrungen der Selbsthilfe Eingang in die Betriebe finden. Dem Thema „Selbsthilfe im Betrieb“ war daher auch der diesjährige BKK Selbsthilfetag gewidmet. Zur Diskussion standen Anregungen und Erfahrungen aus Wissenschaft und Praxis. Einen Einblick gibt Ihnen diese Broschüre. Selbsthilfegruppen und -organisationen können Betrieben bei der Gestaltung eines gesundheitsförderlichen Arbeitsumfelds wertvolle Unterstützung leisten: Mit ihrem Wissen können Sie auf bestehende Barrieren oder Gefahren aufmerksam machen und Veränderungspotenziale aufzeigen. Das kommt allen Beschäftigten zugute. Da rüber hinaus ist es wichtig, Menschen, die trotz einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung im Berufsleben stehen, in ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld Unterstützung zu geben, sie zu informieren und zu begleiten. Denn für alle Menschen, ob mit oder ohne Einschränkungen, hat Arbeit einen hohen Stellenwert. Sie sichert die Existenz, wirkt sinnstiftend und bietet Gelegenheit, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und nicht zuletzt Wertschätzung und Anerkennung zu erfahren. Wer nach einem Unfall oder einer Krankheit wieder ins Berufsleben zurückkehren will, ist auf die Unterstützung und Offenheit des Arbeitgebers angewiesen, an den Gesundheitszustand angepasste Rahmenbedingungen zu schaffen. Für die Betriebe wiederum ist es vor dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutsam, erfahrene Beschäftigte nicht zu verlieren. Von einer engeren Kooperation der Selbsthilfe mit Betrieben profitieren also alle Seiten. Selbstverständlich wird der BKK Dachverband die Selbsthilfe auch in anderen Themenfeldern weiter unterstützen. Im vergangenen Jahr konnten wieder zahlreiche Projekte realisiert werden – einige Beispiele stellen wir im Folgenden vor. Im Namen des BKK Dachverbandes möchte ich mich bei allen Beteiligten für ihr großes Engagement bedanken. Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Broschüre für Berufs- und Personenbezeichnungen das generische Maskulinum verwendet. Damit sind explizit Frauen und Männer gemeint. Ihr Franz Knieps Vorstand des BKK Dachverbandes 2 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 3 INHALT INHALT SELBSTHILFE IM BETRIEB Chronische Erkrankungen oder Behinderungen betreffen nicht nur ältere Menschen. Auch viele Berufstätige müssen mit gesundheitlichen Einschränkungen leben. Betriebe sind gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht werden. Die Selbsthilfe kann dabei wertvolle Unterstützung leisten. © Hero Images/Corbis 06 GEMEINSAM SELBSTHILFE VORANBRINGEN Betriebskrankenkassen bauen Förderung aus 16 STRUKTUREN SCHAFFEN Selbsthilfe in der betrieblichen Gesundheitsförderung 08 BEDÜRFNISSEN GERECHT WERDEN Gute Rahmenbedingungen für chronisch kranke Mitarbeiter 20 VORURTEILE ABBAUEN Umgang mit psychich kranken Mitarbeitern 10 AUF ERFAHRUNG AUFBAUEN Franz Knieps und Prof. Dr. Rolf Rosenbrock im Gespräch 22 KOLLEGIAL BERATEN Betriebliche Suchthilfe und Suchtselbsthilfe 4 BKK und Selbsthilfe 2015 AUF ERFAHRUNG AUFBAUEN Prof. Dr. Rolf Rosenbrock und Franz Knieps im Gespräch VORURTEILE ABBAUEN Umgang mit psychisch kranken Mitarbeitern SELBSTHILFE AKTIVIEREN Die In-Gang-Setzer ziehen Bilanz Selbsthilfe kann eine sinnvolle Ergänzung zur betrieblichen Gesund heitsförderung sein. Franz Knieps und Rolf Rosenbrock sprachen über Kooperationen und Voraussetzungen. Seite 10 Angesichts langer Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen müssen Führungskräfte für das Thema sensibilisiert sein. Beratung durch die Selbsthilfe zeigt Wirkung. Seite 20 Erfahrene Selbsthilfe-Aktivisten geben neuen Gruppen Starthilfe. Das Konzept hat sich bewährt, wie acht Jahre erfolgreiche Projektarbeit zeigen. Seite 24 24 SELBSTHILFE AKTIVIEREN Die In-Gang-Setzer ziehen Bilanz 26 GEMEINSAM UNABHÄNGIG Neue Ansätze in der Suchtselbsthilfe 28 HILFE FÜR DIE SELBSTHILFE Digitale Infrastruktur, Beratung und Qualifizierung BKK und Selbsthilfe 2015 30 ANHANG Geförderte Projekte 2015 Kontakte und Ansprechpartner der BKK 5 EINLEITUNG EINLEITUNG BETRIEBSKRANKENKASSEN BAUEN FÖRDERUNG AUS GEMEINSAM SELBSTHILFE VORANBRINGEN Eine umfassende und hochwertige gesundheitliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, ist Kernanliegen der Betriebskrankenkassen. Zu den weiteren Aufgaben zählen Prävention und Gesundheitsförderung, zuvorderst in den Betrieben. Auch die systematische Unterstützung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe ist ein strategisches Ziel. Mit Selbsthilfegruppen und ihren Verbänden besteht seit mehr als 25 Jahren eine enge Partnerschaft, die viele erfolgreiche Projekte hervorgebracht hat. © Hero Images/Corbis Selbsthilfegruppen leisten einen wichtigen Beitrag zur Krankheitsbewältigung und Prävention. Bundesweit etwa 3,5 Millionen Menschen haben sich als Betroffene oder Angehörige in rund 100.000 Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen. Sie tauschen dort wertvolles Wissen über ihre Krankheit oder Behinderung aus und unterstützen sich bei den damit verbundenen alltäglichen Herausforderungen. Damit stärkt die Selbsthilfe die individuelle Gesundheitskompetenz und gibt wichtige Impulse, aktiv zur eigenen Genesung beizutragen und Barrieren im Alltag zu überwinden. Das ist gut für die Betroffenen und für das Gesundheitssystem. Zu Recht ist die Selbsthilfe heute ein anerkannter Teil unseres Gesundheitswesens. Selbsthilfevertreter wirken mit, wenn es um die Entwicklung medizinischer Versorgungsangebote oder spezieller Programme für chronisch kranke und behinderte Menschen geht. Unter dem Stichwort Patientenorientierung hat die Perspektive der Betroffenen in gesundheitspolitische Debatten Einzug gehalten. BKK DACHVERBAND E. V. Mauerstraße 85 10117 Berlin www.bkk-dv.de Dr. Dagmar Siewerts (030) 2700 406-505 [email protected] MEHR GELDER FÜR DIE SELBSTHILFE Mit dem neuen Präventionsgesetz und der Anhebung der Fördermittel auf 1,05 Euro je Versicherten werden der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe künftig rund 30 Millionen Euro mehr zur Verfügung stehen. So kann die tägliche Ar- Petra Schröer (030) 2700 406-509 [email protected] 6 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 beit von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfekontaktstellen und -organisationen noch mehr als zuvor unterstützt werden. Auch dem BKK Dachverband wird es damit in einem größeren Umfang als bisher möglich sein, Projekte zu fördern. Unabhängig von Indikationen und Personengruppen wird der BKK Dachverband vor allem solche Anliegen unterstützen, die in unterschiedlicher Form der Weiterentwicklung der Selbsthilfe dienen. Das kann beispielsweise die Qualität der Selbsthilfe betreffen oder Konzepte zur Qualifizierung. Der thematische Schwerpunkt wird 2016 auf der Förderung von Kooperationen der Selbsthilfe mit Betrieben liegen. Die von der BAG Selbsthilfe mit Unterstützung des BKK Dachverbandes angestoßene Evaluation der Bedürfnislagen auf beiden Seiten, die Zusammenstellung bereits bestehender Kooperationen und die daraus entwickelten möglichen Formen der Zusammenarbeit haben eine gute Grundlage geschaffen (siehe S. 16 ff.). Die Ideen gilt es nun aufzugreifen. Wie fruchtbar eine Zusammenarbeit für alle Beteiligten sein kann, zeigen nicht zuletzt die auf dem diesjährigen Selbsthilfetag vorgestellten Beispiele guter Praxis (siehe S. 20 ff.). Die Auswahl der beim BKK Dachverband eingehenden Projektanträge erfolgt gemeinsam mit einem Förderbeirat. Diesem gehören Vertreter des BKK Systems ebenso an wie Vertreter der maßgeblichen Selbsthilfeorganisationen. 