Studien belegen: Ein hoher Frauenanteil in der Führungs

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Dr. Gudrun Henne ist Gründerin der
Managementberatung Viveka International
und hat viele Jahre im Ausland gelebt. Die
promovierte Rechtsanwältin hat sich auf
die Themen „Frauen in Führungspositionen“
und „bessere Entscheidungen treffen“
spezialisiert.
Wie finde ich
die besten
Führungskräfte?
Studien belegen: Ein hoher Frauenanteil in der Führungsetage stärkt ein Unternehmen und macht es wirtschaftlich
erfolgreicher. Trotzdem sind Managerinnen in Deutschlands Top-Positionen noch immer selten. Die Ursache dafür
liegt auch in unbewussten stereotypen Wahrnehmungsmustern. Dr. Gudrun Henne weiß mehr darüber und gibt
Tipps dazu, wie Sie diese Muster aufdecken, verändern –
und so sicherstellen können, dass Sie wirklich die
besten Führungskräfte auswählen.
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Was tun sie nicht alles, die DAXUnternehmen, um ihre Vorstandsbeschlüsse zum Thema „mehr Frauen
in Führungspositionen“ in die Tat
umzusetzen: Frauen-Mentoring, flexiblere Arbeitszeiten, Frauennetzwerke oder Programme wie „Women
to the Top“ oder „100 Women in
Leadership“. Mit den Schlagworten
„gender“, „diversity management“
und „Inklusion“ mühen sich die großen Wirtschaftsprüfergesellschaften
ab, den Frauenanteil im Haus zu
erhöhen und ein „bunteres“ Führungsund Beratungsbild abzugeben. Denn
längst haben sie alle erkannt, dass
sie die Zahl weiblicher Führungskräfte erhöhen müssen, wenn sie
zukunftsfähig bleiben wollen. Dies
hat eine Vielzahl von Gründen: demografischer Wandel, der Wunsch nach
innovativeren Lösungen bei komplexen Fragen und nach Erweiterung
des Wissens- und Kreativitätspotenzials, mehr Kundennähe bei hohem
Kundinnenanteil im B2C-Geschäft.
Und: die Suche nach den Besten.
Immer mehr DAX-Unternehmen bemühen
sich inzwischen darum, ein „bunteres“
Führungsbild abzugeben. Denn sie haben
erkannt, dass sie die Zahl weiblicher Führungskräfte erhöhen müssen, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen.
„Wenn Frauen schneller die besseren Abschlüsse machen, in den TopPositionen aber fast nur Männer
zu finden sind, dann sind nicht alle
Positionen mit den Leistungsbesten
besetzt. Deshalb steht beim Wandel
der Unternehmenskultur auch die
Förderung von Frauen im Fokus“,
liest es sich auf der Karriere-Website
der Daimler AG. Doch auch 12 Jahre
nach der Selbstverpflichtung der
deutschen Wirtschaft, die Zahl der
Frauen in Führungspositionen zu
erhöhen, tun sich die Firmen damit
schwer. Woran liegt’s?
Unbewusste Vorurteile und
implizite Kognitionsprozesse
Sitzen in den HR-Gremien bösmeinende Entscheider, die die Vorstandsbeschlüsse torpedieren und Frauen
den Aufstieg nicht gönnen? Wollen
Frauen „in Wirklichkeit“ nicht? Fast
jeder und jede würde diese Vermutungen brüsk von sich weisen. „Wir unterscheiden nicht zwischen Männern
und Frauen. Wir achten nur auf Qualifikation“, heißt es entrüstet in den
oberen Etagen. „Gerne würden wir
Frauen nehmen, aber leider …“, seufz‚
„… haben die meisten Frauen eben
doch nicht das Zeug dazu“, so scheint
der Satz vom Befragten, nennen wir
ihn Dr. Meier, zu Ende gedacht zu
werden. Dr. Meier ist sich absolut
sicher, dass in seiner Firma nur nach
Qualifikation entschieden wird.
