Selbsthilfe im Betrieb

BKK und
Selbsthilfe 2015
Selbsthilfe
im Betrieb
ERFAHRUNGEN
HERAUSFORDERUNGEN
CHANCEN
IMPRESSUM
VORWORT
Liebe Leserinnen und Leser,
Herausgeber:
BKK Dachverband e. V.
Franz Knieps I Vorstand
Mauerstraße 85 I 10117 Berlin
Text und Gestaltung:
BBGK Berliner Botschaft
Gesellschaft für Kommunikation
www.berliner-botschaft.de
Bildnachweis:
Titelbild: © 68/Image Source/Ocean/Corbis
S. 3: BKK Dachverband e. V.
Redaktion:
Petra Schröer, Dr. Dagmar Siewerts (V. i. S. d. P.)
BKK Dachverband
Stand: Dezember 2015
BKK® und das BKK Logo sind registrierte Schutzmarken
des BKK Dachverbandes.
die Selbsthilfe hat sich zu einem unverzichtbaren Bestandteil unseres Gesundheitssystems entwickelt. Dies ist all jenen Menschen zu
verdanken, die die Selbsthilfe einst auf den Weg gebracht haben und
natürlich denen, die sich heute im gesamten Bundesgebiet in rund
100.000 gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen engagieren. Sie
setzen sich aktiv mit den Schwierigkeiten und Einschränkungen auseinander, die mit ihrer chronischen Erkrankung oder ihrer Behinderung
einhergehen. Damit helfen sie sich und anderen. Gerade weil der Austausch mit Gleichbetroffenen auf Augenhöhe stattfindet, aktiviert er
individuelle Ressourcen und stärkt den mündigen Patienten.
Seit mehr als 25 Jahren engagieren sich die Betriebskrankenkassen
in der Selbsthilfeförderung. Ich bin froh, dass wir dadurch viele wichtige Projekte mit auf den Weg bringen konnten. Das werden wir auch
weiterhin tun. Und weil die Betriebskrankenkassen traditionell stark
in der Arbeitswelt verankert sind, wollen wir mit dafür Sorge tragen,
dass wichtige Impulse und Erfahrungen der Selbsthilfe Eingang in die
Betriebe finden. Dem Thema „Selbsthilfe im Betrieb“ war daher auch
der diesjährige BKK Selbsthilfetag gewidmet. Zur Diskussion standen
Anregungen und Erfahrungen aus Wissenschaft und Praxis. Einen Einblick gibt Ihnen diese Broschüre.
Selbsthilfegruppen und -organisationen können Betrieben bei der
Gestaltung eines gesundheitsförderlichen Arbeitsumfelds wertvolle
Unterstützung leisten: Mit ihrem Wissen können Sie auf bestehende Barrieren oder Gefahren aufmerksam machen und Veränderungspotenziale aufzeigen. Das kommt allen Beschäftigten zugute. Da­
rüber hinaus ist es wichtig, Menschen, die trotz einer Behinderung
oder einer chronischen Erkrankung im Berufsleben stehen, in ihrem
unmittelbaren Arbeitsumfeld Unterstützung zu geben, sie zu informieren und zu begleiten. Denn für alle Menschen, ob mit oder ohne
Einschränkungen, hat Arbeit einen hohen Stellenwert. Sie sichert
die Existenz, wirkt sinnstiftend und bietet Gelegenheit, mit anderen
Menschen in Kontakt zu kommen und nicht zuletzt Wertschätzung
und Anerkennung zu erfahren.
Wer nach einem Unfall oder einer Krankheit wieder ins Berufsleben
zurückkehren will, ist auf die Unterstützung und Offenheit des Arbeitgebers angewiesen, an den Gesundheitszustand angepasste Rahmenbedingungen zu schaffen. Für die Betriebe wiederum ist es vor
dem Hintergrund des demografischen Wandels bedeutsam, erfahrene Beschäftigte nicht zu verlieren. Von einer engeren Kooperation der
Selbsthilfe mit Betrieben profitieren also alle Seiten.
Selbstverständlich wird der BKK Dachverband die Selbsthilfe auch in
anderen Themenfeldern weiter unterstützen. Im vergangenen Jahr
konnten wieder zahlreiche Projekte realisiert werden – einige Beispiele stellen wir im Folgenden vor. Im Namen des BKK Dachverbandes möchte ich mich bei allen Beteiligten für ihr großes Engagement
bedanken.
Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Broschüre für Berufs- und Personenbezeichnungen das generische Maskulinum
verwendet. Damit sind explizit Frauen und Männer gemeint.
Ihr Franz Knieps
Vorstand des BKK Dachverbandes
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
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INHALT
INHALT
SELBSTHILFE IM BETRIEB
Chronische Erkrankungen
oder Behinderungen
betreffen nicht nur ältere
Menschen. Auch viele
Berufstätige müssen mit
gesundheitlichen Einschränkungen leben. Betriebe sind
gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den
unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht werden.
Die Selbsthilfe kann dabei
wertvolle Unterstützung
leisten.
© Hero Images/Corbis
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GEMEINSAM SELBSTHILFE
VORANBRINGEN
Betriebskrankenkassen bauen Förderung
aus
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STRUKTUREN SCHAFFEN
Selbsthilfe in der betrieblichen Gesundheitsförderung
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BEDÜRFNISSEN GERECHT WERDEN
Gute Rahmenbedingungen für chronisch
kranke Mitarbeiter
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VORURTEILE ABBAUEN
Umgang mit psychich kranken Mitarbeitern
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AUF ERFAHRUNG AUFBAUEN
Franz Knieps und Prof. Dr. Rolf Rosenbrock
im Gespräch
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KOLLEGIAL BERATEN
Betriebliche Suchthilfe und Suchtselbsthilfe
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BKK und Selbsthilfe 2015
AUF ERFAHRUNG AUFBAUEN
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock und
Franz Knieps im Gespräch
VORURTEILE ABBAUEN
Umgang mit
psychisch kranken Mitarbeitern
SELBSTHILFE AKTIVIEREN
Die In-Gang-Setzer
ziehen Bilanz
Selbsthilfe kann eine sinnvolle
Ergänzung zur betrieblichen Gesund­
heitsförderung sein. Franz Knieps
und Rolf Rosenbrock sprachen über
Kooperationen und Voraussetzungen.
Seite 10
Angesichts langer Fehlzeiten aufgrund
psychischer Störungen müssen
Führungskräfte für das Thema
sensibilisiert sein. Beratung durch die
Selbsthilfe zeigt Wirkung.
Seite 20
Erfahrene Selbsthilfe-Aktivisten
geben neuen Gruppen Starthilfe.
Das Konzept hat sich bewährt, wie
acht Jahre erfolgreiche Projektarbeit
zeigen.
Seite 24
24
SELBSTHILFE AKTIVIEREN
Die In-Gang-Setzer ziehen Bilanz
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GEMEINSAM UNABHÄNGIG
Neue Ansätze in der Suchtselbsthilfe
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HILFE FÜR DIE SELBSTHILFE
Digitale Infrastruktur, Beratung
und Qualifizierung
BKK und Selbsthilfe 2015
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ANHANG
Geförderte Projekte 2015
Kontakte und Ansprechpartner der BKK
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EINLEITUNG
EINLEITUNG
BETRIEBSKRANKENKASSEN BAUEN FÖRDERUNG AUS
GEMEINSAM
SELBSTHILFE
VORANBRINGEN
Eine umfassende und hochwertige gesundheitliche Versorgung der Versicherten
zu gewährleisten, ist Kernanliegen der Betriebskrankenkassen. Zu den weiteren
Aufgaben zählen Prävention und Gesundheitsförderung, zuvorderst in den Betrieben.
Auch die systematische Unterstützung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe ist ein
strategisches Ziel. Mit Selbsthilfegruppen und ihren Verbänden besteht seit mehr als
25 Jahren eine enge Partnerschaft, die viele erfolgreiche Projekte hervorgebracht hat.
© Hero Images/Corbis
Selbsthilfegruppen leisten einen wichtigen Beitrag zur
Krankheitsbewältigung und Prävention. Bundesweit etwa
3,5 Millionen Menschen haben sich als Betroffene oder
Angehörige in rund 100.000 Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen. Sie tauschen dort wertvolles Wissen
über ihre Krankheit oder Behinderung aus und unterstützen sich bei den damit verbundenen alltäglichen Herausforderungen. Damit stärkt die Selbsthilfe die individuelle
Gesundheitskompetenz und gibt wichtige Impulse, aktiv
zur eigenen Genesung beizutragen und Barrieren im Alltag zu überwinden. Das ist gut für die Betroffenen und für
das Gesundheitssystem.