7 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB » Viele chronisch kranke Beschäftigte halten ihre Krankheit aus Angst vor Stigmatisierung und Benachteiligung geheim. « GUTE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR CHRONISCH KRANKE MITARBEITER Bei der GEDA -Studie 2012 wurden etwa 26.000 volljährige Personen zum allgemeinen Gesundheitszustand, chronischen Erkrankungen, Einflussfaktoren auf die Gesundheit und Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems befragt. www.geda-studie.de BEDÜRFNISSEN GERECHT WERDEN Chronische Erkrankungen sind weit verbreitet. Betroffen sind keineswegs nur alte und hochbetagte Menschen. Bereits bei den unter 30-Jährigen weist nahezu jeder Fünfte eine chronische Krankheit auf. Im mittleren Alter sind 49 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen chronisch krank – also jeder zweite Erwerbstätige. Die Betriebe sind gefordert, diesen Menschen entsprechenden Schutz und Unterstützung zukommen zu lassen. Der Erfahrungsschatz der Selbsthilfe sollte dabei Berücksichtigung finden. Als chronisch krank gilt, wer eine schwere, irreversible Krankheit hat, wer lange Zeit für die Genesung benötigt, aber auch wer Risikofaktoren für schwerwiegende Erkrankungen aufweist wie beispielsweise Bluthochdruck oder starkes Übergewicht. Besonders verbreitet sind chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf- sowie des Muskel- und Skelettsystems. Aber auch Krebs- oder lang andauernde psychische Erkrankungen belasten die Betroffenen sehr, ebenso Seh- oder Hörbeeinträchtigungen oder genetisch bedingte Krankheiten. ANGST VOR STIGMATISIERUNG Obwohl die Häufigkeit chronischer Erkrankungen mit steigendem Alter zunimmt, sind auch viele erwerbstätige Menschen betroffen, oft ohne dass Kollegen und Vorgesetzte dies wissen. Viele Betroffene halten ihre Krankheit aus Angst vor Stigmatisierung und Benachteiligung geheim und setzen sich damit zusätzlichen Risiken aus. Zu etwaigen physischen, kognitiven oder sensorischen Einschränkungen treten nicht selten Scham- und Schuldgefühle hinzu. Dies verstärkt auch den psychischen Druck – mit schwerwiegenden Folgen: Unter Menschen mit andauernden somatischen Erkrankungen kommen Depressionen mehr als doppelt so häufig vor wie bei Gesunden. Lange Fehlzeiten und Frühverrentungen sind die Folgen. Abhängig von der Erkrankung und damit einhergehenden weiteren Beeinträchtigungen liegen die Beschäftigungsraten chronisch kranker Menschen wesentlich niedriger als bei gesunden Gleichaltrigen. Dabei macht nicht jede Krankheit automatisch arbeitsunfähig. Ein Umdenken in den Betrieben ist dringend erforderlich. Um in Zukunft nicht mehr und mehr gut geschultes Personal aufgrund chronischer Erkrankungen oder dauerhafter Einschränkungen entbehren zu müssen, liegt es auch im Interesse der Unternehmen, Arbeitsbedingungen zukünftig besser an die Bedürfnisse betroffener Mitarbeiter anzupassen. DIALOG MIT DER SELBSTHILFE Voraussetzungen für die Lösung gesundheitsbedingter Probleme am Arbeitsplatz sind zum einen das Verständnis für die Situation der Betroffenen und zum anderen die Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse durch zielgenaue Maßnahmen. Kooperationen mit Selbsthilfegruppen und -organisationen können dafür wegweisend sein. Sie verfügen über ein breites Wissen über das jeweilige Krankheitsbild. Vor allem aber sind sie als Betroffene mit den alltagsbezogenen Problemen vertraut. Führungskräfte und Personalverantwortliche könnten von ihrem Rat profitieren. Die Selbsthilfe als anerkannter Partner im Betrieb wäre zugleich ein wichtiges Signal an alle Beschäftigten, dass von chronischen Erkrankungen Betroffene ernst genommen werden. Ein erster Schritt hin zu einer größeren Offenheit im Umgang mit gesundheitlichen Einschränkungen. © Monkey Business Images/Corbis 8 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 9 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB »Krank zu sein bedeutet nicht zwingend, leistungs- oder arbeitsunfähig zu sein. « Franz Knieps FRANZ KNIEPS UND PROF. DR. ROLF ROSENBROCK IM GESPRÄCH AUF ERFAHRUNG AUFBAUEN © Jose Luis Pelaez, Inc./Blend Images/Corbis IM ZUGE DES DEMOGRAFISCHEN WANDELS STEIGT DIE ANZAHL VON BESCHÄFTIGTEN MIT CHRONISCHEN KRANKHEITEN KONTINUIERLICH. ZUGLEICH GEHEN IMMER MEHR ARBEITSUNFÄHIGKEITSTAGE AUF PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN ZURÜCK. WIE KANN GESUNDHEIT IM BETRIEBLICHEN UMFELD GESTÄRKT WERDEN? Knieps: Grundsätzlich ist die Einbindung der Mitarbeiter im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung ein guter Ansatz, um die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Menschen gar nicht erst krank werden. Auf diese Weise finden auch die Beschäftigten Gehör, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung besondere Arbeitsbedingungen benötigen. Angesichts des demografischen Wandels werden Betriebe zukünftig jeden Menschen brauchen, der arbeiten möchte und kann. Sinkende Geburtenzahlen führen dazu, dass sich bereits jetzt in einigen Bereichen ein Fachkräftemangel abzeichnet. Zudem steigt das Durchschnittsalter in der Bevölkerung – ein Trend, der sich auch in der Altersstruktur von Belegschaften widerspiegelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen im Verlauf ihres weiteren Arbeitslebens chronisch erkranken, ist recht hoch. Schon jetzt leidet jeder dritte Deutsche an einer chronischen Erkrankung oder Behinderung, viele davon sind trotzdem berufstätig. In der Regel verschweigen sie dies dem Arbeitgeber aus Sorge vor Nachteilen und Vorurteilen. Krank zu sein bedeutet jedoch nicht zwingend, leistungs- oder arbeitsunfähig zu sein. Für die Gesundheit der Betroffenen kann es aber entscheidend sein, dass die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz verändert und der gesundheitlichen Lage angepasst werden. « Rosenbrock: Mit der Doppelherausforderung des demografischen Wandels und des Wandels der vor allem psychischen Anforderungen und Belastungen wächst die Bedeutung der betrieblichen Gesundheitsförderung. Das neue Präventionsgesetz enthält hierzu erfreulicherweise in § 20b SGB V die Bestimmung, dass von den Kassen insbesondere der Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen gefördert werden sollen. Das ist eine Absage an die regelmäßig wirkungsarme individuelle Verhaltensprävention. Zudem sollen bei der Planung und Durchführung von BGF-Projekten die Beschäftigten auf allen Stufen beteiligt werden. Dieser partizipative Ansatz findet seinen besten organisatorischen Ausdruck in Gesundheitszirkeln. Hier tauschen sich die Beschäftigten eines Betriebes darüber aus, wie ihre Arbeitssituation so verändert werden kann, dass vermeidbare Belastungen auch tatsächlich vermieden und Gesundheitsressourcen gestärkt werden können. Wenn die Kassen diesen Auftrag in Zukunft noch ernster nehmen als bisher schon, leisten sie auch einen wichtigen Beitrag zur Verminderung psychischer Belastungen und Erkrankungen. Zudem trägt dieser Ansatz auch dazu bei, alternsgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen.