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Albert-­‐Ludwigs-­‐Universität Freiburg Institut für Medienkulturwissenschaft Googeln statt denken Mögliche negative Auswirkungen der Nutzung von Google Hausarbeit eingereicht bei: Dr. Harald Hillgärtner eingereicht von: Jessica Kiefer 27.09.2015 Inhaltsverzeichnis Einleitung ....................................................................................................................................... 3 1. Einfluss der Schrift auf das Denken ....................................................................................... 4 2. Google .................................................................................................................................... 6 2.1. Das Unternehmen Google Inc. ....................................................................................................... 6 2.2. Googeln als Kulturtechnik .............................................................................................................. 7 2.3. Auswirkungen ................................................................................................................................. 8 2.3.1. Erschaffung der Wirklichkeit ................................................................................................. 8 2.3.2. Geistige Leistungsfähigkeit .................................................................................................... 9 2.3.3. Sozialverhalten .................................................................................................................... 11 3. Fazit ...................................................................................................................................... 12 4. Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 14 2 Einleitung Wie hieß noch einmal der Schauspieler, der in James Marshs letztem Kinofilm die Hauptrolle spielte? Wie schreibt man Ratatouille? Und wie war noch einmal das englische Wort für Besserwisser? Schnell das Smartphone aus der Tasche geholt und zack – nach wenigen Sekunden kennen wir die Antworten. Darüber nachdenken? Fehlanzeige. Warum auch, wenn die Antworten nur wenige Klicks entfernt sind. In der heutigen Zeit verlassen wir uns zunehmend auf digitale Medien. Früher wussten wir die Nummern von unseren Freunden auswendig, heute können wir uns mit Mühe die eigene merken. Statt eine Straßenkarte zu benutzen oder nach dem Weg zu fragen, lassen wir uns von Google Maps zur Zieladresse navigieren. Und anstatt unser Gegenüber um Rat zu fragen, tippen wir ein paar Worte in das Suchfeld von Google ein und erhalten Unmengen an vermeintlichen Antworten. Das Internet ist die zentrale Anlaufstelle für Informationen zu allen Lebensbereichen geworden. Suchmaschinen wie Google ermöglichen den Zugang zu diesen Informationen und sind deshalb aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Nicht wenige mögen sich fragen, wie wir vor Google und Co. überhaupt an Informationen gekommen sind. Egal, um welches Problem es sich handelt – Google scheint für alles eine Lösung zu kennen. Solange wir Internetzugang haben und auf den unbegrenzten Wissenspool Google zugreifen können, meinen wir, Alleswisser zu sein. „Unser Gehirn haben wir abgekoppelt“1, behaupten kritische Stimmen. Google scheint für uns das Tor zur Welt geworden zu sein, das Googeln zur „einzig denkbaren Strategie der Weltannäherung und Wissensaneignung.“2 Statt selbst zu denken, lassen wir zunehmend denken. Doch mit welchen Konsequenzen? Dieser Frage soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Dazu soll im ersten Kapitel der Einfluss der Schrift auf das Denken beim Wechsel von oralen zu literalen Kulturen untersucht werden. Danach soll kurz auf das Unternehmen Google Inc. eingegangen und das Googeln als Kulturtechnik erläutert werden. Anschließend werden die Auswirkungen von Google auf unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, auf unsere geistige Leistungsfähigkeit und auf unser Sozialverhalten genauer beleuchtet. In einem abschließenden Fazit werden die Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst. 1