Rational, sachlich, analytisch.
Was Herr Dr. Meier vermutlich nicht
weiß: Von den geschätzten 11 Millionen Informationseinheiten, die
ununterbrochen auf jeden Menschen
einprasseln, werden nur 40 Einheiten
bewusst verarbeitet. Alle anderen
Informationen werden vom Unbewussten gefiltert. Um Einschätzungen
treffen und Entscheidungen schnell
fällen zu können, nutzt das Gehirn
Abkürzungen im Informationsverarbeitungsprozess. Es greift auf verallgemeinernde Muster zurück, seine
innere Landkarte der Welt. Die entsteht durch Erinnerungen, Erfahrungen, übernommene oder selbst
geschaffene Glaubenssätze und
durch gesellschaftliche Allgemeinplätze. Das Gehirn ergänzt die schon
von ihm gefilterte Wahrnehmung
durch Konstruktionen, die zu seiner
Vorstellung von der Welt passen –
unabhängig davon, ob die Außenreize,
auf der die Wahrnehmung beruht,
diese Konstruktionen decken oder
nicht. Die Schemata, die das Gehirn
von Herrn Meier auf menschliche
Beziehungen und Kommunikation
anwendet und die bestimmen, was
er über sein Gegenüber denkt, beruhen auf „implicit social cognition“.
Zu diesen unbewussten Vorannahmen
und Vorurteilen gehören vor allem
Generalisierungen, also Stereotypen,
die wir Menschen einer bestimmten
Kategorie (Berufs- oder Altersgruppe,
Geschlecht, Religion, soziale Herkunft) zuschreiben. Damit verbunden
sind bewertende Gefühle, die positiv
oder negativ sein können und die
unsere Haltung zu dieser Gruppe von
Menschen im Allgemeinen ausmachen. Über diese Stereotypen konstruieren wir uns die Welt und nähern wir
uns dem Unbekannten. Befeuert
werden unsere Vorannahmen durch
uns kaum bewusste Gefühle: Angst
und Unsicherheit bei Ungewissem,
Ablehnung wegen der Ähnlichkeit zu
einer Person, mit der wir ungute
Gefühle verbinden, oder Sympathie
für einen Menschen, der einer für
uns positiv besetzten Kategorie
angehört.
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Stereotypen über Frauen
und Führungskräfte
Bei der Personalauswahl entscheiden
wir uns zum Beispiel gerne für Menschen einer Kategorie, die schon häufiger gute Mitarbeiter „geliefert“ hat.
Die Menschen, die Dr. Meier auswählt,
sind ihm oftmals „irgendwie“ ähnlich. Warum? Weil er sich gut findet
und sich vertraut. Jemand, der ihm
ähnlich ist, am besten in einer jüngeren Ausgabe, dem schlägt sein Herz
entgegen. In ihm erkennt er sich wieder, und das stärkt sein Selbstwertgefühl. Dabei lässt sich Dr. Meier von
beschreibenden und auch von normativen Stereotypen leiten. Erstere
kann man beobachten („Frauen sind
oft …“), die zweiten sind diejenigen,
die wir aus soziokulturellen Gründen
vom anderen erwarten („Eine Frau
sollte … fürsorglich, hilfsbereit, konsensorientiert und mitfühlend sein,
kurz, Gemeinsinn zeigen“.) Stereotyp
sind auch die Vorstellungen davon,
was führungsrelevante Eigenschaften
sind: Eine Top-Führungskraft muss
handlungsorientiert sein – dominant,
ehrgeizig, durchsetzungsstark, wettbewerbsorientiert, hartnäckig. Und
sie soll Konflikte offen angehen. Diese
beiden Stereotype über Frauen und
„typische“ Top-Führungskräfte sind
natürlich nur schwer miteinander
zu vereinbaren.