« 10 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 11 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB WELCHE ROLLE KÖNNTE DIE SELBSTHILFE HIERBEI SPIELEN? Rosenbrock: Selbsthilfe kann die notwendige professionelle Expertise nicht ersetzen, sie kann sie aber um die Betroffenen-Sicht ergänzen. Das wäre insbesondere dann von großem Nutzen, wenn Barrieren im Arbeitsumfeld abgebaut werden müssen – physische, aber auch psychische und soziale Barrieren. Evident ist der Nutzen der Expertise aus der Selbsthilfe, wenn es um die Anforderungen an die betriebliche Ernährung für Menschen z. B. mit Diabetes, Zöliakie oder Allergien geht. Ebenso hilfreich kann die Einbeziehung von Therapie-Erfahrenen und Angehörigen psychisch Kranker sein, wenn es darum geht, Beschäftigte mit so gelagerten Gesundheitsproblemen im Betrieb zu halten bzw. in den Betrieb zu integrieren. Der Kontakt zwischen Therapie-Erfahrenen und Beschäftigten kann zudem wirksam dabei helfen, Ängste und Vorurteile abzubauen. Darüber hinaus könnte und sollte Selbsthilfe in das Beratungsangebot des Betriebes eingebunden werden. Wenn bei Beschäftigten mit gesundheitlichen Problemen standardmäßig – und das heißt auch ohne Diskriminierung – auf Selbsthilfe als mögliche Unterstützungsform hingewiesen und zugleich auch die Kontaktaufnahme erleichtert wird, ist das ein wichtiger erster Schritt. Wo nötig, kann das Unternehmen auch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen ermöglichen oder erleichtern. In größeren Betrieben könnte es sich lohnen, Selbsthilfegruppen zu häufigeren Krankheiten direkt im Betrieb zu organisieren. Parallel könnte und sollte das Unternehmen Selbsthilfeorganisationen die Möglichkeit einräumen, selber im Betrieb zu informieren, z. B. auf Gesundheitstagen. Vereinzelt nehmen auch heute schon auf Einladung Mitglieder von Selbsthilfeorganisationen an Gesundheitszirkeln teil, wenn es um spezifische Probleme geht. « © BKK Dachverband e. V. Prof. Dr. Rolf Rosenbrock Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes Knieps: Von einer engeren Kooperation mit der Selbsthilfe profitieren letztlich alle Seiten. Die Unternehmen profitieren, weil sie wichtige Informationen zu bestimmten Krankheitsbildern bekommen, um gesundheitlichen Gefahren zu begegnen oder entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jeder einzelne Beschäftigte mit all seinen Kompetenzen und seinem Know-how dem Betrieb erhalten bleibt. Ein Betriebsklima, in dem Beeinträchtigungen und Erkrankungen offen benannt werden können, würde eine enorme Erleichterung für chronisch kranke Menschen darstellen. Sie müssten ihre Erkrankung nicht verheimlichen und könnten ihren Arbeitsplatz besser ihren besonderen Bedürfnissen anpassen. Das ist bei vielen Erkrankungen und Behinderungen möglich, setzt aber voraus, dass der Betrieb, die Kollegen und Betroffenen und gegebenenfalls der Betriebsarzt an einem Strang ziehen und gemeinsam Lösungen finden. Nicht zu vergessen die vielen Menschen, die im Laufe ihres Arbeitslebens krank werden oder einen Unfall erleiden. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement soll dafür Sorge tragen, dass den Betreffenden der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben ermöglicht wird. Und auch hier kann die Kompetenz Gleichbetroffener hilfreich sein. Und auch die Selbsthilfe profitiert von einer engeren Zusammenarbeit mit Unternehmen, weil sich erkrankte oder behinderte Menschen selbst organisieren und ihre Interessen auch hinsichtlich der Arbeitswelt artikulieren. Viele möchten gerne arbeiten, denn auch für sie ist es wichtig, dass ihre Existenz gesichert ist, dass sie Wertschätzung und Anerkennung erfahren, soziale Kontakte pflegen und eine Tagesstruktur bekommen. « © Der PARITÄTISCHE Gesamtverband 12 Franz Knieps Vorstand © Der PARITÄTISCHE des BKK Dachverbandes Gesamtverband BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 13 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB HÖCHSTE ZEIT ALSO, SELBSTHILFE UND BETRIEBLICHE GESUNDHEITS FÖRDERUNG STÄRKER ZUSAMMENZUBRINGEN. WARUM IST DAS NICHT SCHON FRÜHER ERFOLGT? Knieps: Bislang spielte die Selbsthilfe im betrieblichen Kontext tatsächlich eine eher untergeordnete Rolle. Einige wichtige Projekte gibt es aber schon seit Jahren. 2008 entwickelte beispielsweise der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e. V. mit finanzieller Unterstützung der Betriebskrankenkassen ein Seminarkonzept speziell für den betrieblichen Kontext. Hierbei gehen geschulte Selbsthilfevertreter direkt in die Betriebe. Sie vermitteln Führungskräften und Personalverantwortlichen, Kollegen und betrieblichen Helfern grundlegende Informationen über psychische Erkrankungen und sensibilisieren für den Umgang mit den Betroffenen. Ein solches Konzept ließe sich auch auf andere Krankheitsbilder wie z. B. Diabetes, Krebserkrankungen oder Allergien übertragen. « »Selbsthilfe kann die betriebliche Gesundheitsförderung um die Betroffenen-Perspektive ergänzen. « Prof. Dr. Rolf Rosenbrock Rosenbrock: Langjährige Erfahrungen gibt es auch mit den Ehrenamtlichen Suchtkrankenhelfern zum Beispiel der Guttempler, die mit ihrem Erfahrungswissen seit vielen Jahren teilweise auch in Betrieben als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Und auch im Bereich des Betrieblichen Eingliederungsmanagements gibt es bereits eine – wenn auch ausbaufähige – Zusammenarbeit von Betrieben und Selbsthilfeorganisationen. Ein Beispiel dafür sind die Aktivitäten des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. Der zugrunde liegende Ansatz ist dabei immer, die Sicht von Betroffenen in der Gestaltung der Arbeitssituation zur Geltung zu bringen. « HERR KNIEPS, DER BKK DACHVERBAND WILL KÜNFTIG VERSTÄRKT SELBSTHILFEPROJEKTE IM BETRIEBLICHEN KONTEXT FÖRDERN. IN WELCHER ROLLE SEHEN SIE DIE BETRIEBSKRANKENKASSEN DABEI? Knieps: Die Betriebskrankenkassen können beim Thema Selbsthilfe im Betrieb sehr gut als Mittler agieren. Wir engagieren uns seit Jahren im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung. Allerdings werden hier bei Weitem noch nicht alle Betriebe, vor allem jene mit weniger als 500 Beschäftigten, erreicht. Schon jetzt beteiligen wir