Zu Recht ist die Selbsthilfe heute ein anerkannter Teil unseres Gesundheitswesens. Selbsthilfevertreter wirken
mit, wenn es um die Entwicklung medizinischer Versorgungsangebote oder spezieller Programme für chronisch
kranke und behinderte Menschen geht. Unter dem Stichwort Patientenorientierung hat die Perspektive der Betroffenen in gesundheitspolitische Debatten Einzug gehalten.
BKK DACHVERBAND E. V.
Mauerstraße 85
10117 Berlin
www.bkk-dv.de
Dr. Dagmar Siewerts
(030) 2700 406-505
[email protected]
MEHR GELDER FÜR DIE SELBSTHILFE
Mit dem neuen Präventionsgesetz und der Anhebung der
Fördermittel auf 1,05 Euro je Versicherten werden der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe künftig rund 30 Millionen
Euro mehr zur Verfügung stehen. So kann die tägliche Ar-
Petra Schröer
(030) 2700 406-509
[email protected]
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
beit von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfekontaktstellen und
-organisationen noch mehr als zuvor unterstützt werden.
Auch dem BKK Dachverband wird es damit in einem größeren Umfang als bisher möglich sein, Projekte zu fördern.
Unabhängig von Indikationen und Personengruppen wird
der BKK Dachverband vor allem solche Anliegen unterstützen, die in unterschiedlicher Form der Weiterentwicklung
der Selbsthilfe dienen. Das kann beispielsweise die Qualität der Selbsthilfe betreffen oder Konzepte zur Qualifizierung. Der thematische Schwerpunkt wird 2016 auf der Förderung von Kooperationen der Selbsthilfe mit Betrieben
liegen. Die von der BAG Selbsthilfe mit Unterstützung des
BKK Dachverbandes angestoßene Evaluation der Bedürfnislagen auf beiden Seiten, die Zusammenstellung bereits
bestehender Kooperationen und die daraus entwickelten
möglichen Formen der Zusammenarbeit haben eine gute
Grundlage geschaffen (siehe S. 16 ff.). Die Ideen gilt es
nun aufzugreifen. Wie fruchtbar eine Zusammenarbeit für
alle Beteiligten sein kann, zeigen nicht zuletzt die auf dem
diesjährigen Selbsthilfetag vorgestellten Beispiele guter
Praxis (siehe S. 20 ff.).
Die Auswahl der beim BKK Dachverband eingehenden
Projektanträge erfolgt gemeinsam mit einem Förderbeirat. Diesem gehören Vertreter des BKK Systems ebenso
an wie Vertreter der maßgeblichen Selbsthilfeorganisationen.
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SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
»
Viele chronisch kranke Beschäftigte halten ihre
Krankheit aus Angst vor Stigmatisierung und
Benachteiligung geheim. «
GUTE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR CHRONISCH KRANKE MITARBEITER
Bei der GEDA -Studie 2012 wurden etwa 26.000
volljährige Personen zum allgemeinen Gesundheitszustand, chronischen Erkrankungen, Einflussfaktoren auf die Gesundheit und Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems befragt.
www.geda-studie.de
BEDÜRFNISSEN
GERECHT WERDEN
Chronische Erkrankungen sind weit verbreitet. Betroffen sind keineswegs nur alte
und hochbetagte Menschen. Bereits bei den unter 30-Jährigen weist nahezu jeder
Fünfte eine chronische Krankheit auf. Im mittleren Alter sind 49 Prozent der Männer
und 53 Prozent der Frauen chronisch krank – also jeder zweite Erwerbstätige. Die Betriebe sind gefordert, diesen Menschen entsprechenden Schutz und Unterstützung
zukommen zu lassen. Der Erfahrungsschatz der Selbsthilfe sollte dabei Berücksichtigung finden.
Als chronisch krank gilt, wer eine schwere, irreversible Krankheit hat, wer lange Zeit für die
Genesung benötigt, aber auch wer Risikofaktoren für schwerwiegende Erkrankungen aufweist wie beispielsweise Bluthochdruck oder starkes Übergewicht. Besonders verbreitet
sind chronische Erkrankungen des Herz-Kreislauf- sowie des Muskel- und Skelettsystems.
Aber auch Krebs- oder lang andauernde psychische Erkrankungen belasten die Betroffenen
sehr, ebenso Seh- oder Hörbeeinträchtigungen oder genetisch bedingte Krankheiten.
ANGST VOR STIGMATISIERUNG
Obwohl die Häufigkeit chronischer Erkrankungen mit steigendem Alter zunimmt, sind auch
viele erwerbstätige Menschen betroffen, oft ohne dass Kollegen und Vorgesetzte dies wissen. Viele Betroffene halten ihre Krankheit aus Angst vor Stigmatisierung und Benachteiligung geheim und setzen sich damit zusätzlichen Risiken aus. Zu etwaigen physischen, kognitiven oder sensorischen Einschränkungen treten nicht selten Scham- und Schuldgefühle
hinzu. Dies verstärkt auch den psychischen Druck – mit schwerwiegenden Folgen: Unter
Menschen mit andauernden somatischen Erkrankungen kommen Depressionen mehr als
doppelt so häufig vor wie bei Gesunden. Lange Fehlzeiten und Frühverrentungen sind die
Folgen.
Abhängig von der Erkrankung und damit einhergehenden weiteren Beeinträchtigungen
liegen die Beschäftigungsraten chronisch kranker Menschen wesentlich niedriger als bei
gesunden Gleichaltrigen. Dabei macht nicht jede Krankheit automatisch arbeitsunfähig. Ein
Umdenken in den Betrieben ist dringend erforderlich. Um in Zukunft nicht mehr und mehr
gut geschultes Personal aufgrund chronischer Erkrankungen oder dauerhafter Einschränkungen entbehren zu müssen, liegt es auch im Interesse der Unternehmen, Arbeitsbedingungen zukünftig besser an die Bedürfnisse betroffener Mitarbeiter anzupassen.
DIALOG MIT DER SELBSTHILFE
Voraussetzungen für die Lösung gesundheitsbedingter Probleme am Arbeitsplatz sind zum
einen das Verständnis für die Situation der Betroffenen und zum anderen die Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse durch zielgenaue Maßnahmen. Kooperationen mit
Selbsthilfegruppen und -organisationen können dafür wegweisend sein. Sie verfügen über
ein breites Wissen über das jeweilige Krankheitsbild. Vor allem aber sind sie als Betroffene
mit den alltagsbezogenen Problemen vertraut. Führungskräfte und Personalverantwortliche
könnten von ihrem Rat profitieren. Die Selbsthilfe als anerkannter Partner im Betrieb wäre
zugleich ein wichtiges Signal an alle Beschäftigten, dass von chronischen Erkrankungen
Betroffene ernst genommen werden. Ein erster Schritt hin zu einer größeren Offenheit im
Umgang mit gesundheitlichen Einschränkungen.
© Monkey Business Images/Corbis
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
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SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
»Krank zu sein bedeutet nicht zwingend,
leistungs- oder arbeitsunfähig zu sein. «
Franz Knieps
FRANZ KNIEPS UND PROF. DR. ROLF ROSENBROCK IM GESPRÄCH
AUF ERFAHRUNG
AUFBAUEN
© Jose Luis Pelaez, Inc./Blend Images/Corbis
IM ZUGE DES DEMOGRAFISCHEN WANDELS STEIGT DIE ANZAHL VON BESCHÄFTIGTEN MIT CHRONISCHEN KRANKHEITEN KONTINUIERLICH. ZUGLEICH GEHEN
IMMER MEHR ARBEITSUNFÄHIGKEITSTAGE AUF PSYCHISCHE ERKRANKUNGEN ZURÜCK. WIE KANN GESUNDHEIT IM BETRIEBLICHEN UMFELD GESTÄRKT WERDEN?
