Kosten, Behinderung des Privatverkehrs und einseitige Mobilisierung für Ablehnung verantwortlich Wichtigstes in Kürze Tram Region Bern Nachanalyse Studie im Auftrag der Gemeinde Ostermundigen, März/April 2015 Projektteam Urs Bieri Politik- und Medienwissenschafter Jonas Ph. Kocher Politikwissenschafter Carole Gauch Medien- und Politikwissenschafterin Stephan Tschöpe Politikwissenschafter Meike Müller Soziologin und Medienwissenschafterin Aaron Venetz Politikwissenschafter Sabrina Schüpbach Sozialwissenschafterin Johanna Schwab Sekretariat und Administration Bern, 16. Juni 2015 Copyright by gfs.bern 1 Wichtigstes in Kürze Mandat Die Gemeinde Ostermundigen beauftragte das Forschungsinstitut gfs.bern damit, eine Nachanalyse zur in Ostermundigen abgelehnten Vorlage "Tram Region Bern" vom 28. September 2014 durchzuführen. Das Forschungsinstitut gfs.bern hat dazu die Stimmberechtigten von Ostermundigen nach ihrer Stimmabgabe, deren Begründung sowie nach deren Einstellungen zu Bevölkerungswachstum und Siedlungsentwicklung befragt. Keine inhaltliche Überforderung Die Vorlage zum Gemeindekredit für das Tram Region Bern führte sichtlich nicht zu einer Überforderung: Grafik 1 Filter Meinungsbildung Tram Region Bern "Ist es bei der Abstimmung zum Projekt Tram Region Bern eher leicht oder eher schwer gewesen, sich mit den erhaltenen Informationen ein Bild zum Abstimmungsthema zu machen?" in % Stimmberechtigter der Gemeinde Ostermundigen, die an der Abstimmung teilgenommen haben eher schwer 17 weiss nicht/keine Antwort 5 eher leicht 78 © gfs.bern, Nachanalyse Tram Region Bern, März/April 2015 (n = 707) Über drei Viertel der Teilnehmenden fanden es eher leicht, sich ein Bild vom Abstimmungsthema zu machen. Gerade richtig informiert fühlten sich 68 Prozent, ein Übermass an Informationen beklagen 7 Prozent der Ostermundiger Urnengänger(innen), während 20 Prozent sich indes mehr Informationen gewünscht hätten. Über ein Viertel der Ostermundiger Urnengänger(innen) fühlte sich von den Behörden zu wenig informiert. Allerdings ist die klare Mehrheit auch diesbezüglich der Ansicht, dass die Behördeninformation im richtigen Umfang stattgefunden hat. Inhaltlich konnten die Urnengänger(innen) die Vorlage klar verorten. Starke Mobilisierung des kritischen Potenzials Die Stimmbeteiligung war mit 58.3 Prozent für Ostermundiger Verhältnisse sehr hoch. Die Vorlage hatte eine starke Mobilisierungswirkung. Ältere, Personen mit hohen Haushaltseinkommen, Personen, die nicht (mehr) berufstätig sind, solche mit Misstrauen in die Ostermundiger Politiker(innen), diejenigen mit Präferenz für die SP und jene mit einer klaren Meinung gegenüber dem Bevölkerungswachstum (hauptsächlich/eher Nachteile oder hauptsächlich/eher Vorteile) nahmen überdurchschnittlich am Urnengang teil. Politikermisstrauen, Wachstumskritik und EliteBasis-Konflikt bei bürgerlichen Parteien Die Stimmberechtigten der Gemeinde Ostermundigen lehnten am 28. September 2014 den Gemeindekredit für das Tram Region Bern mit 53.4 Prozent knapp ab. Personen, die ein Nein zum Tram Region Bern in die Urne legten sind übervertreten unter denjenigen ohne Vorliebe für eine bestimmte Partei oder mit Sympathie für die SVP. Damit gelang es insbesondere der SVP – beschränkt auch der FDP.Die Liberalen und der BDP – nicht, die eigene Wählerschaft entsprechend der Parteiparole von der Vorlage zu überzeugen: Grafik 2 Filter Abstimmungsentscheid Tram Region Bern nach Parteibindung "Wie haben Sie abgestimmt, welches war Ihr Stimmentscheid zum Projekt Tram Region Bern?" in % Stimmberechtigter der Gemeinde Ostermundigen, die an der Abstimmung teilgenommen haben abgelehnt 29 60 3 77 weiss nicht/keine Antwort leer 68 2 40 angenommen 21 SP FDP.Die Liberalen* BDP* SVP