BUCHBAUE RME DI E NGRUPPE-Z WE I T EAUF L AGE-APRI L BUCHBAUER ONE- TWO-THREE- FOUR! In der Bibel steht, dass das Horn geblasen wurde und die Mauern der Stadt auseinander zu fallen drohten. Nun... das war Punk.“ JOE STRUMMER Der ganze Rock-n-Roll Ärger begann an einem heißen Sommerabend im September achtundsiebzig. Nachdem ich in von meinem Job als minderjährige Putzhilfe aus der Dorffiliale der Norddeutschen Landesbank nach Hause zurück gekommen war, hänge ich am Abend abgeschlafft vor dem Fernseher ab. Wie sich das für einen Teenager in den späten siebzigern eben so gehörte. Den Putzjob in der Bank hatte ich letzten Monat von meiner Großmutter übernommen. Ihre Gesundheit machte ihr inzwischen dermaßen zu schaffen, dass sie den Weg zu Fuß nur noch mit großer Anstrengung bewältigten konnte. Ich fand nichts weiter dabei, vorerst für sie den Putzjob weiter zu machen. Staubsaugen machte mir irgendwie Spaß und in den Papierkörben der Bankangestellten, die ich auszuleeren hatte, in denen war immer wieder etwas interessantes zu finden was ich gut gebrauchen konnte. Wie das, im Grunde leicht verdiente Taschengeld, das mir diese Arbeit einbrachte. Oma und ich machten am Ende des Monats halbe-halbe. Die meinige Hälfte, mit der ich machen konnte was ich wollte, war mehr als ausreichend für einen fünfzehn jährigen Teenager. Zudem war es auf dem Dorfe so, dass wer sein eigenes Geld verdiente, sich nicht mehr an Ausgangszeiten zu richten hatte. So gesehen also alles bestens für mich. Damals hatte ich es zur Gewohnheit gemacht, mir nach beendeter Arbeit ein oder zwei Zigaretten zu drehen, mich auf die Fensterbank in meinem Zimmer zu setzen und so den Tag gemütlich verglimmen zu lassen. Je nachdem, wo dann mehr los war, schaute ich wechselnd auf unsere wenig befahrene, dörfliche Hauptstraße oder auf meinen alten Fernseher der Marke Nordmende, welcher auf meinem selten genutzten Schreibtisch stand. Ein guter Platz für ihn, denn für Hausaufgaben nutzte ich das Teil eher seltener. Abends um neun kam einmal im Monat meine damalige Lieblingsendung. Der MUSIKLADEN aus Bremen. Das Non-Plus-Ultra für die neuen, die wilden Bands aus London oder den USA. Zudem die Sendung mit den hübschesten Mädels aller zu empfangenen Fernsehprogramme. Derer gab es damals drei. ARD, ZDF und das Dritte. Die beiden Ostsender die wir im Zonenrandgebiet ebenfalls empfangen konnte, die waren eine Sache für sich. Wie auch immer, der MUSIKLADEN wurde nicht allein wegen der Stubsnäsigen Moderatorin Uschi Nerkel geschaut, oder der von Jungs meines Alters ersehnten zehn bis fünfzehn Sekunden, in denen diese, für uns Provinzler so unglaublich heißen und sparsam bekleideten GoGo-Girls auf dem Bildschirm mit ihren Attributen lockten. Auch wegen der Musik. Denn, was diese anging, hatten die Bremer vom Ersten die Nase vorn. Vor dem zweiten. Da lief Ilja seine DISKO78. Die beizeiten recht peinlich um die Ecke kam. Nicht nur wegen der Deutschen Schlagersänger und Sängerinnen, die dort ihre Liedchen trällern durften. Herr Richter sein berühmtes: Licht aus – Womm! Spot an – Jaaaa! nervte ungemein. Und. Wichtig. Bei Herrn Richter gab es nur selten Attribute. Dafür überflüssige und unlustige Slapstick Einlagen von ihm selbst. Schlecht aufgeführt und wirklich nicht lustig. Jedenfalls kannte ich niemanden, der darüber lachen konnte, oder das zugegeben hätte. Der MUSIKLADEN war die Nummer Eins der Musiksendungen im Deutschen Fernsehen. Zu Recht. Was er aber an jenem Abend auf die Bühne brachte, sollte meine kleine Welt für immer verändern. Damals, im September 78. Da brachten sie eine komplette Show einer mir unbekannten Band aus New York City. Eine gefährlich aussehende Gang. Vier Typen in Schwarzen Lederjacken und zerrissenen Jeans. Sie trugen zerlöcherte Turnschuhe aus Segeltuch der Marke Convers. Die kannte ich. Die trug ich selbst. Das waren die billigsten Schuhe, die es zu der Zeit zu kaufen gab. Beim