Knieps: Grundsätzlich ist die Einbindung der Mitarbeiter im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung ein guter Ansatz, um die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass
Menschen gar nicht erst krank werden. Auf diese Weise finden auch die Beschäftigten Gehör, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung besondere Arbeitsbedingungen benötigen. Angesichts des demografischen Wandels werden Betriebe zukünftig jeden Menschen brauchen, der arbeiten möchte und kann. Sinkende Geburtenzahlen führen dazu,
dass sich bereits jetzt in einigen Bereichen ein Fachkräftemangel abzeichnet. Zudem steigt
das Durchschnittsalter in der Bevölkerung – ein Trend, der sich auch in der Altersstruktur
von Belegschaften widerspiegelt. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Menschen im Verlauf ihres weiteren Arbeitslebens chronisch erkranken, ist recht hoch. Schon jetzt leidet
jeder dritte Deutsche an einer chronischen Erkrankung oder Behinderung, viele davon sind
trotzdem berufstätig. In der Regel verschweigen sie dies dem Arbeitgeber aus Sorge vor
Nachteilen und Vorurteilen. Krank zu sein bedeutet jedoch nicht zwingend, leistungs- oder
arbeitsunfähig zu sein. Für die Gesundheit der Betroffenen kann es aber entscheidend sein,
dass die Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz verändert und der gesundheitlichen Lage
angepasst werden. «
Rosenbrock: Mit der Doppelherausforderung des demografischen Wandels und des Wandels der vor allem psychischen Anforderungen und Belastungen wächst die Bedeutung der
betrieblichen Gesundheitsförderung. Das neue Präventionsgesetz enthält hierzu erfreulicherweise in § 20b SGB V die Bestimmung, dass von den Kassen insbesondere der Aufbau
und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen gefördert werden sollen. Das ist eine
Absage an die regelmäßig wirkungsarme individuelle Verhaltensprävention. Zudem sollen
bei der Planung und Durchführung von BGF-Projekten die Beschäftigten auf allen Stufen beteiligt werden. Dieser partizipative Ansatz findet seinen besten organisatorischen Ausdruck
in Gesundheitszirkeln. Hier tauschen sich die Beschäftigten eines Betriebes darüber aus,
wie ihre Arbeitssituation so verändert werden kann, dass vermeidbare Belastungen auch
tatsächlich vermieden und Gesundheitsressourcen gestärkt werden können. Wenn die
Kassen diesen Auftrag in Zukunft noch ernster nehmen als bisher schon, leisten sie auch
einen wichtigen Beitrag zur Verminderung psychischer Belastungen und Erkrankungen.
Zudem trägt dieser Ansatz auch dazu bei, alternsgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen.«
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
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SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
WELCHE ROLLE KÖNNTE DIE SELBSTHILFE HIERBEI SPIELEN?
Rosenbrock: Selbsthilfe kann die notwendige professionelle Expertise nicht ersetzen, sie
kann sie aber um die Betroffenen-Sicht ergänzen. Das wäre insbesondere dann von großem Nutzen, wenn Barrieren im Arbeitsumfeld abgebaut werden müssen – physische,
aber auch psychische und soziale Barrieren. Evident ist der Nutzen der Expertise aus der
Selbsthilfe, wenn es um die Anforderungen an die betriebliche Ernährung für Menschen
z. B. mit Diabetes, Zöliakie oder Allergien geht. Ebenso hilfreich kann die Einbeziehung
von Therapie-Erfahrenen und Angehörigen psychisch Kranker sein, wenn es darum geht,
Beschäftigte mit so gelagerten Gesundheitsproblemen im Betrieb zu halten bzw. in den
Betrieb zu integrieren. Der Kontakt zwischen Therapie-Erfahrenen und Beschäftigten kann
zudem wirksam dabei helfen, Ängste und Vorurteile abzubauen.
Darüber hinaus könnte und sollte Selbsthilfe in das Beratungsangebot des Betriebes eingebunden werden. Wenn bei Beschäftigten mit gesundheitlichen Problemen standard­mäßig –
und das heißt auch ohne Diskriminierung – auf Selbsthilfe als mögliche Unterstützungsform
hingewiesen und zugleich auch die Kontaktaufnahme erleichtert wird, ist das ein wichtiger
erster Schritt. Wo nötig, kann das Unternehmen auch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen
ermöglichen oder erleichtern. In größeren Betrieben könnte es sich lohnen, Selbsthilfegruppen zu häufigeren Krankheiten direkt im Betrieb zu organisieren. Parallel könnte und
sollte das Unternehmen Selbsthilfeorganisationen die Möglichkeit einräumen, selber im
Betrieb zu informieren, z. B. auf Gesundheitstagen. Vereinzelt nehmen auch heute schon
auf Einladung Mitglieder von Selbsthilfeorganisationen an Gesundheitszirkeln teil, wenn es
um spezifische Probleme geht. «
© BKK Dachverband e. V.
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock
Vorsitzender des
Paritätischen Gesamtverbandes
Knieps: Von einer engeren Kooperation mit der Selbsthilfe profitieren letztlich alle Seiten.
Die Unternehmen profitieren, weil sie wichtige Informationen zu bestimmten Krankheitsbildern bekommen, um gesundheitlichen Gefahren zu begegnen oder entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jeder einzelne Beschäftigte mit all seinen Kompetenzen und seinem Know-how dem Betrieb erhalten bleibt.
Ein Betriebsklima, in dem Beeinträchtigungen und Erkrankungen offen benannt werden
können, würde eine enorme Erleichterung für chronisch kranke Menschen darstellen. Sie
müssten ihre Erkrankung nicht verheimlichen und könnten ihren Arbeitsplatz besser ihren
besonderen Bedürfnissen anpassen. Das ist bei vielen Erkrankungen und Behinderungen
möglich, setzt aber voraus, dass der Betrieb, die Kollegen und Betroffenen und gegebenenfalls der Betriebsarzt an einem Strang ziehen und gemeinsam Lösungen finden.
Nicht zu vergessen die vielen Menschen, die im Laufe ihres Arbeitslebens krank werden
oder einen Unfall erleiden. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement soll dafür Sorge
tragen, dass den Betreffenden der Wiedereinstieg in das Arbeitsleben ermöglicht wird.
Und auch hier kann die Kompetenz Gleichbetroffener hilfreich sein.
Und auch die Selbsthilfe profitiert von einer engeren Zusammenarbeit mit Unternehmen,
weil sich erkrankte oder behinderte Menschen selbst organisieren und ihre Interessen
auch hinsichtlich der Arbeitswelt artikulieren. Viele möchten gerne arbeiten, denn auch für
sie ist es wichtig, dass ihre Existenz gesichert ist, dass sie Wertschätzung und Anerkennung erfahren, soziale Kontakte pflegen und eine Tagesstruktur bekommen. «
© Der PARITÄTISCHE Gesamtverband
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Franz Knieps
Vorstand
© Der PARITÄTISCHE
des BKK Dachverbandes
Gesamtverband
BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
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SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
HÖCHSTE ZEIT ALSO, SELBSTHILFE UND BETRIEBLICHE GESUNDHEITS­
FÖRDERUNG STÄRKER ZUSAMMENZUBRINGEN. WARUM IST DAS NICHT SCHON
FRÜHER ERFOLGT?
Knieps: Bislang spielte die Selbsthilfe im betrieblichen Kontext tatsächlich eine eher
untergeordnete Rolle. Einige wichtige Projekte gibt es aber schon seit Jahren. 2008 entwickelte beispielsweise der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e. V. mit
finanzieller Unterstützung der Betriebskrankenkassen ein Seminarkonzept speziell für den
betrieblichen Kontext. Hierbei gehen geschulte Selbsthilfevertreter direkt in die Betriebe.
Sie vermitteln Führungskräften und Personalverantwortlichen, Kollegen und betrieblichen
Helfern grundlegende Informationen über psychische Erkrankungen und sensibilisieren für
den Umgang mit den Betroffenen. Ein solches Konzept ließe sich auch auf andere Krankheitsbilder wie z. B. Diabetes, Krebserkrankungen oder Allergien übertragen. «
»Selbsthilfe kann die betriebliche Gesundheitsförderung um
die Betroffenen-Perspektive ergänzen. «
Prof. Dr. Rolf Rosenbrock
Rosenbrock: Langjährige Erfahrungen gibt es auch mit den Ehrenamtlichen Suchtkrankenhelfern zum Beispiel der Guttempler, die mit ihrem Erfahrungswissen seit vielen Jahren teilweise auch in Betrieben als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Und auch im
Bereich des Betrieblichen Eingliederungsmanagements gibt es bereits eine – wenn auch
ausbaufähige – Zusammenarbeit von Betrieben und Selbsthilfeorganisationen. Ein Beispiel
dafür sind die Aktivitäten des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. Der
zugrunde liegende Ansatz ist dabei immer, die Sicht von Betroffenen in der Gestaltung der
Arbeitssituation zur Geltung zu bringen. «
HERR KNIEPS, DER BKK DACHVERBAND WILL KÜNFTIG VERSTÄRKT SELBSTHILFEPROJEKTE IM BETRIEBLICHEN KONTEXT FÖRDERN. IN WELCHER ROLLE SEHEN SIE
DIE BETRIEBSKRANKENKASSEN DABEI?
Knieps: Die Betriebskrankenkassen können beim Thema Selbsthilfe im Betrieb sehr gut
als Mittler agieren. Wir engagieren uns seit Jahren im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung. Allerdings werden hier bei Weitem noch nicht alle Betriebe, vor allem jene
mit weniger als 500 Beschäftigten, erreicht. Schon jetzt beteiligen wir uns an Projekten,
um mit mehr Beschäftigten in kleinen und mittleren Unternehmen in Kontakt zu kommen.