uns an Projekten, um mit mehr Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen in Kontakt zu kommen. Betriebskrankenkasse beraten Firmen inhaltlich, wie sie eine gesundheitsförderliche Unternehmenskultur oder einen gesundheitsförderlichen Führungsstil entwickeln können. Und nicht zuletzt sorgen wir mit der Projektförderung im Rahmen der Selbsthilfeförderung dafür, Konzepte zu entwickeln und zu erproben, die dazu beitragen, das Thema Selbsthilfe im Betrieb weiterzuentwickeln. « HERR PROF. ROSENBROCK, VON WELCHEN VORAUSSETZUNGEN HÄNGT EINE GELUNGENE ZUSAMMENARBEIT DER SELBSTHILFE MIT BETRIEBLICHEN AKTEUREN AB? Rosenbrock: Das Gelingen der Kooperation zwischen Betrieb und Selbsthilfe setzt voraus, dass im Betrieb die Selbsthilfe-Prinzipien Freiwilligkeit, Anonymität und Vertraulichkeit umgesetzt werden können und mit der Unternehmenskultur bruchlos vereinbar sind. Wenn und wo das nicht der Fall ist, sollte man die Finger davon lassen. Dieses ist sicher eher in großen als in kleinen Unternehmen möglich. Allerdings kennen wir auch kleinere Betriebe, in denen der Chef selbst Selbsthilfe-Erfahrung hat und vor diesem Hintergrund seinen Betrieb selbsthilfefreundlich gestaltet. Freiwilligkeit, Anonymität und Vertraulichkeit sind im Zusammenhang mit der individuellen Gesundheit im Betrieb immer notwendig. Verstärkt wird diese Notwendigkeit, wenn es sich zudem um Krankheiten handelt, die mit einem Stigma oder mit Vorurteilen belegt sind, zum Beispiel Sucht oder psychische Erkrankungen. Andererseits kann gerade im Hinblick auf solche Erkrankungen die Einbindung der Betroffenenkompetenz sowohl in die Gestaltung risikoärmerer Arbeitssituationen als auch in die betriebliche Gesundheits- und Sozialberatung sehr sinnvoll sein. « © Hero Images/Corbis VIELEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH. 14 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 15 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB STÄRKUNG DER ROLLE DER SELBSTHILFE IM RAHMEN DER BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSFÖRDERUNG Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. Dr. Martin Danner Geschäftsführer Kirchfeldstraße 149 40215 Düsseldorf (0211) 310 06-0 [email protected] www.bag-selbsthilfe.de »Selbsthilfeverbänden fehlt oftmals wichtiges Wissen über Strukturen und Ansprechpersonen im betrieblichen Gesundheitsmanagement. « © Monkey Business Images/Corbis SELBSTHILFE UND UNTERNEHMEN FÜR KOOPERATIONEN OFFEN SELBSTHILFE IN DER BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSFÖRDERUNG Wie eine Befragung der Mitgliedsverbände der BAG Selbsthilfe zeigt, spielt das Thema „Erkrankung/Behinderung und Arbeitsleben“ für 94,3 Prozent der Verbände ohnehin eine wesentliche Rolle in ihrer Beratungs- und Unterstützungstätigkeit. 79,2 Prozent gaben an, dass Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung und des Betrieblichen Eingliederungsmanagements wichtige Aktivitäten für ihre Mitglieder darstellen. Daher überrascht es nicht, dass sich 92,5 Prozent der Verbände Kooperationen mit Unternehmen vorstellen können. Dem steht aber im Weg, dass den Selbsthilfeverbänden oftmals wichtiges Wissen über Strukturen und Ansprechpersonen im betrieblichen Gesundheitsmanagement fehlt. Vor dem Hintergrund ihrer beschränkten personellen und finanziellen Ressourcen befürchten sie zudem, sich in punktuellen Aktionen mit geringem Mehrwert zu verlieren. Auf Seiten der Unternehmen besteht Bedarf, die Selbsthilfe, ihre Strukturen und Arbeitsweisen besser kennenzulernen und mehr über ihre positiven Wirkungen zu erfahren. Interviews mit verschiedenen Akteuren des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der betrieblichen Gesundheitsförderung ergaben, dass die gesundheitsbezogene Selbsthilfe vielen Verantwortlichen in den Unternehmen un- STRUKTUREN SCHAFFEN Die Selbsthilfe wie auch der Betrieb sind Lebenswelten, in denen Menschen sich über lange Zeiträume begegnen, Themen ihres Alltags besprechen und Informationen erhalten können. Von einer stärkeren Verankerung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in der betrieblichen Gesundheitsförderung könnten alle Seiten profitieren. Voraussetzung dafür ist, dass einerseits die Verantwortlichen in den Unternehmen mehr über die Selbsthilfe erfahren und andererseits die in der Selbsthilfe aktiven Menschen Arbeitsstrukturen und Ansprechpartner beim betrieblichen Gesundheitsmanagement kennen. Das Projekt „Stärkung der Rolle der Selbsthilfe im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung“ will mit dazu beitragen, Hürden und Berührungsängste auf beiden Seiten abzubauen. Seit dem Sommer 2014 fördern der BKK Dachverband und der BKK Landesverband Bayern das bislang einmalige Vorhaben der BAG Selbsthilfe, konkrete Kooperationsformen zwischen Selbsthilfe und Unternehmen auszuloten und mithilfe eines Handlungsleitfadens Wege zueinander zu ebnen. 16 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 bekannt ist. Hier braucht es dringend mehr Öffentlichkeitsund Aufklärungsarbeit. Eine Möglichkeit könnte der Aufbau einer Datenbank sein, in der Selbsthilfeorganisationen indikationsspezifisch ihre Angebote und Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen betrieblicher Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention transparent machen. Die Verantwortlichen in den Unternehmen könnten so leichter passende Angebote identifizieren und gezielt Kontakt aufnehmen. Von besonderem Interesse sind dabei aus Sicht der betrieblichen Akteure häufig auftretende Erkrankungen sowie Erkrankungen mit Bezug zu Arbeitsabläufen. BETRIEBSKRANKENKASSEN ALS MULTIPLIKATOREN Um die wesentlichen Akteure beider Seiten miteinander zu vernetzen, braucht es Multiplikatoren. Mit ihren langjährigen Erfahrungen sowohl in der betrieblichen Gesundheitsförderung als auch hinsichtlich gesundheitsbezogener Selbsthilfe können die Betriebskrankenkassen und der BKK Dachverband wichtige Bindeglieder sein. Neben Krankenkassen kommen Rentenversicherungsträger – vor allem bei Maßnahmen zur Wiedereingliederung –, arbeitsmedizinische Berufsverbände oder spezielle Unternehmensnetzwerke wie das Deutsche Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung als Multiplikatoren infrage. 