Hols der Geier: Die Fütterung hautnah miterleben

LEBEN
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Tages-Anzeiger · Donnerstag, 28. Mai 2009
BILDER MARCEL RUPPEN
Spanien beherbergt mit rund 22 000 Brutpaaren den grössten Bestand an Gänsegeiern in Europa. Wegen der EU-Vorschriften wird den Aasfressern immer mehr die Nahrungsgrundlage entzogen.
Hols der Geier: Die Fütterung hautnah miterleben
Ein besonderes Spektakel ist
im spanischen Städtchen
Valderrobres zu beobachten:
Hunderte von Gänsegeiern
werden täglich mit toten
Kaninchen und Küken gefüttert.
Von Stefan Hohler, Valderrobres
Die Szene wirkt gespenstisch: Von dem
langen Felsband im Hintergrund schweben langsam schwarze Silhouetten auf
uns zu: 10, 20, 50, 100, und es werden immer mehr. Am Schluss versammeln sich
rund 450 Gänsegeier am Futterplatz, wie
wir später erfahren. Wir sitzen in einer
engen Hütte etwas ausserhalb der Kleinstadt Valderrobres, rund 200 Kilometer
südlich von Barcelona, und starren durch
die schmalen Fenster. «Mas de Bunyol»
heisst die Finca, wo täglich nach 9 Uhr
die Gänsegeier der näheren und weiteren
FRANKREICH
SPANIEN
ARAGON
KATALONIEN
Barcelona
Valderrobres
Mittelmeer
VALENCIA
100 km
TA-Grafik mt
Jeden Morgen, punkt 9 Uhr: Die Gänsegeier kommen zum «Frühstück» zu José Ramon Moragrega. Die Karrette mit den toten Küken ist innert Minuten leer.
Umgebung mit toten Küken und Kaninchen gefüttert werden. Plötzlich, wie auf
ein Kommando, fliegen die auf den Bäumen rund um den Futterplatz niedergelassenen Gänsegeier auf den Boden.
Sie haben José Ramon Moragrega, den
«Geiermann», erblickt, der von dem nahen Haus mit einer Schubkarre voller
Küken heranmarschiert. Ein wildes Gedränge, Gehacke und Gekreische beginnt, die Federn stieben. Noch bevor er
seine Ladung leeren kann, packen sich
einzelne Vögel ein Küken von der Karrette. Sie versuchen, sich in Sicherheit zu
begeben, um die Beute in Stücke zu zer-
reissen und sie hinunterzuschlingen –
kein einfaches Unternehmen, werden sie
doch von allen Seiten von anderen hungrigen Geiern bedrängt. Nach kurzer Zeit
ist der Kükenhaufen verschwunden, nur
noch herumwirbelnde Federn weisen auf
das «Frühstück» hin. Die Geier warten
auf den zweiten Gang. Diesmal karrt José
Ramon Moragrega eine Ladung toter Kaninchen heran, die ebenfalls in kürzester
Zeit mit Haut und Haaren hinuntergewürgt werden. Nach einer dritten Karrette beruhigen sich die Gänsegeier – der
gröbste Hunger ist gestillt. Sie putzen ihr
Gefieder, legen sich zur Ruhe auf den Bo-
den oder segeln vom leicht erhöhten
Startplatz aus wieder davon.
Futtermangel wegen EU-Vorschriften
Die Geschichte des «Observatorio de
aves Mas de Bunyol» begann 1990, als
Moragrega die anfänglich nur sporadisch
auftauchenden Gänsegeier zu füttern begann. Da immer mehr Vögel erschienen,
wurde aus der Finca im Jahr 2000 eine
Stiftung mit Beobachtungs-, Forschungsund Wiedereinführungsstation, die auch
von staatlicher Seite unterstützt wird. Neben den Gänsegeiern können vereinzelt
auch Mönchs- und Schmutzgeier beobachtet werden.
Spanien beherbergt mit rund 22 000
Brutpaaren den weitaus grössten Gänsegeierbestand in Europa. Wegen der EUVorschriften zur Beseitigung von Tierkadavern auf den Weiden (Seuchenbekämpfung) wird den Aasfressern aber
vermehrt die Nahrungsgrundlage entzogen.
Fachleute sind überzeugt, dass die in
den letzten Jahren in der Schweiz,
Deutschland, Holland und Belgien häufiger gesichteten Gänsegeier vom Hunger
fortgetrieben wurden.
ZU FUSS: DIESE WOCHE IM LINTHGEBIET (SG)
Der Regelstein ist auch ein Regulastein
Von Thomas Widmer
ie Route von Ricken auf
den Regelstein und hinab
nach Gommiswald ist an
sich pure Freude. Als wir
sie unter die Füsse nehmen, irritiert uns allerdings, dass die Einheimischen, die wir treffen, nicht
vom «Regelstein» sprechen, wie er
auf der Karte und den Wegweisern
heisst. Sie sagen «Regulastein».
Zum Beispiel der gesprächige ältere Herr mit Farbtopf und Pinsel
im Steilwald ob Ricken. Er ist daran, die gelben Wandersignaturen
zu erneuern, und kündigt uns an,
es liege noch ein Rest Schnee unterhalb des «Regulasteins».