Betriebskrankenkasse beraten Firmen inhaltlich, wie sie eine gesundheitsförderliche Unternehmenskultur oder einen gesundheitsförderlichen Führungsstil entwickeln können.
Und nicht zuletzt sorgen wir mit der Projektförderung im Rahmen der Selbsthilfeförderung
dafür, Konzepte zu entwickeln und zu erproben, die dazu beitragen, das Thema Selbsthilfe
im Betrieb weiterzuentwickeln. «
HERR PROF. ROSENBROCK, VON WELCHEN VORAUSSETZUNGEN HÄNGT EINE
GELUNGENE ZUSAMMENARBEIT DER SELBSTHILFE MIT BETRIEBLICHEN AKTEUREN
AB?
Rosenbrock: Das Gelingen der Kooperation zwischen Betrieb und Selbsthilfe setzt voraus,
dass im Betrieb die Selbsthilfe-Prinzipien Freiwilligkeit, Anonymität und Vertraulichkeit umgesetzt werden können und mit der Unternehmenskultur bruchlos vereinbar sind. Wenn
und wo das nicht der Fall ist, sollte man die Finger davon lassen. Dieses ist sicher eher in
großen als in kleinen Unternehmen möglich. Allerdings kennen wir auch kleinere Betriebe,
in denen der Chef selbst Selbsthilfe-Erfahrung hat und vor diesem Hintergrund seinen Betrieb selbsthilfefreundlich gestaltet.
Freiwilligkeit, Anonymität und Vertraulichkeit sind im Zusammenhang mit der individuellen
Gesundheit im Betrieb immer notwendig. Verstärkt wird diese Notwendigkeit, wenn es
sich zudem um Krankheiten handelt, die mit einem Stigma oder mit Vorurteilen belegt sind,
zum Beispiel Sucht oder psychische Erkrankungen. Andererseits kann gerade im Hinblick
auf solche Erkrankungen die Einbindung der Betroffenenkompetenz sowohl in die Gestaltung risikoärmerer Arbeitssituationen als auch in die betriebliche Gesundheits- und Sozialberatung sehr sinnvoll sein. «
© Hero Images/Corbis
VIELEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH.
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
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SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
STÄRKUNG DER ROLLE DER SELBSTHILFE
IM RAHMEN DER BETRIEBLICHEN
GESUNDHEITSFÖRDERUNG
Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von
Menschen mit Behinderung und chronischer
Erkrankung und ihren Angehörigen e. V.
Dr. Martin Danner
Geschäftsführer
Kirchfeldstraße 149
40215 Düsseldorf
(0211) 310 06-0
[email protected]
www.bag-selbsthilfe.de
»Selbsthilfeverbänden
fehlt oftmals wichtiges Wissen
über Strukturen und Ansprechpersonen im betrieblichen
Gesundheitsmanagement. «
© Monkey Business Images/Corbis
SELBSTHILFE UND UNTERNEHMEN FÜR
KOOPERATIONEN OFFEN
SELBSTHILFE IN DER BETRIEBLICHEN GESUNDHEITSFÖRDERUNG
Wie eine Befragung der Mitgliedsverbände der BAG Selbsthilfe zeigt, spielt das Thema „Erkrankung/Behinderung und
Arbeitsleben“ für 94,3 Prozent der Verbände ohnehin eine
wesentliche Rolle in ihrer Beratungs- und Unterstützungstätigkeit. 79,2 Prozent gaben an, dass Maßnahmen der
betrieblichen Gesundheitsförderung und des Betrieblichen
Eingliederungsmanagements wichtige Aktivitäten für ihre
Mitglieder darstellen. Daher überrascht es nicht, dass sich
92,5 Prozent der Verbände Kooperationen mit Unternehmen vorstellen können. Dem steht aber im Weg, dass den
Selbsthilfeverbänden oftmals wichtiges Wissen über Strukturen und Ansprechpersonen im betrieblichen Gesundheitsmanagement fehlt. Vor dem Hintergrund ihrer beschränkten
personellen und finanziellen Ressourcen befürchten sie zudem, sich in punktuellen Aktionen mit geringem Mehrwert
zu verlieren.
Auf Seiten der Unternehmen besteht Bedarf, die Selbsthilfe, ihre Strukturen und Arbeitsweisen besser kennenzulernen und mehr über ihre positiven Wirkungen zu erfahren.
Interviews mit verschiedenen Akteuren des betrieblichen
Gesundheitsmanagements und der betrieblichen Gesundheitsförderung ergaben, dass die gesundheitsbezogene
Selbsthilfe vielen Verantwortlichen in den Unternehmen un-
STRUKTUREN
SCHAFFEN
Die Selbsthilfe wie auch der Betrieb sind Lebenswelten, in denen Menschen sich über
lange Zeiträume begegnen, Themen ihres Alltags besprechen und Informationen erhalten können. Von einer stärkeren Verankerung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe in der betrieblichen Gesundheitsförderung könnten alle Seiten profitieren. Voraussetzung dafür ist, dass einerseits die Verantwortlichen in den Unternehmen
mehr über die Selbsthilfe erfahren und andererseits die in der Selbsthilfe aktiven
Menschen Arbeitsstrukturen und Ansprechpartner beim betrieblichen Gesundheitsmanagement kennen.
Das Projekt „Stärkung der Rolle der Selbsthilfe im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung“ will mit dazu beitragen, Hürden und Berührungsängste auf beiden Seiten abzubauen. Seit dem Sommer 2014 fördern der BKK Dachverband und der BKK Landesverband
Bayern das bislang einmalige Vorhaben der BAG Selbsthilfe, konkrete Kooperationsformen
zwischen Selbsthilfe und Unternehmen auszuloten und mithilfe eines Handlungsleitfadens
Wege zueinander zu ebnen.
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
bekannt ist. Hier braucht es dringend mehr Öffentlichkeitsund Aufklärungsarbeit. Eine Möglichkeit könnte der Aufbau
einer Datenbank sein, in der Selbsthilfeorganisationen indikationsspezifisch ihre Angebote und Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen betrieblicher Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention transparent machen. Die
Verantwortlichen in den Unternehmen könnten so leichter
passende Angebote identifizieren und gezielt Kontakt aufnehmen. Von besonderem Interesse sind dabei aus Sicht
der betrieblichen Akteure häufig auftretende Erkrankungen
sowie Erkrankungen mit Bezug zu Arbeitsabläufen.
BETRIEBSKRANKENKASSEN ALS MULTIPLIKATOREN
Um die wesentlichen Akteure beider Seiten miteinander
zu vernetzen, braucht es Multiplikatoren. Mit ihren langjährigen Erfahrungen sowohl in der betrieblichen Gesundheitsförderung als auch hinsichtlich gesundheitsbezogener
Selbsthilfe können die Betriebskrankenkassen und der
BKK Dachverband wichtige Bindeglieder sein. Neben Krankenkassen kommen Rentenversicherungsträger – vor allem
bei Maßnahmen zur Wiedereingliederung –, arbeitsmedizinische Berufsverbände oder spezielle Unternehmensnetzwerke wie das Deutsche Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung als Multiplikatoren infrage.