Wir alle tragen unbewusste Vorannahmen
und Vorurteile in uns. Dazu zählen auch
Generalisierungen und Stereotypen. Über die
konstruieren wir uns die Welt und nähern
wir uns dem Unbekannten. Doch damit liegen
wir manchmal gründlich falsch …
Seien Sie ehrlich: Erwarten Sie die
genannten Eigenschaften nicht auch
von (wirklichen) Führungskräften und
(wirklichen) Frauen? Na gut, nicht
Sie, aber Sie kennen sicher Kollegen,
die genau dies erwarten, nicht wahr?
Übrigens ist es so, dass wir unsere
eigenen unbewussten Vorurteile
naturgemäß nur mühsam erkennen
können. Je bewusster wir vom Gegenteil überzeugt sind, desto stärker
ist unsere Abwehr und desto stärker
beeinflussen unsere unbewussten
Vorannahmen unsere Entscheidungen,
die wir dann mit logisch-rationalen
Argumenten begründen. Viel leichter
ist es dagegen, bei anderen unbewusste Vorurteile zu erkennen.
Die Stereotypenfalle
Eine weitere Herausforderung ergibt
sich aus der sogenannten Stereotypenfalle, der Frauen wie Männer
nur schwer entgehen können: Man
kennt das Stereotyp und meint, sich
stereotypenkonform verhalten zu
müssen, um soziale Anerkennung
oder die Führungsposition zu erhalten.
Dabei geraten Frauen in einen Verhaltens- und Identitätskonflikt:
Zugleich Frau und dominant zu sein
widerspricht dem normativen Stereotyp. Sozialwissenschaftliche Studien
belegen, dass Frauen, die ein Verhalten zeigen, das Top-Führungspositionen zugeschrieben wird, weniger
sympathisch wirken und weniger
beliebt sind als Männer. Denn bei
denen wird dominantes Verhalten als
„natürlich“ angesehen – sie scheinen
gerade deshalb als Führungskraft
geeignet. Das bringt die Frau, die aufsteigen möchte, in ein Dilemma:
Will sie lieber beliebt sein oder sich
durchsetzen? Und es kann auch Entscheider in eine komplizierte Situation bringen: Eignet sich Frau Müller
wirklich als Top-Führungskraft? Der
Verantwortliche hat da so ein ungutes Bauchgefühl … So ganz sympathisch ist ihm diese energische
Person ja nicht … Sollte man nicht
doch lieber den beliebten Herrn
Schmitz vorschlagen? Und dann sieht
sich das Entscheiderteam noch mal
die Lebensläufe an. Sie lesen Informationen bei Herrn Schmitz, die als
positives Entscheidungsargument
besonders hervorgehoben werden,
während mögliche negative Aspekte
als für die Stelle „wenig relevant“
herabgestuft werden. Bei Frau Müller
finden sich Qualifikationsmerkmale,
die weniger wichtig erscheinen,
bestimmte Mängel werden jedoch
besonders betont. Nach reiflicher
Reflexion kommen alle zu der Überzeugung, dass sie eindeutig weniger
geeignet ist als Herr Schmitz. Aus
rein sachlichen Gründen, glaubt man.
Frau Müller sei einfach weniger qualifiziert.
Vielleicht ist Frau Müller über die
Entscheidung auch ganz froh und hat
eine Reihe Rationalisierungen bereit.
Sie ist sich – im Gegensatz zu Herrn
Schmitz – nicht sicher, ob sie das
gepackt hätte („Als Frau will ich einfach nicht so dominant sein“). Obwohl sie bessere Qualifikationen hat
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und sie sich wundert, dass das bei
der Auswahl nicht berücksichtigt
wurde. Zum Glück verlangt niemand
von Frau Müller, weder im Privaten
noch in der Firma, dass sie sich unbedingt hätte durchsetzen müssen –
während das von Herrn Schmitz
natürlich erwartet wurde.
Sechs Schritte zum Abbau
unbewusster Vorurteile
Was kann ein Unternehmen tun, um
zu verhindern, dass unbewusste
Vorurteile und Stereotypen die richtige Besetzung von Top-Führungspositionen gefährden?