17 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB BERÜHRUNGSPUNKTE FÜR KOOPERATIONEN GESUNDHEITSZIRKEL UND ARBEITSGRUPPEN Punktuelle Hinzuziehung von Selbsthilfe-Vertretern zu Gesundheitszirkeln und gesundheitsbezogenen Arbeitsgruppen als Berater © Maskot/Corbis 18 SELBSTHILFE-ANGEBOTE IN DER BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSFÖRDERUNG • Einbeziehung von Angeboten, die auch NichtBetroffene ansprechen: Tests, Screenings, Schulungen, Fortbildungen für Gesundheitspromotoren und Multiplikatoren •Krankheitsspezifische Angebote für Betroffene (bei hohen Fallzahlen im Unternehmen): Funktionstrainings, spezielle Bewegungsübungen GESUNDHEITSTAGE ANALYSE UND BERATUNG GESUNDHEITS PROMOTOREN Informationstage für Mitarbeiter zu Gesundheitsthemen oder speziellen Krankheitsbildern unter Einbeziehung von Selbsthilfegruppen: • Information über spezifische Erkrankungen sowie Behandlungs- und Präventionsmöglichkeiten, Durchführung von Tests und Beratungen, Vorträge • Gesundheitstag zum Thema Selbsthilfe – Selbsthilfeorganisationen und -gruppen aus der Region stellen sich vor: Informationsstände und -materialien, Vorträge, Angebote vor Ort Einbeziehung von SelbsthilfeVertretern in betriebsinterne Analyseprozesse zur Berücksichtigung der Betroffenenperspektive sowie als Berater: • Analyse des Ist-Zustands • Entwicklung von Lösungsansätzen und Maßnahmen • Verhältnis- und Verhaltensprävention •Arbeitsbewältigungsanalysen • Gewinnung von Mitarbeitern mit Selbsthilfe-Erfahrung als Gesundheitspromotoren durch gezielte Mitarbeiterbefragungen •Inanspruchnahme von Schulungs- und Fortbildungsangeboten der Selbsthilfeorganisationen für Gesundheitspromotoren BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 BETRIEBLICHES EINGLIEDERUNGS MANAGEMENT • Information erkrankter Mitarbeiter über Unterstützungsangebote der Selbsthilfe bereits im Vorfeld des Wiedereingliederungs prozesses • Selbsthilfevertreter auf Wunsch als Begleitung an der Seite der Betroffenen im Rahmen des BEMProzesses gewinnen 19 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB PRAXISHILFE PSYCHISCH KRANK IM JOB Hrsg.: BKK Dachverband, Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker 3. überarbeitete Auflage 2015 online verfügbar unter: www.bkk-dachverband. de/gesundheit/ gesundheitsfoerderung/ psychisch-krank-im-job UMGANG MIT PSYCHISCH KRANKEN MITARBEITERN VORURTEILE ABBAUEN Psychische Erkrankungen werden heute häufiger erkannt und diagnostiziert. Nach wie vor ist das Leiden an einer psychischen Störung für die Betroffenen vielfach schambesetzt und löst bei Menschen in ihrer Umgebung Verunsicherung aus. Dabei können Störungen der Wahrnehmung, des Denkens, des Fühlens und der sozialen Beziehungen grundsätzlich bei allen Menschen auftreten. © moodboard/Corbis Es gibt eine Reihe ganz unterschiedlicher Ursachen für psychische Erkrankungen. Neben biologischen Veranlagungen, psychologischen Einflüsse oder sozialen Aspekte können auch Stress und dauerhafte Überlastung am Arbeitsplatz Auslöser sein. Für die gesundheitsförderliche Gestaltung des Arbeitsplatzes einerseits und den Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitern andererseits müssen Führungskräfte in Unternehmen für die Ursachen und Erscheinungsformen psychischer Störungen sensibilisiert werden. RATGEBER FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS Die Praxishilfe „Psychisch krank im Job“ bildet den zweiten Baustein des Kooperationsprojekts. Sie richtet sich an Führungskräfte, aber auch an Beschäftigte, an Betroffene sowie deren Kollegen. Ziel ist es, das Verständnis für die verschiedenen psychischen Störungen zu fördern und so Vorurteile und Ängste abzubauen. Fundierte Hintergrundinformationen, weiterführende Literaturempfehlungen, Ratschläge und Checklisten für die betriebliche Praxis sind entlang der vier Handlungsfelder Verstehen, Vorbeugen, Erkennen und Bewältigen gegliedert. Betroffene kommen darin selbst zu Wort, schildern das eigene Erleben der Krankheit und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Arbeit. Die Broschüre erschien erstmals 2006 und steht nun in einer dritten überarbeiteten Auflage gedruckt wie auch online zur Verfügung. SELBSTHILFE SCHULT UNTERNEHMEN Bereits seit 2002 bietet ein Projekt, das die Familien-Selbsthilfe Psychiatrie gemeinsam mit den Betriebskrankenkassen ins Leben gerufen hat, Unternehmen Hilfestellung im Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitern. Ein Baustein ist eine eigens für Vorgesetzte und Personalverantwortliche entwickelte Schulungs- und Informationsveranstaltung. Etwa einen halben Tag lang werden die Führungskräfte von Vertretern der Selbsthilfe – speziell geschulten Angehörigen psychisch kranker Menschen – über Krankheitsbilder, deren Auswirkungen auf Alltagsbewältigung und Arbeitsleben sowie Therapiemöglichkeiten informiert. Anhand des H-I-L-F-E-Konzepts lernen die Schulungsteilnehmer, wie sie adäquat mit Betroffenen umgehen und sie unterstützen können. BUNDESVERBAND DER ANGEHÖRIGEN PSYCHISCH KRANKER E. V. (BAPK) FAMILIEN-SELBSTHILFE PSYCHIATRIE Dr. rer. medic. Caroline Trautmann Geschäftsführerin Oppelner Straße 130 53119 Bonn (0228) 71 00 24 00 [email protected] www.psychiatrie.de/familienselbsthilfe H-I-L-F-E EINE HANDLUNGSEMPFEHLUNG FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE Hinsehen: auf einander achten, psychische Belastungen wahrnehmen Initiative ergreifen: beobachtetes Verhalten offen ansprechen Leitungsfunktion wahrnehmen: Erwartungen nennen, Eigenverantwortung stärken Führungsverantwortung: fördern und fordern Experten hinzuziehen: Beratungsstellen, Psychotherapeuten, Betriebsärzte u. a. 20 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 21 SELBSTHILFE IM BETRIEB SELBSTHILFE IM BETRIEB STEIGERUNG DES UNFALLRISIKOS UNTER ALKOHOLEINFLUSS x 16 x 9,5 x 6,5 DEUTSCHE HAUPTSTELLE FÜR SUCHTFRAGEN E. V. (DHS) Gabriele Bartsch stellv. Geschäftsführerin Westenwall 4 59065 Hamm (02381) 90 15 30 [email protected] www.dhs.de x 4,5 x 3,0 x 2,0 © Hiya Images/Corbis 0,0 ‰ 0,3 ‰ 0,6 ‰ 0,8 ‰ 1,0 ‰ 1,2 ‰ 1,5 ‰ BETRIEBLICHE SUCHTHILFE UND SUCHTSELBSTHILFE KOLLEGIAL BERATEN Sucht und der riskante Konsum psychotroper Substanzen spielen in allen Bereichen unserer Gesellschaft eine Rolle – so auch in der Arbeitswelt. Viele Betriebe stellen sich dieser Problematik mit eigens entwickelten Konzepten zur Prävention, Intervention und Wiedereingliederung. Kooperationen mit der Suchtselbsthilfe sind dabei oftmals ein fester Bestandteil. vom Vorabend oder ein Geburtstagsumtrunk auf der Arbeit können Schäden für den Einzelnen und den Betrieb nach sich ziehen. Viele Betriebe regeln deshalb im Rahmen von Betriebsvereinbarungen den Umgang mit alkoholisierten Personen sowie mit Alkoholkonsum am Arbeitsplatz. Insbesondere in größeren Betrieben mit hohen Mitarbeiterzahlen werden interne Suchtpräventionsprogramme als wichtig erachtet. Diese rücken vor allem den Konsum von Alkohol in den Fokus. Aufgrund der freien Verfügbarkeit und der allgemeinen gesellschaftlichen Akzeptanz gehört das Trinken alkoholischer Getränke für viele zum Alltag. Neben den langfristigen negativen gesundheitlichen Folgen beeinträchtigt Alkohol auch bereits kurzfristig die Konzentrationsund Leistungsfähigkeit, das Unfallrisiko steigt. Dabei ist nicht erst die Abhängigkeit problematisch. Auch Restalkohol Betriebliche Suchtpräventionsprogramme beinhalten eine Vielzahl von Aktivitäten, Maßnahmen und Regelungen. Sie umfassen vier Säulen: Prävention, Intervention, Beratung und Hilfe sowie Einbindung in betriebliche Strukturen, darunter Betriebliches Gesundheits- und Eingliederungsmanagement. Kooperationen mit der Suchtselbsthilfe