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SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
BERÜHRUNGSPUNKTE FÜR KOOPERATIONEN
GESUNDHEITSZIRKEL UND
ARBEITSGRUPPEN
Punktuelle Hinzuziehung
von Selbsthilfe-Vertretern
zu Gesundheitszirkeln und
gesundheitsbezogenen
Arbeitsgruppen als Berater
© Maskot/Corbis
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SELBSTHILFE-ANGEBOTE
IN DER BETRIEBLICHEN
GESUNDHEITSFÖRDERUNG
• Einbeziehung von
Angeboten, die auch NichtBetroffene ansprechen:
Tests, Screenings,
Schulungen, Fortbildungen
für Gesundheitspromotoren
und Multiplikatoren
•Krankheitsspezifische
Angebote für Betroffene
(bei hohen Fallzahlen
im Unternehmen):
Funktionstrainings,
spezielle Bewegungsübungen
GESUNDHEITSTAGE
ANALYSE UND
BERATUNG
GESUNDHEITS­
PROMOTOREN
Informationstage für Mitarbeiter
zu Gesundheitsthemen oder
speziellen Krankheitsbildern
unter Einbeziehung von
Selbsthilfegruppen:
• Information über
spezifische Erkrankungen
sowie Behandlungs- und
Präventionsmöglichkeiten,
Durchführung von Tests und
Beratungen, Vorträge
• Gesundheitstag zum
Thema Selbsthilfe –
Selbsthilfeorganisationen
und -gruppen aus der
Region stellen sich vor:
Informationsstände und
-materialien, Vorträge,
Angebote vor Ort
Einbeziehung von SelbsthilfeVertretern in betriebsinterne
Analyseprozesse zur
Berücksichtigung der
Betroffenenperspektive sowie
als Berater:
• Analyse des Ist-Zustands
• Entwicklung von
Lösungsansätzen und
Maßnahmen
• Verhältnis- und
Verhaltensprävention
•Arbeitsbewältigungsanalysen
• Gewinnung von
Mitarbeitern mit
Selbsthilfe-Erfahrung als
Gesundheitspromotoren
durch gezielte
Mitarbeiterbefragungen
•Inanspruchnahme
von Schulungs- und
Fortbildungsangeboten der
Selbsthilfeorganisationen
für Gesundheitspromotoren
BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
BETRIEBLICHES
EINGLIEDERUNGS­
MANAGEMENT
• Information erkrankter
Mitarbeiter über Unterstützungsangebote der Selbsthilfe bereits im Vorfeld des
Wiedereingliederungs­
prozesses
• Selbsthilfevertreter auf
Wunsch als Begleitung an
der Seite der Betroffenen
im Rahmen des BEMProzesses gewinnen
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SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
PRAXISHILFE
PSYCHISCH KRANK
IM JOB
Hrsg.: BKK Dachverband,
Bundes­verband der
Angehörigen psychisch
Kranker
3. überarbeitete Auflage
2015
online verfügbar unter:
www.bkk-dachverband.
de/gesundheit/
gesundheitsfoerderung/
psychisch-krank-im-job
UMGANG MIT PSYCHISCH KRANKEN MITARBEITERN
VORURTEILE
ABBAUEN
Psychische Erkrankungen werden heute häufiger erkannt und diagnostiziert. Nach
wie vor ist das Leiden an einer psychischen Störung für die Betroffenen vielfach
schambesetzt und löst bei Menschen in ihrer Umgebung Verunsicherung aus. Dabei
können Störungen der Wahrnehmung, des Denkens, des Fühlens und der sozialen
Beziehungen grundsätzlich bei allen Menschen auftreten.
© moodboard/Corbis
Es gibt eine Reihe ganz unterschiedlicher Ursachen für psychische Erkrankungen. Neben
biologischen Veranlagungen, psychologischen Einflüsse oder sozialen Aspekte können
auch Stress und dauerhafte Überlastung am Arbeitsplatz Auslöser sein. Für die gesundheitsförderliche Gestaltung des Arbeitsplatzes einerseits und den Umgang mit psychisch
erkrankten Mitarbeitern andererseits müssen Führungskräfte in Unternehmen für die Ursachen und Erscheinungsformen psychischer Störungen sensibilisiert werden.
RATGEBER FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS
Die Praxishilfe „Psychisch krank im Job“ bildet den zweiten Baustein des Kooperationsprojekts. Sie richtet sich an Führungskräfte, aber auch an Beschäftigte, an Betroffene sowie
deren Kollegen. Ziel ist es, das Verständnis für die verschiedenen psychischen Störungen
zu fördern und so Vorurteile und Ängste abzubauen. Fundierte Hintergrundinformationen,
weiterführende Literaturempfehlungen, Ratschläge und Checklisten für die betriebliche
Praxis sind entlang der vier Handlungsfelder Verstehen, Vorbeugen, Erkennen und Bewältigen gegliedert. Betroffene kommen darin selbst zu Wort, schildern das eigene Erleben
der Krankheit und die damit verbundenen Schwierigkeiten bei der Arbeit. Die Broschüre
erschien erstmals 2006 und steht nun in einer dritten überarbeiteten Auflage gedruckt wie
auch online zur Verfügung.
SELBSTHILFE SCHULT UNTERNEHMEN
Bereits seit 2002 bietet ein Projekt, das die Familien-Selbsthilfe Psychiatrie gemeinsam
mit den Betriebskrankenkassen ins Leben gerufen hat, Unternehmen Hilfestellung im Umgang mit psychisch erkrankten Mitarbeitern. Ein Baustein ist eine eigens für Vorgesetzte
und Personalverantwortliche entwickelte Schulungs- und Informationsveranstaltung. Etwa
einen halben Tag lang werden die Führungskräfte von Vertretern der Selbsthilfe – speziell geschulten Angehörigen psychisch kranker Menschen – über Krankheitsbilder, deren
Auswirkungen auf Alltagsbewältigung und Arbeitsleben sowie Therapiemöglichkeiten informiert. Anhand des H-I-L-F-E-Konzepts lernen die Schulungsteilnehmer, wie sie adäquat mit
Betroffenen umgehen und sie unterstützen können.
BUNDESVERBAND DER ANGEHÖRIGEN
PSYCHISCH KRANKER E. V. (BAPK)
FAMILIEN-SELBSTHILFE PSYCHIATRIE
Dr. rer. medic. Caroline Trautmann
Geschäftsführerin
Oppelner Straße 130
53119 Bonn
(0228) 71 00 24 00
[email protected]
www.psychiatrie.de/familienselbsthilfe
H-I-L-F-E EINE HANDLUNGSEMPFEHLUNG FÜR FÜHRUNGSKRÄFTE
Hinsehen: auf einander achten, psychische Belastungen wahrnehmen
Initiative ergreifen: beobachtetes Verhalten offen ansprechen
Leitungsfunktion wahrnehmen: Erwartungen nennen, Eigenverantwortung stärken
Führungsverantwortung: fördern und fordern
Experten hinzuziehen: Beratungsstellen, Psychotherapeuten, Betriebsärzte u. a.
20
BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
21
SELBSTHILFE IM BETRIEB
SELBSTHILFE IM BETRIEB
STEIGERUNG DES UNFALLRISIKOS
UNTER ALKOHOLEINFLUSS
x 16
x 9,5
x 6,5
DEUTSCHE HAUPTSTELLE
FÜR SUCHTFRAGEN E. V.
(DHS)
Gabriele Bartsch
stellv. Geschäftsführerin
Westenwall 4
59065 Hamm
(02381) 90 15 30
[email protected]
www.dhs.de
x 4,5
x 3,0
x 2,0
© Hiya Images/Corbis
0,0 ‰
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1,2 ‰ 1,5 ‰
BETRIEBLICHE SUCHTHILFE UND SUCHTSELBSTHILFE
KOLLEGIAL BERATEN
Sucht und der riskante Konsum psychotroper Substanzen spielen in allen Bereichen unserer Gesellschaft eine
Rolle – so auch in der Arbeitswelt. Viele Betriebe stellen
sich dieser Problematik mit eigens entwickelten Konzepten zur Prävention, Intervention und Wiedereingliederung. Kooperationen mit der Suchtselbsthilfe sind
dabei oftmals ein fester Bestandteil.
vom Vorabend oder ein Geburtstagsumtrunk auf der Arbeit
können Schäden für den Einzelnen und den Betrieb nach
sich ziehen. Viele Betriebe regeln deshalb im Rahmen von
Betriebsvereinbarungen den Umgang mit alkoholisierten
Personen sowie mit Alkoholkonsum am Arbeitsplatz.
Insbesondere in größeren Betrieben mit hohen Mitarbeiterzahlen werden interne Suchtpräventionsprogramme als
wichtig erachtet. Diese rücken vor allem den Konsum von
Alkohol in den Fokus. Aufgrund der freien Verfügbarkeit und
der allgemeinen gesellschaftlichen Akzeptanz gehört das
Trinken alkoholischer Getränke für viele zum Alltag. Neben
den langfristigen negativen gesundheitlichen Folgen beeinträchtigt Alkohol auch bereits kurzfristig die Konzentrationsund Leistungsfähigkeit, das Unfallrisiko steigt. Dabei ist
nicht erst die Abhängigkeit problematisch. Auch Restalkohol
Betriebliche Suchtpräventionsprogramme beinhalten eine
Vielzahl von Aktivitäten, Maßnahmen und Regelungen.
Sie umfassen vier Säulen: Prävention, Intervention, Beratung und Hilfe sowie Einbindung in betriebliche Strukturen,
darunter Betriebliches Gesundheits- und Eingliederungsmanagement. Kooperationen mit der Suchtselbsthilfe können in allen vier Feldern zum Tragen kommen. Ihre Stärken liegen besonders in der Beratung und Unterstützung.
