Die Noten kommen an dritter Stelle

FRICKTAL 27
AARGAUER ZEITUNG
MITTWOCH, 20. MAI 2015
«Die Noten kommen an dritter Stelle»
Berufslehre Drei Bäcker und eine Lernende sagen, warum die Lehre auch für gute Schüler eine Option sein sollte
VON NADINE BÖNI
Herr Maier, wie attraktiv ist Ihr Beruf?
Roman Maier: Sehr attraktiv! Wir üben
ein Handwerk aus, das in der Schweiz einzigartig ist und eine sehr gute Ausbildung
gewährleistet. Eine Ausbildung, die auch in
einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld eine Chance bietet auf dem Arbeitsmarkt.
Markus Kunz: Ausserdem können wir
kreativ sein, wir können handwerklich etwas fertigen – und vor allem: Wir können
unseren Kunden tagtäglich eine Freude
machen. Stehen Sie einmal in den Verkauf
und sehen Sie, wie eine Mutter mit ihrem
Kind eine Geburtstagstorte abholt. Die
strahlenden Augen des Kindes sind eine
Erfüllung. Abends sind wir zwar müde,
aber wir konnten vielen Leuten eine Freude machen.
Ist das denn auch der Grund, der sie
zu Ihrer Berufswahl bewogen hat?
Kunz: (lacht) Nein. Wenn meine Eltern kein
Geschäft gehabt hätten, wäre ich vermutlich
in Richtung Journalismus gegangen. In den
Beruf bin ich hineingewachsen. Als Kind habe ich gesehen, dass es die Eltern nicht
schlecht machen und dass das eine gute
Grundlage für später wäre. Ich habe die
Entscheidung nie bereut.
Roman Maier: Es sieht von aussen so
aus, als wäre es der einfachste Weg, den
elterlichen Betrieb zu übernehmen. Wir
haben uns aber sehr intensiv mit der Berufswahl auseinandergesetzt und haben
auch andere Sachen ausprobiert. Ob wir
im elterlichen Betrieb arbeiten wollen, behielten wir uns offen. Mit 15 oder 16 Jahren ist man noch sehr jung, um so eine
Entscheidung zu treffen.
Gregor Maier: Bei mir bestand nach der
Lehre als Bäcker-Konditor sogar ein Unwohlsein, was die Berufswahl angeht. Ich
merkte, dass ich mit meinen Vereinsaktivitäten nicht der Typ bin, der konstant
nachts um 2 Uhr die Leistung bringen
kann (lacht). Also machte ich die Zusatzlehre zum Konditor-Confiseur und merkte
schon bald, dass ich für diesen Beruf die
100-prozentige Freude und das 100-prozentige Engagement bringen kann.
In der Lehre zum Bäcker-Konditor lernen Jugendliche nicht nur den Umgang mit Teig und Ofen – da sind sich die Fricktaler Fachmänner einig.
PERSÖNLICH
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Dann liegt es an der Werbung für die
Berufslehre – und nicht etwa an deren
mangelndem Prestige, dass für viele
Schüler und Eltern das Gymnasium als
attraktiver erscheint?
Roman Maier: Früher gab es eine klare
Klassentrennung. Wenn heute jemand aus
der Berufslehre heraus eine Weiterbildungs-Karriere macht und mit einem
Hochschulabschluss dasteht, dann ist das
absolut vergleichbar mit einem UniAbschluss. Die Trennung zwischen Arbeiter- und Eliteklasse gibt es nicht mehr.
Trotzdem entscheiden sich die guten
Schüler oft für das Gymnasium.
Hunziker: In meinem Jahrgang gingen so
gut wie alle, die den nötigen Notendurchschnitt hatten, ans Gymnasium. Viele
wussten nicht, was sie werden wollten
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Drei Generationen
Nathalie Hunziker, 17, ist im
2. Lehrjahr Bäcker-Konditorin
bei der Bäckerei-Konditorei
Kunz.