Bauer, David, „Das Gehirn auf Standby“. Herbold, Astrid, „Google ist unser Leben“. 2
3 1. Einfluss der Schrift auf das Denken Walter J. Ong vertritt in seinem Hauptwerk „Oralität und Literalität“ die These, dass die Schriftlichkeit das Denken der Menschen neu konstruiert habe: Literalisierte Menschen seien Wesen, deren Denkprozesse den einfachen Naturprozessen nicht urwüchsig, sondern in einer von der Technologie des Schreibens geprägten Weise entspringen. Ohne die Schrift könnte das literalisierte Bewusstsein nicht so denken, wie es denkt, nicht nur dann, wenn es sich mit dem Schreiben beschäftigt, sondern auch, wenn es seine Gedanken in oraler Weise ausdrückt. Mehr als jede andere Erfindung hat das Schreiben das menschliche Bewusstsein verändert.3 Ong unterscheidet in seiner Arbeit vier Kulturen: die primär orale Kultur, die handschriftliche Kultur, die vom Buchdruck geprägte Kultur, die den Höhepunkt des Schreibens darstellt und die elektronische Kultur, welche die Schrift und den Druck voraussetzt. Die Schrift, der Buchdruck und die Computertechnologie sind Meilensteine der Technologisierungsgeschichte des Wortes, wobei das Schreiben die wichtigste der technologischen Entwicklungen der Menschheit ist, nicht zuletzt weil sie die intellektuelle Aktivität des modernen Menschen geformt hat.4 Erst durch die Aneignung der Schrift wurde analytisch-­‐logisches Denken möglich5; Literalität ist also unumgänglich für die Entwicklung der Philosophie, der Natur-­‐ und Geisteswissenschaft und ermöglicht die volle Entfaltung des menschlichen Bewusstseins.6 Das Erlernen und die Verinnerlichung einer Technologie wie die des Schreibens kann die menschliche Psyche bereichern und den Geist erweitern.7 Auch Vilém Flusser beschäftigt sich in seinen Texten mit dem Einfluss der Schrift auf das Denken. Er misst dem Schreiben eine Sonderstellung bei und sieht es als „eine Weise des Denkens“8 und „das „offizielle“ Denken des Abendlandes.“9 Die Schrift fixiert nicht nur das Denken, sie realisiert es erst. Unsere Gesellschaft denkt also durch Geschriebenes. Neben den vielen Errungenschaften der Schrift, die unsere Kultur heute so sehr prägen, auf die aufgrund der Beschränkungen dieser Arbeit aber nicht weiter eingegangen werden kann, wurden schon früh Bedenken über mögliche Gefahren geäußert. Platon kritisierte die Schrift in 3
Ong, Oralität und Literalität, S. 81. ibd., S. 86. 5
ibd., S. 16. 6
ibd., S. 22. 7
ibd., S. 85. 8
Flusser, Gesten, S. 47. 9
ibd., S. 48. 4
4 folgenden Punkten, die sich auch auf den Buchdruck und die Computertechnologie übertragen lassen: Schreiben ist unmenschlich, weil es, anders als die mündliche Rede, nicht natürlich, sondern künstlich ist, etwas Hergestelltes.10 Dies trifft natürlich auch auf den Druck und auf Computer und das Internet zu. Außerdem zerstöre die Schrift das Gedächtnis. „[...], man werde vergesslich, indem man sich auf Äußerliches anstatt auf innere Kräfte verlasse. Das Schreiben schwäche das Denken“.11 Wenn man die Möglichkeit hat, etwas aufzuschreiben, braucht man es sich nicht mehr zu merken. Zu Zeiten des Buchdrucks hatte man die Befürchtung, das Überangebot an Büchern könne die Menschen weniger gelehrt machen.12 Heute geben wir immer mehr geistige Arbeit