Parteiungebundene © gfs.bern, Nachanalyse Tram Region Bern, März/April 2015 (n = 707), sig. *Fallzahlen zu gering für statistisch gesicherte, quantitative Aussagen Auch Personen, die den Lokalpolitiker(inne)n eher misstrauisch gegenüberstehen, legten vermehrt ein Nein in die Urne. Eine ablehnende Haltung wurde des Weiteren durch eine Nachteilssicht hinsichtlich des Bevölkerungswachstums, sowie bezüglich der Ostermundiger Siedlungsentwicklung befördert. Zur Annahme der Vorlage kam es entsprechend signifikant häufiger unter SPSympathisierenden, Personen mit Vertrauen in die Ostermundiger Politiker(innen), denjenigen, die im Bevölkerungswachstum vorwiegend Vorteile sehen und einverstanden sind mit der Siedlungsentwicklung der Gemeinde. Kosten und befürchtete Behinderung des Privatverkehrs wirksamste Argumente Die Abbildung der Entscheidwirkung zeigt, dass vom Kostenargument die grösste Wirkung ausging. Einerseits weil das Tram generell und der Kehrtunnel im Besonderen zu teuer seien und es günstigere Alternativen als das vorgeschlagene Projekt gäbe. Für das Projekt sprechen ebenfalls Kostenargumente, nämlich, dass die Kosten der Strassensanierung sowieso anfallen und dass das Tram ein besseres KostenNutzen-Verhältnis hat als der Bus. Letzteres ist aber unter den Stimmberechtigten nur schwach verankert. Zudem wirken die Kostenargumente der Pro-Seite insgesamt schwächer als diejenigen der Contra-Seite. Dem Pro-Lager ist es zu wenig gelungen, die kostenseitigen Befürchtungen zu entkräften und die Vorteile einer gleichzeitigen Strassensanierung als Teil der Lösung zu verankern. Grafik 3 Logistische Regressionsanalyse Abstimmungsentscheid nach Argumenten, Einschätzung Bevölkerungswachstum, Haltung Siedlungsentwicklung und Politikervertrauen "Wie haben Sie abgestimmt, welches war Ihr Stimmentscheid zum Projekt Tram Region Bern?" Stimmberechtigte der Gemeinde Ostermundigen, die an der Abstimmung teilgenommen haben Ja Nein Tram behindert Privatverkehr günstigere Alternativen als Tram Bernstrasse wird durch Tram aufgewertet Kosten Strassensanierungen fallen sowieso an Pendlervolumen überlastet Buslinien Kehrtunnel zu teuer Tram besseres Kosten-Nutzen-Verhältnis Tram zu teuer für Ostermundigen Ablehnung zu: Ostermundigen verliert dörflichen Charakter Politikervertrauen © gfs.bern, Nachanalyse Tram Region Bern, März/April 2015 (n = 707), Nagelkerke's R2 =.822 Das Pro-Argument mit dem stärksten Einfluss auf die Stimmabgabe war die erhoffte Aufwertung der Bernstrasse, was allerdings unter den Teilnehmenden umstritten war. Stärker wirkte zudem die befürchtete Behinderung des Privatverkehrs, welche eine ablehnende Haltung beförderte. Das Ja wurde weiter durch die Problemwahrnehmung – die Überlastung der Busse – gestützt. Die Vorlage scheiterte somit nicht daran, dass die Stimmberechtigten die heutige Situation als unproblematisch angesehen hätten. Da das Problem bestehen bleibt, ist weiterhin die Politik gefordert. Kritische Grundhaltung gegenüber Bevölkerungswachstum Die Ostermundiger stehen dem Bevölkerungswachstum mehrheitlich kritisch gegenüber: Grafik 4 Einschätzung Bevölkerungswachstum "Aktuell spricht man in der ganzen Schweiz über Bevölkerungswachstum. Ganz generell: Sehen Sie im aktuellen Bevölkerungswachstum der Schweiz hauptsächlich Vorteile, eher Vorteile, eher Nachteile oder hauptsächlich Nachteile?" in % Stimmberechtigter der Gemeinde Ostermundigen weiss nicht/keine hauptsächlich Vorteile Antwort 3 7 hauptsächlich Nachteile 11 eher Vorteile 18 weder noch 23 eher Nachteile 38 © gfs.bern, Nachanalyse Tram Region Bern, März/April 2015 (N = 1010) Rund die Hälfte der Stimmberechtigten sieht in einem Bevölkerungswachstum (bezogen auf die Schweiz) hauptsächlich oder eher