können in allen vier Feldern zum Tragen kommen. Ihre Stärken liegen besonders in der Beratung und Unterstützung. Neben professionellen hauptamtlichen Suchtberatern oder Suchthelfern werden deshalb häufig auch nebenamtliche 22 BETRIEBLICHE SUCHTHELFER AUS DER SELBSTHILFE BKK und Selbsthilfe 2015 Ansprechpartner einbezogen. Dabei muss vorab geklärt sein, welche Rolle diese im Betrieb einnehmen sollen: Stehen sie der Betriebsleitung bei der Entwicklung von Maßnahmen beratend zur Seite oder sollen sie betroffene Mitarbeiter unterstützen? Nur so kann notwendiges Vertrauen aufgebaut werden. Beratung und Unterstützung sind vor, während, aber auch nach einer Behandlung problematischen Konsumverhaltens von zentraler Bedeutung. Gleichbetroffene Kollegen, die bereits einen Ausweg gefunden haben, erfahren als Ansprechpartner meist eine hohe Akzeptanz. Sie wissen, was es bedeutet abhängig zu sein, und kennen darüber hinaus das betriebliche Umfeld. Aus eigener Erfahrung können sie Hilfen und Behandlungsmöglichkeiten empfehlen und in schwierigen Situationen zur Abstinenz motivieren. Für ihre wichtige Tätigkeit werden betriebliche Suchthelfer speziell geschult. Die Fortbildungen bieten neben professionellen Ausbildungsinstituten auch viele Organisationen der Sucht-Selbsthilfe an. BKK und Selbsthilfe 2015 BERATEN, NICHT BEHANDELN Vor dem Hintergrund zunehmender psychischer Fehl belastungen am Arbeitsplatz rücken neben sucht spezifischen Problemen auch andere psychische oder psychosomatische Störungen in den Fokus der betrieb lichen Gesundheitsförderung. Suchthelfer verstehen sich heute mehr und mehr als kollegiale Ansprechpartner. Als solche verfügen sie über ein Grundwissen über psychosomatische Erkrankungen sowie Persönlichkeits- und Abhängigkeitsstrukturen. Sie kennen das betriebsinterne und externe Hilfeangebot und sind in motivierender Gesprächsführung geschult. Doch sie wissen auch um ihre Grenzen, denn sie sind keine Behandelnden. 23 PROJEKTE PROJEKTE DIE IN-GANG-SETZER ZIEHEN BILANZ SELBSTHILFE AKTIVIEREN Das Projekt In-Gang-Setzer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW existiert bereits seit mehr als acht Jahren. Ebenso lange währt die finanzielle Förderung des BKK Landesverbandes Nordwest sowie des BKK Dachverbandes. Die Bilanz kann sich sehen lassen. Mit dem Ziel der Selbsthilfe-Aktivierung wurde das In-GangSetzer-Projekt 2007 ins Leben gerufen. Neue Selbsthilfegruppen können während der Startphase Unterstützung von erfahrenen und eigens geschulten Selbsthilfe-Aktivisten bekommen. Durch die konstruktive und empathische Begleitung der Gruppengründung soll Überforderung und Frustration auf Seiten der Neugründer vorgebeugt werden. Am themenbezogenen Austausch beteiligen sich die In‑Gang-Setzer aber bewusst nicht. Auch die gemeinsame Betroffenheit wird vermieden. Denn nach durchschnittlich drei bis vier begleiteten Treffen sollen neugegründete Gruppen auf eigenen Beinen stehen können. IN-GANG-SETZER IN ACHT BUNDESLÄNDERN AKTIV Die Anwerbung, Auswahl, Begleitung und Vermittlung der In-Gang-Setzer erfolgt über die Selbsthilfekontaktstellen. Die 32-stündige Schulung liegt in der Verantwortung der Projektleitung. Zu Projektbeginn beteiligten sich acht Selbsthilfekontaktstellen. Mittlerweile sind es mehr als 30 aus acht Bundesländern. Für immer mehr Kontaktstellen ist der Einsatz von In-Gang-Setzern zu einem unverzichtbaren Bestandteil ihrer Arbeit geworden. Gemeinsam haben Kontaktstellen und In-Gang-Setzer in den letzten Jahren Beachtliches geleistet: 594 In-Gang-Setzungen wurden im Zeitraum von 2008 bis 2014 auf den Weg gebracht. 2015 kamen viele weitere hinzu. (Die genauen Zahlen lagen noch nicht vor.) Zum Zeitpunkt der Do- 24 © John Smith/Corbis kumentation waren 55 Prozent der In-Gang-Setzungen erfolgreich abgeschlossen. Das heißt, die Gruppen trafen sich noch sechs Monate nach der Begleitung eigenständig weiter. 26 Prozent wurden zu dieser Zeit noch begleitet. Aus 19 Prozent der In-Gang-Setzungen gingen keine stabilen Gruppen hervor. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Manchmal finden in einer Region nicht genügend Gleichbetroffene zusammen. HOHE NACHFRAGE BEI PSYCHISCHEN STÖRUNGEN Zu 82 Prozent wurden Selbsthilfegruppen von direkt Betroffenen bei der Gründung unterstützt. In 15 Prozent der Fälle galt die Begleitung Angehörigengruppen. Das Themenspektrum ist so weit wie die Selbsthilfe insgesamt. Ein quantitativer Schwerpunkt lag auf dem Themenfeld psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen. 43 Prozent der In-Gang-Setzungen zwischen 2008 und 2014 kamen Selbsthilfegruppen für psychisch erkrankte Menschen oder deren Angehörige zugute. Mit 33 Prozent folgten chronische Erkrankungen und Behinderungen. WEITERENTWICKLUNG DURCH PARTIZIPATION Nach einer intensiven Vorbereitung auf die anspruchsvolle Tätigkeit werden die In-Gang-Setzer durch Einzelgespräche, moderierte Austauschtreffen und Workshops kontinuierlich begleitet. Dabei stehen Selbstreflexion und Qualifizierung BKK und Selbsthilfe 2015 IN-GANG-SETZER Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Nordrhein-Westfalen Andreas Greiwe Leiter der Fachgruppe Selbsthilfe/-Kontaktstellen Friedrichstraße 2 48282 Emsdetten (02572) 95 35 66 [email protected] www.in-gang-setzer.de BKK und Selbsthilfe 2015 im Vordergrund. Die Projektmitarbeiter nutzen ihrerseits die Erfahrungen aus der Praxis der Gruppenbegleitungen für die konzeptionelle Weiterentwicklung des Projekts. Insbesondere in überregionalen Workshops zeichnen sich Unterschiede, Gemeinsamkeiten, wiederkehrende Muster und lokale Besonderheiten ab. Es entsteht ein lernendes System. Die regelmäßigen Treffen mit anderen In-Gang-Setzern wirken darüber hinaus motivierend. Innere Konflikte und Ängste können offen angesprochen und mit der Gruppe geteilt werden. – Werde ich meiner Rolle als In-Gang-Setzer gerecht? Gelingt es mir, die Gruppenmitglieder zu aktivieren? Gebe ich rechtzeitig Aufgaben ab, wenn Gruppenmitglieder zunehmend selbst aktiv werden? Wann und wie soll ich mich verabschieden? – Diese und ähnliche Fragen beschäftigen die Ehrenamtlichen immer wieder. Die Schulungen, deren Inhalte beständig erweitert werden, sollen diese Themen so gut wie möglich auffangen und Hilfen geben – offenbar mit Erfolg. Nach ihren Erfahrungen befragt, antworteten aktive In-Gang-Setzer: „Ich weiß nun, dass jede Gruppe anders ist und es von vielen Faktoren abhängt, ob eine Gruppe weiter besteht.“ – „Ich bin selbstbewusster geworden und kann dadurch Gruppen mehr Sicherheit geben.“ Am Ende steht immer der Abschied von einer Gruppe, der zugleich als Erfolg der In-Gang-Setzung gewertet werden kann: „Ich freue mich, wenn Gruppen mich einladen zu bleiben, aber ich freue mich noch mehr, wenn sie selbstständig weitergehen.