I SGS B RA UN / V EU RC SH ORGUNG F O R S C HM S eit e 8 S eit e 8 Wie geht es eigentlich den Klienten? Mega-Projekt erforscht Wirkung der Ambulanten Sozialpsychiatrie (ASP) und die Lebenslagen von Menschen, die von der Eingliederungshilfe betreut werden Von Stadtplanung über Werkstofftechnik bis Neurowissenschaft reichte die Palette der 28 Forschungsvorhaben, an die 2014 insgesamt 16 Millionen Euro an Hamburger Landesfördergeldern ausgeschüttet wurden. Aber auch „Randgebiete“ wie die Sozialpsychiatrie profitieren. Und wie: 1,2 Millionen Euro fließen von 2015 bis Ende 2017 in eine Verbundforschung, die in dieser Art einzigartig ist und Bundesländer übergreifend erfolgt. Sieben Mitarbeiter wurden dafür eingestellt. Involviert sind auch Betroffene und Mitarbeiter des untersuchten Versorgungssystems: Im Zuge der Erhebungen, bei denen die Lebensbedingungen von im Rahmen der Eingliederungshilfe betreuten psychisch kranken Menschen im Fokus stehen, werden schriftliche Fragebögen eingesetzt und auch ausführliche Interviews geführt. Start des Ganzen: Jetzt, im Frühsommer. HAMBURG. Der Antrag war aufwändig. Schließlich galt es, die Interessen und Absichten von fünf Einrichtungen aus zwei Bundesländern für drei Teilprojekte zu koordinieren. „Das Projekt verbindet zum ersten Mal die in der sozialpsychiatrischen Forschung engagierten Institutionen Norddeutschlands und schafft mit seinem Beirat nicht nur einen guten Zugang ins Forschungsfeld, sondern auch eine trialogische Beteiligung relevanter AkteurInnen“, wird die besondere Bedeutung des Vorhabens in der Kurzvorstellung zusammengefasst. Angesichts des hohen Forschungsbedarfs und bei gleichzeitigem Nachholbedarf in diesem Bereich sei der Verbund ein Versuch, vorhandene Kapazitäten zu bündeln. Weiterer wichtiger Aspekt: Mit diesem Projekt sollen auch aufwändigere (inter-)nationale Studien vorbereitet werden, um bundesweit Lebenslagen psychisch kranker Menschen zu beforschen. Aber zurück auf Anfang. „In der Sozialpsychiatrie ist zur Zeit einiges in Bewegung“, so Prof. Dieter Röh von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Er ist Sprecher des Forschungsverbundes BAESCAP – die Abkürzung steht für: „Bewertung aktueller Entwicklungen der sozialpsychiatrischen Versorgung auf der Grundlage des Capabilities Approaches und der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen“. Er ist Sprecher des Forschungsverbundes: Prof. Dieter Röh vom Department Soziale Arbeit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Foto: Hinrichs Drei Teilprojekte konzentrieren sich nun auf jeweils unterschiedliche Entwicklungen in der Sozialpsychiatrie. Es geht zum einen um die Auswirkungen der neuen Ambulanten Sozialpsychiatrie (ASP) auf die Nutzer, ferner um den Stellenwert von PeerBeratern für die psychosoziale Versorgung und schließlich um die Evaluation von Betreuungsformen der Eingliederungshilfe im Vergleich Hamburg versus Mecklenburg-Vorpommern. Für das Teilprojekt A – wie wirkt die Umgestaltung der Ambulanten Sozialpsychiatrie (ASP) in Hamburg? – arbeitet Prof. Dieter Röh mit Vertretern der Evangelischen Hochschule Hamburg (EHH) und einer großen Anzahl an Leistungserbringern zusammen. Die Wirkung von Angeboten der ASP solle dabei im Längsschnitt erfasst werden, das heißt, dass zu drei verschiedenen Zeitpunkten in Einrichtungen Klienten zu ihrer Lebenssituation, aber auch zu ihren Teilhabemöglichkeiten befragt werden sollen. Zum Vergleich werden ambulant Betreute, aber auch zum Beispiel Tagesstättenbesucher in Mecklenburg-Vorpommern befragt. Angesichts von 6500 Hilfeplanverfahren werden an eine Zufallsauswahl von 1000 Klienten Fragebogen mit je Stichwort: Capability Approach Eigentlich ein Fall für Leichte Sprache: Was verbirgt sich hinter Capability Approach? So lautet der Name des Forschungsansatzes, der Ausgangspunkt der oben geschilderten Sozialpsychiatrie-Untersuchungen ist. Als Übersetzung im Angebot: Befähigungsansatz. Gemeint ist: ein anderes, neues Konzept zur Messung von Wohlfahrt bzw. einem guten Leben. Ziel des Capability Approaches ist es, Wohlstand nicht nur nach Einkommen zu bemessen. