Holger Kuhn ∙ Die leibhaftige Münze Holger Kuhn Die leibhaftige Münze Quentin Massys’ Goldwäger und die altniederländische Malerei Wilhelm Fink Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Gerda Henkel Stiftung, Düsseldorf und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. Umschlagabbildung: Quentin Massys: Der Goldwäger und seine Frau Öl/Eichenholz, 71 x 68 cm, 1514, Paris, Louvre; aus: Yamey: Art and Accounting, Taf. XIII Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2015 Wilhelm Fink, Paderborn (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5930-5 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I.Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Bild – Geld – Gott (13) – Zum Aufbau der Arbeit (21) – Antwerpen im 16. Jahrhundert (22) II. Quentin Massys’ Goldwäger … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. … und die Rhetorik der Waage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Inventarisierung (31) – Die Verdrängung des Schreibens und Rechnens (37) – Der abwägende Blick (46) 2. … und die Kunstgeschichte als Jüngstes Gericht: Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 ‚Kapitalismus‘-Kritik? (55) – Ikonographie: Verkündigung, Jungfräulichkeit, Inkarnation (62) – Der Spiegel: Fleckenlose Reinheit (69) – Die Münzen: Blinder Fleck der Ikonographie (73) – Szene der Ökonomie vs. Szene des Gebets (75) 3. … und seine Frau: Eine Gebetsszene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Das Blättern (77) – Das Stundenbuch und die Gebete der Kaufmannsfrau (82) – Sakralisierung des profanen Raumes (90) – Vermittlerin, Visionen und Bildmagie (93) – Die betende Frau als „surrogate self“ des Kaufmanns (99) III. Die Medialität des Heiligen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Theologie und Medientheorie: Grundlagen und Vorüberlegungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Konvertierungen: Die Medialisierung des Heiligen und der Ökonomie (109) – Imago Dei – conformitas – Inkarnation (115) – Mariologie und Mediologie (123) 6 Inhalt 2. Die Medialität Mariens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Einschreibungen: Maria als Pergament (129) – Einprägungen: Maria als Prägematrize (133) – Einbildungen: Maria als Bildkörper (137) IV. Buchkörper in der altniederländischen Malerei . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Das Fleisch des Pergaments: Das Begehren nach dem Buch als Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Jungfräuliche Bücher: Vom Codex bis zum iPad (153) – Verhüllen – Verschließen – Einverleiben (161) – Contra naturam: Sodomitisches Begehren bei Richard de Bury (169) – ‚Natürliche‘ Zeugungen und die Produktion des ‚Anderen‘ (175) – Ehrfürchtige Berührungen: Heilige BuchKörper um 1500 (179) 2. Die Tafeln des Herzens: Der Körper als Buch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Das Buch und das Pergament des Herzens (191) – Herzförmige Codices (195) – Imitatio Mariae und die geistige Geburt Christi (198) V.Innenräume in der altniederländischen Malerei: Marienraum und Warenkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Hauswirtschaftslehre im Mérode-Triptychon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Ambivalente Innenräume (205) – Spirituell codierte Haushaltsführung (212) – Maria empfängt: Geistige Geburt und genealogische Fortpflanzung (216) – Exkurs: Das Mérode-Triptychon als Schrein (221) – Joseph zeugt nicht: Die Unsichtbarkeit der monetären Prokreation (224) 2. Petrus Christus’ Goldschmied und die Ökonomie des disguised symbolism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Entkleidungen: Der verlorene Heiligenschein (233) – Einkleidungen: Disguised symbolism (239) – Blickdramen und Oberflächen (251) – Exkurs: Kompositorische Filiationen: Christus-Massys (254) – Fragen der Diegese (255) – Un/ sichtbare Werte (261) – Der Wert des Sehens (264) 3. Das Rätsel der Signatu(h)r . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Das sichtbare Tick-Tack: Der Puls der Zeit (269) – Die Waag als Gangregler (272) – Das Herz der Uhr (275) – Zur Kulturgeschichte der Zeitmessung (277) Inhalt 7 VI. Die Medialität der Münzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 1. Der Zinsgroschen und die Rückerstattung der imago Dei . . . . . . . . . . . . 287 Wessen Bild und Aufschrift ist das? (287) – Nikolaus Cusanus und die lebendige Münze (293) 2. Wuchernde Zeichen: Bild und Geld im 13. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . 299 Ein Exemplum: Vom Tod des Wucherers und dem Leben der Bilder (299) – Probe aufs Exempel: Thomas von Aquin (314) 3. Die Suche nach der Wertsubstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Massys’ Münzen: Vom Attribut zur Bildrhetorik (327) – Massys und Nicolas von Oresme (332) – Die leibhaftige Münze (340) VII.Postskripta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Körper und Schein im 19. Jahrhundert (347) – Metallismus und Realismus? (351) – Oikodizee 2008 (355) Farbtafeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Abbildungsverzeichnis und -nachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 Vorwort Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner 2012 an der Ruhr-Universität Bochum eingereichten Dissertation. Ich danke Beate Söntgen, die mich vom frühesten Anfang der Arbeit bis heute stets mit größtem Engagement ermutigt hat, mir jede denkbare Hilfestellung hat zukommen lassen und mir bei alledem auch noch vollkommen freie Hand ließ. Mein Dank gilt ebenfalls Valeska von Rosen, die mir mit ihrem Zweitgutachten Bestätigung und Impulse für die Überarbeitung gegeben hat. Für wiederholte anamorphotische Blicke auf die gesamte Arbeit danke ich Sebastian Kirsch. Zahlreiche Kommentare, Anregungen und Korrekturen verdanke ich Katharina Busch, Katrin Grögel, Anita Hosseini, Nils Kumkar, Ronald Weber, Sonja Yeh und den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unseres Bochumer Doktorandenkolloquiums. Wichtige Anregungen erhielt ich auch im Kolloquium Christina von Brauns, an dem ich zwei Semester lang teilnehmen konnte. Jeannet Hommers half mir mit einer buchstäblich richtungsweisenden Beobachtung, Marius Rimmele mit einem Vortrag zu günstiger Stunde und einigen Mails. Bettina Voigt hat mir ein Ziel der Arbeit vor Augen gestellt. Die Möglichkeit zum konzentrierten Arbeiten gaben mir ein Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes sowie ein Abschlussstipendium der Gerda Henkel Stiftung. Der Gerda Henkel Stiftung und der Boehringer Ingelheim Stiftung danke ich für die großzügigen Druckkostenzuschüsse. Mein Dank geht auch an Andreas Knop und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Wilhelm Fink Verlags. Zudem bedanke ich mich bei meinen Eltern Christel und Manfred Kuhn für ihre Unterstützung sowie bei Annemarie Letsch für einen Museumsbesuch. Auch wenn es sich auf alle genannten und ungenannten Namen münzen ließe, so gilt doch ganz besonders: Kein Dankeswort könnte jemals die Unterstützung aufwiegen, die ich von Kim Holtmann erhalten