Russen in Braunschweig in der Hansestraße kosteten die keine zehn Mark. Unter ihren Lederjacken trugen diese vier Halbstarken labbrige schwarze Shirts. Dem Sänger seines war so kurz, dass sein Bauchnabel zu sehen war. Die Jeanshosen hatten Löcher. Meist im Kniebereich. Unglaublich. Alle vier hatten lange Haare mit schlecht geschnittenen Pony-Frisuren. Wie soll ich es sagen. Sie sahen aus wie ich. Vom Haarschnitt bis zu den Turnschuhen. Nur ein paar Jahre Älter. Und in dem Moment, da wusste ich, dass ich nicht mehr allein auf dieser Welt war. Für einen Teenager eine unglaubliche Erfahrung. Dann ihre Musik. Diese Musik, die sie spielten, die war der pure Wahnsinn. Endlich richtiger Rock-n-Roll wie er sein sollte. Hart, laut und schnell. In diesem Moment wurden STATUS QUO, HAWKWIND oder DEEP PURPLE zu den Luschen meiner noch jungen Plattensammlung. Und es waren ganze vier Worte, die sie vor jedem Lied anstimmten. Vier Worte, die von da an mein musikalisches weiter antrieben... … ONE – TWO – THREE – FOUR Das - waren - die RAMONES. Einige Mädchen aus meiner Schule hatten an dem Abend ebenfalls den MUSIKLADEN geschaut. Und was soll ich sagen. In meiner speckigen schwarzen Lederjacke, in den zerrissenen Jeans und meinen schulterlangen Haaren mit Pony, wurde der Sommer achtundsiebzig der Sommer meines Lebens. RAMONES Open Air in Göttingen 1987 Wir waren zu viert in einem weißen 200er Mercedes Strich-8er auf dem Weg zu einem Konzert zu unseren RAMONES. Mit dabei hatten wir mehrere Kisten Wolters Bier, Rauchwaren vielfältiger Art, kolumbianische Marschunterstützung und ausreichend Psyllos für alle. Die waren selbst vom Acker gepflückt und auf dem heimischen Ofen getrocknet. Genug um ein Festival mit Anstand hinter sich zu bringen. Dieses, zu dem wir seit geraumer Zeit Richtung Göttingen fuhren, sollte an einem Tage vollzogen werden. Neben unseren Helden spielten zudem noch die STRANGLERS, die GODFATHERS & MARIUS MÜLLER WESTERNHAGEN. Doch für uns zählten einzig und allein die RAMONES. Sie waren fast gottgleich für uns. Zu Lebzeiten schon im Walhalla des Punkrocks an den Tischen lärmend. Das da heute noch andere Bands auf dem Festival mit am Start waren, war unwichtig für mich. Außer den RAMONES spielten die nur dritte Gitarre. Die STRANGLERS hatte ich eh noch nie ernst nehmen können. Popperhaftes Orgelgedöhns war das für mich. Kein Fisch, kein Fleisch. Halbgares Elekronikgedudel. NO MORE HEROES ging in Ordnung. Aber um als Band gut befunden zu werden, da braucht es mehr als nur einen, guten Song. Einer kann als Ausrutscher gelten. Die Scheibe von den STRANGLERS die bei mir daheim, ganz hinten in meiner Plattensammlung von anderen fast erdrückt wurde, war für mich nicht wirklich wichtig. Die steckte nah bei den TALKING HEADS, YELLO und der ersten von CURE. Die mit dem Staubsauger auf dem Cover. Ewiger Tabellenführer, das waren die RAMONES. Standen ganz weit vorne, gut sichtbar mit ihrem 77er Livealbum. Das sollte jeder sehen, der zu Besuch kam. Der Hauptact des Festivals sollte Marius Müller Westernhagen sein. Als Schauspieler war er gut. Seine ersten Scheibe, die mit Pfefferminz wird noch heute auf den Partys zur späten Morgenstunde aufgelegt. Aber Marius als Hauptact. Nach den RAMONES. Vielleicht dachten die Veranstalter, dass ab einem Alkoholpegel von zwei Promille so richtig die Marius-Sau abgehen würde. Heiliger Elvis. Was die sich alles einfallen lassen, wenn sie in ihren Agenturen auf dem Klodeckel das Koks hacken. Die Sonne schien so gut aufgelegt wie wir selbst, als wir das Festivalgelände erreichten. Zur Abwechslung fanden wir gleich einen Parkplatz vor dem Stadion, in dem es stattfinden sollte. Für einen Fußballverein, der in der Niedersachsenliga seine Spiele bestreitet recht imposant das Teil. Nun, als Braunschweiger mal nicht so unken. Unsere Eintracht spielt in der nächsten Saison vielleicht auch Oberliga wenn sie so weitermacht. Und ein