86 87 Dr. Gudrun Henne ist Gründerin der Managementberatung Viveka International und hat viele Jahre im Ausland gelebt. Die promovierte Rechtsanwältin hat sich auf die Themen „Frauen in Führungspositionen“ und „bessere Entscheidungen treffen“ spezialisiert. Wie finde ich die besten Führungskräfte? Studien belegen: Ein hoher Frauenanteil in der Führungsetage stärkt ein Unternehmen und macht es wirtschaftlich erfolgreicher. Trotzdem sind Managerinnen in Deutschlands Top-Positionen noch immer selten. Die Ursache dafür liegt auch in unbewussten stereotypen Wahrnehmungsmustern. Dr. Gudrun Henne weiß mehr darüber und gibt Tipps dazu, wie Sie diese Muster aufdecken, verändern – und so sicherstellen können, dass Sie wirklich die besten Führungskräfte auswählen. 88 89 Was tun sie nicht alles, die DAXUnternehmen, um ihre Vorstandsbeschlüsse zum Thema „mehr Frauen in Führungspositionen“ in die Tat umzusetzen: Frauen-Mentoring, flexiblere Arbeitszeiten, Frauennetzwerke oder Programme wie „Women to the Top“ oder „100 Women in Leadership“. Mit den Schlagworten „gender“, „diversity management“ und „Inklusion“ mühen sich die großen Wirtschaftsprüfergesellschaften ab, den Frauenanteil im Haus zu erhöhen und ein „bunteres“ Führungsund Beratungsbild abzugeben. Denn längst haben sie alle erkannt, dass sie die Zahl weiblicher Führungskräfte erhöhen müssen, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen. Dies hat eine Vielzahl von Gründen: demografischer Wandel, der Wunsch nach innovativeren Lösungen bei komplexen Fragen und nach Erweiterung des Wissens- und Kreativitätspotenzials, mehr Kundennähe bei hohem Kundinnenanteil im B2C-Geschäft. Und: die Suche nach den Besten. Immer mehr DAX-Unternehmen bemühen sich inzwischen darum, ein „bunteres“ Führungsbild abzugeben. Denn sie haben erkannt, dass sie die Zahl weiblicher Führungskräfte erhöhen müssen, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen. „Wenn Frauen schneller die besseren Abschlüsse machen, in den TopPositionen aber fast nur Männer zu finden sind, dann sind nicht alle Positionen mit den Leistungsbesten besetzt. Deshalb steht beim Wandel der Unternehmenskultur auch die Förderung von Frauen im Fokus“, liest es sich auf der Karriere-Website der Daimler AG. Doch auch 12 Jahre nach der Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft, die Zahl der Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, tun sich die Firmen damit schwer. Woran liegt’s? Unbewusste Vorurteile und implizite Kognitionsprozesse Sitzen in den HR-Gremien bösmeinende Entscheider, die die Vorstandsbeschlüsse torpedieren und Frauen den Aufstieg nicht gönnen? Wollen Frauen „in Wirklichkeit“ nicht? Fast jeder und jede würde diese Vermutungen brüsk von sich weisen. „Wir unterscheiden nicht zwischen Männern und Frauen. Wir achten nur auf Qualifikation“, heißt es entrüstet in den oberen Etagen. „Gerne würden wir Frauen nehmen, aber leider …“, seufz‚ „… haben die meisten Frauen eben doch nicht das Zeug dazu“, so scheint der Satz vom Befragten, nennen wir ihn Dr. Meier, zu Ende gedacht zu werden. Dr. Meier ist sich absolut sicher, dass in seiner Firma nur nach Qualifikation entschieden wird. Rational, sachlich, analytisch. Was Herr Dr. Meier vermutlich nicht weiß: Von den geschätzten 11 Millionen Informationseinheiten, die ununterbrochen auf jeden Menschen einprasseln, werden nur 40 Einheiten bewusst verarbeitet. Alle anderen Informationen werden vom Unbewussten gefiltert. Um Einschätzungen treffen und Entscheidungen schnell fällen zu können, nutzt das Gehirn Abkürzungen im Informationsverarbeitungsprozess. Es greift auf verallgemeinernde Muster zurück, seine innere Landkarte der Welt. Die entsteht durch Erinnerungen, Erfahrungen, übernommene oder selbst geschaffene Glaubenssätze und durch gesellschaftliche Allgemeinplätze. Das Gehirn ergänzt die schon von ihm gefilterte Wahrnehmung durch Konstruktionen, die zu seiner Vorstellung von der Welt passen – unabhängig davon, ob die Außenreize, auf der die Wahrnehmung beruht, diese Konstruktionen decken oder nicht. Die Schemata, die das Gehirn von Herrn Meier auf menschliche Beziehungen und Kommunikation anwendet und die bestimmen, was er über sein Gegenüber denkt, beruhen auf „implicit social cognition“. Zu diesen unbewussten