habe. Dennoch sei auch ihr von Herzen gedankt. I. Einleitung Bild – Geld – Gott Im Jahr 1514 hat Quentin Massys in der damaligen Finanzmetropole Antwerpen ein Bild gemalt, das heute im Louvre zu sehen ist und meist durch den Titel Der Goldwäger und seine Frau oder Der Geldwechsler und seine Frau bezeichnet wird (Abb. 1, Taf. 1). Das friedliche Beisammensein der beiden prominent ins Bild gerückten Hauptfiguren täuscht womöglich darüber hinweg, dass das Gemälde einer zweifachen historischen Spannung ausgesetzt ist. Denn sowohl in kunst- als auch in wirtschaftsgeschichtlicher Hinsicht entstammt es einer Schwellenzeit. Kunsthistorisch steht es noch mit einem Bein in der Tradition der aufsehenerregenden Bildstrategien der Altniederländer des 15. Jahrhunderts, die sich mit Namen wie Jan van Eyck, Robert Campin, Petrus Christus und Rogier van der Weyden verbinden. Mit dem anderen Bein steht es bereits in der bedeutend weniger erforschten Antwerpener Malerei des 16. Jahrhunderts, in der sich die Stile, Gattungen und Themen auch angesichts eines emergierenden Kunstmarktes in damals unbekannter Art und Weise entfalteten. Dieser Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit kennzeichnet auch die wirtschaftsgeschichtliche Rolle Antwerpens zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Die Entstehung bzw. Weiterentwicklung von Kreditinstrumenten wie Wechsel, Indossament und Diskont wurden hier entscheidend vorangetrieben; an der 1531 eröffneten neuen Börse (Nieuwe Beurs) wurden zum ersten Mal in diversen Lotterien und Wetten die Grundzüge der Spekulation erprobt. Der Zuwachs an monetären Instrumenten, mit denen Tausch- und Kreditgeschäfte vollzogen wurden, verwandelte die Gesellschaft. Die Ansammlung von Reichtümern wurde mithin zu einer abstrakteren Tätigkeit; negoziierbaren Papieren und verzeitlichten Krediten kam eine größere Bedeutung zu, und das Versprechen auf ein bilaterales und augenscheinlich evidentes Tauschgeschehen schien zunehmend unhaltbar zu werden. Darüber hinaus standen die neuen Handelspraktiken mit ihrem beschleunigten und vergrößerten Waren- und Geldumlauf im Kontrast zur kirchlichen Morallehre, die dem Geld und seinen weltlichen Versprechen auch im 16. Jahrhundert noch mit Skepsis begegnete. Massys’ Gemälde – so die recht einhellige Meinung der Forschung – repräsentiere eben diesen Kontrast zwischen Gott und Geld; es spiegele eine schwankende Befindlichkeit, in der die Subjekte einerseits darauf hoffen, im Jenseits der unendlichen Gnade teilhaftig zu werden, und andererseits wünschen, im Diesseits nicht zu kurz zu kommen. Die Sehnsucht nach überzeitlicher Erlösung pralle auf das Streben nach rein weltlichem Erlös. Dabei appelliere die im Bild visualisierte Predigt an den Betrachter, sich zu besinnen, ob er am Jüngsten Tag im Angesicht des göttlichen Richters einen prallen Geldbeutel oder eine unbelastete Seele in die Waagschale werfen möge. Diese Lesart greift allerdings in vielerlei Hinsicht zu kurz, insbesondere wenn man die Komplexität der Bildkultur jener Schwellenzeit einbezieht. Zudem verstellen solche Deutungen durch die scharfe Gegenüberstellung den wichtigen Zusammenhang, der zwischen ökonomischen und theologischen Fragen besteht. In ihnen bleibt zudem undeutlich, wie sehr historisch spezifische bildtheo- 14 inleitung E Abb. 1: Quentin Massys: Der Goldwäger und seine Frau, 1514. retische Vorannahmen eine Art darstellungstheoretisches Apriori von Religion und Wirtschaft bilden. Die Art und Weise, wie Religion und Ökonomie um 1500 ineinandergreifen, wird ersichtlich, wenn man den Fokus auf den medialen Status derjenigen Gegenstände verschiebt, die in der ökonomischen sowie religiösen Sphäre von Massys’ Gemälde eine offensichtliche Rolle spielen: die Münzen und das Andachtsbuch. Diese galten in der Forschung bislang vor allem als antagonistische Attribute, die eine moralische Lesart dieses und weiterer Bilder erlauben. Die Frage ist allerdings, ob hier nicht eine mediale Konstellation vor Augen gestellt wird, die wesentlich vielseitiger ist und sich bei weitem nicht in attributiven Funktionen erschöpft. Was machen Münzen und Andachtsbücher in jener Zeit eigentlich sicht- und greifbar? Welche Diskurse und Bildkonzepte lassen sich in ihnen erkennen, wenn man ihren Einleitung 15 Status als Medien und die damit verbundenen Funktionsweisen ernst nimmt? Zunächst einmal – so viel sei vorausgreifend schon gesagt – löst sich der strikte Antagonismus zwischen Religion und Wirtschaft auf. Die Sphären und Räume derjenigen, die religiöse oder monetäre Medien benutzen, zeichnen sich nicht so sehr durch einen moralischen Gegensatz aus, sondern im Gegenteil dadurch, dass sie sich überlappen und ineinanderragen. So wird eine andere Konstellation erkennbar. In dieser ist das scheinbar Profane (die Münze) dem Heiligen nicht gänzlich abgewandt, und das scheinbar Sakrale (das Andachtsbuch) erscheint als in der materiellen Welt geerdet, in der diesseitigen Welt profaner Körper und ihrer Bedürfnisse. Die vergleichende Gegenüberstellung von Andachtsmedien und Münze, die ich im Folgenden Schritt für Schritt vollziehen werde, weist einige Gemeinsamkeiten zu einer ähnlichen These auf, die besonders prägnant von Jochen Hörisch vertreten wird.1 Diesem zufolge habe nämlich die Münze bestimmte sakrale Mechanismen von der Hostie geerbt. Münze und Hostie teilen nicht nur ihr rundes Design, was ja vollkommen evident ist und auch im Mittelalter nicht unkommentiert blieb, sondern in beiden wird auch einem Zeichen die Fähigkeit zur Wandlung unterstellt: In der Hostie wird das Zeichen des gebrochenen Brotes in den geopferten Leib Christi gewandelt; als Geld können sich Zeichen in beinahe alles wandeln, zumindest alles, was käuflich ist. Auch wenn ich einige der theoretischen Grundannahmen und Thesen Hörischs teile, so gestalte ich die Gegenüberstellung von sakralen und monetären Medien im vorliegenden Buch etwas anders. Vor allem ersetze ich auf der einen Seite der Gleichung die Hostie durch spätmittelalterliche Bildmedien wie das Andachtsbuch. Dabei ziehe ich in die Theorie und Praxis der Bildmedien eine Untersuchungsebene ein, auf der sie mit dem Geld vergleichbar werden. Bei dieser geteilten Ebene handelt es sich um die Verkörperungsleistung der jeweiligen Medien. Das Geld muss den Wert all der Dinge verkörpern können, in die es sich verwandeln soll. Bildern wohnt die bisweilen etwas unheimliche und deswegen auch oft gescholtene Möglichkeit inne, dasjenige zu verkörpern, das sie eigentlich nur repräsentieren sollten. Dieses Verkörperungspotenzial des Bildes ist einerseits mit überzogenen und diffamierten Praktiken des Bildkultes verbunden – man denke nur an Marien- oder Christusskulpturen, deren hölzerne Bildcorpora bluten oder weinen können, als ob sie eins seien mit ihrem lebendigen Referenten. Andererseits ist dieses Verkörperungspotenzial von eminenter Bedeutung für die christliche Theologie. Es findet sich auch in der Inkarnationslehre wieder. Durch die Inkarnation ist Gott selbst in seinem eingeborenen Sohn Bild geworden und hat die Welt der diesseitigen Körper betreten. Der Leib Christi ist auch ein Bildkörper und seine Ankunft auf der Welt ein Prozess der Bild-Werdung. Die Verkörperung des Werts in der Münze, das Verkörperungspotenzial des Bildes, die Inkarnation Christi: Sie sind auf vielfache Weise verbunden. Einige Fragen, auf die ich im Folgenden immer wieder zurückkomme, lauten dementsprechend: An welchen Diskursen und in welchen Bildern und medialen Konfigurationen lassen sich systematische und historische Kontinuitäten auffin 1 Vgl. Jochen Hörisch: Man muss dran glauben. Die Theologie der Märkte, München 2013, insbesondere S. 31-38. 