schönes, großes Stadion, das haben wir auch an der Hamburger Straße. Da sollten mal die RAMONES spielen. In unserem Tempel. Aber genug geträumt. In einer Stadt, in der Adolf seine Deutsche Staatsbürgerschaft verliehen bekam, um die Welt zu verändern, da Blitzkrieg Bop im Stadion aufspielen zu lassen, das könnte von nicht wenigen Fans der Südkurve missverstanden werden. Na egal. Wir waren da. Der Wagen wurde geparkt und Trouble legte für den Weg ein paar Straßen vom Rest unseres Marschierpulvers auf den Rückspiegel. Dieser ließ sich mit einer Handbewegung aus der Dachverankerung des Strich-Achter ausklinken. Wer weiß schon, ob es innerhalb des Stadiongeländes eine weitere Möglichkeit für derartige Angelegenheiten gab. Denn auf einem Dixieklo macht man das besser nicht. Nur allzu gut war uns das Roskilde Festival vor zwei Jahren in Erinnerung, auf welchem Hillie von mehreren Festivalgängern, die er nicht beim Näseln teilhaben lassen wollte, mitsamt des Plastikklos umgekippt wurde. Glück im Unglück, dass die Duschen keine hundert Meter entfernt standen. Aber diese hundert Meter, die werden ihm, wie uns für alle Zeiten in der Nase liegen. Also wurde weggezogen, was auf dem Spiegel lag. Dann, erwartungsvoll, aufgedreht und guter Dinge gingen wir laut und hektisch, alle gleichzeitig durcheinander quasselnd in Richtung Eingang mit einer Kiste Bier. Es gab tatsächlich noch Karten an der Tageskasse. Das war gut. Sehr gut sogar. Denn natürlich hatte keiner von uns es hinbekommen, im Vorverkauf Karten für das Festival zu besorgen. Entweder fehlte einem das Geld, dem anderen die Zeit oder mir der Antrieb für derartige Kleinigkeiten. Wir zahlten 36 Mark an der Tageskasse und wir hatten die Karten in der Tasche. Dazu reichlich Rauschmittel in Tüten, relativ ausreichend Geld und eine Kiste Bier. Alles gut. Das Leben war schön. Jetzt wollten wir rein. Durften aber nicht. Vielmehr. Die Kiste Bier durfte nicht. Auf Bolles Frage an einen Kassenwart gerichtet, ob denn doch, wenn wir der Kiste Bier eine Eintrittskarte kaufen würden, bekamen wir keine zufrieden stellende Antwort. Das Bier durfte auch mit Eintrittskarte nicht rein. Da keiner Lust hatte, den Kasten zum Wagen zurück zu bringen, tranken wir ihn todesmutig vor den Augen der Sicherheitsleute aus. Im Durchschnitt waren das vier Flaschen pro Nase. Ich schaffte gerade zwei in der Hektik. Unter Druck, da kann ich nicht schnell trinken. Bolle dafür fünf in der gleichen Zeit. Auf diese Weise schafften wir es, den Durchschnitt einzuhalten. Den leeren Kasten ließen wir dem Personal zurück. 7,50 DM Pfandgeld immerhin. Als wir das Festivalgelände von innen betraten, spielten die GODFATHERS. Gitarren orientierter Alternativrock von der Insel. Nichts besonderes, doch gut hörbar. Ihre erste LP hieß HIT BY HIT. Na, da sollten sie sich mehr der Masse anpassen. Dann klappt das mit den Hits. Nach zwei weiteren Songs hatte mich die Langeweile gepackt. Ihre Beats kamen nicht druckvoll genug. Schlagzeug und Bassspiel hatten wenig Kraft, entwickelten daher keinen Groove. Nicht ihr bester Tag am heutigen Tage anscheinend. Aber klasse Marschmusik um Bier zu holen. Ich sammelte von meinen Leuten Geld ein und machte mich auf in Richtung der Bierstände, die längs der Haupttribüne aufgebaut waren. Wer holt, der braucht ja nicht zahlen. Wenig später lief ich mit vier gezapften Bieren in den Händen suchend nach meinen Leuten herum. Am alten Platz waren sie nicht mehr zu sehen. Genau hier sollten sie jedoch sein. Hier, wo immer noch dieses hübsch laszive, jedoch sichtlich weggetretene junge Fräulein auf der Wiese ihren, was weiß ich Rausch ausschlief. Was jetzt nun? Sollte ich meine Truppe über die Stadionanlage ausrufen lassen? Der kleine Wotan sucht dringend seine Leute aus der Braunschweiger Rebhuhnstraße. Er wartet jetzt im Kinderspielparadies und kann mit vier Becks in Plastikbechern abgeholt werden? Nein, so geht das nicht und