Vorannahmen und Vorurteilen gehören vor allem Generalisierungen, also Stereotypen, die wir Menschen einer bestimmten Kategorie (Berufs- oder Altersgruppe, Geschlecht, Religion, soziale Herkunft) zuschreiben. Damit verbunden sind bewertende Gefühle, die positiv oder negativ sein können und die unsere Haltung zu dieser Gruppe von Menschen im Allgemeinen ausmachen. Über diese Stereotypen konstruieren wir uns die Welt und nähern wir uns dem Unbekannten. Befeuert werden unsere Vorannahmen durch uns kaum bewusste Gefühle: Angst und Unsicherheit bei Ungewissem, Ablehnung wegen der Ähnlichkeit zu einer Person, mit der wir ungute Gefühle verbinden, oder Sympathie für einen Menschen, der einer für uns positiv besetzten Kategorie angehört. 90 91 Stereotypen über Frauen und Führungskräfte Bei der Personalauswahl entscheiden wir uns zum Beispiel gerne für Menschen einer Kategorie, die schon häufiger gute Mitarbeiter „geliefert“ hat. Die Menschen, die Dr. Meier auswählt, sind ihm oftmals „irgendwie“ ähnlich. Warum? Weil er sich gut findet und sich vertraut. Jemand, der ihm ähnlich ist, am besten in einer jüngeren Ausgabe, dem schlägt sein Herz entgegen. In ihm erkennt er sich wieder, und das stärkt sein Selbstwertgefühl. Dabei lässt sich Dr. Meier von beschreibenden und auch von normativen Stereotypen leiten. Erstere kann man beobachten („Frauen sind oft …“), die zweiten sind diejenigen, die wir aus soziokulturellen Gründen vom anderen erwarten („Eine Frau sollte … fürsorglich, hilfsbereit, konsensorientiert und mitfühlend sein, kurz, Gemeinsinn zeigen“.) Stereotyp sind auch die Vorstellungen davon, was führungsrelevante Eigenschaften sind: Eine Top-Führungskraft muss handlungsorientiert sein – dominant, ehrgeizig, durchsetzungsstark, wettbewerbsorientiert, hartnäckig. Und sie soll Konflikte offen angehen. Diese beiden Stereotype über Frauen und „typische“ Top-Führungskräfte sind natürlich nur schwer miteinander zu vereinbaren. Wir alle tragen unbewusste Vorannahmen und Vorurteile in uns. Dazu zählen auch Generalisierungen und Stereotypen. Über die konstruieren wir uns die Welt und nähern wir uns dem Unbekannten. Doch damit liegen wir manchmal gründlich falsch … Seien Sie ehrlich: Erwarten Sie die genannten Eigenschaften nicht auch von (wirklichen) Führungskräften und (wirklichen) Frauen? Na gut, nicht Sie, aber Sie kennen sicher Kollegen, die genau dies erwarten, nicht wahr? Übrigens ist es so, dass wir unsere eigenen unbewussten Vorurteile naturgemäß nur mühsam erkennen können. Je bewusster wir vom Gegenteil überzeugt sind, desto stärker ist unsere Abwehr und desto stärker beeinflussen unsere unbewussten Vorannahmen unsere Entscheidungen, die wir dann mit logisch-rationalen Argumenten begründen. Viel leichter ist es dagegen, bei anderen unbewusste Vorurteile zu erkennen. Die Stereotypenfalle Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der sogenannten Stereotypenfalle, der Frauen wie Männer nur schwer entgehen können: Man kennt das Stereotyp und meint, sich stereotypenkonform verhalten zu müssen, um soziale Anerkennung oder die Führungsposition zu erhalten. Dabei geraten Frauen in einen Verhaltens- und Identitätskonflikt: Zugleich Frau und dominant zu sein widerspricht dem normativen Stereotyp. Sozialwissenschaftliche Studien belegen, dass Frauen, die ein Verhalten zeigen, das Top-Führungspositionen zugeschrieben wird, weniger sympathisch wirken und weniger beliebt sind als Männer. Denn bei denen wird dominantes Verhalten als „natürlich“ angesehen – sie scheinen gerade deshalb als Führungskraft geeignet. Das bringt die Frau, die aufsteigen möchte, in ein Dilemma: Will sie lieber beliebt sein oder sich durchsetzen? Und es kann auch Entscheider in eine komplizierte Situation bringen: Eignet sich Frau Müller wirklich als Top-Führungskraft? Der Verantwortliche hat da so ein ungutes Bauchgefühl … So ganz sympathisch ist ihm diese energische Person ja nicht … Sollte man nicht doch lieber den beliebten Herrn Schmitz vorschlagen? Und dann sieht sich das Entscheiderteam noch mal die Lebensläufe an. Sie lesen Informationen bei Herrn Schmitz, die als positives Entscheidungsargument besonders hervorgehoben werden, während mögliche negative Aspekte als für die Stelle „wenig relevant“ herabgestuft werden. Bei