an Maschinen ab und erledigen diese nicht mehr in unserem Gehirn. Die digitalen Medien und Google haben dieses Phänomen in den letzten Jahren noch verstärkt. Des Weiteren kann ein geschriebener Text weder befragt noch angefochten werden. Er lässt sich zwar kritisieren, jedoch nicht zur Verantwortung ziehen. Wer eine Erklärung will, wird auf den Text verwiesen, der eine Erklärung erst nötig macht. Ähnlich geschieht dies auch in Büchern und im Internet. Darüber hinaus könne sich das geschriebene Wort nicht zur Wehr setzen wie das gesprochene Wort. Schreiben sei passiv und in einer unnatürlichen Welt angesiedelt.13 Eine orale Kultur bedarf zur Wissensübermittlung der Kommunikation. Es wird nachgefragt und erklärt, es muss sich verteidigt werden. Wörter haben ihre Wurzeln als Klänge im zwischenmenschlichen Austausch. Die Schrift und der Buchdruck entfernen sie von dort und machen aus ihnen etwas Unpersönliches.14 Dies lässt sich auch an Google und Co. beobachten. Bevor diese und weitere Einflüsse auf unser Denken im Zusammenhang mit Google näher untersucht werden, gilt es, sich einen groben Überblick über das Unternehmen zu verschaffen. 10
Ong, Oralität und Literalität, S. 82. ibd. 12
ibd. 13
ibd. 14
ibd., S. 131. 11
5 2. Google 2.1. Das Unternehmen Google Inc. Von einer anfänglichen Garagenfirma mit vier Mitarbeitern, gegründet von zwei jungen Studenten der Stanford Universität in Kalifornien, ist das Unternehmen Google Inc. innerhalb weniger Jahre zu einer der bedeutendsten Firmen der Welt geworden. Larry Page und Sergey Brin begannen mit der Entwicklung einer Suchmaschine im Jahre 1996. „Backrub“ wurde später in „Google“ umbenannt, angelehnt an den Begriff „Googol“, einer Eins mit hundert Nullen. Googles Erfolg nach dem Start im September 1998 ist vor allem der Schlichtheit der Seite sowie der bis dahin einzigartigen PageRank-­‐Technologie zu verdanken. Das Grundprinzip dieser Methode besteht darin, die Suchergebnisse nach Relevanz zu sortieren; je mehr Links auf eine Seite verweisen, umso höher ist ihre Relevanz. Das erklärte Ziel von Google ist es, „die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich zu machen.“15 Dabei soll es „so einfach wie möglich sein, die gewünschten Informationen zu finden, schnell ans Ziel zu kommen und Dinge effizient zu erledigen.“16 Google ist klarer Marktführer unter den Suchmaschinen. Googles Marktanteil in Deutschland liegt bei über 90%17, in den USA und weltweit gesehen bei immerhin ca. 70%.18 Über die Suchmaschine lässt sich nicht nur das World Wide Web durchsuchen, Google kann auch selbst einfache Fragen beantworten wie z.B. Wie hoch ist der Mount Everest? Die Antwort (8848 m) erscheint noch über den Treffern in einem eigenen Feld. Darüber hinaus liefert Google auf diese Art z.B. auch Ergebnisse zu Rechenaufgaben, Kinoprogramme für eine bestimmte Stadt, das Wetter für die nächsten Tage oder Rechtschreibkorrekturen. Auch wenn die Suchmaschine den wichtigsten Geschäftsbereich des Unternehmens darstellt, bietet Google eine Vielzahl von weiteren Dienstleistungen an, wie z.B. den E-­‐Mail-­‐Dienst Gmail, den Nachrichtendienst Google News, den Online-­‐Kartendienst Google Maps, digitalisierte Bücher über Google Books oder Webbrowser und Betriebssysteme wie Google Chrome und Android. Der Erwerb zahlreicher Firmen, wie z.B. die Videoplattform Youtube oder die Mobiltelefonsparte Motorola, die Entwicklung von Datenbrillen und selbstfahrenden Autos 15
Google Inc., „Unternehmensprofil“. Google Inc., „Was wir tun“. 17
Statista, „Marktanteile ausgewählter Suchmaschinen in Deutschland“. Seo-­‐United, „Suchmaschinenverteilung in Deutschland“. 18