sehr wahrscheinlich hatte das Fussballstadion gar kein Spielparadies. Ich machte mich in Richtung Bühne auf. Vielleicht konnte ich da einen Platz für meine vollen Becher finden. Die GODFATHERS beendeten in diesem Moment, mit laut verzerrenden, an ihre Verstärker gestellten Gitarren ihren Auftritt, machten Platz für die darauf folgenden STRANGLERS. Dann Umbaupause. Was folgte, war Musik vom Band. SIOUXSIE. Mochte ich nicht. Da fehlte mir was für. Ich kann meine Freunde nicht verstehen, die für SIOUXSIE AND THE BANSHEES viel übrig haben. Schön, ihr erster Drummer war SID VICIOUS. Aber jemand, der seinen Künstlernamen dem Hamster von JOHNNY ROTTEN verdankt!? Wie auch immer. Zwischen mehreren dummen Sprüchen wie hoffnungsvollen Blicken, wegen meiner, in den Händen gehaltenen Bieren durch das Publikum schwankend, sah ich links neben der Bühne, zwischen den Absperrgittern einen Durchgang. Dahinter freie Tische und Bänke. Das sah gemütlich aus. Da wollte ich hin. Mit den Bieren in der Hand ging ich einfach an den beiden Sicherheitskräften, die hier aufzupassen hatte, vorbei. Frechheiten sind im Grunde nicht mein Ding, aber hier und jetzt, da brauchte ich einen Platz für mich und die Biere. Dann konnte ich mich endlich setzen. Ruhe. Ich nahm einen Becher in die Hand, trank ihn fast aus, als sich Dee Dee Ramone neben mich setzte und höflich, verständlich auf Deutsch fragte, ob er eines von den Bieren haben könne, wenn es denn nicht wieder ein fucking alkoholfrei wäre. Dee Dee?! Äh. Ja. Alles klar. Ich sah von meinem Bier auf und blickte mich aufmerksam im Zelt um. Ich saß anscheinend im Stagebereich. In einem Zelt für die Festivalcrew. Ich war dermaßen baff, dass mir nicht mehr dazu einfiel als ein: Äh, hi Dee Dee. Habt ihr nicht genug Bier in eurem Stagebereich? No. Nicht vor der Show. Johnny hat Alkohol vor der Show in den Verträgen verbieten lassen. Die geben keinen für uns aus bis die Show gespielt wurde. Würde mich freuen, wenn du mir eines abgibst. Ist doch kein Alkoholfrei? Nein, ist es nicht... antwortete ich und schob ihm zwei meiner Becher rüber. Da saß ich nun mit einem lebenden RAMONE in echtem Leder und wir tranken gemeinsam schales Bier aus Plastikbechern. Wäre besser, wenn es kalt wäre... meinte Dee Dee. Ja, das wäre es... gab ich ihm mit dem Kopf nickend recht. Viel mehr hatten wir uns nicht zu sagen. Ich drehte aus Verlegenheit einen Joint. Nachdem ich ihn angezündet hatte, ein paar mal dran zog, reichte ich das Teil an ihn rüber. Dee Dee nahm ihn an, zog einmal und reichte ihn zurück. … Vor der Show besser nicht zu viel. Ja klar Dee Dee. Verstehe ich gut. Macht sie nachher draußen von der Bühne aus fertig. Stampft sie nieder. ... Yeah, das machen wir. Machen wir doch immer. Danke für das Bier und hab noch einen guten Tag. Dann machte sich Dee Dee auf den Weg. Einmal noch hörte ich seine Lederjacke knarzen. Dann war er fort. Mann. Wenn ich die Geschichte erzähle, glaubt mir wieder einmal kein Arsch. Ich kippte einen letzten Schluck warmes Bier auf den Boden und machte mich auf. Die Jungs suchen. Diese Geschichte musste ich los werden. Ganz schnell. Inzwischen schmetterten die STANGLERS ihr No More Heroes Any More von der Bühne. Leo Trotsky starb wieder einmal durch einen Eispickel in Mexiko, während ich zwischen tausenden von Festivalbesuchern auf der Suche nach meinen Leuten war. An der Stelle angekommen, an der wir zuletzt zusammen waren, schlief das blonde Fräuleinwunder noch immer den Schlaf der Entstellten. Wenn sie die Show der RAMONES verschlafen sollte, hätte sie morgen guten Grund sich zu ärgern. Ich fragte mich, warum manche Menschen sich für viel Geld ein Festivalticket kaufen um dann, wenn sie vor Ort sind, inmitten der Leute die Sache voll wie breit zu verpennen. Na, jeder wie er leben mag. Ich beschloss, mich an Ort und Stelle hinzuhocken. Während ich auf der Spielfläche des FC Göttingen saß, auf die Rückkehr meiner Leute