Nachteile. Gut ein Fünftel nimmt eine Vorteilssicht ein und fast ein Viertel schwankt zwischen beiden Positionen. Die Nachteilssicht wird mit wahrgenommener Überbevölkerung, Zersiedelung der Landschaft, Wohnungsknappheit und Wohndichte sowie der Ausländerproblematik begründet. Die wahrgenommenen Vorteile sind in erster Linie wirtschaftlicher Natur und werden sekundär in einer kulturellen Bereicherung sowie im steigenden Wohlstand respektive in steigenden Steuereinnahmen gesehen. In der Wahrnehmung einer Mehrheit der Ostermundiger Stimmberechtigten hat die Gemeinde nicht eine zu grosse Bevölkerung. Wer jedoch eine Überbevölkerung feststellt, nimmt diese vorwiegend im öffentlichen Verkehr oder generell auf der Strasse wahr. Damit besteht zumindest für eine nicht vernachlässigbare Minderheit ein Zusammenhang zwischen Bevölkerungswachstum und Ausbau der ÖV-Infrastruktur Siedlungsentwicklung und verdichtetes Bauen akzeptiert Die Ostermundiger Bevölkerung ist mehrheitlich mit der Siedlungsentwicklung einverstanden. Weniger als ein Drittel ist nicht einverstanden damit, wobei die dezidierte Kritik nur den kleineren Teil davon ausmacht: Grafik 5 Haltung Siedlungsentwicklung "Die Stimmberechtigten der Schweiz haben 2013 das neue Raumplanungsgesetz angenommen. Ziel des Gesetzes ist es, die Zersiedelung zu bremsen. Dies erreicht man, indem man dichter und höher baut, also beispielsweise Mehrfamilienhäuser anstatt Einfamilienhäuser mit viel Umschwung. Dafür verzichtet man darauf, immer mehr Landschaft zu Bauland umzuzonen. Auch Ostermundigen richtet sich nach diesem neuen Raumplanungsgesetz. Ganz generell: Sind Sie mit der Siedlungsentwicklung in der Gemeinde Ostermundigen sehr einverstanden, eher einverstanden, eher nicht einverstanden oder gar nicht einverstanden?" in % Stimmberechtigter der Gemeinde Ostermundigen gar nicht einverstanden 5 sehr einverstanden 15 eher nicht einverstanden 24 weiss nicht/keine Antwort 14 eher einverstanden 42 © gfs.bern, Nachanalyse Tram Region Bern, März/April 2015 (N = 1010) Die positive Sicht auf die Siedlungsentwicklung wird primär mit der Befürwortung von verdichtetem Bauen begründet. Die negative Sicht setzt sich aus zwei widersprüchlichen Ansichten zusammen: Einerseits gibt es Unzufriedene weil zu dicht gebaut wird, es zu viele Überbauungen und zu wenig Freiraum gäbe, andererseits weil zu unkontrolliert und zu wenig in die Höhe gebaut werde. Klar negativ geprägt sind die Argumente, dass Bevölkerungswachstum zu mehr Verkehr und höheren Mieten führt, Ostermundigen an Charakter verliert und nicht noch mehr Einwohner verträgt. Personen, die diese Meinungen teilen haben signifikant häufiger ein Nein zum Tram Region Bern in die Urne gelegt. Eine zweite Gruppe von Personen ist der Meinung, dass die Gemeinde sich weiterentwickeln muss um auch in Zukunft ein attraktiver Wohn- und Arbeitsort zu sein, sich durch geplantes verdichtetes Bauen und Konzentration von Bevölkerungswachstum Grünflächen und Naherholungsgebiete bewahren lassen und das Angebot ausgebaut werden kann, wodurch die Wohnqualität erhöht wird. Personen, die diese Argumente zur Siedlungsentwicklung unterstützen haben die Vorlage zum Tram Region Bern signifikant häufiger angenommen. Siedlungsentwicklung und verdichtetes Bauen hat für die Ostermundiger(innen) Grenzen: Grafik 6 Auswirkungen Siedlungsentwicklung "Siedlungsentwicklung und bauliche Verdichtung kann spürbare Auswirkungen auf die eigene Wohnsituation haben. Ich nenne Ihnen in der Folge eine Auswahl solcher Auswirkungen und Sie sagen mir bitte jeweils, ob eine solche Auswirkung für Sie persönlich problemlos akzeptierbar, eher akzeptierbar, eher nicht akzeptierbar oder auf keinen Fall akzeptierbar ist." in % Stimmberechtigter