Lunapark, „Suchmaschinen Marktanteile weltweit“. Statista, „Anteile von Google, Bing und Yahoo am US-­‐Suchmaschinenmarkt“. 16
6 sowie die ständige Verbesserung und Anpassung des Such-­‐Algorithmus an die sich ändernden Bedürfnisse der Nutzer verdeutlichen die Innovationsbestrebungen des Megakonzerns.19 Google bietet die meisten seiner Leistungen kostenfrei an. Nach eigener Aussage finanziert sich das Unternehmen zu einem Großteil aus Werbung, die z.B. auf den Ergebnisseiten eingeblendet wird.20 2.2. Googeln als Kulturtechnik Es gibt eine Website, die sich gidf.de nennt. Dort erscheint im Stil der Google-­‐Suchmaschine der Satz: „Google ist dein Freund, aber du scheinst das nicht zu begreifen.“ Wir sehen ein Bild von Bart Simpson, einer Figur aus der Zeichentrickserie „Die Simpsons“, der eine Tafel vollgeschrieben hat mit dem Satz „Ich werde Google benutzen, bevor ich dumme Fragen stelle.“ Weiter unten die Erklärung: Jemand ist der Meinung, dass du zu faul bist, um mit Google zu suchen. Stattdessen nervst du andere Leute damit, für dich zu suchen. Man gab dir diesen Link, um dich genau darauf hinzuweisen. Der Umstand, dass du ihm gefolgt bist, bestätigt das. Wir hoffen, es hilft. Einen schönen Tag noch.21 Wir nutzen das Internet, um uns Wissen anzueignen. Das Internet hat mittlerweile die Rolle eines „globalen Gedächtnisses, einer Bibliothek menschlichen Wissens, zugänglich in allen Winkeln der Erde.“22 Wer die Informationen im Netz nutzen will, kommt um Suchmaschinen nicht herum. Google hat täglich über fünf Milliarden Suchanfragen.23 Es liegt auf der Hand, dass die Internet-­‐Recherche mit Google in den letzten Jahren zur zentralen Kulturtechnik avanciert ist. Mit der unumstrittenen Marktführung Googles ist das Verb „googeln“ zum Synonym für die Suche im Internet geworden. Anders als das „Surfen“, also das wahllose Anklicken verschiedener Links, versteht man unter „googeln“ „die zielgerichtete Nutzung des Internet[s] als Informationsquelle.“24 Der Duden, der das Verb 2004 aufnahm, definiert es als „mit Google im Internet suchen, recherchieren.“25 Mittlerweile bedeutet es jedoch mehr. Wer etwas googelt, geht davon aus, fündig zu werden. Wenn man die Lösung zu einem Problem oder die 19
vgl. Stark, „Don’t be evil“, S. 1. Patzwaldt, „Suchmaschinenlandschaften“, S. 77. 21
Jorberg, „Google ist dein Freund“. 22
Schetsche, „Zehn Prinzipien der neuen Wissensordnung“, S. 17. 23
Stark, „Don’t be evil“, S. 1. 24
Schetsche, „Zehn Prinzipien der neuen Wissensordnung“, S. 30. 25
Duden Online, „googeln“. 20
7 Antwort auf eine Frage nicht weiß, googelt man, um diese herauszufinden. Das Googeln ist mit der Annahme verknüpft, die gewünschten Informationen über die Suchmaschine im Netz zu finden. Schetsche, Lehmann und Krug schlagen den Begriff „Findemaschinen“ vor und beschreiben das Googeln als „den neuen Königsweg bei der langen Suche des Menschen nach Antworten.“.26 Die gesellschaftliche Bedeutung des Googelns ist also nicht zu bestreiten. Doch welche Auswirkungen hat es, wenn wir uns zunehmend auf Google anstatt auf unser Gehirn verlassen? 2.3. Auswirkungen 2.3.1. Erschaffung der Wirklichkeit Über Suchmaschinen wird Wissen gewonnen. Was von Google nicht gefunden wird, existiert für viele Menschen nicht.27 Was sich dagegen schnell finden lässt, scheint richtig und wichtig zu sein. So schenken wir Websites, die weit oben in den Suchergebnissen gelistet sind, prinzipiell mehr Vertrauen und erachten die Firmen dahinter als renommierter im Vergleich zu denen, die weiter hinten in den Suchergebnissen zu finden sind.28 Über die erste Seite der Treffer blättern wir kaum hinaus. Eine Studie der Universität Karlsruhe hat sogar herausgefunden, dass ein Großteil der Suchmaschinennutzer