wartete, sah ich irritiert dem Speichelfluss zu, der aus Blondies linken Mundwinkel die Grashalme hinunter rann, um anschließend im Boden zu versickern. Eine ihrer beachtlichen Brüste hatte es fertig gebracht, sich unter einem durchlöcherten UK-SUBS T-Shirt den Weg an die frische Luft zu bannen. Wenn das mal keinen Sonnenbrand gibt. Das Arrangement wurde abgerundet durch einen zu knapp bemessenen, rotweiß karierten Schottenrock. Ein, was auch immer Slip hätte diesem Blickfeld eine gewisse Ansichtsbarriere geben können. Hätte sie denn einen getragen. Aber so? So war das nicht mit anzusehen. Zudem nervte es ungemein, dass immer wieder der ein oder andere Prolltroll stehen blieb um blöd, wie meine Oma damals zu sagen pflegte, auf das Bärenauge zu starren. Tja, hier wurde ihnen was geboten. So etwas stand daheim bei Muttern nicht auf dem wöchentlichen Küchenplan. Kurzerhand wurde meine Kuscheldecke, die ich in meinem Armeerucksack dabei hatte, ein verhüllendes Zeichen meiner Nächstenliebe. Denn, obwohl von einigen Herren der Bierschöpfung als Spaßbremse bezeichnet, deckte ich das Objekt ihrer Begierde mit der Decke ab. Dann, endlich, begannen die RAMONES ihre Show mit Dee Dee´s bekannt legendärer Ansage: ONE, CHEW, FREE, FAW Augenblicklich verwandelte sich die Menge um mich herum in einen pogenden Hexenkessel. Nichts war mehr wie noch zuvor. Sogar Blondie hatte sich der Decke entledigt und behüpfte wie ein Flummie zur Bassdrum von Marky das Göttinger Grün. Gleich der nächste Song. JOEY stand wie fest gemauert an seinem Mikroständer auf der Bühne, ließ seine, von mehreren Ventilatoren in Wallung gebrachten Haare im Wind wehen. Schmetterte uns einen Hammersong nach dem anderen um die Ohren. Live, da konnte ihnen keine andere Band was. Ich fragte mich, was es nach den RAMONES geben würde. Irgendwann eines Tages, wenn sie es aus welchen Gründen immer, nicht mehr auf die Bühne schaffen sollten. Aber heute, hier und jetzt, da brachten sie es voll. Hatten ihre in Leder und zerrissene Jeans tragenden Jünger mit selten mehr als drei Akkorden im Griff. Ließen uns keine Pause zwischen zweiunddreißig zwei Minuten Songs. Keine sechzig Minuten, dann waren sie mit ihrem Set durch. Ich klitschnass. Meine Lederhose klebte wie Kunsthonig an den Beinen und der Schweiß schien mir unten aus den Chucks zu rinnen. Während der Show war wahrscheinlich jeder Pickel auf meinen Beinen zu rot schimmernden Furunkeln gescheuert worden. Für eine letzte Zugabe kamen sie zurück auf die Bühne. Ja. GABBA GABBA HEY! Der Slogan für eine Welt, die von studierten Anzugzombies zu Grabe getragen wird. Der Slogan für Gestalten wie wir es waren, die es wie auch immer versuchten eine weitere Runde in diesem Hamsterrad zu drehen. In so einer Welt war ein aus tausend Kehlen geschmettertes GABBA GABBA HEY die Antwort auf ein bisschen Frieden oder macht kaputt was euch kaputt macht. Am Ende des Liedes angekommen hatte Joey ein Problem mit einen seiner Turnschuh. Zudem wohl auch eines mit Dee Dee, der bei den letzten Songs am Bass nicht mehr ganz sicher im Takt war. Jedenfalls hatte er einen seiner Turnschuh in der Hand und warf diesen nach Dee Dee. Traf ihn aber nicht. Der Schuh knallte gegen den Bassverstärker und blieb am Boden liegen. Die Show war zu Ende. Das Konzert der RAMONES dauerte wieder einmal keine Stunde. Johnny und Marky waren schon von der Bühne. Dee Dee stöpselte seinen Bass aus, sah sich in der Menge um. Vielleicht erkannte er in mir den Bierspender vom Nachmittag wieder. Was immer er sich dachte. Er nahm Joeys Turnschuh in die Hand und schmiss ihn in meine Richtung. Er warf gut. Das Ding landete keinen Meter entfernt vor meinen Füssen. Bevor das Teil jemand anderes bekam, hatte ich den linken Turnschuh von Joey Ramone in der Hand. Dann war Umbaupause. Als nächstes sollte Marius kommen. Es wurde Zeit sich auf den Heimweg zu machen. Zuerst aber in Richtung Bierbuden. Möglich, dass