16 Einleitung den, in denen die Inkarnation, das Bild und die Münze miteinander in Beziehung gesetzt sind? Es geht in dieser Arbeit also um das Verhältnis von Bild, Geld und Gott. Die darin enthaltene Relation von Bild und Gott, von Sichtbarem und Unsichtbarem ist offenkundig seit jeher eines der zentralen Themen der Kunstgeschichte und Bildtheorie. Bilder wurden im christlichen Kult benutzt, bisweilen legitimiert und gelegentlich bekämpft. Sie unterhalten eine starke, wenn auch oft umstrittene Beziehung zum Sakralen und können als Vermittler zwischen Transzendentem und Immanentem gelten, die etwas anderes leisten als z.B. die Buchstaben der Schrift. Selbst wenn Bilder religiöse Sujets (Christus, die Heiligen, Episoden aus der Bibel oder den Heiligenlegenden, etc.) ,nur‘ darstellen, so prägt sich ihr medialer Eigensinn in diese Darstellungen doch stets mit ein und markiert eine deutliche Differenz beispielsweise zu einem Text, in dem die gleichen Ereignisse oder Figuren beschrieben werden. Aus diesen umstrittenen Eigenschaften des Bildes resultiert eine Vielzahl an Auseinandersetzungen, die vom byzantinischen Bilderstreit bis zur heutigen bildwissenschaftlichen Diskussion über die Macht, das Leben und den zeichentheoretischen Charakter der Bilder reicht.2 Nun geht es mir aber vor allem darum, im Rahmen dieser wohlbekannten Fragestellungen eine neue Perspektive zu eröffnen, indem ich das Geld und seine Beziehung zum Sakralen in meine Überlegungen miteinbeziehe. Das Dreieck von Bild, Geld und Gott lässt Gemälde wie das von Quentin Massys in einem anderen Licht erscheinen. Innerhalb dieses Dreiecks findet sich wiederum eine zentrale Begriffsrelation, nämlich die zwischen Geld und Gott, um die sich zwar einige für die Kulturgeschichte der letzten 2700 Jahre bedeutende Fragen ranken. Diese sind aber beinahe nie vor dem Hintergrund der mit ihnen verbundenen Bildphänomene und -theorien gestellt worden. Denken wir etwa noch einmal an Massys’ Gemälde: Zwar ist für die gängigen Deutungen offenkundig, dass es hierin um das Verhältnis von Religion und Geldwirtschaft geht, aber dass dieser Streit in einem Bild ausgetragen wird, das diesem Gegensatz womöglich seine eigenen Gesetze einprägt, wird auch (oder vielleicht gerade) von professionellen Bild-Interpreten übersehen. Zudem, und das ist zunächst einmal der wichtigere Punkt, wird in solchen Gegenüberstellungen häufig von einem Kontrast zwischen Gott und Geld ausgegangen. Zugegebenermaßen erodieren das Geld und seine Funktionsweise seit der frühen Neuzeit die Sphäre des Religiösen. Aber ein eindimensionaler Säkularisierungsbegriff, dem zufolge das Profane schlicht an die Stelle des Sakralen trete, genügt nicht, um zu beschreiben, wie das Geld seine Legitimation und Wirkungsweise auf eine grundsätzliche Art und Weise aus den Bereichen des Sakralen schöpft. Es ist der Tenor einer Vielzahl von Kulturtheorien, dass das Geld – und das Wirt 2 Die jüngsten Fragen zur Bildwissenschaft sind zusammengefasst in: Mark A. Halawa: Die Bilderfrage als Machtfrage. Perspektiven einer Kritik des Bildes, Berlin 2013. Vgl. aus der schier unüberschaubaren Literatur zum Bilderstreit etwa: Marie-José Mondzain: Bild, Ikone, Ökonomie. Die byzantinischen Quellen des zeitgenössischen Imaginären, Zürich 2011; Hans Belting (Hg.): Bilderfragen. Die Bildwissenschaften im Aufbruch, München 2007; Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Berlin 2010. Einleitung 17 schaften mit ihm – einige zentrale religiöse Mysterien in verweltlichter Form beerben. Wie sich diese Beobachtung von den Klassikern der Kulturphilosophie bis zur heutigen Kulturgeschichtsschreibung entwickelt, lässt sich kurz skizzieren. Karl Marx hat beispielsweise schon von der „metaphysiche[n] Spitzfindigkeit“ und den „theologische[n] Mucken“3 der Ware gesprochen; und Max Weber hat den „Geist des Kapitalismus“ aus der „protestantischen Ethik“ erklärt.4 Die Dynamik kapitalistischen Wirtschaftens hätte sich ihm zufolge niemals so hegemonial ausgebreitet, wenn sie sich nicht aus der Suche nach einem personalisierten Heil erklären lasse, eine Suche, die eben keine profanen Wurzeln habe, sondern sich gerade deswegen mit solcher Vehemenz vollziehe, weil größere Fragen auf dem Spiel stehen: Im Erlös wird nach Erlösung gesucht, im Kredit steckt das Credo, in den ,Futures‘ verbirgt sich eine Eschatologie etc.5 Walter Benjamin hat vom Kapitalismus als Religion gesprochen und ist damit noch über Max Weber hinausgegangen. Der Kapitalismus, so Benjamin, sei nicht nur aus der Religion hervorgegangen, sondern selbst ein religiöses Phänomen, eine reine Kultreligion nämlich, die ohne theoretische Rechtfertigung auskomme. Ihr Kult sei permanent und wirke zudem (entgegen seiner Apologie) weder erlösend noch versöhnend, sondern verschuldend.6 Auch in jüngeren Untersuchungen, die den unterschiedlichsten Disziplinen und Diskursfeldern angehören, wird festgestellt, dass die „Geschichte des westlichen Geldes […] ohne die christliche Religion nicht zu denken“7 sei. Jacques Le Goff hat aus kirchengeschichtlicher Perspektive die spätmittelalterliche Erfindung des Fegefeuers untersucht und dabei erkannt, wie sakral oder moralisch konnotierte Schuld in rechnerisch codierte Schulden konvertiert wurden, wie die große Münze des Heils in das Kleingeld spätmittelalterlichen Wirtschaftens übersetzt wurde. Das Fegefeuer war seit etwa dem 13. Jahrhundert der Ort, an dem das Buch des Lebens als Verzeichnis der Sünden und Tugenden mit der kaufmännischen Buchführung und ihrer Rhetorik der Zahlen und der Rechnungen kurzgeschaltet wurde.8 Der Literaturwissenschaftler Jochen Hörisch hat ausführlich dargelegt, dass nicht nur die Münze das Design der Hostie beerbt hat, sondern ökonomische Lehren auch auf zahlreichen anderen Ebenen von Glaubenssätzen konstituiert werden, „wie die vom homo oeconomicus, von der unsichtbaren Hand des Marktes, von rational 3Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, in: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, Berlin 1969, S. 85. 4 Max Weber: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, München 2006. 5 Vgl. Samuel Weber: Geld ist Zeit. Gedanken zu Kredit und Krise, Zürich/Berlin 2009. 