lediglich die ersten fünf Treffer einer Suchanfrage berücksichtigt.29 Dies liegt zum einen an unserer Ungeduld, denn bei der Nutzung von Google erwarten wir, schnell ans Ziel zu kommen. Andererseits spielt das schon erwähnte Vertrauen eine Rolle. Was sich nicht auf der ersten Seite von Google finden lässt, kann nicht wichtig genug sein. Viele Internetnutzer lassen außer Acht, dass Google ein kommerzielles Unternehmen und von wirtschaftlichen Interessen geleitet ist. Darüber hinaus versuchen Unternehmen heutzutage mit allen Mitteln, ihre Websites auf die vorderen Plätze der Ergebnisse zu bringen. Eigens dafür angestellte Spezialisten versuchen die Suchergebnisse zu manipulieren und die Websites ihrer Kunden im Internet besser auffindbar zu machen – unabhängig vom gesuchten Thema. Um unserer Bequemlichkeit entgegenzukommen, liefert 26
Schetsche, „Zehn Prinzipien der neuen Wissensordnung“, S. 30f. Lehmann, „Zehn Prinzipien der neuen Wissensordnung“, S. 21. 28
Patzwaldt, „Suchmaschinenlandschaften“, S. 79. 29
Lehmann, „Blackbox Suchmaschine“, S. 54. 27
8 Google zunehmend auch personalisierte Treffer, die z.B. mit früheren Suchanfragen oder unserem Kaufverhalten im Netz zusammenhängen. Durch die Festlegung der Reihenfolge von Suchergebnissen, die wir zu einem Begriff geliefert bekommen, kann Google unsere Wahrnehmung der Welt strukturieren.30 2.3.2. Geistige Leistungsfähigkeit Kritiker sind der Meinung, dass sich unsere geistige Leistungsfähigkeit verschlechtern kann, wenn wir geistige Arbeiten zunehmend an Maschinen abgeben und diese nicht mehr in unserem Gehirn erledigen.31 Der Hirnforscher Manfred Spitzer gibt zu bedenken, dass unser Gehirn ähnlich funktioniere wie ein Muskel: „Wird er gebraucht, wächst er; wird er nicht benutzt, verkümmert er.“32 Wie leistungsfähig wir geistig sind, hänge davon ab, wie viel wir geistig leisten.33 Deshalb sei die Auslagerung geistiger Arbeit auf digitale Medien als problematisch einzustufen. Betsy Sparrow, Jenny Liu und Daniel M. Wegner von der Harvard Universität untersuchten im Jahre 2011 in vier Experimenten den Einfluss von Google auf das Gedächtnis.34 Die in der Fachzeitschrift Science veröffentlichte Studie gilt als einer der wichtigsten wissenschaftlichen Beiträge zu diesem Thema. Im ersten Experiment fand man heraus, dass die Teilnehmer, wenn sie eine nicht sofort lösbare Aufgabe gestellt bekommen, sofort an das Internet und Google denken. „Es scheint, als wären wir dahingehend programmiert, uns dem Computer zuzuwenden, wenn wir mit Wissenslücken konfrontiert werden.“35 Das Abfragen von Wissen führt zu einer Aktivierung von Begriffen wie „Computer“, „Google“ oder „Yahoo!“. Wenn man etwas nicht weiß, denkt man sofort an die Verwendung einer Suchmaschine, noch bevor man darüber nachdenkt, wie man selbst auf die Antwort kommen könnte. Im schlimmsten Fall könnte das dringende Bedürfnis, eine 30
Lehmann, „Zehn Prinzipien der neuen Wissensordnung“, S. 27. Mauthner-­‐Weber, „Macht Googeln blöd?“. 32
Spitzer, Digitale Demenz, S. 37. 33
Ibd., S. 61. 34
Sparrow et al., „Google Effects on Memory“. 35
Spitzer, Digitale Demenz, S. 98. 31
9 Suchmaschine zu benutzen, das Denken selbst behindern, sodass wir ohne Suchmaschine gar nicht mehr weiterwissen. Im zweiten und dritten Experiment wurde deutlich, dass die Probanden eine Sache eher vergessen, wenn sie denken, die Informationen seien später wieder abrufbar. Wenn sie dagegen gesagt bekamen, dass die Information nicht gespeichert, sondern gelöscht werden würde, konnten sie sich besser erinnern.36 Suchmaschinen stehen uns dauernd zur Verfügung, da wir mittlerweile kaum mehr offline sind. Man könnte vermuten, dass wir ständig das Gefühl