ich die Jungs dort antreffe. Joeys Turnschuh hatte ich mir vorn in die Hose gesteckt. Zur Vorsicht ließ ich mein Hemd über den Gürtel hängen. Wie es ausschaute, war aber niemand wegen des Reliktes hinter mehr her. An der ersten Theke angekommen, sah ich sie stehen. Meine Gang. Mensch Wotan, wo warst du denn die ganze Zeit? Wir haben seit den STRANGLERS auf dich gewartet! Wie, ihr habt auf mich gewartet. Ich bin doch hier die ganze Zeit herum gelaufen. Mit den Bieren in der Hand auf der Suche nach euch. Wisst ihr eigentlich was das für´n Akt war? Verdursten brauchtest du ja nicht, oder? Mit Bier bist du jedenfalls nicht angekommen. Wir stehen hier übrigens seit mehr als zwei Stunden. Wollten uns die Show der STRANGLERS schön trinken. Für jemanden, der sich GRATEFUL DEAD mit der Nadel eines Schulzirkels im Schulunterricht auf den Unterarm tätowiert hatte, bedarf es eigentlich mehr als ein paar Biere um sich einen STRANGLERS Gig schön zu trinken. … O.K. jetzt bin ich ja wieder da. Und ich habe jetzt keine Lust mir MARIUS MÜLLER rein zu ziehen. Ihr? Mmhh. Eigentlich schon. Aber vielleicht doch besser nach Hause. Heute Abend gibt es noch die Cajun Party im Hinterhaus! … Richtig. Die Party im Hinterhaus. Maik und Reiner wollten heute Nacht im Hinterhaus ein fürstliches Gelage geben. Da war es tatsächlich an der Zeit, sich auf den Rückweg zumachen. Besser sich das schöne Festivalerlebnis vom Westernhagen nicht vermiesen lassen. Nach den RAMONES konnte eh nichts mehr kommen. Viele andere waren gleicher Meinung. Das Leder verzog sich vom Platz. Was blieb und sich inzwischen vor der Bühne versammelte, dass waren Bartträger, Bierbäuche und die Dauerwelle tragenden Damenwelt. Des Westernhagens Publikum. Wo Blondie sich in diesem Moment wohl mit meiner Decke herum trieb? Mit dem wehmütigen Gefühl die Frau für das Leben im Stich zu lassen, machte ich mich mit meinen Leuten auf den Weg zum Wagen. Am Mercedes angekommen wurde mit einer Münze ausgelost wer zurückzufahren hatte. Der Einsatz war der Führerschein. Wieder einmal war bei unserer Ankunft nicht ausgemacht worden wer nicht trinken soll, dafür den Fahrer machen darf. Damit wir ohne Stress nach Hause kommen. Doch auch in dieser Nacht war Jesus mit an Bord und die Polizei unser Freund. Zwei Tage später. Dienstag nachmittags. Die Cajun Party die Nacht zuvor hatte ihren Tribut gefordert. Ich wachte mit einem Turnschuh in meiner Armbeuge in meinem Bett auf. Mehrere Tassen Kaffee und ein paar Zigaretten später kamen erste Erinnerungen zurück und mir wurde klar, dass ich im Besitz des linken Turnschuhs von Joey Ramone war. Mann. Der Hammer. Doch was soll ich mit einem Schuh aus Segeltuch der Marke Convers anfangen? Die Geschichte aus Göttingen nimmt mir doch keiner ab. Oder. Vielleicht doch. Einen Stock unter mir wohnte Chaos, der größte RAMONES Fan den ich kannte. Zudem zweiter Gitarrist der Band BESOFFEN ZU FÜSS. Zweiter Gitarrist, da er es bisher nie geschafft hatte, nur zu einem Gig pünktlich zu kommen. Der Grund war extremes Lampenfieber. Chaos blieb trotzdem in der Band. Jemand der bei BESOFFEN ZU FÜSS mitspielt und mehr als zwei Akkorde auf der Gitarre hinbekam, wurde nicht raus geschmissen, der wurde behalten. Joey´s Turnschuh, der musste Chaos einfach gehören. War klar. Ich ging den Stock tiefer zu ihm runter, klingelte und musste nicht lange warten, bis er verstört wie jeden Tag mir öffnete. Bei einem Bierchen erzählte ich ihm die Geschichte vom Schuh. Die Story mit Blondie ließ ich aus. Das hätte ihn zu weit vom Thema gebracht. Nach dem ich die Geschichte erzählt hatte, schlug mir eine Welle der Dankbarkeit entgegen. Ich hatte große Augen der Freude bereitet. Joeys linker Schuh bekam einen Ehrenplatz auf seinem Marshalltop und Chaos versprach mir Freibier bis zum Ende der RAMONES. Einige Wochen darauf war ich wieder bei ihm zu Besuch. Da fiel mir nicht nur auf, dass er komplett durch den Wind