Neben professionellen hauptamtlichen Suchtberatern oder
Suchthelfern werden deshalb häufig auch nebenamtliche
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BETRIEBLICHE SUCHTHELFER AUS DER SELBSTHILFE
BKK und Selbsthilfe 2015
Ansprechpartner einbezogen. Dabei muss vorab geklärt
sein, welche Rolle diese im Betrieb einnehmen sollen: Stehen sie der Betriebsleitung bei der Entwicklung von Maßnahmen beratend zur Seite oder sollen sie betroffene Mitarbeiter unterstützen? Nur so kann notwendiges Vertrauen
aufgebaut werden.
Beratung und Unterstützung sind vor, während, aber auch
nach einer Behandlung problematischen Konsumverhaltens
von zentraler Bedeutung. Gleichbetroffene Kollegen, die bereits einen Ausweg gefunden haben, erfahren als Ansprechpartner meist eine hohe Akzeptanz. Sie wissen, was es
bedeutet abhängig zu sein, und kennen darüber hinaus das
betriebliche Umfeld. Aus eigener Erfahrung können sie Hilfen
und Behandlungsmöglichkeiten empfehlen und in schwierigen Situationen zur Abstinenz motivieren. Für ihre wichtige
Tätigkeit werden betriebliche Suchthelfer speziell geschult.
Die Fortbildungen bieten neben professionellen Ausbildungsinstituten auch viele Organisationen der Sucht-Selbsthilfe an.
BKK und Selbsthilfe 2015
BERATEN, NICHT BEHANDELN
Vor dem Hintergrund zunehmender psychischer Fehl­­
belastungen am Arbeitsplatz rücken neben sucht­
spezifischen Problemen auch andere psychische oder
psychosomatische Störungen in den Fokus der betrieb­
lichen Gesundheitsförderung. Suchthelfer verstehen sich
heute mehr und mehr als kollegiale Ansprechpartner.
Als solche verfügen sie über ein Grundwissen über
psychosomatische Erkrankungen sowie Persönlichkeits- und
Abhängigkeitsstrukturen. Sie kennen das betriebsinterne
und externe Hilfeangebot und sind in motivierender
Gesprächsführung geschult. Doch sie wissen auch um ihre
Grenzen, denn sie sind keine Behandelnden.
23
PROJEKTE
PROJEKTE
DIE IN-GANG-SETZER ZIEHEN BILANZ
SELBSTHILFE
AKTIVIEREN
Das Projekt In-Gang-Setzer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes NRW existiert bereits seit mehr als acht
Jahren. Ebenso lange währt die finanzielle Förderung des BKK Landesverbandes Nordwest sowie des BKK Dachverbandes. Die Bilanz kann sich sehen lassen.
Mit dem Ziel der Selbsthilfe-Aktivierung wurde das In-GangSetzer-Projekt 2007 ins Leben gerufen. Neue Selbsthilfegruppen können während der Startphase Unterstützung
von erfahrenen und eigens geschulten Selbsthilfe-Aktivisten bekommen. Durch die konstruktive und empathische
Begleitung der Gruppengründung soll Überforderung und
Frustration auf Seiten der Neugründer vorgebeugt werden. Am themenbezogenen Austausch beteiligen sich die
In‑Gang-Setzer aber bewusst nicht. Auch die gemeinsame
Betroffenheit wird vermieden. Denn nach durchschnittlich
drei bis vier begleiteten Treffen sollen neugegründete Gruppen auf eigenen Beinen stehen können.
IN-GANG-SETZER IN ACHT BUNDESLÄNDERN AKTIV
Die Anwerbung, Auswahl, Begleitung und Vermittlung
der In-Gang-Setzer erfolgt über die Selbsthilfekontaktstellen. Die 32-stündige Schulung liegt in der Verantwortung
der Projektleitung. Zu Projektbeginn beteiligten sich acht
Selbsthilfekontaktstellen. Mittlerweile sind es mehr als 30
aus acht Bundesländern. Für immer mehr Kontaktstellen ist
der Einsatz von In-Gang-Setzern zu einem unverzichtbaren
Bestandteil ihrer Arbeit geworden.
Gemeinsam haben Kontaktstellen und In-Gang-Setzer in
den letzten Jahren Beachtliches geleistet: 594 In-Gang-Setzungen wurden im Zeitraum von 2008 bis 2014 auf den
Weg gebracht. 2015 kamen viele weitere hinzu. (Die genauen Zahlen lagen noch nicht vor.) Zum Zeitpunkt der Do-
24
© John Smith/Corbis
kumentation waren 55 Prozent der In-Gang-Setzungen erfolgreich abgeschlossen. Das heißt, die Gruppen trafen sich
noch sechs Monate nach der Begleitung eigenständig weiter. 26 Prozent wurden zu dieser Zeit noch begleitet. Aus
19 Prozent der In-Gang-Setzungen gingen keine stabilen
Gruppen hervor. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Manchmal finden in einer Region nicht genügend Gleichbetroffene
zusammen.
HOHE NACHFRAGE BEI PSYCHISCHEN STÖRUNGEN
Zu 82 Prozent wurden Selbsthilfegruppen von direkt Betroffenen bei der Gründung unterstützt. In 15 Prozent der Fälle
galt die Begleitung Angehörigengruppen. Das Themenspektrum ist so weit wie die Selbsthilfe insgesamt. Ein quantitativer Schwerpunkt lag auf dem Themenfeld psychische
Erkrankungen, insbesondere Depressionen. 43 Prozent der
In-Gang-Setzungen zwischen 2008 und 2014 kamen Selbsthilfegruppen für psychisch erkrankte Menschen oder deren
Angehörige zugute. Mit 33 Prozent folgten chronische Erkrankungen und Behinderungen.
WEITERENTWICKLUNG DURCH PARTIZIPATION
Nach einer intensiven Vorbereitung auf die anspruchsvolle
Tätigkeit werden die In-Gang-Setzer durch Einzelgespräche,
moderierte Austauschtreffen und Workshops kontinuierlich
begleitet. Dabei stehen Selbstreflexion und Qualifizierung
BKK und Selbsthilfe 2015
IN-GANG-SETZER
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband
Nordrhein-Westfalen
Andreas Greiwe
Leiter der Fachgruppe Selbsthilfe/-Kontaktstellen
Friedrichstraße 2
48282 Emsdetten
(02572) 95 35 66
[email protected]
www.in-gang-setzer.de
BKK und Selbsthilfe 2015
im Vordergrund. Die Projektmitarbeiter nutzen ihrerseits
die Erfahrungen aus der Praxis der Gruppenbegleitungen
für die konzeptionelle Weiterentwicklung des Projekts.
Insbesondere in überregionalen Workshops zeichnen sich
Unterschiede, Gemeinsamkeiten, wiederkehrende Muster
und lokale Besonderheiten ab. Es entsteht ein lernendes
System.
Die regelmäßigen Treffen mit anderen In-Gang-Setzern
wirken darüber hinaus motivierend. Innere Konflikte und
­Ängste können offen angesprochen und mit der Gruppe
geteilt werden. – Werde ich meiner Rolle als In-Gang-Setzer gerecht? Gelingt es mir, die Gruppenmitglieder zu aktivieren? Gebe ich rechtzeitig Aufgaben ab, wenn Gruppenmitglieder zunehmend selbst aktiv werden? Wann und wie
soll ich mich verabschieden? – Diese und ähnliche Fragen
beschäftigen die Ehrenamtlichen immer wieder. Die Schulungen, deren Inhalte beständig erweitert werden, sollen
diese Themen so gut wie möglich auffangen und Hilfen
geben – offenbar mit Erfolg. Nach ihren Erfahrungen befragt, antworteten aktive In-Gang-Setzer: „Ich weiß nun,
dass jede Gruppe anders ist und es von vielen Faktoren
abhängt, ob eine Gruppe weiter besteht.“ – „Ich bin selbstbewusster geworden und kann dadurch Gruppen mehr Sicherheit geben.“ Am Ende steht immer der Abschied von
einer Gruppe, der zugleich als Erfolg der In-Gang-Setzung
gewertet werden kann: „Ich freue mich, wenn Gruppen
mich einladen zu bleiben, aber ich freue mich noch mehr,
wenn sie selbstständig weitergehen.“
25
PROJEKTE
PROJEKTE
ALLE ANDERS, ALLE GLEICH
In Bremen ist unlängst das Projekt „Initiierung von Selbsthilfegruppen bei Menschen mit
geistiger Behinderung“ angelaufen. Immer wieder gab es bei der Selbsthilfekontaktstelle
Bremen Rückmeldungen aus Suchtselbsthilfegruppen, dass dort Menschen mit geistiger
Behinderung dazustießen. Meist kamen sie aber nach einmaligem Besuch nicht wieder.