6 Vgl. Walter Benjamin: Kapitalismus als Religion (1921); in: Dirk Baecker (Hg.): Kapitalismus als Religion, Berlin 2004, S. 15-18. Vgl. auch die Einleitung von Marc Jongen in: Der göttliche Kapitalismus. Ein Gespräch über Geld, Konsum, Kunst und Zerstörung mit Boris Groys, Jochen Hörisch, Thomas Macho, Peter Sloterdijk und Peter Weibel, München 2007, S. 10. 7 Vgl. zu den folgenden Anmerkungen: Christina von Braun: Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, Berlin 2012, S. 13. 8Vgl. Jacques Le Goff: Wucherzins und Höllenqual. Ökonomie und Religion im Mittelalter, Stuttgart 2008. 18 Einleitung choice oder von Gleichgewichtszuständen“9. Ebenfalls aus literaturwissenschaftlicher Perspektive hat Joseph Vogl die prägnante These aufgestellt, dass die jüngsten Finanzbeben den hegemonialen Marktfundamentalismus so schwer erschüttert haben, dass wir heute mit einer Oikodizee konfrontiert seien, analog zur Theodizee im 18. Jahrhundert. Denn ähnlich wie es nach dem Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 nötig war, zu hinterfragen, ob Gott die Welt wirklich so gut eingerichtet habe, so sei es heute unabdingbar, „die Frage nach der Konsistenz der ökonomischen Glaubenssätze [zu] stellen“10. Weitere Untersuchungen (etwa von Horst Kurnitzky, Sitta von Reden oder David Graeber11) entstammen politischer Geschichte, Anthropologie und Soziologie. Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Zuletzt sei hier Christina von Braun genannt, die in ihrem jüngst erschienenen Buch Der Preis des Geldes eine umfassende Synthese dieser und anderer Ansätze vorgelegt hat.12 Von Braun untersucht die Kulturgeschichte des Geldes seit der Antike vor allem auf drei ineinander verwobenen Ebenen. Erstens: Die Geschichte des Geldes lasse sich kaum verstehen, wenn man sie nicht zu parallelen Kulturtechniken wie Schrift und Alphabet in Beziehung setzt. Wie diese verleiht das Geld seinen Nutzern eine Art ,geistige Potenz‘, die es seinem Status als abstraktes Zeichen verdankt. Zweitens müssen die abstrakten Zeichen beweisen können, dass sie sich wieder in materielle Güter umtauschen lassen. Das Geld, das einst in den griechischen Tempeln als Substitut für das Tieropfer erfunden wurde, verlangt nach einer Deckung, es verlangt nach einer Beglaubigung dafür, dass es wieder ,Fleisch‘ werden kann. In historischer wie systematischer Hinsicht war es gewissermaßen die Aufgabe des Christentums, die zeichentheoretische Lehre zu verbreiten und glaubwürdig zu machen, dass Zeichen sich ,materialisieren‘ können, dass also das Wort Fleisch werden (Inkarnation) oder auch ein münzförmiges Stückchen Brot sich in den Leib Christi verwandeln kann (Transsubstantiation). Drittens verfügt das Geld über eine geschlechtliche Dimension, die in unserem Zusammenhang eine besondere Pointe bereitstellt. Seit der Antike begleiten das Geld in historisch jeweils differenziertem Gewand Metaphern, die von seiner Fruchtbarkeit, seiner Zeugungsfähigkeit, seiner Potenz oder auch seiner lebensspendenden Kraft künden. Alle drei Ebenen verschränken sich nun aber, wie von Braun eher am Rande bemerkt, in der Jungfrau und Gottesmutter Maria. Sie steht wie wohl kaum eine an 9 Hörisch: Man muss dran glauben, S. 11. Vgl. ders.: Bedeutsamkeit. Über den Zusammenhang von Sinn, Zeit und Medien, München 2009, S. 304-335; ders.: Gott, Geld, Medien. Studien zu den Medien, die die Welt im Innersten zusammenhalten, Frankfurt a.M. 2004, S. 108-118. 10 Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals, Zürich/Berlin 2010, S. 29. 11 Kurnitzky hat sich der Triebstruktur des Geldes und seiner kultischen Opferlogik gewidmet; Sitta von Reden den Ursprüngen der griechischen Geldwirtschaft, die im antiken Tempel ihren Ausgang nahm. David Graeber hat die Universalgeschichte der Schulden geschrieben, der zufolge das Geld noch nie dem Austausch gleichberechtigter Marktteilnehmer, sondern immer schon der Verschuldung und Machtausübung gedient hat, womit er nicht zuletzt der Occupy-Bewegung eine wichtige theoretische Stimme verschaffte. Vgl. Horst Kurnitzky: Triebstruktur des Geldes. Ein Beitrag zur Theorie der Weiblichkeit, Berlin 1974; Sitta von Reden: Exchange in Ancient Greece, London 2003; David Graeber: Schulden. Die ersten 5000 Jahre, Stuttgart 2012. 12 Vgl. mit einer Vielzahl weiterer Literatur: Braun: Der Preis des Geldes, S. 7-17. Einleitung 19 dere Figur der westlichen Kultur- und Religionsgeschichte für geistige Potenz ohne körperliche Geschlechtlichkeit (Jungfrauengeburt), für die Verschränkung von abstrahierendem Alphabet und fleischlicher Verkörperung (das „Wort ward Fleisch“ in ihrem Leib) und für die Aussicht auf die Tilgung von Schuldverhältnissen durch ein Opfertier (sie ist die Mutter des „Lammes, das die Sünden hinwegnimmt“): „Die Jungfrauengeburt verwies einerseits auf das Paradigma einer Ablösung der sexuellen durch die geistige Fruchtbarkeit; andererseits bot sie aber auch ein Modell für das Kreditwesen, bei dem Geld durch einen sprachlichen Schöpfungsakt geschaffen wird. Sie bot das Idealmodell für die wundersame Vermehrung des nominalistischen Geldes […]. Mit anderen Worten: Kredit, der gerne mit einer Schöpfung ex nihilo verglichen wird, ist eher mit der Metapher der Erzeugung in einem jungfräulichen Schoß zu vergleichen.“13 Damit ist auch schon ein weiterer Hauptgegenstand der vorliegenden Untersuchung benannt, nämlich spätmittelalterliche Marien- und Verkündigungsdarstellungen; eine Miniatur der Madonna befindet sich ja auch in den Händen der Kaufmannsfrau auf Massys’ Gemälde, was – wie wir sehen werden – kein Zufall ist! Doch streift von Braun solche konkreten Bildphänomene zwar auf jeweils aufschlussreiche, aber dennoch eher marginale Art und Weise; die Frage, welche Rolle das Bild im ohnehin schon diffizilen Verhältnis von Geld und Gott einnehmen kann, bleibt offen. Tatsächlich gibt es – so weit ich sehe – bislang nur eine einzige größere Studie, in der die gängigen Überlegungen zum Verhältnis von Bild und Sakralität mit den unheimlichen Beziehungen verknüpft werden, die das Geld zum Transzendenten hegt, nämlich Marc Shells Buch Art and Money.14 Marc Shell, ein Literaturwissenschaftler, war einer der maßgeblichen Stichwortgeber in der Diskussion um literature and economy im angelsächsischen Raum, so dass er auch in der deutschen Literaturwissenschaft rezipiert wurde. In den Kunst- und Bildwissenschaften wurde 13 Braun: Der Preis des Geldes, S. 131. 