war, sondern auch, dass der Turnschuh nicht mehr auf seinem Platz war. Sage einmal Chaos, wo ist denn der Schuh von Joey geblieben? Auf meine Frage bekam ich ein Heldenverehrung ist für`n Arsch Wotan! zur Antwort an den Kopf geschmettert. Wie jetzt? Heldenverehrung ist für`n Arsch? Verdammt. Chaos! Wo ist der verkackte Schuh Chaos!? Den habe ich in den Abfalleimer geschmissen. Heute Nacht. Das Plektum von Lemmy, dass du mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hast, das auch. Ich bekam Herzrasen. Mir wurde kribbelig und heiß und das ohne Drogen zu mir genommen zu haben. Das Plektrum von Lemmy. Das hätte ich gerade so verkraften können. Aber der Turnschuh von Joey!? Das ging zu weit. Ich rannte aus der Wohnung. Die Treppen runter zur Straße nahm ich halb etagenweise. Wenn ich Glück hatte, dann war die Müllabfuhr heute noch nicht da gewesen. Unten rutschte ich fast der Länge nach im Hauseingang hin, weil ich den 90 Grad Winkel im Sprung nicht elegant hinbekam. Am Ende des Ganges riss ich allen Mülltonnen unseres Hauses die Deckel nach oben. Die harte Wirklichkeit trat mir in den Arsch. Alle Tonnen waren leer. An diesem Tag war die Städtische Müllabfuhr einmal pünktlich gewesen. Nun, die beste und am härtesten arbeitende Rockband aller Zeiten, die RAMONES haben nie in der Stadt Heinrich des Löwen eine Show geliefert, aber irgendwo, auf einer einsamen Müllkippe am Rande der Stadt, da könnte er heute noch liegen. Der linke Turnschuh von JOEY RAMONE. SKY SUNLIGHT SAXON LIVE IM FBZ – März 1989 Heute, am Mittwoch, den 8. März 1989 sitze ich mit einem schwer zu tragenden Kater vor meiner alten Olympia Reiseschreibmaschine mit einem inzwischen fast leer gehämmertem Farbband. Einen Kater, wie ich ihn zuletzt nach einem STIFF LITTLE FINGERS Konzert in Bielefeld zu tragen hatte. Doch englischer Punk-Rock war die Garagen Messe, die SKY SUNLIGHT und seine DRAGONERS gestern in der FBZ zelebrierten mal gar nicht. Nun versuche ich nach und nach, die Ereignisperlen des gestrigen Tages und die ersten Stunden des heutigen auf meine Erinnerungsschnur zu bekommen. Die letzten Stunden nach dem Konzert war ich mit SKY SAXON in Gespräche vertieft, die sehr viel mit Gott und Teufel zu tun hatten. Das man diejenigen Menschen, die ihre Seele noch nicht verkauft haben, meist daran erkennt, dass sie oft zur Gruppe der ärmeren unseres Planeten gerechnet werden. Über schmerzempfindliches Obst und Gemüse. Über selbstmordgefährdete Delphine und zum Schluss eines langen wie intensiven Gespräches über Probleme, die auftreten können, wenn der Mensch zu viele verschiedene Getränke durcheinander in seine obere Schädelöffnung schüttet. Einige Stunden zuvor. Ich war LIVE dabei, als der amerikanische Mick Jagger, wie ihn Muddy Waters einmal nannte, durch den schweren Vorhang des FBZ auf die Bühne trat. Dieser Mann dort oben sollte der „abgeschlaffte“ SAXON sein? Der, vor dem mich einige Bekannte gewarnt hatten? Diejenigen, die auf seinen Konzerten im Frühjahr in Hamburg oder Berlin im Publikum dabei waren und mir die Show nicht gerade als das Konzertereignis der Saison empfohlen hatten. Humbug. Am heutigen Abend in Braunschweig lieferten sie gut ab. Nun ja. Mars Bonfire, der ehemalige STEPPENWOLF, der hing faltig und schlaff geworden über seinem Keyboard. Bearbeitete dieses jedoch noch recht vorzüglich. Sie begannen ihr Set mit bekannten Hits der SEEDS aus den Sechzigern. Mir kamen fast die Tränen. Vor Begeisterung für das, was ich zu hören bekam. Es klang besser als auf den Scheiben der SEEDS, die ich als Bestandteil meiner Plattensammlung zählte. Das heute war garantiert nicht dieser Sky Saxon, der in Hamburg und Berlin dem Publikum seinen Rücken offenbarte. Nein. Der SAXON dieses Abends, der führte einen wilden Tanz der Gebärden auf. Sprang auf der Bühne hin und her. Machte Alarm. Innerhalb von wenigen Minuten hatte sich die anwesende Meute in zwei Gruppen geteilt. Ein