“ 25 PROJEKTE PROJEKTE ALLE ANDERS, ALLE GLEICH In Bremen ist unlängst das Projekt „Initiierung von Selbsthilfegruppen bei Menschen mit geistiger Behinderung“ angelaufen. Immer wieder gab es bei der Selbsthilfekontaktstelle Bremen Rückmeldungen aus Suchtselbsthilfegruppen, dass dort Menschen mit geistiger Behinderung dazustießen. Meist kamen sie aber nach einmaligem Besuch nicht wieder. Das Potenzial für Suchtgefährdung wird bei Menschen mit geistiger Behinderung, genauso wie bei der Restbevölkerung, auf ca. sechs bis sieben Prozent geschätzt. Nach einer Umfrage in bestehenden Gruppen beschlossen die Selbsthilfekontaktstelle Bremen, der Martinsclub und das Gesundheitsamt der Stadt ein Modellprojekt durchzuführen. „Es war Zeit, dieses Potenzial zu nutzen und entsprechende Strukturen zu initiieren und zu begleiten“, so die Selbsthilfekontaktstelle Bremen. Drei Gruppen sollen innerhalb des Modellprojekts initiiert werden. Die erste Gruppe trifft sich seit Anfang November. Die Liste für den nächsten Gruppenstart füllt sich bereits, sie soll im Januar starten. Die Atmosphäre der Sitzungen wird schon jetzt als offen, kommunikativ, ehrlich und verlässlich geschildert. Die Inhalte sind ganz ähnlich wie in anderen Selbsthilfegruppen auch – Wie kann ein Leben ohne Alkohol funktionieren? Anders hingegen verlief die Kommunikation des Angebots. Die Interessierten wurden über die Kooperation mit erfahrenen Trägern der Behindertenhilfe gewonnen, die Kontakte vermittelten oder das Angebot weiterleiteten. Das Projekt könnte Schule machen. Die Sammlung der Erfahrungen in einem Handbuch und die Einbeziehung weiterer Selbsthilfekontaktstellen soll es anderen einfacher machen, ähnliche Projekte anzustoßen. Der Weg für Menschen mit geistigen Behinderungen in die Suchtselbsthilfe ist ein gutes Stück leichter geworden. HILFSMITTEL FÜR DIE SELBSTHILFE Eine App für mobile Geräte soll Suchtkranke in ihrem Alltag unterstützen. Nach der Behandlung einer Abhängigkeit liegt die größte Herausforderung in der Rückfallprävention sowie im Umgang mit der veränderten Lebenssituation. Als Unterstützung der Selbsthilfearbeit ist das Smartphone hier als immer greifbares Medium besonders geeignet, denn Situationen mit hoher Rückfallgefahr treten oft unvorhergesehen auf. Ein solches, den gängigen Qualitätsstandards für Gesundheits-Apps entsprechendes Angebot, gibt es bisher nicht. Deshalb hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. mit der Entwicklung dieses innovativen Hilfsmittels begonnen. Die App ist als Unterstützung der suchtbezogenen Selbsthilfearbeit gedacht. Neben einigen Funktionen, die bei Treffen genutzt werden können, soll die App vor allem zwischen den Gruppentreffen helfen, nicht rückfällig zu werden. Ein Selbsttest soll beispielsweise die Auseinandersetzung mit Auslösern und Bewältigungsstrategien für sogenanntes Craving, dem intensiven Verlangen nach einer Substanz, fördern. Auch virtuelle Motivationskarten zu unterschiedlichen Themen werden zur Verfügung stehen. Ein integriertes Organisationstool erinnert den Nutzer an Treffen der Selbsthilfegruppe, an Substitutions- oder Arzttermine. Meilensteine und das Sammeln von Sternen machen erfolgreiche Abstinenz sichtbar und geben moralische Unterstützung durch animierte Botschaften. Nach und nach kann die App mit persönlichen Inhalten gespeist werden. Aus Datenschutzgründen werden Inhalte nur auf dem eigenen Gerät gespeichert. Das Angebot wird kostenlos und werbefrei verfügbar sein. © Rob Lewine/Corbis »Eine App soll zwischen den Gruppentreffen helfen, nicht rückfällig zu werden. « NEUE ANSÄTZE IN DER SUCHTSELBSTHILFE GEMEINSAM UNABHÄNGIG INITIIERUNG VON SELBSTHILFEGRUPPEN BEI MENSCHEN MIT GEISTIGER BEHINDERUNG Netzwerk Selbsthilfe Bremen-Nordniedersachsen e. V. Sabine Bütow Geschäftsführerin Faulenstr. 31 28195 Bremen (0421) 70 45 81 [email protected] www.netzwerk-selbsthilfe.com Suchtselbsthilfegruppen sind für viele Betroffene eine zentrale Institution auf ihrem Weg in ein neues Leben. Oft schaffen es Betroffene nicht aus eigener Kraft, den Teufelskreis der Abhängigkeit zu durchbrechen. Die Gruppe bietet den Mitgliedern die Möglichkeit, offen und auf Augenhöhe über Erfahrungen zu sprechen. Gemeinsam können dann Lösungsstrategien entwickelt werden. Die Selbsthilfeorganisationen arbeiten nun seit einiger Zeit daran, die Zugänge zur Selbsthilfe in diesem Bereich zu erleichtern – gerade auch für bisher unterrepräsentierte Zielgruppen. 26 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 ENTWICKLUNG EINER SUCHT-SELBSTHILFE-APP Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) Gabriele Bartsch stellv. Geschäftsführerin Westenwall 4 59065 Hamm (02381) 90 15 30 [email protected] www.dhs.de 27 PROJEKTE PROJEKTE ZWEI NEUE ARBEITSHILFEN Es sind Fragen, die immer wieder auftauchen: Wie konstituiert sich eine Selbsthilfegruppe? Wie kommt sie zu einem gemeinsamen Selbstverständnis? Was sind Möglichkeiten der Gruppe, mit veränderter Zusammensetzung oder sich verschiebenden Schwerpunkten umzugehen? Oder wie kann den Erwartungen Außenstehender begegnet werden? Die „Arbeitshilfe für Selbsthilfegruppen“ will Antworten geben. NAKOS, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen hat wiederkehrende Fragen erfasst und Hilfestellungen e rarbeitet. Darüber hinaus sind für viele Gruppen die ä ußeren Rahmenbedingungen ihres Engagements relevant. Deshalb wird in der Arbeitshilfe auch auf rechtliche und finanzwirtschaftliche Aspekte der Selbsthilfearbeit eingegangen. Die Praxishilfe „Junge Selbsthilfe“ verschafft einen Überblick über erprobte Ansätze, junge Menschen für die Selbsthilfe zu aktivieren. Beide Broschüren werden 2016 erscheinen – eine wichtige Unterstützung für die Aktiven in der Selbsthilfe. DIGITALE INFRASTRUKTUR, BERATUNG UND QUALIFIZIERUNG HILFE FÜR DIE SELBSTHILFE Wie kann die Selbsthilfe in Deutschland kontinuierlich gestärkt werden, damit sie weiterhin den vielfältigen Anforderungen gerecht wird? Einige große und viele lokale und themenbezogene Organisationen und Kontaktstellen sind genau mit dieser Frage befasst. Dieses Netz von Akteuren stellt den Gruppen vor Ort die nötige Infrastruktur aus Bildungs- und Beratungsangeboten, wissenschaftlichen Studien, konkreten Arbeitshilfen, politischer Interessenvertretung und breit angelegter Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. BAG SELBSTHILFE E. V. Sonja Liebherr Projektleiterin (Büro Berlin) Isländische Straße 18 10439 Berlin (0211) 310 06-55 [email protected] www.bag-selbsthilfe.de NAKOS Dr. Jutta Hundertmark-Mayser stellv. Geschäftsführerin Otto-Suhr-Allee 115 10585 Berlin (030) 31 014 89 60 [email protected] www.nakos.de „LERNORT SELBSTHILFE“ UND „LERNORT LIGHT“ Der „Lernort Selbsthilfe” ist ein bereits etabliertes Bildungs- und Beratungsprogramm für Selbsthilfe-Aktive und gehört zu den zentralen Projekten der Betriebskrankenkassen. Es wurde 2010 von der BAG Selbsthilfe in enger Zusammenarbeit mit Selbsthilfeorgani sationen ins Leben gerufen. Das Angebot soll den Organisationen und ihren Aktiven Handwerkszeug vermitteln, Selbstreflexion und Veränderungsfähigkeit