14 Vgl. Marc Shell: Art and Money, Chicago 1995. Marie José-Mondzains Buch Bild, Ikone, Ökonomie hingegen ist vor allem als Kommentar zum byzantinischen Bilderstreit zu verstehen. Sie diskutiert, wie in der Ikone Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit verschränkt werden. Oikonomia war in nachantiker Zeit und bis etwa zum 13. Jh. kein Begriff, mit dem das weltliche Wirtschaften bezeichnet wurde, sondern bezeichnete vermittelt über Paulus, Athanasius und Tertullian, die den Aristotelischen Begriff ins Theologische wendeten, ,Gottes Heilsplan‘, ,Ratschluss‘ oder ,Vorsehung‘. Er bezeichnet die Verwaltungsakte Gottes, mit denen zwischen Transzendenz und Immanenz vermittelt wird. Marie-José Mondzain hat eindringlich belegt, dass während des byzantinischen Bilderstreits die Bilder deswegen umkämpft waren, weil sie das zentrale Tauschmedium dieser transzendenten Ökonomie waren. Durch Bilder verwirklicht sich Gott in der Sinnenwelt, und mittels der Verteilung von Bildern über die Schwelle des Gotteshauses hinaus werden die Ungläubigen bekehrt. In Verbindung mit Giorgo Agamben: Herrschaft und Herrlichkeit. Zur theologischen Genealogie von Ökonomie und Regierung, Frankfurt a.M. 2010, lässt sich allerdings ihre These fortspinnen. Agamben diskutiert im letzten Abschnitt des Buches, wie sich Adam Smiths ,Unsichtbare Hand‘ aus theologischen Figuren ableite. Sein Fazit lautet: „Indem die Moderne Gott aus der Welt verbannt hat, ist sie nicht nur nicht der Theologie entkommen, sondern hat gleichsam nichts anderes gemacht, als das Projekt der providentiellen oikonomia zu vollenden.“ Ebd. S. 342. 20 Einleitung wohl schlicht übersehen, dass seine Gedanken als Inspirationsquelle für ein ,monetäres‘ oder ,ökonomisches‘ Denken des Bildes fungieren könnten.15 In Art and Money weist er in zahlreichen Kontexten immer wieder darauf hin, dass für das christliche Denken seit jeher monetäre Probleme auch deswegen heikel seien, weil die grundlegende Zwiespältigkeit seines menschgewordenen Gottes sich auf unheimliche Art und Weise in der Münze widerspiegelt. Die Inkarnation des unsichtbaren Gottes im Fleisch seines Sohnes – die Materialisierung eines abstrakten, unsichtbaren Transzendenten im Greifbaren, Materiellen und Fleischlichen – gleicht der Art und Weise, wie auch die Münze das ihr aufgeprägte Bild und den vom souveränen Münzherrn behaupteten Wert im greifbaren Edelmetall zu ,inkarnieren‘ scheint. „This makes money disturbingly close to Christ as a competing architectonic prin ciple.“16 Dieser ,verdrängte‘ und ,unbewusste‘ Münz-Status Christi ist zudem ein gedankliches Passepartout, das sich auch über die Bildtheorie der Ikone legen lässt. „Icons represent spiritual value’s investment in a valuable material thing like gold or silver ingots, thus recalling the physical incorporation of the Holy Ghost on earth. At the same time many icons […] also look just like coins.“17 Die byzantinische Bilderkrise zeige mithin, dass Münzprägung, Bildlichkeit und Inkarnation als Denkfiguren und epistemische Modelle wechselseitig aufeinander bezogen sind. Shell hat diesem Dreiklang in der Kultur- und Bildgeschichte des Mittelalters nachgespürt. Seinem breiten Themenspektrum merkt man an, dass diese Gedankenfigur – wenn auch vor allem latent – allgegenwärtig ist: Er untersucht u.a. Hostien, die wie Münzen aussehen, Darstellungen Danaës, die durch einen Goldregen geschwängert wird, den Uterus Mariens, der einem Geldsäckel gleicht, die Chrysographie, bei der Buchstaben in Gold geschrieben werden oder auch die Analogie von Heiligenschein und Münze. Die folgende Arbeit geht hingegen einen anderen Weg, auch wenn sie ebenfalls den Gemeinsamkeiten von Münze, Bild und Inkarnation gewidmet ist. Die Rolle, die die Inkarnation für die Bildtheologie spielt, werde ich vor allem anhand des Buches bzw. anhand von Buchcorpora nachvollziehen. Die heiligen Bücher des Mittelalters, die ein Gottesfürchtiger ähnlich wie einen liturgischen Gegenstand nur mithilfe eines schützenden Tuches angefasst hätte, erweisen sich als das spiegelbildliche Pendant zu den Münzen, von dessen Kontakt die gleiche Person wahrschein 15 In dem jüngst erschienenen Band von Emmanuel Alloa/Francesca Falk (Hg.): BildÖkonomie. Haushalten mit Sichtbarkeiten, München 2013, wird Shell beispielsweise gar nicht zitiert, auch wenn die Beiträge von Marie-José Mondzain und Emmanuel Alloa sich in einer vergleichbaren Lektüre den Ökonomien des byzantinischen Bildkonzepts widmen. Schon früh hat allerdings der Kulturökonom Michael Hutter auf die Bedeutung von Shells Buch hingewiesen. Shells Verknüpfung von Inkarnation, Ikone und Münze wohne ihm zufolge das Potenzial inne, den epistemologischen Status des Geldes neu zu denken. Vgl. Michael Hutter: Rezension zu „Art and Money“ von Marc Shell; in: Journal of Cultural Economics, Bd. 21 (1997), S. 93-96. 16 Shell: Art and Money, S. 8. 17 Ebd. S. 12. Vgl. zur ikonodulen Rechtfertigung der Ikone mittels der Inkarnationslehre und mittels einiger weiterer Münz-Beispiele: Emmanuel Alloa: Bildwissenschaft in Byzanz. Ein iconic turn avant la lettre; in: Anton Hügli (Hg.): Philosophie des Bildes, Basel 2010, S. 11-36. Einleitung 21 lich (wenn wohl auch nur rhetorisch) Abstand genommen hätte. Dreh- und Angelpunkt der Gegenüberstellung des Buches als Andachtsmedium und der Münzen als Medium des Wertes wird dabei Quentin Massys’ Gemälde sein, in dem die Buchseiten und die Münzen auf vieldeutige Art und Weise gegenübergestellt sind. Zum Aufbau der Arbeit Das erste der sechs folgenden Kapitel ist der genauen Analyse des Gemäldes von Quentin Massys gewidmet. Diesem Bild liegt weit mehr zu Grunde als ein moralischer Appell an den Betrachter; im Umfeld einer komplexen Bildkultur entfaltet sich in ihm der Zusammenhang von Bild, Geld und Gott – und im Verlauf der konkreten Analyse wird somit auch der theoretische Rahmen der Arbeit abgesteckt. In Kapitel III werden zunächst einige theologische Grundlagen erarbeitet, die es erlauben, nach der Medialisierung des Heiligen zu fragen. Dabei werden zentrale theologische und medientheoretische Konzepte erörtert, die den Gang der Argumentation im Folgenden stets begleiten. Anschließend wenden wir uns in Kapitel IV der konkreten Inszenierung von Andachtsbüchern in der Malerei der Altniederländer zu. Dabei werde ich schildern, wie die Körperlichkeit eines bestimmten Bildmediums, nämlich des Codex, bildrhetorisch aktiviert wird. Kapitel V leitet über zur Medialisierung des Ökonomischen. Es führt dabei die theologische Thematik wieder enger mit den ökonomischen Fragestellungen zusammen. Denn hier geht es um die Bildräume, in denen Religion und Ökonomie im 15. Jahrhundert jeweils beheimatet sind. Zwar scheint es, als seien die Interieurs, in denen entweder Andacht oder Geldhandel vollzogen werden, im 15. Jahrhundert noch strikt getrennt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass nicht nur Andachtsräume, sondern insbesondere Marieninterieurs überraschende Äquivalenzen zu den Kaufmannsräumen aufweisen. Kapitel VI nimmt die Theologie der Münzen in den Blick. Dass auch (oder ausgerechnet) Münzen den Status einer positiv konnotierten theologischen Metapher einnehmen, lässt sich anhand der Auslegungsgeschichte der Zinsgroschenanekdote erläutern. Insbesondere aber lässt sich die mittelalterliche – vor allem scholastische – Zeichentheorie der Münze mit derjenigen des Bildes vergleichen. In beiden wird die Materialität des Mediums (als bedrohliche Einflusszone dämonischer Manipulationen) diffamiert. In einem letzten Blick auf Massys’ Gemälde werden wir sehen, dass die Materialität der Medien und ihre Verkörperungsfunktion wiederkehren: Sie strukturieren die Medialisierung des Heils im Andachtsbuch