haben, uns Informationen nicht merken zu müssen. Denn wenn wir sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder brauchen, schauen wir sie einfach online nach. Das vierte Experiment offenbarte, dass sich die Leute gut daran erinnern, wo eine Information zu finden ist, wenn sie sich den Inhalt dieser nicht merken konnten. Wir erinnern uns also mit größerer Wahrscheinlichkeit daran, wo etwas zu finden ist, als an die Details der Information selbst.37 Mit permanentem Internetzugang ist es gar nicht nötig, sich den Inhalt einer Sache zu merken, solange man weiß, wo man die Information nachgucken kann. Die Experimente zeigen, dass wir bei der Auslagerung geistiger Arbeit auf digitale Medien unser Gehirn weniger beanspruchen. Gleichzeitig sind wir weniger motiviert, uns eine Information einzuprägen, da Google sowieso alles weiß. Anzumerken sei jedoch, dass diese Phänomene nicht unbedingt internetspezifisch sind. Schreibe ich eine Information auf einen Notizzettel, lagere ich die geistige Anstrengung, mich daran zu erinnern, ebenfalls aus. Lese ich ein Buch aus der Bibliothek, muss ich mir auch nicht alle Informationen daraus merken. Schließlich weiß ich, wo ich die Informationen finde und kann später auf sie zurückgreifen. Schon beim Aufkommen der Schrift und später des Buchdrucks wurden – wie bereits erwähnt – ähnliche Befürchtungen geäußert. Hat der Druck die Menschen weniger gebildet gemacht? Wohl im Gegenteil – er hat ganz neue Möglichkeiten geschaffen, sich Wissen anzueignen. Mit dem Internet und Google ist die Wissensaneignung noch einfacher geworden. Wie auch die Schrift und der Druck sind sie aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Google ist einfach eine andere, neue Art der Wissensaneignung. Der Unterschied liegt wohl in der Verfügbarkeit. Während die Bücher in einer Bibliothek enormen Platz brauchen, sind die Informationen im Netz z.B. über unser Smartphone abrufbar, das wir 36
Sparrow et al., „Google Effects on Memory“. ibd. 37
10 jederzeit in unserer Tasche mit uns führen können. Wir müssen uns nicht mehr die Anstrengung machen, in eine Bücherei zu gehen und Bücher zu finden, welche die gesuchte Information enthalten könnten. Uns stehen undenkbar viele passende Informationen über Google und unser Smartphone zur Verfügung, egal wo wir sind – vorausgesetzt, wir haben Internetzugang. Über die Experimente der Harvard Universität hinaus geben Kritiker zu bedenken, dass die Oberflächlichkeit der Inhalte von Websites es uns schwerer machen, uns gelesene Informationen zu merken.38 Je tiefer man einen Sachverhalt im Gehirn bearbeitet, desto besser wird er gelernt und desto besser setzt er sich fest. Online geschieht die Verarbeitung von Wissen oft sehr oberflächlich. Dies liegt u.a. daran, dass uns Hyperlinks dazu verleiten, schnell von Seite zu Seite zu hüpfen. Wir versuchen, alle Reize, die uns das Internet bietet, gleichzeitig wahrzunehmen. Wir bilden uns ein, durch vieles Klicken klug zu werden. Doch um eine Information zu verarbeiten, braucht es Zeit. Wenn das Arbeitsgedächtnis überfordert wird, gelangen keine Informationen ins Langzeitgedächtnis. Die oberflächliche Bearbeitung und das schnelle Zuwenden zur nächsten Sache bewirken ein schlechteres Speichern im Gehirn und eine generell höhere Unkonzentriertheit.39 2.3.3. Sozialverhalten Die oben erwähnte Website „Google ist dein Freund“ und die dort erscheinende Aussage, man sei zu faul zum Googeln, könnte den ein oder anderen stutzig machen. Spricht es nicht eher für Faulheit, ein paar Suchbegriffe in Google einzugeben, statt eine Person direkt zu befragen? Es scheint normal geworden zu sein, sich bei Fragen zunächst an Google zu wenden anstatt