Tatsächlich? Dabei ist der Aussichtspunkt mit 1315 Meter über
Meer gar nicht besonders hoch.
Nun, es war ein strenger Winter.
Aber was gilt jetzt: «Regelstein»
oder «Regulastein»? Zu Hause
ziehe ich das Historische Lexikon
der Schweiz zu Rate. «Regelstein»
ist korrekt. «Regulastein» ist eine
nachgeschobene Christianisie-
D
rung. Im Spätmittelalter
liess man sich auch im St.Gallischen von den Legenden um das Zürcher Stadtheiligenpaar Felix und Regula
bezaubern.
Man
wünschte sich, dass der Regelstein in den frommen
Stoff eingebunden wäre,
nannte ihn daher «Regulastein» und errichtete auf
ihm eine Felix- und RegulaKapelle.
Sie wurde 1676 wieder
abgebaut. Die Kuppe, die
BILD THOMAS WIDMER
wir nach einem schweisstreibenden Zwei-Stunden- Paraderücken: kurz vor der Alp Egg.
Aufstieg durch den Wald –
sehr hart das lehmige Intermezzo – mahnt. Man möchte loslaufen, immer schneller werden, wegfedern
erreichen, ist daher leer. Sie taugt
– und würde nach einem erfrizum Rastplatz umso mehr, als die
schenden Flug in den Zürich-, geAussicht vom Feinsten ist: Man
nauer Obersee, eintauchen, dessen
sieht auf die Churfirsten und den
Alpstein, über die Hügelwelt Aus- Blau bestechend rein wirkt.
Wir tun es dann doch nicht. Daserrhodens ins Österreichische,
zum nahen Speer und Federispitz. für landen wir auf der Alp Egg in
der gleichnamigen Wirtschaft. Sie
Danach folgt das Filetstück der
Route: Sanft abwärts spazieren wir ist ein Etablissement, an dem alles
zur Alp Egg auf einem langen Berg- geräumig ist: die Stube, der glasgerücken, der an ein Sprungbrett ge- schützte, wintergartenartige Halb-
wieder einkehren; überhaupt wimmelt es in diesem
Zwischenreich zwischen
Obersee, Thurtal und
Ricken
Speerkette von WirtschafEbnat780 m ü. M.
Kappel
ten und Wirtschäftlein.
Apropos «Zwischenreich»: Wie heisst eigentlich die Region? «Sie, sind
Regelstein
1315 m ü. M.
Egg
wir hier im Toggenburg?»,
frage ich einen Bauern. Er
Chlosterberg
wehrt entsetzt ab: Nein, sicher nicht! Dies sei Boden
Gommiswald
der Gemeinde GommisSCHWEIZ
584 m ü. M.
wald, wir seien im Linthgebiet und keineswegs im
TA-Grafik ib
Toggenburg.
So ist auch diese Namensfrage geklärt. Beim Klosteraussenraum, die Terrasse. Einen
Kinderspielplatz gibt es auch. Wir berg nehmen wir nun nicht das Direktsträsschen nach Gommiswald,
bestellen typische «Ich-bin-gelausondern traversieren übers Bachfen-jetzt-will-ich-etwas-Rechtobel auf die andere Hanghälfte. Jetes»-Dinge wie Wurstspiessli mit
Pommes frites und nehmen als Bei- ner Weg verspricht mehr Natur.
Und die dunklen Wolken haben
lagen den See und die Berge.
sich verzogen.
Als sinistre Winde aufkommen,
Der Wanderbericht müsste nun
brechen wir auf; das könnte ein
Gewitter werden. Wir halten hinab in Minne enden. Leider ist es aber
so, dass mein seit vier Jahren aktiin die Geländerinne zur Linken.
ver Wanderklub «Fähnlein FieselDort kann man im «Klosterberg»
2 km
schweif» an diesem Samstag seinen
ersten Unfall zu verzeichnen hat.
Eine Klubkollegin (wer, gehört zu
den Interna und bleibt geheim) hat
sich nach der Alp Egg den Fuss
«vertrampt». Das wirkt im Moment
unspektakulär, sie kann den Rest
des Weges einigermassen gehen,
doch unten in Gommiswald kommt
der Schmerz heftig. In Zürich stellt
sich heraus: Bänderzerrung.
Oh weh. Just zur anlaufenden
Wanderhauptsaison so ein Malheur – das ist hart. Ich wünsche dir,
liebe Fieselschweif-Freundin, eine
gute und schnelle Besserung!
Internet: Fotos zur Kolumne und
die Swisstopo-Wanderkarte auf
www. zufuss.tagesanzeiger.ch
Gehzeit: 4 Stunden, 30 Minuten.
Höhendifferenz: 550 Meter auf-, 750
Meter abwärts. Einkehr: Alp Egg,
www.alp-egg.ch, Ruhetage Mo/Di.
Klosterberg, kein Ruhetag.
TA-Redaktor Thomas Widmer
stellt jeden Donnerstag eine
Wanderung vor. Seine Wanderbücher gibt es im Echtzeit-Verlag.