in ihrer Praxis zu verankern – durch Bildung. Das ist eine komplexe Angelegenheit. Für einige Organisationen war der finanzielle, personelle und organisatorische Aufwand nicht zu stemmen. Unter dem Arbeitstitel „Lernort light“ soll daher nun eine schlankere Variante des erfolgreichen Konzepts mehr Verbänden die Teilnahme ermöglichen. Drei Workshops sind vorgesehen. In den auf die jeweiligen Organisationen zugeschnittenen Workshops soll auf Change M anagement, Diversity Management, Burnout-Prävention, Partizipation und Nachfolge sowie spezifische Anliegen eingegangen werden. Der Aufwand hält sich für die Beteiligten durch die Konzentration auf die Workshops zeitlich, organisatorisch und finanziell in Grenzen und befördert gezielt ein adäquates Veränderungsmanagement. SELBSTHILFE(GRUPPEN) ONLINE Das Internet hält für die Selbsthilfe eine Reihe von Chancen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bereit. Allerdings bedarf es eines professionellen Umgangs, da es sich oft um sensible Daten handelt. Die BAG Selbsthilfe hat die Erstellung einer Selbsthilfe-Online-Plattform auf den Weg gebracht – ein Anliegen, das auch seitens des BKK Dachverbandes als sehr wichtig erachtet wird. Darüber können sich Selbsthilfeverbände im Internet austauschen – leicht zu handhaben, barrierefrei und sicher. Unabhängig von Raum und Zeit soll die Möglichkeit bestehen, in geschlossenen und versteckten Gruppenforen zu kommunizieren. Außerdem können die Organisationen E-Mail- und Chatberatungen einrichten. Die erfolgreiche Implementierung der Online-Plattform wird eine umfassende Bereicherung für die Selbsthilfearbeit darstellen. 28 © moodboard/Corbis BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 29 ANHANG ANHANG ÜBERSICHT DER 2015 GEFÖRDERTEN SELBSTHILFEEINRICHTUNGEN AUF BUNDESEBENE AGS – Eltern- und Patienteninitiative e. V. Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. Arbeitsgemeinschaft Allergiekrankes Kind e. V. (AAK) BAG SHG BSD – Bundesverband Schlafapnoe und Schlafstörungen Deutschland e. V. Bundesverband ADHS Deutschland e. V. Bundesverband Angeborene Gefäßfehlbildungen e. V. Bundesverband Auge e. V. Bundesverband für die Rehabilitation der Aphasiker e. V. Bundesverband GlaukomSelbsthilfe e. V. Bundesverband Herzkranke Kinder e. V. Bundesverband Kinderrheuma e. V. Bundesverband Neurofibromatose/ Von Recklinghausen Gesellschaft e. V. Bundesverband PsychiatrieErfahrener (BPE) e. V. Bundesverband SchädelHirnpatienten in Not e. V. Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. (BSK) Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e. V. Bundesvereinigung der Eltern blinder und sehbehinderter Kinder e. V. (BEBSK) Bundesvereinigung SeHT e. V. Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e. V. (BVSS) BV der Elternkreise suchtgefährdeter und suchtkranker Söhne und Töchter e. V. Der Paritätische NRW Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V. Deutsche DepressionsLiga e. V. Deutsche Dystonie Gesellschaft e. V. Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten – Selbsthilfe und Fachverbände e. V. Deutsche Gesellschaft für bipolare Störungen e. V. Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (DGM) Deutsche HörbehindertenSelbsthilfe e. V. (DHS) Deutsche ILCO e. V. Bundesverband Deutsche Leberhilfe e. V. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Bundesverband e. V. Deutsche Myasthenie Gesellschaft e. V. (DMG) Deutsche Parkinson Vereinigung e. V. (dPV) Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e. V. Deutsche Sauerstoffliga e. V. (LOT) Deutsche Tinnitus-Liga e. V. (DTL) Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) Deutscher Frauenbund für alkoholfreie Kultur e. V. Deutscher Guttempler-Orden (I.O.G.T.) e. V. Deutscher Schwerhörigenbund e. V. (DSB) DHS Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen KONTAKTE UND ANSPRECHPARTNER DER BKK dsai - Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte e. V. Dt. Interessengemeinschaft Phenylketonurie und verwandte Stoffwechselstörungen e. V. Elternhilfe für Kinder mit RettSyndrom in Deutschland e. V. Gesellschaft für Mukopolysaccharidosen e. V. Hämophiler e. V. (IGH) HSO 2007 e. V. Hilfe zur Selbsthilfe bei Onlinesucht INTENSIVkinder zuhause e. V. Lebenshilfe Online Lupus Erythematodes Selbsthilfegemeinschaft e. V. Mukoviszidose e. V., Bundesverband Selbsthilfe bei Cystischer Fibrose (CF) NAKOS e. V. NETZWERK Hypophysen-und Nebennierenerkrankungen e. V. Netzwerk Selbsthilfe Paritätischer Gesamtverband PCOS Selbsthilfe Deutschland e. V. Plexuskinder e. V. Schatten & Licht e. V. Schilddrüsen-Liga Deutschland e. V. Selbsthilfe Stoma-Welt e. V. Selbsthilfegruppe Glykogenose Deutschland e. V. Selbsthilfevereinigung LippenGaumen-Fehlbildungen e. V. SoMA e. V. StadtRand Mitte Turner-Syndrom Vereinigung e. V. Wir pflegen, Interessenvertretung Begleitender Angehöriger und Freunde in Deutschland e. V. BKK DACHVERBAND E. V. Mauerstraße 85 10117 Berlin Dr. Dagmar Siewerts Tel.: (030) 27 00-406-505 [email protected] Petra Schröer Tel.: (030) 27 00-406-509 [email protected] Fax: (030) 27 00-406-222 www.bkk-dv.de BAHN-BKK Franklinstraße 54 60486 Frankfurt am Main Stephanie Scheuch Tel.: (069) 770-78-166 Fax: (069) 770-7880-166 [email protected] www.bahn-bkk.de BKK LANDESVERBAND BAYERN Züricher Str. 25 81476 München Robert Wolf Tel.: (089) 745-7917-0 Fax: (089) 745-7955-170 [email protected] www.bkk-lv-bayern.de BKK LANDESVERBAND NORDWEST Hauptverwaltung Essen Kronprinzenstr.6 45128 Essen Nordrhein-Westfalen Thomas Wagemann Tel.: (0201) 179-1608 Fax: (0201) 179-1798 thomas.wagemann@ bkk-nordwest.de www.bkk-nordwest.de Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern Kim Ebert Süderstr. 24 20097 Hamburg Tel.: (040) 251-505-230 Fax: (040) 251-505-236 [email protected] www.bkk-nordwest.de BKK LANDESVERBAND SÜD Regionaldirektion Hessen Stresemannallee 20 60596 Frankfurt am Main Norbert Maus / Vera Eifert Tel.: 07154 1316-305 Fax: 07154 1316-9305 [email protected] [email protected] www.bkk-sued.de BKK LANDESVERBAND MITTE Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt Armin Vogel Mohrenstr. 9-60 10117 Berlin Tel.: (030) 383-9071-2 Fax: (030) 383-9070-1 [email protected] www.bkkmitte.de Niedersachsen, Bremen Ralf Lux Bahnhofstr. 28-31 28195 Bremen Tel.: (0421) 337-7719 Fax: (0421) 337-7733 [email protected] www.bkkmitte.de Rheinland-Pfalz und Saarland Stefan Happ Essenheimer Str. 126 55128 Mainz Tel.: (06131) 33 05-42 Fax: (06131) 33 05-71 [email protected] www.bkkmitte.de Thüringen und Sachsen Annett Hoyer Pförtchenstr. 1 99096 Erfurt Tel.: (0361) 22 46-460 Fax: (0361) 22 46-301 [email protected] www.bkkmitte.de Da wir nicht alle bei uns beantragten Projekte fördern können, sind wir dankbar für die große Unterstützung durch die BKK Landesverbände und die BKK Mitglieder. 30 BKK und Selbsthilfe 2015 BKK und Selbsthilfe 2015 31 www.bkk-dachverband.de
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