1. Machen Sie dies zu einem zentralen
Thema bei der Personalauswahl.
Machen Sie unbewusste Vorurteile
bewusst! Klären Sie darüber auf,
dass Entscheidungen von Vorurteilen
und Stereotypen bestimmt werden,
und arbeiten Sie sie heraus. Benennen Sie die unbewussten Vorurteile,
ohne sie zu verurteilen, und weisen
Sie darauf hin, dass sie möglicherweise der Bestenauswahl im Weg
stehen. Dies muss entlang der gesamten Entscheidungskette in Personalauswahlverfahren geschehen. Denn
jede Entscheidungsstelle ist ein Ort,
an dem unbewusste Vorurteile über
optimale Kriterien siegen können.
2. Trennen Sie zwischen Wahrnehmung, Interpretation und Beurteilung.
Lernen und trainieren Sie, zwischen
Wahrnehmung, Interpretation und
Beurteilung von Verhalten zu trennen.
Üben Sie dies mit allen, die an Personalentscheidungen beteiligt sind.
Nehmen Sie sich für Fallbesprechungen mehr Zeit als üblich, und prüfen
Sie die Argumente genau: Stimmt die
Wahrnehmung? Enthält sie bereits
eine indirekte Interpretation? Wie
wird die Wahrnehmung vermittelt?
Verbirgt sich dahinter eine implizite
Wertung?
3. Nehmen Sie sich Zeit, und erkennen
Sie die Gedankenprozesse bei Entscheidungen. Konzentrieren Sie sich
auf den Entscheidungsprozess, und
achten Sie auf die Gedanken, die
bei Ihnen und Ihren Teamkollegen
ablaufen. Fordern Sie sich gegenseitig
heraus: „Ist das eine Tatsache oder
nehme ich hier etwas an, was nicht
auf einer Beobachtung gründet?“
Seien Sie dabei schonungslos ehrlich. Denn sobald unbewusste Vorurteile ins Licht des Bewusstseins
gerückt werden, können sie bearbeitet und aufgelöst werden. Prüfen Sie
vor allem Menschen, die von sich
behaupten, keine Vorurteile über
andere zu haben, etwa weil sie Frauen
genauso wie Männer behandeln.
Denn je vehementer Vorurteile abgestritten werden, desto stärker wirken sie, falls sie vorhanden sind.
Nehmen Sie sich Zeit für diese Prozesse: Sie werden viel über sich, Ihre
Kollegen und das Unternehmen lernen. Ihr Weltbild und Ihre Handlungsoptionen werden sich erweitern.
Und Sie erarbeiten sich im globalen
Wettbewerb einen Kommunikationsund Verhandlungsvorteil.
4. Ermutigen Sie alle Führungskräfte
und auch die Mitarbeitenden, Vorurteile zu thematisieren.
5. Beziehen Sie Stellung! Führen
Sie vorbildlich, indem Sie Vorurteile,
auch die eigenen, benennen und
Entscheidungen revidieren.
6. Stellen Sie Ihre Annahmen in
Frage. Ausnahmen und Sonderfälle,
die Sie kennen, sind der Einstieg in
den Ausstieg aus unbewussten Vorurteilen. Überlegen Sie bei jeder allgemeinen Aussage: Stimmt das
immer? Fragen Sie sich noch einmal:
Stimmt es wirklich immer? Was wäre,
wenn es nicht immer stimmte? Welche Ausnahmen gibt es?
Wenn Sie ernsthaft mehr Frauen in
Ihren oberen Führungsetagen möchten und dies nachhaltig in Ihrem
Unternehmen verankern wollen,
bedarf es eines Kulturwandels: Auf
Stereotypen beruhende Vorlieben
und Verhaltensgewohnheiten müssen
angesprochen und verändert werden; das gilt auch für unbewusste
geschlechterbasierte Vorurteile und
darauf beruhende Mikroverhaltensweisen und -politiken. So besetzen
Sie zukünftig Ihre Führungspositionen
tatsächlich mit den Besten.