an eine reale Person. Zumindest scheint es so von der Gesellschaft erwartet zu werden. Auch wenn man soziale Netzwerke wie Facebook einmal außer Acht lässt – Kritiker sind der Meinung, dass selbst durch Google klassische Kontaktsituationen langsam zu schwinden beginnen.40 Das Rezept für den Apfelkuchen lassen wir uns nicht von Oma erklären, sondern von Google. Wenn wir auf der Suche nach einem netten Restaurant zum Essengehen sind, fragen wir Google anstatt uns Tipps von Freunden zu holen. Und statt nach dem Weg zu fragen und dadurch vielleicht eine nette Bekanntschaft zu machen, lassen wir Google Maps navigieren. 38
Gernert, „Macht Google dumm?“. vgl. ibd. 40
Lehmann, „Zehn Prinzipien der neuen Wissensordnung“, S. 22. 39
11 Es gibt keine Studien zu dieser Entwicklung und Kritiker mögen das Ganze vermutlich überspitzt darstellen. Google ersetzt nicht etwa die zwischenmenschliche Kommunikation. Schon zur Schrift und zum Buchdruck wurde bemängelt, sie seien unpersönlich und entfernen die Wissensübermittlung vom zwischenmenschlichen Austausch.41 Wir haben deshalb nicht aufgehört, miteinander zu sprechen. Aber Fragen, die man früher eher an Freunde und Bekannte gestellt hätte, lassen wir heute zunehmend Google beantworten. Aufgrund der Zeitersparnis vielleicht? Aufgrund der ständigen Erreichbarkeit der Suchmaschine? Oder schenken wir dem Internet mehr Glauben? Wollen wir uns vor anderen Personen zunehmend nicht eingestehen, etwas nicht zu wissen? Befürchten wir eine Antwort wie „Google das doch einfach!“? Es sind Spekulationen, doch wer sich selbst einmal beobachtet, wird sich vermutlich in ähnlichen Situationen widerfinden. 3. Fazit Aufgrund der Beschränkungen dieser Arbeit war es nicht möglich, etwaige positive Auswirkungen von Google auf unser Denken ausführlich zu untersuchen. Ich habe mich auf die negativen Aspekte konzentriert, weil ich glaube, dass sich viele Menschen dieser nicht bewusst sind. Um einen differenzierten Vergleich ziehen zu können, wäre es nun wichtig, mögliche positive Auswirkungen von Google zu beleuchten und diese anhand einer Gegenüberstellung mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit zu beurteilen. Fest steht, dass Google der zentrale Einstiegspunkt ins Netz ist und die dort vorhandenen Informationen für uns zugänglich macht. Die Suchmaschine ist Teil unserer Kultur geworden und erleichtert unser Leben auf vielfältige Weise. Wissen ist heute immer nur ein paar Klicks entfernt. Dadurch hat sich unser Denken verändert. Erlernte Fähigkeiten können verkümmern, wenn wir googeln anstatt denken. Doch ist dies wirklich so gefährlich? „Wir entscheiden uns für ein anderes Wissen. [...] Das habe der Mensch schon immer so praktiziert“42, weiß Michael Pauen von der Humboldt-­‐Universität. Einiges Wissen geht verloren, wie z.B. das Auswendigkennen von Telefonnummern. Tragisch ist das nicht. Wenn es irgendwann einmal 41
Ong, Oralität und Literalität, S. 82. Kurlemann, „Wie das Internet unser Denken verändert“. 42
12 wieder nötig sein sollte, Nummern auswendig zu kennen, können wir diese auch wieder lernen. Anstelle des verlorenen Wissens ist neues Wissen getreten. Vielleicht muss man sich gar nicht alles merken können. Schrift und Buchdruck erfuhren ähnliche Bemängelungen wie das Internet und Google. Trotzdem sehen wir sie heute in erster Linie als wertvolle Errungenschaften und Bereicherungen für unser Leben. Modernes Wissen stellt einfach andere Anforderungen an die Nutzer. Es ist wichtig geworden, verschiedene Informationsquellen zu kennen und zu nutzen und sich nicht nur auf eine Suchmaschine zu verlassen. Es ist wichtig zu wissen, dass Google seine Suchergebnisse nicht nach Wahrheitsgehalt sortiert und lückenhaft sein kann. Vielleicht sollten wir uns bewusster dafür entscheiden, welche Aufgaben wir der Technik überlassen und welche wir selbst erledigen. Ein Anfang wäre es, über manche Fragen einen Moment länger nachzudenken, anstatt sofort unbedacht zu Google zu greifen. Dann fällt uns vielleicht auch ganz ohne die Hilfe der Suchmaschine ein, wie der Schauspieler aus James Marshs letztem Kinofilm heißt, wie man Ratatouille schreibt oder wie das englische Wort für Besserwisser lautet. 