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, was der Mensch braucht, um sein Leben erfolgreich zu gestalten. Materielle Güter und Ressourcen werden dabei als wichtige Mittel und nicht als Selbstzweck betrachtet. Das Konzept enthält die Forderung an die Gesellschaft, aktiv zur Entwicklung eines besseren Lebens aller Mitglieder der Gesellschaft beizutragen. Der Ansatz wird insbesondere im Bereich der Entwicklungspolitik sowie im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit zunehmend diskutiert und verwendet. Er wurde ursprünglich von dem indischen Nobelpreisträger Amartya Sen entwickelt. (hin) ca. 40 Fragen verschickt. „Ziel ist ein Rücklauf von 300 bis 450 Bögen über den gesamten Zeitraum der Befragung“, so Röh. Hinzu kommen jeweils ca. 20 qualitative, ausführliche Interviews mit Nutzern und auch Profis in Hamburg und Mecklenburg-Vorpom- 20 qualitative, ausführliche Interviews mit Profis und Nutzern mern in 2016. Als kleiner Anreiz für eine Teilnahme werden übrigens Lose für die Lotterie Aktion Mensch verschenkt. Im Teilprojekt B geht es – unter Federführung von Prof. Thomas Bock – um die Bedeutung von Genesungsbegleitern (Peersupport) nicht nur in Klinikambulanzen (was bereits erfolgreich evaluiert wurde), sondern in der gesamten Versorgungslandschaft, insbesondere in der Eingliederungshilfe. Dabei geht es u.a. um das Echo bei Nutzern und Institutionen, um den Beitrag zu Selbstwirksamkeit und Inklusion in den Institutionen und auch darum, ob und gegebenenfalls wie Peerarbeit auch solche Menschen erreicht, die sonst als schwer erreichbar gelten. Weitere Fragestellung: Inwieweit können Peers helfen, Zwang zu vermeiden? Einmalig ist der neue Ansatz, der im Teilprojekt C zum Einsatz kommt. Hierbei handelt es sich um eine Querschnittserhebung: Sie findet zu einem Zeitpunkt in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg statt und will die Lebenslagen in der Eingliederungshilfe betreuter psychisch kranker Menschen erforschen. Unter Leitung von Prof. Ingmar Steinhart, Institut Sozialpsychiatrie Mecklenburg-Vorpommern, wurde in Anlehnung an größere Bevölkerungsbefragungen ein eigenes Messinstru- ment entwickelt, das einen Vergleich der Lebens- und Teilhabesituation psychisch erkrankter Menschen mit dem der Allgemeinbevölkerung erlaubt. Es entstand vor dem Hintergrund des Capabilities Approach-Ansatzes (siehe Kasten), der eine wesentliche Grundlage auch des Teilprojektes A zur ASP darstellt und auch dort seinen Niederschlag in entsprechenden Fragen findet. Es soll nun geprüft werden, ob sich dieses Instrument dafür eignet, um im positiven Fall vorzuschlagen, es in den Teilhabebericht des Bundes einfließen zu lassen, in dessen jüngster Darstellung psychisch kranke Menschen eher am Rande aufgetaucht seien, so Röh. „Wie leben, wie arbeiten chronisch psychisch kranke Menschen? Das ist im Wesentlichen eine Black Box“, macht er deutlich. Auch für diese sehr aufwändige Studie sind die Wissenschaftler darauf angewiesen, die Träger ins Boot zu holen, über die der Kontakt zu den Klienten hergestellt werden muss und die die Fragebögen austeilen sollen. In Hamburg gibt es allein 38 ASP-Anbieter, und es sollen nach einer repräsentativen Auswahl circa die Hälfte der dort betreuten