Das Potenzial für Suchtgefährdung wird bei Menschen mit geistiger Behinderung, genauso
wie bei der Restbevölkerung, auf ca. sechs bis sieben Prozent geschätzt. Nach einer Umfrage in bestehenden Gruppen beschlossen die Selbsthilfekontaktstelle Bremen, der Martinsclub und das Gesundheitsamt der Stadt ein Modellprojekt durchzuführen. „Es war Zeit,
dieses Potenzial zu nutzen und entsprechende Strukturen zu initiieren und zu begleiten“, so
die Selbsthilfekontaktstelle Bremen.
Drei Gruppen sollen innerhalb des Modellprojekts initiiert werden. Die erste Gruppe trifft
sich seit Anfang November. Die Liste für den nächsten Gruppenstart füllt sich bereits, sie
soll im Januar starten. Die Atmosphäre der Sitzungen wird schon jetzt als offen, kommunikativ, ehrlich und verlässlich geschildert. Die Inhalte sind ganz ähnlich wie in anderen
Selbsthilfegruppen auch – Wie kann ein Leben ohne Alkohol funktionieren? Anders hingegen verlief die Kommunikation des Angebots. Die Interessierten wurden über die Kooperation mit erfahrenen Trägern der Behindertenhilfe gewonnen, die Kontakte vermittelten oder
das Angebot weiterleiteten.
Das Projekt könnte Schule machen. Die Sammlung der Erfahrungen in einem Handbuch
und die Einbeziehung weiterer Selbsthilfekontaktstellen soll es anderen einfacher machen,
ähnliche Projekte anzustoßen. Der Weg für Menschen mit geistigen Behinderungen in die
Suchtselbsthilfe ist ein gutes Stück leichter geworden.
HILFSMITTEL FÜR DIE SELBSTHILFE
Eine App für mobile Geräte soll Suchtkranke in ihrem Alltag unterstützen. Nach der Behandlung einer Abhängigkeit liegt die größte Herausforderung in der Rückfallprävention sowie
im Umgang mit der veränderten Lebenssituation. Als Unterstützung der Selbsthilfearbeit
ist das Smartphone hier als immer greifbares Medium besonders geeignet, denn Situationen mit hoher Rückfallgefahr treten oft unvorhergesehen auf. Ein solches, den gängigen
Qualitätsstandards für Gesundheits-Apps entsprechendes Angebot, gibt es bisher nicht.
Deshalb hat die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. mit der Entwicklung dieses innovativen Hilfsmittels begonnen. Die App ist als Unterstützung der suchtbezogenen Selbsthilfearbeit gedacht. Neben einigen Funktionen, die bei Treffen genutzt werden können, soll
die App vor allem zwischen den Gruppentreffen helfen, nicht rückfällig zu werden. Ein
Selbsttest soll beispielsweise die Auseinandersetzung mit Auslösern und Bewältigungsstrategien für sogenanntes Craving, dem intensiven Verlangen nach einer Substanz, fördern. Auch virtuelle Motivationskarten zu unterschiedlichen Themen werden zur Verfügung
stehen. Ein integriertes Organisationstool erinnert den Nutzer an Treffen der Selbsthilfegruppe, an Substitutions- oder Arzttermine. Meilensteine und das Sammeln von Sternen
machen erfolgreiche Abstinenz sichtbar und geben moralische Unterstützung durch animierte Botschaften. Nach und nach kann die App mit persönlichen Inhalten gespeist werden. Aus Datenschutzgründen werden Inhalte nur auf dem eigenen Gerät gespeichert. Das
Angebot wird kostenlos und werbefrei verfügbar sein.
© Rob Lewine/Corbis
»Eine App soll zwischen den Gruppentreffen helfen,
nicht rückfällig zu werden. «
NEUE ANSÄTZE IN DER SUCHTSELBSTHILFE
GEMEINSAM
UNABHÄNGIG
INITIIERUNG VON SELBSTHILFEGRUPPEN BEI
MENSCHEN MIT GEISTIGER BEHINDERUNG
Netzwerk Selbsthilfe Bremen-Nordniedersachsen e. V.
Sabine Bütow
Geschäftsführerin
Faulenstr. 31
28195 Bremen
(0421) 70 45 81
[email protected]
www.netzwerk-selbsthilfe.com
Suchtselbsthilfegruppen sind für viele Betroffene eine zentrale Institution auf ihrem
Weg in ein neues Leben. Oft schaffen es Betroffene nicht aus eigener Kraft, den Teufelskreis der Abhängigkeit zu durchbrechen. Die Gruppe bietet den Mitgliedern die
Möglichkeit, offen und auf Augenhöhe über Erfahrungen zu sprechen. Gemeinsam
können dann Lösungsstrategien entwickelt werden. Die Selbsthilfeorganisationen
arbeiten nun seit einiger Zeit daran, die Zugänge zur Selbsthilfe in diesem Bereich zu
erleichtern – gerade auch für bisher unterrepräsentierte Zielgruppen.
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
ENTWICKLUNG EINER
SUCHT-SELBSTHILFE-APP
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS)
Gabriele Bartsch
stellv. Geschäftsführerin
Westenwall 4
59065 Hamm
(02381) 90 15 30
[email protected]
www.dhs.de
27
PROJEKTE
PROJEKTE
ZWEI NEUE ARBEITSHILFEN
Es sind Fragen, die immer wieder auftauchen: Wie konstituiert sich eine Selbsthilfegruppe? Wie kommt sie zu einem gemeinsamen Selbstverständnis? Was sind Möglichkeiten der
Gruppe, mit veränderter Zusammensetzung oder sich verschiebenden Schwerpunkten umzugehen? Oder wie kann
den Erwartungen Außenstehender begegnet werden? Die
„Arbeitshilfe für Selbsthilfegruppen“ will Antworten geben.
NAKOS, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur
Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen hat wiederkehrende Fragen erfasst und Hilfestellungen e
­ rarbeitet.
Darüber hinaus sind für viele Gruppen die ä­ ußeren Rahmenbedingungen ihres Engagements relevant. Deshalb wird in
der Arbeitshilfe auch auf recht­liche und finanz­wirtschaftliche
Aspekte der Selbsthilfearbeit eingegangen. Die Praxishilfe
„Junge Selbsthilfe“ verschafft einen Überblick über erprobte
Ansätze, junge Menschen für die Selbsthilfe zu aktivieren.
Beide Broschüren werden 2016 ­erscheinen – eine wichtige
Unterstützung für die Aktiven in der Selbsthilfe.
DIGITALE INFRASTRUKTUR, BERATUNG UND QUALIFIZIERUNG
HILFE FÜR DIE
SELBSTHILFE
Wie kann die Selbsthilfe in Deutschland kontinuierlich gestärkt werden, damit sie
weiterhin den vielfältigen Anforderungen gerecht wird? Einige große und viele lokale und themenbezogene Organisationen und Kontaktstellen sind genau mit dieser
Frage befasst. Dieses Netz von Akteuren stellt den Gruppen vor Ort die nötige Infrastruktur aus Bildungs- und Beratungsangeboten, wissenschaftlichen Studien, konkreten Arbeitshilfen, politischer Interessenvertretung und breit angelegter Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung.
BAG SELBSTHILFE E. V.
Sonja Liebherr
Projektleiterin (Büro Berlin)
Isländische Straße 18
10439 Berlin
(0211) 310 06-55
[email protected]
www.bag-selbsthilfe.de
NAKOS
Dr. Jutta Hundertmark-Mayser
stellv. Geschäftsführerin
Otto-Suhr-Allee 115
10585 Berlin
(030) 31 014 89 60
[email protected]
www.nakos.de
„LERNORT SELBSTHILFE“ UND „LERNORT LIGHT“
Der „Lernort Selbsthilfe” ist ein bereits etabliertes Bildungs- und Beratungsprogramm
für Selbsthilfe-Aktive und gehört zu den zentralen Projekten der Betriebskrankenkassen.
Es wurde 2010 von der BAG Selbsthilfe in enger Zusammenarbeit mit Selbsthilfeorgani­
sationen ins Leben gerufen. Das Angebot soll den Organisationen und ihren Aktiven Handwerkszeug vermitteln, Selbstreflexion und Veränderungsfähigkeit in ihrer Praxis zu verankern – durch Bildung. Das ist eine komplexe Angelegenheit. Für einige Organisationen war
der finanzielle, personelle und organisatorische Aufwand nicht zu stemmen. Unter dem Arbeitstitel „Lernort light“ soll daher nun eine schlankere Variante des erfolgreichen Konzepts
mehr Verbänden die Teilnahme ermöglichen. Drei Workshops sind vorgesehen. In den auf
die jeweiligen Organisationen zugeschnittenen Workshops soll auf Change M
­ anagement,
Diversity Management, Burnout-Prävention, Partizipation und Nachfolge sowie spezifische
Anliegen eingegangen werden. Der Aufwand hält sich für die Beteiligten durch die Konzentration auf die Workshops zeitlich, organisatorisch und finanziell in Grenzen und befördert
gezielt ein adäquates Veränderungsmanagement.