und die Medialisierung des Ökonomischen in den Münzen. Wenn Münzen auf legitime Weise Wert verkörpern können, dann gelingt ihnen dies nicht etwa, weil sie über einen empirisch messbaren Anteil eines Edelmetalls verfügen, sondern weil in ihnen die Inkarnation Christi als verweltlichter Mechanismus reinszeniert wird. Abschließend werden im Kapitel VII in drei Postskripta einige lose Fäden über den eigentlichen Rahmen der Arbeit hinaus zusammengeführt. Dazu zählt erstens 22 Einleitung der Zusammenhang zwischen Papiergeld und Photographie im 19. Jahrhundert. Denn hier verlieren Bild- und Geldmedien in einer bemerkenswerten historischen Koinzidenz ihren ‚Körper‘. Zweitens ist zu fragen, ob es einen historisch-epistemologischen Zusammenhang zwischen Geld- und Bildtheorien gibt: Sind Zeiten, in denen die Deckung des Geldes fraglich wird, auch Zeiten, in denen visuelle Darstellungen hinsichtlich ihres ‚Realitätsgehaltes‘ unglaubhaft werden? Die Auswirkungen dieser Frage werden drittens anhand eines Beispiels aus der Finanzkrise des Herbstes 2008 diskutiert. Antwerpen im 16. Jahrhundert Massys’ Gemälde steht am Beginn einer Reihe von Bildern kaufmännischer Interieurs und Repräsentationen von Kaufleuten, die im 16. Jahrhundert in Antwerpen von großer Beliebtheit gewesen sein müssen, auch wenn wir keine Angaben über die Auftraggeber oder Käufer der Bilder besitzen.18 Marinus van Reymerswaele hat in den 30er Jahren des 16. Jahrhunderts die Komposition übernommen, und zahlreiche Varianten – entweder von ihm selbst, aus seiner Werkstatt oder aus weiteren Werkstätten stammend – sind bis heute erhalten.19 Marinus hat daneben auch kaufmännische Interieurs in Darstellungen neutestamentlicher Szenen und der Parabeln Christi gemalt (etwa die Berufung des Matthäus und das Gleichnis vom unehrlichen Verwalter 20). In den Bildern der Berufung des Matthäus 21, die Jan Sanders van Hemessen wenig später gemalt hat (in den späten 30er und den 40er Jahren), ist Christus förmlich in den Bildraum des von Massys begründeten und von Reymerswaele geradezu inflationär vervielfältigten zeitgenössischen Kontors getreten, um den Weg aus dem Kontor (und zugleich dem Bildraum) heraus zu weisen.22 18 Vgl. zur Übersicht und Einleitung in die Kaufmannsdarstellungen des 16. Jahrhunderts: Marloes Huiskamp: Van wisselaars en woekeraars, tollenaars en vrekken. Het wegen van geld in de Nedelandse schilderkunst van de zestiende en zeventiende eeuw; in: Marloes Huiskamp/Cor de Graaf: Gewogen of Bedrogen. Het wegen van geld in de Nederlanden, Leiden 1994, S. 11-47; Basil S. Yamey: Art and Accounting, New Haven/London 1989, S. 44-92. 19 Vgl. den Katalogteil von: Brigitte Völker: Die Entwicklung des erzählenden Halbfigurenbildes in der niederländischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts, Göttingen 1968, Bd. 2, S. 73-79. Sie listet 19 Varianten der Komposition mit Mann und Frau und knapp 60 Varianten der Komposition mit zwei männlichen Protagonisten auf. 20 Marinus van Reymerswaele: Gleichnis vom unehrlichen Verwalter, um 1540, Wien, Kunsthistorisches Museum; ders.: Die Beruftung des Matthäus, 1536, Ghent, Museum voor Schone Kunsten. 21 Jan Sanders van Hemessen: Die Berufung des Matthäus, 1536, München, Alte Pinakothek; weitere Versionen von 1539-40 bzw. 1548 in Wien, Kunsthistorisches Museum. 22 Vgl. Grace A. H. Vlam: The Calling of Saint Matthew in Sixteenth-Century Flemish Painting; in: The Art Bulletin, Bd. 59, Nr. 4 (1977), S. 561-570; Burr Wallen: Jan van Hemessen. An Antwerp Painter between Reform and Counter-Reform, Ann Arbor 1983, S. 67-77. Einleitung 23 Offensichtlich bestand in Antwerpen ein erhöhter Bedarf danach, dem Phänomen ein Gesicht zu geben, das retrospektiv als „feverish capitalistic boom“23 bezeichnet wurde. Die Kaufmannsbilder emergieren zu einer Zeit, in der sich Antwerpen in einer recht wechselvollen Geschichte zum bedeutenden Handelsplatz aufschwang und zeitweise zum größten Marktplatz für Finanz- und Kreditgeschäfte Europas wurde. Massys’ Bild allerdings operiert im Modus eines häufig beobachteten Archaismus (Kap. II.2), da es sich formal und inhaltlich stark an die Malerei des 15. Jahrhunderts anlehnt. Ich werde im Verlauf der Arbeit dieser Vorgabe von Massys’ Bild folgend denjenigen Spuren und Hinweisen nachgehen, die in die Geschichte der Bildtheologie des Spätmittelalters führen. Allerdings bietet der ökonomiehistorische Hintergrund eine wichtige Folie für die gängigen Deutungen der Kaufmannsbilder (vor allem derjenigen van Reymerswaeles) und hat sich auch – sei es explizit oder eher latent – in den bisherigen Interpretationen zu Massys’ Kaufmannsbild am Beginn dieser Bilderreihe niedergeschlagen. Deswegen ist es angemessen, hier einen knappen Überblick über die Bedeutung Antwerpens als finanzieller Metropole des 16. Jahrhunderts zu geben. Während des 16. Jahrhunderts nahm Antwerpen eine besondere Rolle angesichts der sich ausbildenden frühkapitalistischen Handelspraktiken Europas ein und galt insbesondere während des zweiten und dritten Viertels des Jahrhunderts als das Zentrum der neuen Handelswelt. Diese Rolle konnte es zum einen durch seine günstige Lage als wichtiger Handelshafen einnehmen, zum anderen verknüpften sich in Antwerpen wichtige transkontinentale Handelsrouten. Die Engländer wählten um 1500 Antwerpen als Stapelplatz für ihre Textilprodukte, um diese von dort über den ganzen Kontinent zu vertreiben. Deutsche Händler nutzten Antwerpen als Absatzmarkt für ihre Kupfer- und Messingwaren sowie für Seide und Gewürze, die sie von italienischen Händlern gekauft hatten. Diese Produkte wiederum wurden gegen Produkte aus England oder aus den Niederlanden selbst getauscht. Über die süddeutschen Kaufleute wurde das mitteleuropäische Silber nach Antwerpen geleitet und gegen Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts richteten die wichtigsten süddeutschen Kaufleute-Bankiers – in der Finanzgeschichte hat sich hierfür der englische Term merchant-bankers eingebürgert – in Antwerpen Filialen ihrer Handelshäuser ein: die Höchstetter 1486, die Fugger 1508, die Welser 1509.24 Der maritime Handel wiederum erlebte dadurch einen Aufschwung, dass die Portugiesen vorübergehend Antwerpen als exklusiven Stapelplatz für die auf ihren Entdeckungsreisen angesammelten Waren wählten; und die Spanier brachten ab dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts einen Großteil des südamerikanischen Silbers auf dem Antwerpener Geldmarkt zusammen. 23 Herman van der Wee: The Growth of the Antwerp Market and the European Economy. Fourteenth – Sixteenth Centuries, 3 Bde., The Hague 1963, Bd. 2, S. 317. 24 Vgl. Helma Houtman-De Smedt/Herman van der Wee: Die Entstehung des modernen Geldund Finanzwesens Europas in der Neuzeit; in: Hans Pohl (Hg.): Europäische Bankengeschichte, Frankfurt a.M. 1993, S. 75-175, hier S. 89. 