knappes hundert, die auf Hippieart mit Armen und Beinen rummachten und die anderen hundert, die sichtlich erfreut und begeistert mit dem Gesicht zur Bühne hin meditierten. Der Gitarrist hatte sich, danach sah es aus, in einen Trancezustand hinein gespielt. Brachte wirklich gute Riffs auf seinem Instrument zuwege. Der Bassist hielt den Laden beieinander, war der Motor, der den Groove am Laufen hielt. Das T-Shirt, das er trug war eine wahre Farbexplosion. Der hatte ein Teil an, für das ich freiwillig den Eingang der Deutschen Bank geschrubbt hätte. SKY SUNLIGHT SAXON selbst trug ein Batik T-Shirt mit einem riesigem, die ganze Brust bedeckenden PEACE Zeichen. Das sah aus, als hätte er es seit den Flower-Power Zeiten auf Tour dabei gehabt, jedoch immer vergessen es mal zu waschen. Wie er wohl auch vergaß, mal anständig essen zu gehen. Das Teil klebte nach ein paar Songs förmlich auf den deutlich zu erkennenden Rippen. Gut. Wenn es ihm denn gefällt. Die Show an sich war heiß. Wieder einmal kam mir der Verdacht, dass ich zu spät geboren worden sei. Solche Konzerte hätte ich liebend gerne in den sechzigern live mit erlebt. Mit allem was damals Pflicht war. Love, Drugs, Sex, Anarchie & Rock-NRoll. Nach gefühlten dreißig Minuten war die Show vorbei. Das Sky nach dem regulären Set, bei seinen Bewegungsabläufen und sagen wir einmal sehr eigenen Tanzstil nicht an die Sauerstoffflasche angeschlossen werden musste, war erstaunlich. Die fünfziger Grenze hatte der Mann vor Jahren schon hinter sich gebracht. Die etwas mehr als zweihundert Besucher machten im Saal der Bize derartigen Lärm, für den es sonst fünfhundert braucht. Mit 900 Million People Daily All Making Love und endlich, auch Pushing To Hard ging es zum ersten Zugaben Teil der Band über. Dann wurden die Besucher zum Mittanzen auf die Bühne eingeladen. Und, was soll ich sagen, die Bühne füllte sich mit späten Blumenkindern und einigen grinsenden Punkrockern der späten achtziger. An den verschiedenen Mikrophonen wurde begeistert in Gruppen mitgesungen. Wer nicht mitsingen wollte, zu schüchtern war, der schlug mit Gegenständen im Takt den Beat oder tanzte einfach mit. Oh. So ein Konzert war mal wieder nötig. Nach den vielen Depriebands der letzten Zeit. Dass unsere Welt irgendwann mal die Toilette runter gespült wird, wissen wir doch. Da muss ich nicht immer wieder dran erinnert werden! Als letzte Zugabe dann Born To Be Wild. Der Song stammte aus der Feder des heutigen Keyboarders, Mars Bonfire. So bekam der gute Kerl zu Ende des Konzertes zu seinem verdienten Sonderapplaus. Dann war vorbei und alle restlos durch. Die Band, die Meute und ich. Klitschnass und triefend vor Schweiß. Der Bassist war so im Arsch dass er seine Füße beim gehen nicht mehr hochbekam, beim Abgang die Stromkabel mit den Zehen aufsammelte und schließlich nach einem lustigen Hoppeltanz in das Schlagzeug fiel. Dann war Ende und Anfang einer schwer religiös angehauchten wie durchgeknallten Nacht. Die nächste halbe Stunde nach diesem kruden Konzert verbrachte ich damit, mich trocken zu bekommen. Merchandise sei Dank mit einem sehr, neuem T-Shirt am Oberkörper. In diesem stand ich dann, verloren wie benommen vom Auftritt eines angegrauten Musikers, der sich nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder auf die Bühnen dieser Welt gewagt hatte. Mir schwirrten dutzende von Fragen durch mein Hirnwindungen. Fragen, die bei einem Interview beantwortet werden sollten. Was ich über ihn und seine ehemaligen SEEDS kannte, waren zwei alten Scheiben aus den Sechzigern. Natürlich auch seine teilweise absurden Kommentare zu Gott und die Welt, das Universum, der Liebe und dem Ende der Leseprobe von: STREET STORIES - Kurzgeschichten aus dem Underground der achtziger Jahre Toddn Kandziora Hat Ihnen die Leseprobe gefallen? Das komplette Buch können Sie bestellen unter: http://epub.li/1QUZrBv
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