13 4. Literaturverzeichnis Bauer, David, „Das Gehirn auf Standby“, in: SonntagsZeitung, publ. 25.10.2009, http://www.davidbauer.ch/2009/10/25/das-­‐gehirn-­‐auf-­‐standby/, Stand: 09.09.2015 Carr, Nicholas, „Is Google Making us Stupid?“, in: The Atlantic, July/August 2008 Issue, http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2008/07/is-­‐google-­‐making-­‐us-­‐
stupid/306868/, Stand: 10.09.2015 Duden Online, „googeln“, http://www.duden.de/rechtschreibung/googeln, Verlag Bibliographisches Institut GmbH 2015, Stand: 15.09.2015 Flusser, Vilém, Gesten. Versuch einer Phänomenologie. Düsseldorf und Bensheim: Bollmann Verlag 1991 (1. Auflage) Gernert, Johannes, „Macht Google dumm?“, in: TAZ, publ. 17.12.2010, http://www.taz.de/!5130254/, Stand: 09.09.2015 Google Inc., „Unternehmen“, https://www.google.de/intl/de/about/company/, Stand: 14.09.2015 Herbold, Astrid, „Google ist unser Leben“, in: Die Zeit, publ. 27.09.2013, http://www.zeit.de/digital/internet/2013-­‐09/google-­‐denken-­‐suchen-­‐geburtstag, Stand: 07.09.2015 Jorberg, Randolf, „Google ist dein Freund“, http://www.gidf.de, Stand: 15.09.2015 Kurlemann, Rainer, „Wie das Internet unser Denken verändert“, in: Stuttgarter Zeitung, publ. 14.10.2014, http://www.stuttgarter-­‐zeitung.de/inhalt.neue-­‐medien-­‐wie-­‐das-­‐internet-­‐unser-­‐
denken-­‐veraendert.db374fff-­‐f971-­‐43f0-­‐a52f-­‐6705c6b0be99.html, Stand: 07.09.2015 Lehmann, Kai, Michael Schetsche (Hrsg.), Die Google-­‐Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens. Bielefeld: transcript Verlag 2007 Lunapark, „Suchmaschinen Marktanteile weltweit“, http://www.luna-­‐park.de/blog/9907-­‐
suchmaschinen-­‐marktanteile-­‐weltweit-­‐2014/, Stand: 17.09.2015 Mauthner-­‐Weber, Susanne, „Macht Googeln blöd?“, in: Kurier, publ. 06.08.2012, http://kurier.at/lebensart/gesundheit/macht-­‐googeln-­‐bloed/806.982, Stand: 09.09.2015 14 Ong, Walter J, Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes. Opladen: Westdeutscher Verlag GmbH 1987 Seo-­‐United, „Suchmaschinenverteilung in Deutschland“, http://www.seo-­‐
united.de/suchmaschinen.html, Stand: 17.09.2015 Sparrow, Betsy, et al., „Google Effects on Memory: Cognitive Consequences of Having Information at Our Fingertips“, in: Science 333, 776 (2011), http://scholar.harvard.edu/files/dwegner/files/sparrow_et_al._2011.pdf Spitzer, Manfred, Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. München: Droemer Verlag 2012 Statista, „Anteile von Google, Bing und Yahoo am US-­‐Suchmaschinenmarkt“, http://de.statista.com/statistik/daten/studie/152212/umfrage/anteile-­‐von-­‐google-­‐bing-­‐und-­‐
yahoo-­‐am-­‐us-­‐suchmaschinenmarkt/, Stand: 17.09.2015 Statista, „Marktanteile ausgewählter Suchmaschinen in Deutschland“ http://de.statista.com/statistik/daten/studie/167841/umfrage/marktanteile-­‐ausgewaehlter-­‐
suchmaschinen-­‐in-­‐deutschland/, Stand: 17.09.2015 Stark, Birgit, „Don’t be evil. Die Macht von Google und die Ohnmacht der Nutzer und Regulierer“, in: Stark, Birgit, Dieter Dörr, Stefan Aufenanger (Hrsg.), Die Googleisierung der Informationssuche. Suchmaschinen zwischen Nutzung und Regulierung. Berlin und Boston: Walter de Gruyter GmbH 2014, S. 1-­‐19 15