24 Einleitung Die Geschichte Antwerpens liest sich dennoch kaum als ewigwährende märchenhafte Dauerkonjunktur. Vielmehr bilden sich die wechselnden Geschicke der internationalen Handelspartner und der von Krisen geschüttelten Reformationszeit im Schwanken zwischen krisenhafter und aufschwingender Wirtschaft ab: Im Zeitraum von 1500 bis 1520 war die Antwerpener Wirtschaft von einem großen Aufschwung geprägt, gefolgt von einer Depression, die bis Mitte der 30er Jahre anhielt; von 1535 bis 1564 wiederum expandierte der Markt – unterbrochen allerdings durch das finanzielle Desaster, das die Anleihen Karls V. in den 50er Jahren anrichteten. Seit etwa 1570 befand sich Antwerpen in einer Abwärtsspirale, die letztlich im Kollaps der 80er Jahre endete, als Antwerpen im Zuge der Abspaltung der nördlichen Niederlande von den spanischen Habsburgern umkämpft war, und schließlich 1585 vom spanischen Statthalter Alessandro Farnese erobert wurde, wodurch (nicht nur protestantische) Kaufleute gezwungen wurden, die Stadt zu verlassen. Die Neuheit der Finanz- und Handelspraktiken in Antwerpen lässt sich an unterschiedlichen Entwicklungen ablesen. Bei Antwerpen handelte es sich beispielsweise tatsächlich um einen internationalen Umschlagplatz. In Brügge hingegen, das während des 15. Jahrhunderts die finanzielle Vormachtstellung eingenommen hatte, wurden Güter vor allem zu dem Zweck importiert, um das dicht bevölkerte Umland zu versorgen. Zudem emanierte der Markt in der Schelde-Stadt aus den lokal und zeitlich begrenzten Bedingungen heraus, wie sie noch für die Brabanter und Flandrischen Messen kennzeichnend waren. Dort trafen sich die Kaufleute zu bestimmten Zeiten des Jahres, um ihre Geschäfte zu erledigen. In Antwerpen nahm der Handel spätestens seit den 1530er Jahren die Form eines permanenten Marktplatzes an, der bis dato auf zeitlich begrenzte Messen beschränkt geblieben war. Aber auch wenn sich insbesondere im Bereich der unterschiedlichen Finanzpraktiken und Kreditinstrumente wichtige Neuerungen (zumindest für den holländischen Raum) ergaben, so entstammten einige bürokratische Einrichtungen wie z.B. die Kontrolle des Handels durch städtische Einrichtungen noch ‚mittelalterlichen‘ ökonomischen Konventionen. Insbesondere war die Zirkulation von Kapital und Kredit begleitet von den traditionellen theologisch-moralischen Vorbehalten gegenüber dem Zins. Zwar hob eine Verordnung Karls V. im Jahr 1540 das kanonische Wucherverbot weitestgehend auf, noch im späten 16. Jahrhundert finden sich aber Belege dafür, dass bestimmte Händler aus moralischen Gründen von einigen Kreditpraktiken Abstand nahmen.25 Antwerpen entwickelte sich nicht nur zum wichtigsten Warenmarktplatz Europas. Eine besondere Schlüsselstellung hatte auch der Geld- und Wechselmarkt inne und zwar sowohl für die wirtschaftliche Bedeutung Antwerpens in der Mitte des Jahrhunderts als auch hinsichtlich der Geschichte des europäischen Bankwesens. Die Entwicklung von Finanzinstrumenten wurde dabei weniger von denjenigen Protagonisten vorangetrieben, die in Brügge während des 14. und 15. Jahrhunderts eine wichtige Stellung eingenommen hatten. Neben den Lombarden als 25 Vgl. Wee: The Growth of the Antwerp Market, S. 353. Einleitung 25 Pfandleihern und den italienischen merchant-bankers kam dort vor allem den Geldwechslern durch ihr Depositengeschäft und das Girobankwesen eine wichtige Rolle zu.26 Da den Geldwechslern in Antwerpen (den ambulanten taflettiers, den zugelassenen Wechslern und auch den gelegentlich als Wechsler agierenden Goldschmieden) seit dem Ende des 15. Jahrhunderts die Annahme von Depositen verboten war bzw. sie durch den Wertverfall des Rechengeldes Bankrott gingen,27 kam ihnen in Antwerpen kaum eine Bedeutung bei der Entwicklung moderner Banktechniken zu. Der Durchbruch im finanziellen Sektor vollzog sich im 16. Jahrhundert somit nicht durch etwaige Entwicklungen im Depositen- und Girobankwesen, sondern durch ein Aufleben des Geschäfts mit negoziierbaren Handelspapieren, das vor allem nach der Eröffnung der neuen Börse (Nieuwe Beurs) im Jahr 1531 aufblühte.28 Als epochemachende Neuerungen werden von den Historikern der Bankengeschichte diverse Finanzinstrumente beschrieben:29 zunächst einmal die Weiterentwicklung des übertragbaren Inhaberschuldscheins zu Beginn des Jahrhunderts. Sie machte es möglich, dass Schuldscheine von den Gläubigern zur Zahlung eigener Verpflichtung an weitere Gläubiger von Hand zu Hand wechseln konnten. Fällige Papiere gingen manchmal durch viele Hände, bevor die Zahlung in bar endlich stattfand. Dabei trat – etwas verkürzt wiedergegeben – das Problem auf, dass die Anonymität des kommerziellen Geschehens zunahm: Wie identifizierte man die nacheinander anweisenden Kaufleute? Und vor allem stellte sich die Frage, wen man haftbar machen konnte, wenn die Zahlung für den letzten Inhaber am Ende der Kette ausblieb? Es mussten unterschiedliche juristische Grundlagen (cessio und Assignierung) entwickelt werden, um sowohl die Rechtssicherheit zu erhöhen als auch die finanzielle Unsicherheit zu minimieren. Dieses Prinzip der Assignierung und Anweisung wurde im letzten Jahrhundertdrittel auch auf den Wechselbrief, der im Gegensatz zum Inhaberschuldschein eine kurzfristige Schuldanweisung beinhaltet, angewandt. Eine wichtige Technik, um die Kette der Gläubiger aufzuzeichnen, war darüber hinaus das Indossament, bei dem auf der Rückseite des Wechsels (in dossa) Namen und Unterschriften der nacheinander anweisenden Kaufleute festgehalten wurden. Zudem wurden in Antwerpen auch die Grundlagen für den moder 26 Vgl. Raymond de Roover: Money, Banking and Credit in Mediaeval Bruges. Italian MerchantBankers, Lombards and Money-Changers. A Study in the Origins of Banking, Cambridge, Mass. 1948. 27 Vgl. zu dieser Kontroverse: Wee: The Growth of the Antwerp Market, S. 357-358. 28 Diese Beobachtung ist für die Kaufmannsbilder nicht unwichtig: Sowohl in den Titeln von Massys’ als auch von Reymerswaeles Bildern wird gelegentlich vom ‚Geldwechsler‘ bzw. ‚Bankier‘ und seiner Frau gesprochen. Zum einen ist es nicht möglich, diese Berufszuschreibung ikonographisch zu entschlüsseln, zum anderen geht der Kurzschluss, dass die Kaufleute als angebliche ‚Geldwechsler‘ den finanziellen Aufschwung – sei dies nun positiv oder negativ bewertet – repräsentieren, an der tatsächlichen Entwicklung vorbei. 29 Vgl. Houtman-De Smedt/Wee: Die Entstehung des modernen Geld- und Finanzwesens, S. 121126; Michael North: Kommunikation, Handel, Geld und Banken in der frühen Neuzeit, München 2000, S. 33. Richard H. Tawney: Religion und Frühkapitalismus. Eine historische Studie, Bern 1946. Richard Ehrenberg: Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und Creditverkehr im 16. Jahrhundert, 2 Bde., Jena 1922, Bd. 2, S. 3-68 und 108-144. 