der Gemeinde Ostermundigen weniger Einfamilienhäuser 34 weniger Garten oder Hausumschwung 20 mehr Hochhäuser 11 verbauter Blick ins Grüne 10 kein eigener Parkplatz problemlos akzeptierbar 35 18 weniger Wohnfläche Einschränkung Privatsphäre 46 14 18 eher akzeptierbar 19 36 6 32 8 weiss nicht/keine Antwort 19 33 5 35 eher nicht akzeptierbar 5 14 26 8 9 26 5 29 14 8 5 32 25 6 24 34 31 auf keinen Fall akzeptierbar © gfs.bern, Nachanalyse Tram Region Bern, März/April 2015 (N = 1010) Dass dadurch weniger Einfamilienhäuser gebaut werden und dass man weniger Garten oder Umschwung hat, ist für eine klare Mehrheit akzeptierbar. Der Bau von mehr Hochhäusern ist umstritten. Ablehnend sind die Ostermundiger Bürger(innen) gegenüber Einschränkungen in ihrer Wohnfläche oder dem Ausblick und besonders der Verzicht auf einen eigenen Parkplatz oder die Einschränkung der Privatsphäre kommt nicht in Frage. Die Ostermundiger(innen) lassen sich aufgrund der Akzeptanz respektive NichtAkzeptanz von potentiellen Auswirkungen der Siedlungsentwicklung in vier Gruppen einteilen. Dabei gilt grundsätzlich: Je mehr Einschränkungen man bereit ist in Kauf zu nehmen, desto eher wird die Ostermundiger Siedlungsentwicklung als befriedigend wahrgenommen. Datenbasis Die Ergebnisse der Befragung "Nachanalyse Tram Region Bern" basieren auf einer repräsentativen Befragung von 1'010 Stimmberechtigten aus der Gemeinde Ostermundigen durch gfs.bern. Die Befragung wurde zwischen dem 30. März und 11. April 2015 telefonisch durchgeführt. Um Aussagen sowohl zu den Abstimmungsteilnehmenden als auch zu den themeninteressierten Nicht-Teilnehmenden zu erhalten, wurden rund 707 Abstimmungsteilnehmende und 301 Nicht-Teilnehmende befragt. (Zwei Personen haben auf die Frage nach der Abstimmungsteilnahme die Antwort verweigert.) Der resultierende Datensatz wurde nach den realen Verhältnissen rund um Teilnahme und Stimmabgabe gewichtet. Die statistischen Fehler bei der Stichprobengrösse für die jeweiligen befragten Gruppen betragen: Tabelle 1 Stichprobenfehler Ausgewählte statistische Stichprobenfehler nach Stichprobengrösse und Basisverteilung Stichprobengrösse N= N= N= N= 1'000 700 100 50 Fehlerquote Basisverteilung 50% zu 50% ± 3.2 Prozentpunkte ± 3.8 Prozentpunkte ± 10.0 Prozentpunkte ± 14.0 Prozentpunkte 20% zu 80% ± 2.5 Prozentpunkte ± 3.0 Prozentpunkte ± 8.1 Prozentpunkte ± 11.5 Prozentpunkte Lesebeispiel: Bei rund 1'000 Befragten und einem ausgewiesen Wert von 50 Prozent liegt der effektive Wert zwischen 50 Prozent ± 3.2 Prozentpunkte, bei einem Basiswert von 20 Prozent zwischen 20 Prozent ± 2.5 Prozentpunkte. Dabei setzt man in der Umfrageforschung zumeist ein Sicherheitsmass von 95 Prozent, das heisst man akzeptiert eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 Prozent, dass der nachgewiesene statistische Zusammenhang so in der Bevölkerung nicht vorhanden ist. © gfs.bern Um Fehlinterpretationen zu minimieren, nehmen wir keine Subgruppenanalysen unter n = 50 Fällen vor. Bei der Datenanalyse haben wir unter anderem die (logistische) Regressionsanalyse verwendet. Die Regressionsanalyse klärt den Einfluss eines Variablensets auf eine weitere Variable. Das ist beispielsweise der Fall, wenn man den Einfluss von Argumenten auf den Stimmentscheid klären will. gfs.bern ag Hirschengraben 5 Postfach CH – 3001 Bern Telefon +41 31 311 08 06 Telefax +41 31 311 08 19 [email protected] www.gfsbern.ch Das Forschungsinstitut gfs.bern ist Mitglied des Verbands Schweizer Markt- und Sozialforschung und garantiert, dass keine Interviews mit offenen oder verdeckten Werbe-, Verkaufs- oder Bestellabsichten durchgeführt werden. Mehr Infos unter www.schweizermarktforschung.ch
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