Frau Müller finden sich Qualifikationsmerkmale, die weniger wichtig erscheinen, bestimmte Mängel werden jedoch besonders betont. Nach reiflicher Reflexion kommen alle zu der Überzeugung, dass sie eindeutig weniger geeignet ist als Herr Schmitz. Aus rein sachlichen Gründen, glaubt man. Frau Müller sei einfach weniger qualifiziert. Vielleicht ist Frau Müller über die Entscheidung auch ganz froh und hat eine Reihe Rationalisierungen bereit. Sie ist sich – im Gegensatz zu Herrn Schmitz – nicht sicher, ob sie das gepackt hätte („Als Frau will ich einfach nicht so dominant sein“). Obwohl sie bessere Qualifikationen hat 92 und sie sich wundert, dass das bei der Auswahl nicht berücksichtigt wurde. Zum Glück verlangt niemand von Frau Müller, weder im Privaten noch in der Firma, dass sie sich unbedingt hätte durchsetzen müssen – während das von Herrn Schmitz natürlich erwartet wurde. Sechs Schritte zum Abbau unbewusster Vorurteile Was kann ein Unternehmen tun, um zu verhindern, dass unbewusste Vorurteile und Stereotypen die richtige Besetzung von Top-Führungspositionen gefährden? 1. Machen Sie dies zu einem zentralen Thema bei der Personalauswahl. Machen Sie unbewusste Vorurteile bewusst! Klären Sie darüber auf, dass Entscheidungen von Vorurteilen und Stereotypen bestimmt werden, und arbeiten Sie sie heraus. Benennen Sie die unbewussten Vorurteile, ohne sie zu verurteilen, und weisen Sie darauf hin, dass sie möglicherweise der Bestenauswahl im Weg stehen. Dies muss entlang der gesamten Entscheidungskette in Personalauswahlverfahren geschehen. Denn jede Entscheidungsstelle ist ein Ort, an dem unbewusste Vorurteile über optimale Kriterien siegen können. 2. Trennen Sie zwischen Wahrnehmung, Interpretation und Beurteilung. Lernen und trainieren Sie, zwischen Wahrnehmung, Interpretation und Beurteilung von Verhalten zu trennen. Üben Sie dies mit allen, die an Personalentscheidungen beteiligt sind. Nehmen Sie sich für Fallbesprechungen mehr Zeit als üblich, und prüfen Sie die Argumente genau: Stimmt die Wahrnehmung? Enthält sie bereits eine indirekte Interpretation? Wie wird die Wahrnehmung vermittelt? Verbirgt sich dahinter eine implizite Wertung? 3. Nehmen Sie sich Zeit, und erkennen Sie die Gedankenprozesse bei Entscheidungen. Konzentrieren Sie sich auf den Entscheidungsprozess, und achten Sie auf die Gedanken, die bei Ihnen und Ihren Teamkollegen ablaufen. Fordern Sie sich gegenseitig heraus: „Ist das eine Tatsache oder nehme ich hier etwas an, was nicht auf einer Beobachtung gründet?“ Seien Sie dabei schonungslos ehrlich. Denn sobald unbewusste Vorurteile ins Licht des Bewusstseins gerückt werden, können sie bearbeitet und aufgelöst werden. Prüfen Sie vor allem Menschen, die von sich behaupten, keine Vorurteile über andere zu haben, etwa weil sie Frauen genauso wie Männer behandeln. Denn je vehementer Vorurteile abgestritten werden, desto stärker wirken sie, falls sie vorhanden sind. Nehmen Sie sich Zeit für diese Prozesse: Sie werden viel über sich, Ihre Kollegen und das Unternehmen lernen. Ihr Weltbild und Ihre Handlungsoptionen werden sich erweitern. Und Sie erarbeiten sich im globalen Wettbewerb einen Kommunikationsund Verhandlungsvorteil. 4. Ermutigen Sie alle Führungskräfte und auch die Mitarbeitenden, Vorurteile zu thematisieren. 5. Beziehen Sie Stellung! Führen Sie vorbildlich, indem Sie Vorurteile, auch die eigenen, benennen und Entscheidungen revidieren. 6. Stellen Sie Ihre Annahmen in Frage. Ausnahmen und Sonderfälle, die Sie kennen, sind der Einstieg in den Ausstieg aus unbewussten Vorurteilen. Überlegen Sie bei jeder allgemeinen Aussage: Stimmt das immer? Fragen Sie sich noch einmal: Stimmt es wirklich immer? Was wäre, wenn es nicht immer stimmte? Welche Ausnahmen gibt es? Wenn Sie ernsthaft mehr Frauen in Ihren oberen Führungsetagen möchten und dies nachhaltig in Ihrem Unternehmen verankern wollen, bedarf es eines Kulturwandels: Auf Stereotypen beruhende Vorlieben und Verhaltensgewohnheiten müssen angesprochen und verändert werden; das gilt auch für unbewusste geschlechterbasierte Vorurteile und darauf beruhende Mikroverhaltensweisen und -politiken. So besetzen Sie zukünftig Ihre Führungspositionen tatsächlich mit den Besten.
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