26 Einleitung nen Diskont gelegt. Ein erstes Beispiel von 1536 wurde in den Unterlagen des Tuchhändlers Kitson gefunden. Dieser veräußerte wegen Mangel an Bargelds ein Schuldpapier vor dem Fälligkeitsdatum, indem er es an eine dritte Person verkaufte und dabei einen Rabatt gegenüber der vollständigen Zahlung gewährte. All diese Neuerungen hatten eine immense Bedeutung für die Bankengeschichte Europas. Antwerpens Geld- und Wechselmarkt, der erste überhaupt, in dem lang- und kurzfristige Handels- und Staatspapiere in großer Zahl von Hand zu Hand gehen konnten, legte die Basis für den späteren Erfolg der Banknoten und auch für das moderne Börsenwesen, da an der Antwerpener Börse in diversen Lotterien und Wetten die Grundzüge der Spekulation erprobt werden konnten. Die unterschiedlichen sich bietenden Möglichkeiten, den Geldumlauf zu erhöhen und schnell liquide zu werden, hatten aber ihren Preis. Ihnen fiel das Ideal eines konkreten und sichtbar nachvollziehbaren bilateralen Tausches zweier sich kennender und vertrauender Tauschpartner zum Opfer. Der Verlust dieser – zumindest scheinbar – evidenteren Tauschpraktiken musste durch komplizierte juristische Entwicklungen kompensiert werden; Vertrauen (und vor allem Misstrauen) bezog sich nun auch – bzw. in stärkerem Maße als jemals zuvor – auf verschriftlichte Zeichen, juristische Vereinbarungen, geleistete Unterschriften, zirkulierende Papiere, ausgehandelte Verträge etc.30 Elizabeth Alice Honig hat ähnliche Beobachtungen in ihrer grundlegenden Studie über die Malerei und den Markt in Antwerpen zum prägnanten Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zur Antwerpener Malerei der 1550er und 60er Jahre gemacht.31 Ich bearbeite im Folgenden gewissermaßen die Vorgeschichte der von ihr beschriebenen Phänomene. Ihre Untersuchung schlägt nämlich den Weg zu den Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts ein, in denen das Marktgeschehen und die Welt des Kommerzes visualisiert wird. Der Gang meiner Untersuchung hingegen führt genau in die andere Richtung, nämlich zur Visualisierung und Verkörperung des Unsichtbaren in Andachtsmedien des 15. Jahrhunderts. Nichtsdestotrotz werde ich zeigen, dass die Fragen, wie Werte und Waren visualisiert werden können, bereits im 15. Jahrhundert eine Rolle spielen (Kap. V.2). Die Thesen Honigs zur Malerei des 16. Jahrhunderts lassen sich dabei als (sowohl historischer als auch theoretischer) Horizont meiner Fragestellungen verstehen. Laut Honig begegne man dem Geldhandel im 16. Jahrhundert auch deswegen mit Misstrauen, weil in ihm die Vermittlungsakte auf unheimliche Art und Weise abstrakter werden. Die Finanzgeschichte erscheine schon zu dieser Zeit (und nicht etwa erst seit der zunehmenden Bedeutung des Papiergeldes im 19. Jahrhundert) als Verlust von Konkretion, als Zunahme von Repräsentation und aufschiebender Mediatisierung. Der Kaufmann gilt nicht länger als neutrales Medium, das Güter bewegt und 30 Burr Wallen etwa sieht in den Bildern van Reymerswaeles und deren bisweilen überbordender ‚Zettelwirtschaft‘ Visualisierungen der Faszinations- und Aversionspotenziale, die durch den Gebrauch und Missbrauch des Umlaufs von Handelspapieren, die einerseits Liquidität spenden, andererseits leicht zu manipulieren sind, ausgelöst werden. Vgl. Wallen: Jan van Hemessen, S. 70. 31 Vgl. Elizabeth Alice Honig: Painting and the Market in Early Modern Antwerp, New Haven/ London 1998, S. 8-13. Einleitung 27 die Bedürfnisse der Gemeinschaft befriedigt, sondern seiner Medialität und Vermittlungsleistung wird eine (nicht mehr primär ans Soziale gebundene) Eigenlogik unterstellt. Auch seine Waren werden zu Repräsentationen: sowohl des abstrakten Tauschwerts als auch des Selbstwerts des Kaufmanns; anstelle von Produzenten und Konsumenten betreten vor allem Vermittler von Austauschakten die neue ökonomische Szene. Vollkommen verwirrend ist die Mittlerfunktion des Geldes. Werte werden in diversen Systemen von Rechengeld (reken- oder telmunten) kalkuliert, die in flexibler Relation zu den tatsächlichen Münzen stehen, die der Marktteilnehmer in der Hand hält. Der Wert der Münzen in den Händen der Käufer wiederum kann ohne jegliche in der Münze sichtbaren Veränderungen stark variieren. Im Verlauf eines Jahrs kann sich die Kaufkraft eines Arbeitergehalts etwa verdoppeln oder halbieren. Die Praxis, auf Kredit zu kaufen oder zu verkaufen, die das sichtbare Ereignis des Tausches in eine ungewisse Zukunft verlagert, wandert von den Praktiken der Kaufleute in die alltäglichen Konsumgewohnheiten beinahe aller Schichten. Honig resümiert: „On the market representations – visual, verbal, or conceptual – replaced experience: […] The market of the great merchants, once a visible site where specific responsible agents exchanged goods and caused tangible results, was now so complex and so removed from daily experience that its workings were inconceivable to most common people. […] Perception and communication are replaced by a continual cycle of suspicious mediation and suspect representation, for every child of Mercury is at once a merchant, an actor, an artist – and a liar.“32 In dieser Situtation, die durch den Verlust von Sichtbarkeiten, Evidenzen und Konkretionen geprägt ist, treten einige Antwerpener Maler als Spezialisten der Visualisierung und der Sichtbarmachung hervor. Insbesondere Pieter Aertsen und Joachim Beuckelaer reflektieren und bewerten – so die These Honigs – diese Situation in ihren Marktszenen aus den 50er und 60er Jahren. Wo im Marktgeschehen an die Stelle (vorgeblicher) Evidenzen manipulierbare und bisweilen betrügerische Repräsentationen getreten sind, etablieren sie sich als Techniker des Visuellen und der Repräsentation, die zum einen das urteilende Auge schulen können, verführerische Repräsentationen zu genießen und zugleich kritisch zu befragen. Zum anderen beweisen die Gemälde, dass sie ebenfalls (und womöglich eindrucksvoller als andere Waren) an der verführerischen Augenlust der Warenwelt teilhaben können. Die Bilder reflektieren die Visualität der Waren, zu der sie ja schließlich selber gehören. Denn auch in der Malerei wurde nicht mehr nur gemäß den Wünschen eines Auftraggebers produziert, sondern auf stock und für den Markt.33 Die Unsicherheit der Tausch- und Vertrauensverhältnisse wird mit den Visualisierungsstrategien der Gemälde beantwortet. Die folgende Arbeit geht der Vorgeschichte dieses Zusammenhangs nach. Dabei untersuche ich, wie sich in bestimmten Bildmedien des Spätmittelalters ganz ähnli 32 Elizabeth Alice Honig: Painting and the Market in Early Modern Antwerp, S. 13. 33 Vgl. Robert A. Mayhew: Law, commerce, and the rise of new imagery in Antwerp, 1500-1600, Durham (diss. Duke University) 2011. 28 Einleitung che Fragen nach der Visualisierung und Verkörperung des Unsichtbaren stellen – wenn auch in einer augenscheinlich anderen Sphäre, nämlich dem Bereich religiöser Andachtsmedien. Die Reflexionen über die Bedingungen der Sichtbarkeit von Repräsentationsmedien werden zunächst in der Bildtheologie entwickelt, bevor sie in abgewandelter Form in den Dienst der ökonomischen Szene treten können. Insbesondere Massys’ Gemälde vom Goldwieger und seiner andächtigen Frau wird sich im Folgenden als Schauplatz erweisen, auf dem das Verhältnis von Ökonomie und Theologie verhandelt wird. II. Quentin Massys’ Goldwäger …
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