Was spricht denn heute für die Berufslehre?
Nathalie Hunziker: Ich finde vor allem
die Perspektive toll. Mit einer einjährigen
Zusatzlehre kann ich in vier Jahren zwei
Ausbildungen machen. Auf der Berufslehre lässt sich viel aufbauen, ich kann viel
erreichen und mit der Ausbildung auch in
die Welt hinaus, um zu arbeiten. Das ist
eine grosse Motivation.
Haben Sie die Entscheidung je bereut?
Hunziker: Klar ist es schwierig, wenn die
Kollegen abends in den Ausgang gehen
und ich schon so früh wieder aufstehen
muss. Aber es hat auch Vorteile: Ich habe
früher Feierabend. Und wenn ich nach
Hause komme, weiss ich, was ich gemacht
habe. Andere sitzen den ganzen Tag in
der Schule, kommen nach Hause und haben eigentlich nichts gemacht.
Kunz: Mit einer Lehre in diesem Berufsfeld können die Jugendlichen aus dem
Vollen schöpfen. Wir müssen einfach besser kommunizieren, was uns speziell
macht und warum junge Leute in so einen
Beruf einsteigen sollen. Dass auch einem
Bezirksschüler die Welt geöffnet wird und
er ein gutes Fundament erreicht.
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Gregor Maier, 30, ist gelernter Bäcker-Konditor und Konditor-Confiseur mit Meisterabschluss. Bei der BäckereiKonditorei Maier ist er zuständig für die Lehrlingsausbildung der Fachrichtung
Konditorei-Confiserie.
Geben ein Plädoyer für die Berufslehre ab: Roman Maier, Gregor Maier, Nathalie
Hunziker und Markus Kunz (v. l.)
und schoben die so Entscheidung auf.
Von den Noten her war ich die Schulhausbeste. Als ich mich für die Lehre entschied, kam von den Lehrern die Frage,
ob ich nicht ans Gymnasium wolle.
Kunz: Das ist schon lange ein Thema:
Dass die Bezirksschullehrer Gegensteuer
geben, wenn ein starker Schüler eine Lehre beginnen will. Die Gewerbeverbände
suchen jetzt intensiv das Gespräch mit der
Lehrerschaft und den Schulleitungen.
Man ist auf einem guten Weg, gegenseitiges Verständnis aufzubringen.
Hat Sie die Schule genügend auf die Berufswahl vorbereitet, Frau Hunziker?
Hunziker: In der Theorie schon. Wir nahmen das Thema Bewerbung, Vorstellungsgespräch und Schnupperlehre durch.
Aber da waren wir 14 Jahre alt. Mit 14
kann sich die Meinung noch rasch einmal
ändern. Für so eine Entscheidung braucht
es ein gesundes Selbstbewusstsein.
Inwiefern beeinflusst die Berufslehre
die persönliche Entwicklung der Lehrlinge – und damit auch das Selbstbewusstsein?
Kunz: Das ist ein wichtiger Teil der Lehre.
Am Ende sollte man in einem Betrieb gehen können und dort seinen Mann oder
seine Frau stehen. Das sehe ich oft bei Jugendlichen, die sehr lange in der Schule
NBO
sind: Sie sind noch sehr unsicher. Ich glaube, wir bilden Lehrlinge so aus, dass sie eine Selbstständigkeit entwickeln. Wir ersetzen – mehr als früher – das Elternhaus und
die Schule. Heutzutage wird vieles von den
Eltern aus dem Weg geräumt und auch in
der Schule sind die Jugendlichen sehr
behütet. Dann kommen sie in die Lehre
und es gilt ernst.
Roman Maier: Wir bilden im praktischen
Teil aus, in der Schule wird das Fachliche
gelehrt – und dann kommt noch ein grosser Teil dazu: das Persönliche. Die Berufslehre fällt in ein Alter, in dem die Entwicklung unterschiedlich weit ist. Die Persönlichkeit, Selbstständigkeit und der Wille,
Ziele zu erreichen, das ist in der Arbeitswelt gefragt. Auch über den Studienweg
kommt man früher oder später mit der
Arbeitswelt in Kontakt – ist dann aber oftmals auf sich allein gestellt.