SELBSTHILFE(GRUPPEN) ONLINE
Das Internet hält für die Selbsthilfe eine Reihe von Chancen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben
bereit. Allerdings bedarf es eines professionellen Umgangs, da es sich oft um sensible Daten
handelt. Die BAG Selbsthilfe hat die Erstellung einer Selbsthilfe-Online-Plattform auf den Weg
gebracht – ein Anliegen, das auch seitens des BKK Dachverbandes als sehr wichtig erachtet
wird. Darüber können sich Selbsthilfeverbände im Internet austauschen – leicht zu handhaben, barrierefrei und sicher. Unabhängig von Raum und Zeit soll die Möglichkeit bestehen,
in geschlossenen und versteckten Gruppenforen zu kommunizieren. Außerdem können die
Organisationen E-Mail- und Chatberatungen einrichten. Die erfolgreiche Implementierung
der Online-Plattform wird eine umfassende Bereicherung für die Selbsthilfearbeit darstellen.
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© moodboard/Corbis
BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
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ANHANG
ANHANG
ÜBERSICHT DER 2015 GEFÖRDERTEN SELBSTHILFEEINRICHTUNGEN AUF BUNDESEBENE
AGS – Eltern- und
Patienteninitiative e. V.
Allianz Chronischer Seltener
Erkrankungen (ACHSE) e. V.
Arbeitsgemeinschaft
Allergiekrankes Kind e. V. (AAK)
BAG SHG
BSD – Bundesverband Schlafapnoe
und Schlafstörungen Deutschland
e. V.
Bundesverband ADHS
Deutschland e. V.
Bundesverband Angeborene
Gefäßfehlbildungen e. V.
Bundesverband Auge e. V.
Bundesverband für die
Rehabilitation der Aphasiker e. V.
Bundesverband GlaukomSelbsthilfe e. V.
Bundesverband Herzkranke
Kinder e. V.
Bundesverband Kinderrheuma e. V.
Bundesverband Neurofibromatose/
Von Recklinghausen Gesellschaft
e. V.
Bundesverband PsychiatrieErfahrener (BPE) e. V.
Bundesverband SchädelHirnpatienten in Not e. V.
Bundesverband Selbsthilfe
Körperbehinderter e. V. (BSK)
Bundesverband Verwaiste Eltern
und trauernde Geschwister in
Deutschland e. V.
Bundesvereinigung der Eltern
blinder und sehbehinderter Kinder
e. V. (BEBSK)
Bundesvereinigung SeHT e. V.
Bundesvereinigung Stottern &
Selbsthilfe e. V. (BVSS)
BV der Elternkreise
suchtgefährdeter und suchtkranker
Söhne und Töchter e. V.
Der Paritätische NRW
Deutsche Alzheimer Gesellschaft
e. V.
Deutsche DepressionsLiga e. V.
Deutsche Dystonie Gesellschaft e. V.
Deutsche Gesellschaft der
Hörgeschädigten – Selbsthilfe und
Fachverbände e. V.
Deutsche Gesellschaft für bipolare
Störungen e. V.
Deutsche Gesellschaft für
Muskelkranke e. V. (DGM)
Deutsche HörbehindertenSelbsthilfe e. V. (DHS)
Deutsche ILCO e. V. Bundesverband
Deutsche Leberhilfe e. V.
Deutsche Multiple Sklerose
Gesellschaft (DMSG)
Bundesverband e. V.
Deutsche Myasthenie Gesellschaft
e. V. (DMG)
Deutsche Parkinson Vereinigung
e. V. (dPV)
Deutsche Rheuma-Liga
Bundesverband e. V.
Deutsche Sauerstoffliga e. V. (LOT)
Deutsche Tinnitus-Liga e. V. (DTL)
Deutscher Blinden- und
Sehbehindertenverband e. V.
(DBSV)
Deutscher Frauenbund für
alkoholfreie Kultur e. V.
Deutscher Guttempler-Orden
(I.O.G.T.) e. V.
Deutscher Schwerhörigenbund
e. V. (DSB)
DHS Deutsche Hauptstelle für
Suchtfragen
KONTAKTE UND ANSPRECHPARTNER DER BKK
dsai - Deutsche Selbsthilfe
Angeborene Immundefekte e. V.
Dt. Interessengemeinschaft
Phenylketonurie und verwandte
Stoffwechselstörungen e. V.
Elternhilfe für Kinder mit RettSyndrom in Deutschland e. V.
Gesellschaft für
Mukopolysaccharidosen e. V.
Hämophiler e. V. (IGH)
HSO 2007 e. V. Hilfe zur Selbsthilfe
bei Onlinesucht
INTENSIVkinder zuhause e. V.
Lebenshilfe Online
Lupus Erythematodes
Selbsthilfegemeinschaft e. V.
Mukoviszidose e. V.,
Bundesverband Selbsthilfe bei
Cystischer Fibrose (CF)
NAKOS e. V.
NETZWERK Hypophysen-und
Nebennierenerkrankungen e. V.
Netzwerk Selbsthilfe
Paritätischer Gesamtverband
PCOS Selbsthilfe Deutschland e. V.
Plexuskinder e. V.
Schatten & Licht e. V.
Schilddrüsen-Liga Deutschland e. V.
Selbsthilfe Stoma-Welt e. V.
Selbsthilfegruppe Glykogenose
Deutschland e. V.
Selbsthilfevereinigung LippenGaumen-Fehlbildungen e. V.
SoMA e. V.
StadtRand Mitte
Turner-Syndrom Vereinigung e. V.
Wir pflegen, Interessenvertretung
Begleitender Angehöriger und
Freunde in Deutschland e. V.
BKK DACHVERBAND E. V.
Mauerstraße 85
10117 Berlin
Dr. Dagmar Siewerts
Tel.: (030) 27 00-406-505
[email protected]
Petra Schröer
Tel.: (030) 27 00-406-509
[email protected]
Fax: (030) 27 00-406-222
www.bkk-dv.de
BAHN-BKK
Franklinstraße 54
60486 Frankfurt am Main
Stephanie Scheuch
Tel.: (069) 770-78-166
Fax: (069) 770-7880-166
[email protected]
www.bahn-bkk.de
BKK LANDESVERBAND BAYERN
Züricher Str. 25
81476 München
Robert Wolf
Tel.: (089) 745-7917-0
Fax: (089) 745-7955-170
[email protected]
www.bkk-lv-bayern.de
BKK LANDESVERBAND
NORDWEST
Hauptverwaltung Essen
Kronprinzenstr.6
45128 Essen
Nordrhein-Westfalen
Thomas Wagemann
Tel.: (0201) 179-1608
Fax: (0201) 179-1798
thomas.wagemann@
bkk-nordwest.de
www.bkk-nordwest.de
Hamburg, Schleswig-Holstein und
Mecklenburg-Vorpommern
Kim Ebert
Süderstr. 24
20097 Hamburg
Tel.: (040) 251-505-230
Fax: (040) 251-505-236
[email protected]
www.bkk-nordwest.de
BKK LANDESVERBAND SÜD
Regionaldirektion Hessen
Stresemannallee 20
60596 Frankfurt am Main
Norbert Maus / Vera Eifert
Tel.: 07154 1316-305
Fax: 07154 1316-9305
[email protected]
[email protected]
www.bkk-sued.de
BKK LANDESVERBAND MITTE
Berlin, Brandenburg,
Sachsen-Anhalt
Armin Vogel
Mohrenstr. 9-60
10117 Berlin
Tel.: (030) 383-9071-2
Fax: (030) 383-9070-1
[email protected]
www.bkkmitte.de
Niedersachsen, Bremen
Ralf Lux
Bahnhofstr. 28-31
28195 Bremen
Tel.: (0421) 337-7719
Fax: (0421) 337-7733
[email protected]
www.bkkmitte.de
Rheinland-Pfalz und Saarland
Stefan Happ
Essenheimer Str. 126
55128 Mainz
Tel.: (06131) 33 05-42
Fax: (06131) 33 05-71
[email protected]
www.bkkmitte.de
Thüringen und Sachsen
Annett Hoyer
Pförtchenstr. 1
99096 Erfurt
Tel.: (0361) 22 46-460
Fax: (0361) 22 46-301
[email protected]
www.bkkmitte.de
Da wir nicht alle bei uns beantragten Projekte fördern können, sind wir dankbar für die große Unterstützung durch die
BKK Landesverbände und die BKK Mitglieder.
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BKK und Selbsthilfe 2015
BKK und Selbsthilfe 2015
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www.bkk-dachverband.de