Klienten befragt werden. Das Teilprojekt C versucht eine weitaus höhere Zahl von Befragten einzubeziehen, wenn es gut läuft in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern können es mehrere hundert bis mehrere tausend Personen sein. Gefragt wird zum Beispiel nach Wohnsituation, Einkommen, Gesundheit, aber auch, wie es um die Teilhabe an der Gesellschaft steht und inwieweit es dem Befragten möglich ist, Einfluss auf seine Umgebung zu nehmen. Anke Hinrichs ● EPPENDORFER 6 / 2015 Psychotherapie: DGPPN fordert Neustrukturierung BERLIN (rd). Um die Versorgung von psychisch kranken Menschen mit Psychotherapie an den Bedürfnissen der Betroffenen auszurichten, bedarf es aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) einer Neustrukturierung: „Mit der Überarbeitung der Psychotherapierichtlinie, wie sie der Entwurf des Versorgungsstärkungsgesetzes vorsieht, können nun die Weichen richtig gestellt werden.“ Abgesehen davon lasse sich eine Versorgungsverbesserung nur im Rahmen eines umfassenderen, strukturierten, sektorenübergreifenden Gesamtkonzepts erzielen, das den Patienten in den Mittelpunkt stellt. „Die Selbstverwaltung ist dringend aufgefordert, die notwendigen Reformen unter Einbeziehung der an der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung beteiligten Berufsgruppen, der Kostenträger sowie der Betroffenen und Angehörigen umzusetzen“, forderte DGPPN-Präsidentin Dr. Iris Hauth aus Anlass eines „Hauptstadtkongresses“. Trotz mehr als 20.000 ambulanter ärztlicher und psychologischer Psychotherapeuten bleiben in Deutschland bestimmte Patientengruppen weitgehend von der Therapie ausgeschlossen. So sind etwa Menschen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, Psychose oder Suchterkrankung häufig unterversorgt. Psychotherapie müsse sich flexibel an der Schwere, Akuität und Chronizität der Erkrankung ausrichten, „insbesondere was Inhalt, Dosis und Dauer anbelangt“, forderte DGPPNVorstandsmitglied Professor Fritz Hohagen aus Lübeck. Das sei mit der aktuell geltenden Psychotherapierichtlinie noch nicht ausreichend der Fall. „Wir brauchen zum Beispiel für psychisch schwer kranke Patienten die Möglichkeit kürzerer psychotherapeutischer Interventionen, die eben nicht dem starren Rahmen der Richtlinie entsprechen. Darüber hinaus müssen sowohl kurzzeitige intensive Behandlungen in Krisen als auch eine jahrelange niederfrequente psychotherapeutische Unterstützung zur Stabilisierung des Erreichten möglich sein“, so Hohagen. 9,6 Millionen Euro für die Hirnforschung HAMBURG (rd). Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat 9,6 Millionen Euro für die Fortsetzung seines neurowissenschaftlichen Sonderforschungsbereichs SFB 936 „Multi-Site Communication in the Brain“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingeworben. Der SFB untersucht neuronale Interaktionen verschiedener Bereiche in gesunden und nicht gesunden Gehirnen, auch um Aufschluss ü̈ber die Entstehung von Krankheiten zu erhalten. Ein entscheidender Faktor in der Arbeit des SFB 936 bestehe in der engen Verzahnung von Grundlagenforschung und patientenzentrierten klinischen Forschungsarbeiten, teilte das UKE weiter mit. Die erste Förderperiode habe wichtige neue Erkenntnisse zur Kommunikation in Netzwerken des Gehirns und zur Störung bei Erkrankungen wie Schizophrenie erbracht. In der zweiten Förderphase soll nun die gezielte Beeinflussung von Netzwerken des Gehirns – etwa durch magnetische oder elektrische Hirnstimulation – im Vordergrund stehen. Zudem sollen die Netzwerke verstärkt mit modernen Computersystemen modelliert und krankhafte Veränderungen simuliert werden.
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