Daneben sind bestimmt auch die angesprochenen Weiterbildungsmöglichkeiten ein Argument für die Lehre?
Roman Maier: Dieses Bewusstsein haben
viele Jugendliche. Sie wissen, dass das ein
Fundament ist, auf das sich ganz Verschiedenes aufbauen lässt.
Gregor Maier: Da spielt auch ein gewisses Sicherheitsdenken mit hinein. Die abgeschlossene Lehre ist ein gewisser Level.
Hat man diesen erreicht, kann man nicht
Roman Maier, 35, ist diplomierter Bäcker-Konditor mit
Meisterabschluss. Er ist verantwortlich für die Produktion
und die Ausbildung der Bäcker-Konditoren. Der Betrieb
bildet acht Lernende aus.
Markus Kunz, 59, ist Konditormeister und Inhaber der
Bäckerei-Konditorei Kunz. Er
arbeitet seit über 40 Jahren
auf dem Beruf. Der Betrieb bildet 10 bis 12 Lernende in drei
Berufen aus.
«Auch einem
Bezirksschüler wird
mit einer Lehre die
Welt geöffnet und er
erreicht ein gutes
Fundament.»
Markus Kunz, Konditormeister
SYMBOLBILD/FOTOLIA
mehr darunter fallen. Bei einer langen
Ausbildung mit Studium hingegen – da
kann einem Studenten auch im neunten
Semester im Arzt-Studium bewusst werden, dass es doch nicht das Richtige ist.
Haben Sie Angst, dass junge Leute
ausgebildet werden, diese dem
Beruf aber gleich wieder verloren
gehen, weil sie sich weiterbilden?
Gregor Maier: Das ist vielmehr eine
Chance, um unseren Beruf attraktiver zu
machen. Es ist schade für die Berufsleute,
die wir ausbilden und die dann sofort
abwandern. Andererseits können wir von
anderen Berufen profitieren, weil wir
auch gute Leute brauchen.
Roman Maier: Es ist nicht so relevant, ob
ein Lehrling auf dem Beruf arbeitet, oder
sich weiterentwickelt. Hauptsache ist,
dass er Freude daran hat, was er macht
und eine Zukunftsperspektive hat.
Besteht auch die Gefahr, dass die Lehre akademisiert wird und zu einer zu
hohen Hürde wird für jene, die keine
überragenden Schulnoten haben?
Gregor Maier: Die Schulnoten stehen bei
meiner Einschätzung jeweils an dritter
Stelle. Als Erstes kommen das Auftreten
und die Zielstrebigkeit. Wenn sich ein
Schnupperlehrling gut gibt, die Fähigkeiten und Motivation hat, ist das wichtiger.
Erst dann schaue ich die Noten an.
Stimmt die Motivation und Zielstrebigkeit,
kommen die guten Noten in der Gewerbeschule automatisch.
Arbeitsmarktsoziologe Alexander
Salvisberg sagt: «Die Unternehmen
nehmen lieber keinen Lehrling als einen, der nicht alle Kriterien erfüllt.»
Kunz: Das ist so. Auch, weil ich das meinen Lehrlingsausbildnern nicht antun
will. Wenn einer nicht will, dann will er
nicht. So jemanden durch eine dreijährige
Lehre zu ziehen, geht an die Substanz.
Deshalb entscheiden immer die Ausbildner, wer zu einer zweiten Schnupperlehre
eingeladen wird. Natürlich kann es sein,
dass man jemandem unrecht tut damit.
Wie sicher sind Sie sich bei solchen
Entscheidungen?
Kunz: Ein Restrisiko bleibt immer. Es
kann auch sein, dass ein Bezirksschüler eine schlechte Lehre macht, weil er sich
nicht anstrengt.